Ein Geschädigter ist vor Erteilung des Gutachtenauftrags nicht verpflichtet, einen für die Haftpflichtversicherung möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten sind ebenfalls Kosten der Rechtsverfolgung, welche vom Schadensersatzanspruch mit umfasst sind. Grundsätzlich hat der Geschädigte Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen, die er im Zusammenhang mit der Wiederherstellung des bisherigen Zustandes dahingehend hatte, dass er einen Rechtsanwalt einschaltet.
Unter der Geschäftsnummer 7 C 258/10 spricht das Amtsgericht Göppingen Recht und verkündet am 18.06.2010 im Namen des Volkes aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 04.05.2010:
1. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von weiteren Sachverständigengebühren in Höhe von 590,40 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.12.2009 freizustellen.
2. Die Beklagte wird ferner verurteilt, die Klägerin von vorprozessualen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 446,13 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 23.12.2009 freizustellen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Berufung wird nicht zugelassen.
Streitwert: 590,40 Euro
Entscheidungsgründe
(Ohne Tatbestand gemäß § 313a Abs. 1 S. 1 ZPO)
Die Klage ist begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Freistellung von der restlichen Vergütungsforderung des Sachverständigen St. in Höhe von noch 590,40 Euro sowie auf Freistellung von den vorprozessualen Rechtsanwaltsgebühren der auch vorgerichtlich tätigen Prozessbevollmächtigten (§§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 VVG).
Die Einstandspflicht der Beklagten aufgrund des Verkehrsunfalls vom 30.10.2009 zu 100 % dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.
Der Klägerin ist mit der Einholung eines Sachverständigengutachtens ein Vermögensschaden in Höhe von 823,40 Euro entstanden, den die Beklagte mit einer Zahlung in Höhe von 233,00 Euro nur teilweise ausgeglichen hat.
Grundsätzlich hat ein Schädiger die Kosten eines von der Geschädigten zur Schadensfeststellung, insbesondere zur Bestimmung der Schadenshöhe, eingeholten Sachverständigengutachtens zu ersetzen, soweit dies aus Sicht der Geschädigten im Zeitpunkt der Beauftragung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich gewesen ist (zuletzt BGH NJW 2007, 1450). Demnach kommt es darauf an, ob ein verständiger und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines Sachverständigen für geboten erachten durfte. Angesichts der Schadenhöhe, es liegt kein offensichtlicher Bagatellschaden vor, war die geschädigte Klägerin berechtigt, zur Feststellung der Schadenshöhe einen Sachverständigen hinzuzuziehen, insbesondere auch zum Zwecke einer Beweissicherung. Der Einwand der Beklagten, mit der Bezahlung von 233,00 Euro auf die Gutachtergebühren handele es sich um den angemessenen Schadensersatzbetrag, geht bei der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs fehl. Grundsätzlich hat der Geschädigte einen Anspruch auf Erstattung des Aufwands, den er mit Einholung des Gutachtens betrieben hat. Bleibt der Geschädigte dabei im Rahmen des zur Wiederherstellung Erforderlichen, so ist der Schädiger im Schadensersatzprozess nicht berechtigt, eine Preiskontrolle zur Höhe des Sachverständigenhonorars durchzuführen (BGH NJW 2004, 3326, 3328). Das in Relation zur Schadenshöhe berechnete Sachverständigenhonorar des Sachverständigen S. kann als erforderlicher Herstellungsaufwand im Sinne des § 249 BGB angesehen werden, die Beklagte verkennt, dass die geschädigte Klägerin nach den schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei ist, also zur Schadensbeseitigung grundsätzlich den Weg einschlagen darf, der aus ihrer Sicht ihren Interessen am besten zu entsprechen scheint, was zur Folge hat, dass sie, wie in aller Regel ein Geschädigter im Rahmen eines Verkehrsunfalls, einen qualifizierten Gutachter ihrer Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachten beauftragen darf. Dabei ist die geschädigte Klägerin vor Erteilung des Gutachtenauftrags nicht verpflichtet gewesen, einen für die beklagte Haftpflichtversicherung möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen. Der Streit über die Höhe der geltend gemachten Sachverständigenkosten kann daher nicht auf dem Rücken der geschädigten Klägerin ausgetragen werden (vgl. OLG Naumburg, NZV 2006, 546, 548).
Die geschädigte Klägerin ist in dem Rechtsstreit auch aktiv legitimiert hinsichtlich der Geltendmachung der einzelnen Schadenspositionen, der Aktivlegitimation steht nicht die von der Klägerin unterzeichnete Sicherungs-Abtretungserklärung zugunsten des Sachverständigenbüros xxx vom 03.11.2009 entgegen.
Den bereits im letzten Absatz dieser Sicherungs-Abtretungserklärung wird darauf hingewiesen, dass die Klägerin sich selbst oder durch einen Rechtsbeistand um ihre Schadensregulierung kümmern müsse. Nach Überzeugung des Gerichts stellt die vorgelegte Abtretungserklärung eine Sicherungzession dar mit der Folge, dass die Klägerin als Sicherungsgeberin zur aktiven Geltendmachung der Forderung gegenüber dem Geschädigten und seiner Haftpflichtversicherung ermächtigt bleibt, also in Prozessstandschaft klagen und gegebenenfalls die Forderung im Wege der Zwangsvollstreckung beitreiben darf (vgl. Palandt, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 398, BGB, Rn 24 mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung des BGH).
Des Weiteren hat die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung der ihr vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten. Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten sind ebenfalls Kosten der Rechtsverfolgung, welche vom Schadensersatzanspruch mit umfasst sind. Grundsätzlich hat der Geschädigte Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen, die er im Zusammenhang mit der Wiederherstellung des bisherigen Zustandes dahingehend hatte, dass er einen Rechtsanwalt einschaltet. Die unfallgeschädigte Klägerin war auch berechtigt, bereits vor Eintritt des Verzugs einen Rechtsanwalt für die Anspruchsdurchsetzung einzuschalten, da sie schutzbedürftig gewesen ist (vgl. Jagow/Burmann/Heß, Straßenverkehrsrecht, § 249 BGB, Rn 100/101 mit weiteren Nachweisen). Wer geschäftlich nichts mit der Schadensabwicklung zu tun hat, darf einen Rechtsanwalt zur Abwicklung eines Schadens in eigener Sache einschalten, dies gilt auch bei zunächst völlig klarer Haftungsgrundlage und einfach gelagertem Sachverhalt, aber vor allen Dingen auch dann, wenn wie hier die Schadensabwicklung durch die Beklagte nur zögerlich und teilweise erfolgt (vgl. BGH NJW 1995, 446).
Im Einzelnen ist die Beklagte verpflichtet, die Klägerin auf Basis eines Gegenstandswerts von 4.113,83 Euro von folgenden Rechtsanwaltsgebühren freizustellen:
1,3 Geschäftsgebühr 354,90 Euro, Post- und Telekommunikationspauschale 20,00 Euro, zuzüglich Mehrwertsteuer aus beiden Beträgen, was insgesamt eine Summe von 446,13 Euro ergibt.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus § 91 ZPO und §§ 708 Nr. 11,711, 713 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Berufung liegen nicht vor. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts. Die Entscheidung befindet sich im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH, eine Differenz zu den zitierten Entscheidungen liegt nicht vor. Soweit andere Gerichte zu anderen Entscheidungen gekommen sind, lag deren Entscheidungen – wie immer – ein anderer Sachverhalt zugrunde.
Richter am Amtsgericht
Wie einfach klar u. prägnant doch Rechtsprechung sein kann.
Kein BVSK Vergleich mit falchen Zahlen und keine abgesprochenen Honorarwerte sind zur Schädigung eines SV in dieses Urteil eingeflossen.
M. E. einfach nur deutsche ständige Rechtsprechung richtig angewandt.Meinen Respekt an das zu erkennende Gericht.
MfG
F.Hiltscher
Nicht nur der Verzicht auf das Heranziehen der BVSK Tabelle ist lobenswert, sondern auch der richterliche Hinweis bezüglich Überprüfung der Kosten durch den Schädiger.
„Bleibt der Geschädigte dabei im Rahmen des zur Wiederherstellung Erforderlichen, so ist der Schädiger im Schadensersatzprozess nicht berechtigt, eine Preiskontrolle zur Höhe des Sachverständigenhonorars durchzuführen (BGH NJW 2004, 3326, 3328)“.
Offensichtlich ein Richter der sich von der Beklagten nicht auf’s werkvertragliche Glatteis führen lies.
Ebenfalls Respekt an das erkennende Gericht.
Hallo Leute,
bei aller Euphorie über das gegen die HUK-Coburg ergangene Urteil sollte das Urteil kritisch betrachtet werden. Meines Erachtens leidet das Urteil an verschiedenen Fehlern, die Nachahmer abschrecken sollten.
1. Das Gericht bejaht die Aktivlegitimation der geschädigten Kfz-Eigentümerin, obwohl diese eine Abtretungsvereinbarung unterzeichnet hat, die auch der Beklagten offen gelegt worden ist. Auf Grund dieser Abtretungsvereinbarung durfte die Beklagte auch nur noch schuldbefreiend an den Neugläubiger, das Sachverständigenbüro XX, leisten. Die Beklagte hat auf Grund der offen gelegten Abtretungsvereinbarung auch korrekterweise an den Neugläubiger gezahlt. Allerdings wurde nur ein Teilbetrag gezahlt. Eine Rückabtretungsvereinbarung ist dann nicht mehr erfolgt, zumindest ist das seitens der Klägerin nicht vorgetragen worden, so dass nach wie vor das Sachverständigenbüro aktivlegitimiert gewesen wäre und der Klägerin eindeutig die Aktivlegitimation fehlt. Wenn keine offen gelegte Rückabtretungsvereinbarung vorliegt, weiß der Schuldner doch nicht, an wen er schuldbefreiend zahlen soll. Er muss u.U. zweimal zahlen, was im Ergebnis nicht richtig sein kann. Aus diesem Grunde muss immer der klagen und damit das Kostenrisiko tragen, der aktiv legitimiert ist. Der Einwand der Beklagten gegen die Aktivlegitimation war erheblich und dem hätte die vermutlich junge Richterin in Göppingen in Baden-Württemberg nachgehen müssen.
2. Auf Grund der Weigerung der Beklagten, den restlichen Schadensersatz auszugleichen, hätte kein Freistellungs-, sondern ein Zahlungsanspruch gestellt werden müssen. Wenn der Schuldner nachhaltig und ernsthaft die Leistung verweigert, wandelt sich der Freistellungsanspruch in einen Zahlungsanspruch um. Dementsprechend hätte das Gericht zur Zahlung verurteilen müssen.
3. Anwaltskostenanspruch besteht selbst dann, wenn der geschädigte Rechtsanwalt in eigener Sache Schadensersatz gegenüber dem Schädiger und dessen Versicherung fordert.
Das Urteil sollte daher nicht unkritisch gesehen werden.
Ich weiß, dass ich von einer Seite her wieder niedergemacht werde. Aber auf die Ungereimtheiten und Fehler in dem Urteil wollte ich doch aufmerksam machen.
Mit freundlichen Grüßen
Willi Wacker
@ Willi Wacker
lieber Willi Wacker,
Aus der Urteilsbegründung geht eindeutig hervor, dass es sich im vorliegenden Fall um eine Sicherungabtretung handelt.
Daher vermutlich weder „erfüllungshalber“ noch „an Erfüllung statt“. Ich gehe davon aus, dass der Sachverständige seine Forderung nicht ernsthaft gegen die Auftraggeberin betrieben hat, sondern diese vielmehr das Honorar direkt an den Sachverständigen ausgeglichen hat.
Solange der Sachverständige die Forderung nicht ernsthaft gegen die Auftraggeberin betreibt und diese nicht ausdrücklich Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsunwilligkeit zum Ausdruck bringt bleibt die Auftraggeberin Inhaberin der Forderung.
Siehe auch auszugsweise die Urteilsbegründung: „der Aktivlegitimation steht nicht die von der Klägerin unterzeichnete Sicherungs-Abtretungserklärung zugunsten des Sachverständigenbüros xxx vom 03.11.2009 entgegen“ sowie “ Den bereits im letzten Absatz dieser Sicherungs-Abtretungserklärung wird darauf hingewiesen, dass die Klägerin sich selbst oder durch einen Rechtsbeistand um ihre Schadensregulierung kümmern müsse“.
Nach alledem handelt es sich meines Erachtens um ein vorzügliches Urteil in dem man nicht mit aller Gewalt ein Haar in der Suppe suchen muss.
Hätte der Sachverständige im Umkehrschluss seine Honorarforderung auf Grundlage der Sicherungsabtretung direkt gegen die HUK geltend gemacht, hätte die HUK – mit meines Erachtens sehr hoher Wahrscheinlichkeit – die Aktivlegitimation des Sachverständigen bestritten.
Wie herum hättest Du es denn nun gern?
Es ist doch Wurst, ob sich das Karussell nun links oder rechts herum dreht. Alle sind irgenwann mal oben und alle steigen in der Regel wieder unten aus. Nur die die oben aussteigen wollen haben ein Problem.
Das ganze Thema mit der Aktivlegitimation ist m. E. doch nur ein versuchter Nebenkriegsschauplatz der all zu oft unterlegenen HUK Coburg Versicherung in Honorarstreitigkeiten.
Schön jedefalls, dass sich das erkennende Gericht auf so einen Quatsch mit Hut nicht eingelassen hat.
Lieber Willi Wacker,
wenn man tatsächlich juristisch ein paar Erbsen zählen konnte, finde ich die übrigen Urteilsinhalte einfach sauber und dem Recht entsprechend richtig argumentiert.
Hier ging es wieder um eine Kernaussage im Schadensrecht welche vom Gericht richtig getroffen wurde und nicht um eine m.E. unwichtige Haarspalterei der Juristensportgruppe.
Dass ich mich mit meinem Kommentar unbeliebt machen würde, war mir klar. Ich will abschließend nur noch einmal meine Sorge darlegen, dass in meinen Augen das Urteil dogmatisch falsch ist und auch der Rechtsprechung des BGH (NJW 2004, 2516ff.) widerspricht. Deshalb sollten Nachahmer gewarnt werden.
Die Frage der Aktivlegitimation ist keine Frage der Haarspalterei, sondern eine Frage, ob der oder die richtige Partei klagt. Davon kann das Gelingen und die Niederlage in einem Prozess abhängen. Auch hier bin ich der Meinung, dass nicht der Geschädigte, sondern der Sachverständige der richtige Kläger gewesen wäre.
Abschließend sei dem Richter bzw. der Richterin noch mitgeteilt, dass es „Sachverständigengebühren“ nicht gibt. Hier könnte man aber davon ausgehen, dass nur ein falsches Wort gebraucht worden ist. Die anderen Fehler sind gravierender.
Das war es dann aber auch.
Mit freundlichen Grüßen
Willi Wacker
@ Willi Wacker
Unbeliebt machen Sie sich deswegen ganz bestimmt nicht.
Es ist ja grundsätzlich richtig und wichtig die Urteile zu analysieren.
Allerdings teile ich nach wie vor nicht Ihre Auffassung, dass hier der SV hätte klagen müssen, da ich weiterhin davon ausgehe, dass der SV nicht aktivlegitimiert war, weil er vermutlich die Forderung gegen seine Auftraggeberin (Klägerin) nicht ernsthaft betrieben hat.
Dies ist jedoch alles nur spekulativ, da wir den vollständigen Sachvortrag nicht kennen. Daher gehe ich weiter davon aus, dass das Gericht sehr wohl wusste was es zu tun hatte.
Im Ergebnis scheint das Urteil zu stimmen.
Das ganze ohne Preiskontrolle und BVSK-Vergleich.
Deshalb Respekt vor dem Gericht.