Immer wieder entsteht Streit über die im Schadensersatzrecht anzuwendenden Stundenverrechnungssätze, obwohl zwischenzeitlich mehr als genug BGH-Urteile dazu vorliegen. Auch in diesem Schadensersatzfall wollte der Schädiger und sein Kfz-Haftpflichtversicherer so clever sein, eine an sich ungeeignete No-name-Werkstatt als Alternativwerkstatt zu benennen. Der Fehler war nur, dass diese Werkstatt eigentlich an Unfallreparaturen der Geschädigten, die über 10 Kilometer von der Werkstatt weg wohnen, gar nicht interessiert ist und im übrigen auch die Kriterien der Gleichwertigkeit gar nicht erfüllte, wie die Beweisaufnahme zeigte. – Ein Urteil, bei dem die entscheidenden Richter der Berufungskammer sich auch mit dem VW-Urteil des BGH beschäftigt haben und die behauptete Gleichwertigkeit zu recht hinterfragt haben. Das Ergebnis der Beweisaufnahme ist typisch: Die von Schädigerseite benannte Alternativwerkstatt ist technisch und qualitativ nicht der Markenfachwerkstatt gleichzusetzen. Insgesamt daher ein schönes Urteil. Lest selbst.
Landgericht Osnabrück
Geschäfts-Nr. 3 S 276/09
Verkündet am 9.2.2010
Urteil
In dem Rechtsstreit …
hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück auf die mündliche Verhandlung vom 19.01.2010 durch …
für Recht erkannt:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Lingen vom 08.06.2009 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 313 a Abs. 1, 540 Abs. 2 ZPO).
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Nach dem Ergebnis der von der Kammer durchgeführten Beweisaufnahme muss sich die Klägerin nicht auf die günstigere Reparaturmöglichkeit in der Werkstatt der … verweisen lassen.
Soweit das Amtsgerichts allerdings die Auffassung vertreten hat, ein Geschädigter müsse sich bei der Bemessung des Schadensersatzes in keinem Fall auf eine gleichwertige Reparaturmöglichkeit einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt verweisen lassen, kann dieser Auffassung nicht gefolgt werden. Sie steht eindeutig im Widerspruch zur höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Das sogenannte Porsche-Urteil ist bereits im Jahr 2003 erlassen worden (NJW 2003, 2086). Ein weiteres Urteil des Bundesgerichtshofs ist am 20.10.2009 verkündet worden in dem Verfahren VI ZR 53/09 (Blatt 132 f.d.A., vergleiche dazu auch die Erläuterungen in NJW Spezial 2010, 41). In dem Urteil heißt es: „In seinem Urteil BGHZ 155, 1 f. – gemeint ist das oben zitierte Urteil (Porsche-Urteil)– ist der Senat dem dortigen Berufungsgericht vom Ansatz her allerdings auch in der Auffassung beigetreten, dass der Geschädigte, der mühelos eine ohne Weiteres zugängliche günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit hat, sich auf diese verweisen lassen muss. Rechnet der Geschädigte – konkret oder fiktiv – die Kosten der Instandsetzung als Schaden ab und weist er die Erforderlichkeit der Mittel durch eine Reparaturkostenrechnung oder durch ein ordnungsgemäßes Gutachten eines Sachverständigen … nach, hat der Schädiger die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, aus denen sich ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht i.S.d. § 254 Abs. 2 BGB ergibt.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
In dem zitierten Urteil hat der BGH Ausnahmen zugelassen für Fahrzeuge mit einem Alter von bis zu 3 Jahren bzw. sogenannten scheckheftgepflegten Fahrzeugen. Beide Ausnahmen kommen hier nicht in Betracht.
Deshalb musste die Kammer feststellen, ob die von der Beklagten aufgezeigte anderweitige Reparaturmöglichkeit für die Klägerin zumutbar war. Vorprozessual war die Klägerin auf die … verwiesen worden (Blatt 46 f.d.A.). Auf Antrag der Beklagten ist der … vernommen worden. Sicherlich hat der Zeuge bestätigt, dass er eine hinreichend große Werkstatt mit drei Meistern, zwei Gesellen und einem Auszubildenden unterhalte. Der Zeuge hat auch die von der Beklagten gegenüber der Klägerin mitgeteilten Stundensätze für Karosserie- bzw. Lackierarbeiten bestätigt.
Entscheidende Einschränkungen für die Gleichwertigkeit ergeben sich aus folgenden Umständen: Zunächst hat der … eingeräumt, dass er sich zwar bei den Zeitvorgaben nach den Vorgaben der Automobilhersteller richte. Etwas anderes gelte aber hinsichtlich des Vorgehens bei den Reparaturarbeiten. Es werde eher selten im Computer nachgeschaut, ob es Richtlinien der Hersteller für die Reparaturen gebe. Hier verlasse er sich auf seine Fachkenntnisse. Des Weiteren war die … der Klägerin ausdrücklich als Fachbetrieb für Karosserie- und Lackierarbeiten vorgestellt worden (Blatt 47. d.A.). Die Beweisaufnahme hat jedoch ergeben, dass der … in der eigenen Werkstatt überhaupt keine Lackierarbeiten durchführt. Sämtliche Lackierarbeiten müssen nach seiner Aussage vergeben werden. Die geweckte Erwartung beim Geschädigten, die Reparaturarbeiten würden in einer Hand durchgeführt, werden enttäuscht. Darüber hinaus musste der Zeuge einräumen, dass in seiner Werkstatt keine Richtbank vorhanden sei. Gerade bei Unfallschäden wird es nicht selten vorkommen, dass Unfallautos auf der Richtbank überprüft werden müssen. Auch dies müsste dann in einer anderen Werkstatt gemacht werden. Dann besteht aber die Gefahr, dass man bei … eher auf eine Untersuchung auf der Richtbank verzichtet, weil dies zusätzliche Kosten auslösen würde. Schließlich ist in der Ankündigung der Beklagten die Rede von einem kostenlosen Hol- und Bringservice. Der Zeuge hat grundsätzlich bestätigt, ein solcher werde unterhalten. Allerdings hat der Zeuge gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, dass er bei Kunden im Umkreis von 10 Kilometern und mehr eher unwillig sei, wenn es um diesen Service gehe.
Alle Punkte zusammengenommen führen bei der Kammer zur Überzeugung, dass die … nicht als geeignete Fachwerkstatt angeführt werden kann.
Auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens konnte verzichtet werden, da es nicht auf die Überprüfung der technischen Gegebenheiten in der Werkstatt der Firma … ankommt.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Auch das kann man als Selbsttor bezeichnen. Da wird von Schädigerseite eine „gleichwertige“ Kfz-Werkstatt benannt, die sich später bei der Beweisaufnahme – der Schädiger ist für die Gleichwertigkeit beweispflichtig – als nicht geeignet erweist. Gut, dass das Gericht die behauptete Gleichwertigkeit hinterfragt hat. Nicht jede von Schädigerseite benannte Alternativwerkstatt ist auch tatsächlich qualitativ und technisch gleichwertig. Wichtig ist daher, auf jeden Fall die Gleichwertigkeit der Alternativwerkstatt zu bestreiten. Da hilft auch kein EUROGARANT-Urteil, denn im Falle des Bestreitens ist Beweis zu erheben, da das gericht nicht so einfach über § 287 ZPO eine an sich erforderliche Beweisaufnahme (Relationstechnik!) unterlassen kann. Zeigt dieses Urteil doch, wie leichtfertig – oder bewußt falsch – der Schädiger und sein Haftpflichtversicherer Alternativwerkstätten benennt.
Zitat:
Zeigt dieses Urteil doch, wie leichtfertig – oder bewußt falsch – der Schädiger und sein Haftpflichtversicherer Alternativwerkstätten benennt.
Genauso werden etliche Werkstätten als Alternative benannt, die aber in Wirklichkeit weder nach den mitgeteilten „gedeckelten Preisen“ arbeiten, noch in einer partnerschaftlichen Beziehung zu Versicherern stehen. Nehmt die Partnerbetriebe mit ins Boot und „zerlegt“ das alternative Versicherungsgebaren in das was es ist: Eine immer wieder praktizierte versuchte Verdummung der Geschädigten!
Hallo Buschtrommler,
Meines Erachtens grenzt das an Betrug bzw. versuchten Betrug. Es wird gegenüber dem Geschädigten behauptet, es bestehe auch bei weiterer Entfernung zum Wohnort des Geschädigten ein kostenloser Hol- und Bringservice. In Wirklichkeit aber nur im Radius von bis 10 km von der Werkstatt. Durch den Schädiger wird behauptet, der Alternativbetrieb sei ein Fachbetrieb für Karosserie- und Lackierarbeiten. In Wirklichkeit müssen Lackierarbeiten außer Haus gegeben werden. Es wird von Schädigerseite behauptet alle Karosseriearbeiten könnte durchgeführt werden, während in Wirklichkeit noch nicht einmal eine Richtbank vorhanden ist. —> Verdacht des Betruges, sogar noch in der Form des Prozessbetruges!!
Zeigt doch dieser Fall, dass der Versicherungswirtschaft jedes Mittel recht ist, die gesetzlich vorgeschriebene Schadensregulierung zu umgehen oder zu minimieren. Wenn dabei Strafgesetze verletzt werden, hört m.E. der Spass auf und ein solcher Fall gehört vor den Strafrichter. Zumindest ist Strafanzeige und Strafantrag bei der StA zu stellen. M.E. hätten die Zivilrichter der Berufungskammer des LG Bielefeld die Akte schließen und den Vorgang an die in Bielefeld ebenfalls ansässige Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität abgeben müssen.
Tatbestandsmerkmale des Betruges gem. § 263 StGB hat die Berufungskammer bereits in ihrem Urteil anklingen lassen. Lediglich die letzte Konsequenz fehlte – bedauerlicherweise.
Nehmt die Partnerbetriebe mit ins Boot. Buschtrommler, wie soll das gehen?
Grüße Klaus
Zitat:
Nehmt die Partnerbetriebe mit ins Boot. Buschtrommler, wie soll das gehen?
Die gewieften Anwälte dürften diese Frage mehr als zufriedenstellend beantworten…..