AG Norderstedt entscheidet zur Frage der Gleichwertigkeit und zu den Kosten für die Neubeschaffung eines von der Versicherung vernichteten Gutachtens mit Urteil vom 23.7.2010 – 47 C 1463/09 –

Hallo Leser,

Immer wieder wird ja die Auffassung vertreten, der besonders freigestellte Tatrichter könne auch über § 287 ZPO die Frage der Gleichwertigkeit beurteilen. Der Amtsrichter des AG Norderstedt hat in der Tat mit der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung „kurze fünfe“ gemacht und die Gleichwertigkeit aufgrund des Prüfberichtes der DEKRA schlichtweg verneint und der fiktiven Schadensabrechnung des Klägers die Stundenverrechnungssätze der Mercedes-Fachwerkstatt zugrunde gelegt. Darüber hinaus hat er die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung verurteilt, die Kosten für die Neuerstellung eine von der Versicherung vernichteten Schadensgutachtens zu  zahlen.

Nachfolgend das Urteil des AG Norderstedt vom 23.7.2010 – 47 C 1463/09 –

Amtsgericht Norderstedt

47 C 1463/09 –

U r t e i l

In der Zivilrechtsstreitigkeit

des Herrn …..                                             Klägers

g e g e n

die ….. (Kfz-Haftpflichtversicherung)    Beklagte

wegen Schadensersatzes

hat das Amtsgericht Norderstedt im schriftlichen Verfahren gem. § 495 a ZPO aufgrund der bis zum 16.7.2010 eingereichten Schriftsätze am 23.7.2010 für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 215,94 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basauszinssatz seit dem 14.10.2009 zuzahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreites.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand und Entscheidungsgründe:

Auf Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 313 a Abs. 1 ZPO verzichtet.

Die Klage ist bedründet.

Der Kläger erlitt durch das bei der beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung versicherte Fahrzeug einen Unfallschaden. Der Kläger beauftragte einen qualifizierten Kfz-Sachverständigen, der das Schadensgutachten fertigte, das der Kläger an die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung sandte. Dort wurde das  Gutachten vernichtet. Der Kläger forderte die Rückgabe des Original-Gutachtens. Nachdem die Beklagte dazu nicht in der Lage war, ließ der Kläger bei dem Kfz-Sachverständigen eine weiteres Gutachten zum Preis von 35,– € fertigen. Zwar hat die Beklagte ihre Zahlungsverpflichtung anerkannt, aber keinerlei Zahlung geleistet. Im Übrigen fordert der Kläger die im Gutachten aufgeführten Stundensätze der Mercedes-Fachwerkstatt, denn bei den im Prüfbericht angegebenen niedrigeren Preisen handele es sich um nicht marktgerechte Preise, die auf Sonderkonditionen beruhen.

1. Soweit der Kläger Kosten für das Zweitgutachten in Höhe von 35,– € deshalb geltend macht, weil das vom Kläger an die Beklagte übersandte Gutachten des Sachverständigen S. bei der Beklagten vernichtet wurde, ist dieser Anspruch begründet. Zwar hat die Beklagte den Anspruch anerkannt. Da es sich um eine Geldschuld handelt, bei der das Anerkenntnis alleine nicht ausreicht, ist eine sofortige Zahlung notwendig. Hieran fehlt es. Da bisher keine Zahlung erfolgt ist, ist sie entsprechend mit der Kostenfolge nach § 91 ZPO zu verurteilen.

2.  Die Klage ist auch im übrigen begründet. Unstreitig ist das verunfallte Fahrzeug des Klägers älter als drei Jahre und nicht ständig in der Mercedes-Fachwerkstatt gewartet und repariert worden. Insoweit besteht nach dem Urteil des BGH vom 20.20.2009 – VI ZR 53/09 -, sog. VW-Urteil, grundsätzlich für den Schädiger die Möglichkeit, den Geschädigten auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne weiteres zugänglichen „freien Fachwerkstatt“ zu verweisen. Eine entsprechende Verweisung hat die Beklagte durch die Übersendung des Prüfberichtes versucht, in dem sie den Kläger u.a. auf die Referenzwerkstatt, nämlich die Werkstatt XXX in Hamburg verwiesen hat, wobei nach dem Prüfbericht bei dieser Werkstatt Nettoreparaturkosten von 1.212,54 € entstanden wären, die die Beklagte ihrer Abrechnung zugrunde gelegt hat.

Ein Verweis auf eine andere Reparaturmöglichkeit setzt aber deren Gleichwertigkeit mit einer Reparatur in der markengebundenen Fachwerkstatt voraus. Dabei sind dem Vergleich die (markt-)üblichen Preise der Werkstätten zugrunde zu legen. Das bedeutet insbesondere, dass sich der Geschädigte im Rahmen seiner Schadensgeringhaltungspflicht gem. § 254 Abs. 2 BGB nicht auf Sonderkonditionen von Vertragswerkstätten des verpflichteten Kfz-Haftpflichtversicherers verweisen lassen muss (BGH a.a.O.). Der Sachverständige hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass bei der genannten Referenzwerkstatt, der Werkstatt XXX in Hamburg, für Lackierarbeiten ein Nettostundensatz von 94,60 € im Jahre 2008 angefallen wäre. Tatsächlich ist im Prüfbericht ein Stundensatz von 92,60 € angesetzt. Der im Prüfbericht der DEKRA  angesetzte Stundensatz ist daher um 2,– € niedriger als der tatsächlich im Jahre 2008 von der Firma Werkstatt XXX angesetzte Satz. Daraus folgt nach Ansicht des Gerichtes, dass dann, wenn der Kläger die Reparatur bei dieser Werkstatt XXX in Hamburg in Auftrag gegeben hätte, er tatsächlich nicht den im Prüfbericht der DEKRA angesetzten Stundensatz hätte zahlen müssen, sondern einen höheren Stundensatz. Dies wiederum bedeutet, dass die Voraussetzungen einer Gleichwertigkeit im Sinne der oben zitierten Ausführungen des BGH in seinem Urteil vom 20.10.2009 (VW-Urteil) gerade nicht gegeben sind, sondern es sich um Sonderkonditionen handelt. In einem solchen Fall muss sich der Kläger nicht auf die Referenzwerkstatt verweisen lassen. Vielmehr kann er die vom Sachverständigen S. zugrunde gelegten Nettoreparaturkosten von dem Schädiger  und seiner Kfz-Haftpflichtversicherung  beanspruchen. Deshalb ist dem Kläger eine Verweisung auf die Referenzwerkstatt unzumutbar. Er hat Anspruch auf die im Gutachten aufgeführten Stundensätze der Markenfachwerkstatt. Deshalb ist die Klage auch in Höhe des geltend gemachten Differenzbetrages von 180,94 € beründet.

Die weitere Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO .

So das Urteil aus dem Hamburger Norden. Dem Amtsrichter aus Norderstedt ist voll und ganz zuzustimmen .Dem Geschädigten ist es nicht zumutbar, sich auf Stundensätze von Referenz- oder Partnerwerkstätten der Versicherungen verweisen zu lassen, wenn diese auf Sondervereinbarungen beruhen. Bei den Preisen der Partnerwerkstätten handelt es sich nicht um marktgerechte Preise. Was meint Ihr?

Urteilsliste “Fiktive Abrechnung u. SV-Honorar” zum Download >>>>>

Dieser Beitrag wurde unter DEKRA, Fiktive Abrechnung, Gleichwertigkeit, Haftpflichtschaden, Lohnkürzungen, Sachverständigenhonorar, Stundenverrechnungssätze, Urteile abgelegt und mit , , , , , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

9 Antworten zu AG Norderstedt entscheidet zur Frage der Gleichwertigkeit und zu den Kosten für die Neubeschaffung eines von der Versicherung vernichteten Gutachtens mit Urteil vom 23.7.2010 – 47 C 1463/09 –

  1. SV Wehpke sagt:

    Ich halte 35,00 € für die Erstellung einer Gutachtenzweitschrift für nicht einmal kostendeckend.

    Wehpke Berlin

  2. Buschtrommler sagt:

    Mit solchen „gezinkten“ Scheinkalkulationen geht momentan wohl wieder eine Welle los. 2 Klagen diesbezüglich stecken zur Zeit allein bei mir im Köcher. Wehe dem Geschädigten, der sich auf solche Spielereien einlässt….

  3. Bruno sagt:

    @ SV Wehpke

    Die Kostendeckung zur Anfertigung einer kompletten Gutachten-Zweitschrift einschl. Bearbeitung (Zeitaufwand), Material, Anschreiben, Versandkosten, usw. liegt, je nach Bürokostenstruktur, bei 100,00 Euro zzgl. MwSt aufwärts. Viele Kollegen berechnen hierfür 150 Euro zzgl. MwSt. Mit 35 Euro für eine komplette Gutachtenzweitschrift kann es sich nur um einen Gesprächsergebnistarif des BVSK handeln. Die arbeiten ja bekanntlich für die HUK auch weit unter dem Kostendeckungsfaktor? Die HUK hält die lächerlichen 35 Euro nun natürlich wieder für die übliche Vergütung.
    Wer fremdes Eigentum und Beweismittel vernichtet müsste normalerweise 150 Euro für die Zweitschrift bezahlen und als Strafe noch einmal 300 Euro dazu.

  4. Willi Wacker sagt:

    Als ich zu Kommentaren aufgerufen hatte, ging es mir nicht so sehr um die Kosten für die Beschaffung eines Ersatzgutachtens, da kann man durchaus streiten, ob ein nochmaliger Ausdruck und der Ausdruck der digitaliesierten Lichtbilder die in den Kommentaren angegebenen Beträge erreichen muss, sondern um die vom Amtsrichter gem. § 287 ZPO getroffene Frage der Gleichwertigkeit der fiktiven Reparatur. Bedauerlicherweise ist darauf bisher in den Kommentaren nicht eingegangen worden. Mit der gleichen Argumentation könnte der Richter z.B. auch die Gleichwertigkeit eines EUROGARANT-Betriebes verneinen, denn der Tatrichter ist besonders freigestellt. Den Prüfbericht der DEKRA mit den Angaben zum EUROGARANT-Betrieb kann er wegen der nicht nachvollziehbaren Stundensätze verwerfen und stützt sich auf das Gutachten des Kfz-Sachverständigen als Schätzgrundlage gem. § 287 ZPO, wie es das OLG München in seinem Hinweisbeschluss vom 30.6.2009 – 10 U 3380/09 – getan hat.
    Willi Wacker

  5. SV Wehpke sagt:

    @Willi Wacker, Donnerstag, 17.03.2011 um 22:39

    „Als ich zu Kommentaren aufgerufen hatte, ging es mir nicht so sehr um die Kosten für die Beschaffung eines Ersatzgutachtens,…“
    —————
    Sehr geehrter Herr Wacker,
    Ihre Betrachtungen zur Gleichwertigkeit teile ich. Ich befürchte jedoch, dass die Assekuranzen, gestützt auf dieses Urteil, nun für solchen Aufwand maximal 35,00 € vergüten wollen. Insofern hat dieses Urteil auch eine negative Seite aufzuweisen. Mir jedenfalls ist nicht ohne weiteres verständlich, wie jemand 35,00 € dafür in Rechnung stellen kann. Ich hätte eine solche Zweitschrift lieber kostenlos erstellt, damit nicht solch eine Vorlage in die Welt kommt. Aber wer weiß?

    Wehpke Berlin

  6. Zweite Chefin sagt:

    Hallo Buschtrommler,

    nur 2 Klagen im Köcher ?
    Bei uns wird zur Zeit nicht ein Gutachten anerkannt, bei jeder Sache werden die Reparaturkosten gekürzt, die HUK kürzt zusätzlich regelmäßig die SV-Kosten.
    Wir gehören allerdings zu denen, die auch wegen dieser eher geringen Restbeträge Klage einreichen, es geht fast jeden Tag eine raus …

  7. Willi Wacker sagt:

    Hallo Zweite Chefin,
    dann sollten Sie Ihre Unmenge an Urteilen, die Sie erstritten haben, an die Redaktion senden. Jedes Urteil, das bekannt gegeben wird, verringert das Ansehen der Versicherer und nutzt den Geschädigten. Also nicht zögern, alles zu der Redaktion.
    mit freundlichen Grüßen
    Willi Wacker

  8. Frank sagt:

    Hallo Willi,

    vielleicht ises so wie bei vielen anderen die gute urteile haben. „was dir gehört, gehört auch mir. aber was mir gehört geht dir nix an.“

  9. Willi Wacker sagt:

    Hallo Frank,
    genau das meine ich. Es gibt eine Hand voll Leser, die ihre Urteile permanent übersenden, damit sie eingestellt werden können. Andere sprechen von unzähligen Klagen und Rechtsstreite in gewissen Regionen. Auch die Zweite Chefin erklärt, dass bei ihr fast jeden Tag eine Klage herausgeht. Das macht nach Adam Riese pro Woche (Samstag und Sonntag abgezogen) 4-5 Klagen. Dementsprechend müssten dann auch Urteile ergehen. Aber nix davon landet hier. Deshalb überlegt man doch, ob man Urteile aus gewissen Regionen, von denen man weiß, dass dort andere Sachverständigen-Urteile ergangen sein müssen, oder das lautstarke Prahlen war nix, dann hier noch einstellt.
    Noch ein schönes Wochenende
    und man sieht sich – so hoffe ich –
    Dein Willi

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert