Das AG Halle (Saale) hat am 17.08.2009 (93 C 731/09 (093)) die eintrittspflichtige Versicherung verurteilt, die Kosten für die Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt auch bei der fiktiven Abrechnung zu erstatten. Des weiteren wird in den Urteilsgründen zur Höhe der Rechtsanwaltsgebühren Stellung genommen sowie zur Unkostenpauschale.
Das Amtsgericht Halle (Saale) hat im schriftlichen Verfahren gemäß § 495 a ZPO am 17.08.2009
für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 433,31 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 389,31 € seit dem 28. November 2008 und aus weiteren 44,00 € seit dem 21. Januar 2009 zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 7 % und die Beklagte 93 %.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung, auch zu einem Teilbetrag, durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
5. Die Berufung der Beklagten wird zugelassen.
und beschlossen:
Der Streitwert wird auf die Gebührenstufe bis 600,00 € festgesetzt.
Tatbestand:
Der Kläger verlangt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall.
Bei einem Verkehrsunfall am 23. Oktober 2008 wurde das dem Kläger gehörende Taxi, ein PKW Mercedes Benz, amtliches Kennzeichen …. durch den bei der Beklagten pflichtversicherten PKW Opel, amtliches Kennzeichen beschädigt. Die Beklagte haftet für die Schäden am Fahrzeug des Klägers zu 100 %. Nach einem Gutachten des Sachverständigenbüros XY kostet die Reparatur netto 2.177,29 €. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bl. 14 – 27 d. A. verwiesen. Zudem verlangt der Kläger eine Kostenpauschale von 26,00 € und vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 307,50 €. Die Beklagte zahlte lediglich 1.812,98 € sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 229,30 €. Den Restbetrag verlangt der Kläger mit der vorliegenden Klage.
Der Kläger beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 390,31 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB aus 2.605,79 € seit dem 14. November 2008 bis zum 21. November 2008 und aus 390,31 € seit dem 22. November 2008 zu zahlen.
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 78,20 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB hieraus seit dem 21. Januar 2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass sich der Kläger darauf verweisen lassen müsse, dass er sein Fahrzeug bei anderen, von der Beklagten konkret benannten Werkstätten wegen geringerer Stundenverrechnungssätze kostengünstiger reparieren lassen könne, nämlich zu einem Preis von 1.786,98 €.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens und des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist in der Hauptsache begründet.
Anspruchsgrundlage ist § 3 PflVG in Verbindung mit § 7 StVG. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach zu 100 % ist unstreitig.
Der Kläger kann dem gesamten (Netto-)Schaden von 2.177,29 € verlangen. Dass der Schaden in dieser Höhe eingetreten ist, ergibt sich aus dem vom Kläger vorgelegten (Partei-)Gutachten des Sachverständigen XY.
Dass die so genannte fiktive Abrechnung auf Gutachtenbasis zulässig ist, ist allgemein anerkannt und bedarf keiner Erörterung. Die von der Beklagten vorgenommenen Abzüge sind nicht gerechtfertigt. Es besteht ein Anspruch auf Ersatz der in einer markengebundenen Werkstatt anfallenden Reparaturkosten, und zwar unabhängig davon, ob der Geschädigte den Wagen tatsächlich, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt; hierbei sind – auch bei fiktiver Abrechnung – auch die konkret veranschlagten Stundenverrechnungssätze zu ersetzen (LG Halle, Urteil vom 3. Juli 2007, Az. 2 S 44/07). Die von der Beklagten genannten Werkstätten ………. sind keine markengebundenen Werkstätten. Der Kläger muss sich nicht auf eine nicht markengebundene Werkstatt verweisen lassen. Reparaturen in nicht markengebundenen Werkstätten sind nicht gleichwertig zu einer Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt. Dies ergibt sich in bemerkenswerter Deutlichkeit schon daraus, dass – was ja gerade Auslöser des vorliegenden Rechtsstreits ist – die Reparatur in einer nicht markengebundenen Werkstatt billiger ist als in einer markengebundenen Werkstatt. Dafür, dass dort die Reparatur billiger ist, muss es einen Grund geben. Auch bei einem eventuellen Weiterverkauf wird für ein Auto, dass nicht in einer markengebundenen Werkstatt repariert wurde, nur ein geringerer Erlös zu erzielen sein im Vergleich zu einem Auto, dass in einer markengebundenen Werkstatt repariert wurde.
Es würde in die Dispositionsfreiheit des Geschädigten eingreifen, wenn man ihn bei fiktiver Abrechnung auf die Kosten verweisen würde, die bei Reparatur in einer nicht markengebundene Werkstatt entstehen. Letztlich würde sonst willkürlichen Kürzungen der von Sachverständigen ermittelten Reparaturkosten durch die Haftpflichtversicherungen Tür und Tor geöffnet. Zu der Institution der fiktiven Abrechnung mag man stehen wie man will – und dass sie den Haftpflichtversicherungen tendenziell suspekt ist, mag man begreiflich finden -, aber der Gesetzgeber lässt sie nun einmal zu, und die Geschädigten stellen sich daher darauf ein. Es kann nicht angehen, dass Haftpflichtversicherer bei fiktiver Abrechnung die Geschädigten auf nicht markengebundene billigere Werkstätten verweisen, um „die Kosten zu drücken“.
Soweit das Landgericht Halle in seinem Urteil vom 10. März 2009 (Az. 2 S 277/08) von den Grundsätzen seines eigenen überzeugenden Urteils vom 3. Juli 2007 wieder abgerückt ist, vermag das Gericht dies nicht nachzuvollziehen. Ob der Schädiger dem Geschädigten „konkret an andere Werkstätten verwiesen“ hat oder nicht, kann nicht der entscheidende Gesichtspunkt sein. Die Argumente, die das Landgericht Halle in seiner Entscheidung vom 10. März 2009 anführt, um zu begründen, dass sich der Geschädigte an eine nicht markengebundene Werkstatt verwiesen lassen muss, würden konsequenterweise dazu führen, dass man nicht nur bei fiktiver Abrechnung auf Gutachtenbasis, sondern auch bei tatsächlich durchgeführter Reparatur nur noch die Kosten einer nicht markengebundenen Werkstatt ersetzen müsste. Soweit will aber anscheinend auch das Landgericht nicht gehen, ohne dass jedoch deutlich gemacht wird, warum die dort aufgeführten Argumente nur für die fiktive Abrechnung, nicht aber auch für die Abrechnung bei tatsächlich durchgeführter Reparatur gelten sollen.
Im Übrigen hat der BGH mit Urteil vom 29. April 2003 (Az. VI ZR 398/02, zitiert nach juris) ausdrücklich entschieden, dass der Geschädigte, der fiktive Reparaturkosten abrechnet, der Schadensberechnung die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zu Grunde legen dürfe.
Die Kostenpauschale beträgt in ständiger Rechtsprechung des Gerichts 25,00 €. Schon im Interesse einer Gleichbehandlung aller Rechtsunterworfenen gibt es keinen Grund, im vorliegenden Fall hiervon abzugehen.
Der Kläger hat daher folgende Ansprüche:
Reparaturkosten laut Gutachten: 2.177,29 €
Kostenpauschale: 25,00 €
Summe: 2.202,29 €
Abzüglich gezahlter 1.812,98 €
Restbetrag: 389,31 €
Der Zinsanspruch beruht auf §§ 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB. Zinsen kann der Kläger erst ab dem 28. November 2008 verlangen, denn erst zu diesem Tag setzt der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 14. November 2008 in Verzug.
Außergerichtliche Anwaltskosten kann der Kläger wie folgt verlangen:
Gegenstandswert: 2.605,79 €
1,3 Geschäftsgebühr (Nr. 2300 W RVG): 245,70 €
Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 W RVG): 20,00 €
Dokumentenpauschale (Nr. 7000 W RVG): 8,00 €
Summe: 273,70 €
Abzüglich gezahlter 229,30 €
Restbetrag: 44,00 €
Die Geschäftsgebühr kann gemäß Nr. 2300 W RVG nur in Höhe einer 1,3 Gebühr verlangt werden. Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung kann eine höhere Gebühr (wie beispielsweise die hier geltend gemachte 1,5-Gebühr) nur verlangt werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig ist. Davon kann bei der vorliegenden Sache aber keine Rede sein: Es handelt sich um einen typischen Fall der ins anwaltliche und gerichtliche Massengeschäft fallenden Schadensabwicklung nach einem Verkehrsunfall, wobei die Haftungsverteilung dem Grunde nach sogar unstreitig war. Eine Abweichung vom Gesetzeswortlaut ist weder mit einem Ermessen des Rechtsanwalts noch mit einer angeblichen Toleranzgrenze von 20 % zu rechtfertigen.
Der Zinsanspruch beruht insoweit auf §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.
Insgesamt hat der Kläger folgende Ansprüche:
Schadensersatz: 389,31 €
Vorgerichtliche Anwaltskosten: 44,00 €
Summe: 433,31 €
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, wobei das Gericht auch das teilweise Unterliegen des Klägers bei der Nebenforderung – auch wenn diese den Streitwert nicht erhöht – berücksichtigt hat. Die offensichtliche Zuvielforderung bei der Nebenforderung soll nicht sanktionslos bleiben, insbesondere um auch für künftige Fälle das kostenrechtliche Risiko einer derartigen Zuvielforderung aufzuzeigen. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht für den Kläger auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO und für die Beklagte auf §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO. Gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 4 ZPO ist die Berufung wegen Abweichung von der Entscheidung des Landgerichts Halle vom 10. März 2009 zuzulassen. Die Berufung des Klägers ist nicht zuzulassen.
Danke Hans Dampf,
ein in den Urteilsgründen überzeugendes Urteil, in dem sich der Richter auch mit der Rechtsprechung des LG Halle auseinandersetzt. In der Tat kann konktrete und fiktive Abrechnung nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, mit Ausnahme der MWSt. Wenn der Geschädigte konkret abrechnet, erhält er die Stundenverrechnungssätze der markengebundenen Fachwerkstatt, denn er kann bei Durchführung der Reparatur nicht auf eine nicht markengebundene Werkstatt verwiesen werden. Immerhin gilt die Dispositionsmaxime des Geschädigten immer noch. Er, und nicht der Schädiger oder dessen Versicherung, bestimmen, wann, wo und wie repariert wird. Das gleicher muss auch für die fiktive Abrechnung gelten, ansonsten gäbe es tatsächlich unterschiedlich Schadensersatz. Das widerspricht dem Gesetzestext und dem Gedanken des Schadensersatzrechtes. Den Schaden hat der Geschädigte nämlich schon mit dem Unfall erlitten, nicht erst bei Beauftragung der Werkstatt. Das Schadensersatzrecht des BGB ist kein Reparaturkostenerstattungsrecht.
Es ist zu wünschen, dass das LG Halle nunmehr zu seiner ursprünglich klaren Rechtsprechung zurückkehrt.
MfG
Werkstatt-Freund