In der Reihe der in den letzten Tagen veröffentlichten „lesenswerten Urteile“ reiht sich gut das nachfolgende Urteil des Amtsgerichts Meiningen ein. Der für seine Urteilsbegründungen bundesweit bekannte Richter hat am 12.12.2011 erneut ein Urteil (14 C 1112/10) abgesetzt, in welchem der Beklagten zur Zahlung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 426,72 € zzgl. Zinsen verurteilt wird. Das Gericht kommt im Übrigen ohne Schwacke oder Fraunhofer aus, was zählt ist der gesunde Menschenverstand gepaart mit kritischer Hinterfragung höchstrichterlicher Rechtsprechung. Urteil: lesenswert!
Aus den Entscheidungsgründen:
Die zulässige Klage ist nur in dem sich aus dem Urteilstenor ergebenden Umfang begründet.
Der Kläger hat einen weitergehenden Schadenersatzanspruch gegenüber der Beklagten aus den § 7 StVG i.V.m. § 115 Versicherungsvertragsgesetz.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Versicherungsteilnehmer der Beklagten den Verkehrsunft bei welchem das Fahrzeug des Klägers beschädigt worden ist, allein verursacht hat. Die Parteien streiten lediglich noch über die Mietwagenkosten.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Ersatz derjenigen Kosten, die hier erforderlich waren.
Erforderlich im Sinne des § 249 BGB sind diejenigen Kosten, die ein wirtschaftlich denkender Mensch in der Situation des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig erachten durfte. Dies ist die absolut herrschende Auffassung, welcher sich das Gericht anschließt.
Danach ist zu beurteilen, ob der Kläger die Mietwagenkosten hierfür erforderlich halten durfte.
Soweit der BGH im nächsten Schritt nach der Bildung des oben genannten Obersatzes übergeht, zu erklären, dass dies für den Bereich der Mietwagenkosten bedeutet, dass man die jeweils günstigere Möglichkeit wählen muss bzw. beweisen muss, dass unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnisse günstigere Tarife erreichbar sind, vergisst der BGH wohl, unter den selbst genannten Obersatz zu substantiieren.
Denn es ist nicht ersichtlich, warum ein Unfallopfer, gerade im Bereich der Mietwagenkosten und nur dort, irgendwelche Erkundigungen anstellen muss.
Mit der Logik hat dies sicherlich nichts zu tun. Der Grund für die Forderung ist eher, dass versucht wird, bestimmten Gepflogenheiten auf dem Mietwagensektor entgegen zu wirken.
Dies kann aber nicht auf Kosten des Unfallopfers gehen und schon gar nicht in derartig dogmatisch fragwürdiger Art und Weise.
Wenn der Obersatz heißt, dass erforderlich dasjenige ist, was ein Unfallopfer für zweckmäßig und notwendig erachten durfte, muss eben genau diese Frage beantwortet werden. Hier hat der Kläger unbestritten vorgetragen, dass er auf Grund der Empfehlung seiner vertrauten Autowerkstatt sich an die Firma AVIS gewandt hat.
Dass ein Unfallopfer in einer Situation, die regelmäßig einmalig ist, sich auf die Fachkenntnisse eines vertrauten Vertragspartners verlässt, ist absolut naheliegend. Deutschland wird allgemein als Servicewüste betitelt.
Wenn dann ein Service angeboten wird, kann es nicht angehen, dass danach irgendwelche Juristen im stillen Kämmerlein überlegen, dem Unfallopfer hier irgendein Fehlverhalten vorzuwerfen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger mit der Anmietung von Fahrzeugen nach Unfällen besonders vertraut gewesen wäre. Dies hat die Beklagte auch nicht vorgetragen. Damit dürfte der Kläger sich grundsätzlich auf das vertrauenswürdige Angebot seiner Werkstatt verlassen.
Er hat auch keinen Anlass angesichts des Preises hier stutzig zu werden.
Der angesetzte Mietpreis pro Tag erscheint angesichts des Mietpreises, die für andere bewegliche Sachen (Hochzeitskleider, Sonnenliegen, DVDs, Fahrräder etc.) gefordert werden, hier als besonders günstiges Angebot. Denn bei dem in Ansatz gebrachten Tagesmietpreis amortisiert sich die Anschaffung des Kraftfahrzeuges wesentlich später, als er z.B. bei der Anmietung von Fahrrädern, Hochzeitskleidern, Sonnenliegen der Fall ist.
Es bestand für den Kläger objektiv keinerlei Anlass, hier von einem besonders hohen Mietpreis auszugehen. Er muss hier auch nicht auf eigene Kosten irgendwelche Ermittlungen durchführen.
Soweit von der absolut herrschenden Auffassung in der Rechtssprechung mittlerweile wohl die Meinung vertreten wird, das Unfallopfer müsse alles Mögliche tun, um den Schaden gering zu halten, während der Täter überhaupt nicht gefordert wird, empfindet das Gericht diese Rechtsprechung in groben Maße unbillig und vom Gesetz nicht gedeckt (§ 254 II BGB).
Für einen Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht ist ein Verschulden erforderlich. Grundsätzlich ist der Mietzins für bewegliche Sachen nach Abschluss der Mietperiode zu entrichten, wie ein Blick in das Gesetz lehrt (§ 579 BGB). Wenn sich ein Unfallopfer dann an das Gesetz hält und die Verträge abschließt, wonach es den Mietzins am Ende der Mietperiode entrichtet, kann ihm dies nicht als Verschulden angelastet werden.
Das Gericht geht nicht davon aus, dass die regelmäßig privat versicherten Richter, die bei Einstandspflicht eines Dritten fordern, dass man sich stets nach etwas billigerem erkundigen muss, selbst bei jedem Arztbesuch den Arzt fragen, ob es nicht auch bei gleichwertiger Behandlung etwas Billigeres gibt. Der Arzt könnte ja auch grundsätzlich bei Privatpatienten niedriger abrechnen, als er es regelmäßig tut.
Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Juristen, die von einem Unfallopfer in einer besonderen Stresssituation etwas fordern, selbst wenn sie Ausgaben tätigen, für die ein Dritter einstandspflichtig ist, stets fragen, ob es billiger geht. Nach der Logik der herrschenden Rechtsprechung müsse jeder Lastwagenfahrer, wenn er seinen Lastwagen volltankt (was ein Dritter bezahlen muss) zu Gunsten seines Arbeitgebers nachfragen, ob es nicht auch billiger geht. Das hält das Gericht für absurd. Ein Unfallopfer muss aber auch nicht die Autowerkstatt fragen, ob es billiger geht, nicht den Sachverständigen und nicht die Versicherung. Dass dies ausschließlich im Verhältnis zum Mietwagen gefordert wird, ist nicht überzeugend. Soweit bisweilen darauf rekurriert wird, dass die Mietwagenproblematik allgemein bekannt sei, vergessen die Juristen, die sich darauf berufen, wohl dass der terminus technicus „allgemein bekannt“ im Beweisrecht von Bedeutung ist. Die Tatsache, dass etwas allgemein bekannt ist, führt natürlich nicht dazu, dass jeder, der dies zu Lasten des Unfallopfers annimmt, sich selbst über sämtliche Modalitäten irgendwelcher Schönheitsoperationen informiert, obwohl diese unstreitig allgemein bekannt sind. Es gibt in unserem Rechtsstaat keinen Grundsatz dahingehend, dass ein jeder Bürger all das kennen muss, was eine ganz kleine Minderheit für wichtig erachtet.
Zudem krankt die Rechtsprechung noch an einem weiteren massiven gedanklichen Fehler. Um nämlich als Unfallopfer feststellen zu können, welche Anmietung im Ergebnis die billigste ist, müsste das Unfallopfer sämtliche Tarifwerke komplett überprüfen. Mittlerweile dürfte ein jeder wissen, dass billig oft teuer ist. Im Kleingedruckten der vermeintlich billigen Angebote könnten sich Stolpersteine befinden. Oft ist es so, dass ein vermeintlich sehr günstiges Angebot im Ergebnis sehr teuer ist. Man kennt dies nicht nur aus dem Rechtsgebiet der Telekommunikation, sondern auch aus dem Reiserecht.
Nach Auffassung des Gerichts ist es völlig unzumutbar, dass ein Unfallopfer nach einem Verkehrsunfall erst mal umfassend Vertragsanalysen betreibt bzw. betreiben lässt. Damit ist die Forderung stets den (vermeintlich) billigeren Normaltarif zu wählen, von vornherein ad absurdum geführt. Unabhängig davon geht das Gericht davon aus, dass die wenigsten Mietautos mal eben so angemietet werden, sondern regelmäßig die Anmietung durch Firmen, Geschäftsleute oder nach einem Unfall erfolgt. Damit dürfte der Unfallersatztarif der Normaltarif sein. Normal ist nämlich das, was dem üblichen entspricht. Sofern die Versicherungswirtschaft sich nicht die Mühe macht, darzulegen, dass in der Masse der Mietwagenverträge diese nicht im Rahmen von Unfällen, Firmenanmietungen etc. erfolgen, verbietet sich für einen sorgfältig arbeitenden Juristen ohnehin die Berufung auf Normaltarife. Dafür müsste man vorher schon geprüft haben, was „normal“ überhaupt ist.
Nachdem alledem hat der Kläger sich so verhalten, wie man es von einem Unfallopfer in seiner Situation erwarten durfte. Die Beklagte ist daher grundsätzlich zum Ersatz der entstandenen Kosten verpflichtet. Allerdings ist im Gegensatz zur Annahme des Klägers ein Abzug von 3 Prozent nicht angebracht. Soweit ein Gutachten einer Universität etwas anderes ergeben hat, ist in etlichen Veröffentlichungen niedergelegt, wie fragwürdig dies Gutachten ist. Nach der Erinnerung des Gerichts wurde u.a. ein Auto zum Vergleich herangezogen, welches es in dieser Spezifikation überhaupt nicht gab. Im Übrigen weiß ein jeder Autofahrer, dass die Straßen in Deutschland sich zunehmend in einem desolaten Zustand befinden. Die verantwortlichen Straßenbaulastträger verspüren offensichtlich zunehmend weniger die Verpflichtung, die Straßen in einem ordentlichen Zustand zu erhalten. dass dies so ist, wird seitens der Verantwortlichen auch eingeräumt, weswegen ja nun weitere Kosten auf die Autofahrer zukommen sollen.
Wenn die Straßen aber immer schlechter werden, müsste sich die Eigenersparnis eher erhöhen, als vermindern.
Das Gericht geht daher weiter davon aus (§ 287 ZPO), dass ein 10-prozentiger Abzug sachgerecht ist. Was die Position Winterreifen angeht, ist dies offensichtlich abwegig. Der Anmieter eines Fahrzeuges kann grundsätzlich von einer rundum Bereifung ausgehen. Ebenso wenig wie Sommerreifen extra in Ansatz gebracht werden können, trifft dies auf Winterreifen zu. Grundsätzlich sollten Kraftfahrzeuge wenigstens in den Monaten Oktober bis April mit Winterreifen ausgestattet sein. Dies ist mehr als die Hälfte des Jahres. Warum seit einiger Zeit die Mietwagenfirmen allen Ernstes eine Position Winterausrüstung bzw. Winterreifen einsetzen, ist klar, damit aber nicht rechtmäßig. Dies ist letztlich die Verhaltensweise, die wohl dazu führt, dass der BGH sich genötigt sah, dem betreffenden Mietwagensektor Einhalt gebieten zu wollen. Der Verkehrsunfall ereignete sich Anfang März 2009. Zu diesem Zeitpunkt konnte von einer Ausrüstung eines jeden Mietwagens mit Winterreifen in der BRD ausgegangen werden. Es ergibt sich daher folgende Berechnung:
• Tagesmietpreis von 179,00 €, abzüglich 10 Prozent Eigenersparnis, zuzüglich Mehrwertsteuer
= 107,94 €.
• Zuzüglich 83,99 € Zustellung/Abholung, dies ergibt den Betrag von 731,66 €, von welchem die Beklagte unstreitig bereits 304,94 € reguliert hat, so dass restliche 426,72 € zu begleichen sind.
Die materiell rechtlichen Nebenentscheidungen ergehen gemäß der §§ 286 ff. BGB.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den § 708 Nr. 11 i.V.m. § 713 ZPO.
Soweit das AG Meiningen.