LG Frankfurt (Oder) ändert mit kritisch zu betrachtendem Berufungsurteil vom 17.12.2013 – 16 S 131/13 – das Urteil des AG Strausberg vom 13.6.2013 – 9 C 385/12 – ab und wird selbst vom BGH VI ZR 281/14 abgeändert.

Hallo verehrte Captin-Huk-Leserinnen und -Leser,

wir in der Redaktion haben lange diskutiert, ob wir das nachfolgende Urteil des Landgerichts Frankfurt an der Oder vom 17.12.2013 – 16 S 131/13 – veröffentlichen sollten. Die einen meinten, dass es zu kontraproduktiv sei. Die anderen waren der Ansicht, dass das Urteil auf jeden Fall veröffentlicht werden sollte, da diese Entscheidung auch bei Juris verfügbar ist. Es hat bei einer hiesigen Veröffentlichung noch den Vorteil, dass das negative Urteil mit sachlichen und klarstellenden Kommentaren versehen werden kann. Sinnvoll ist es auch, neben dem BGH-Urteil mit dem Aktenzeichen IV ZR 281/14, das wir bereits  veröffentlicht haben, und neben dem Ursprungsurteil des AG Strausberg, das wir heute morgen veröffentlicht haben, auch das dazugehörige Berufungsurteil des LG Frankfurt / Oder zu veröffentlichen, damit sämtliche dem BGH-Urteil zugrunde liegende Urteile dargestellt sind. Die letztere Auffassung hat sich dann durchgesetzt. Nachstehend veröffentlichen wir daher das negative LG-Urteil zu dem Sachverständigenverfahren AG Strausberg und zum besseren Verständnis des BGH-Urteils IV ZR 281/14. Der Tag der Verkündung des BGH-Urteils, das letztlich das entscheidende ist, war ein schwarzer Tag für die „Kasko-Ganoven“, wie ich meine. Was denkt Ihr? Lest selbst das Berufungsurteil des LG Frankfurt / Oder und gebt sodann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.

Viele Grüße
Willi Wacker

16 S 131/13                                                                                  Verkündet am 17.12.2013
9 C 385/12 AG Strausberg

Landgericht Frankfurt (Oder)

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Berufungsverfahren

– Berufungsklägerin und Beklagte –

gegen

– Berufungsbeklagter und Kläger –

für Recht erkannt:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Strausberg vom 13.6.2013 (9 C 385/12) abgeändert und die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Streitwert: 1.534,71 €

Gründe

I.

1.
Der Kläger verlangt von der beklagten Versicherung den Ausgleich eines infolge eines Unfalls am 10.6.2011 erlittenen Glasbruchschadens an seinem PKW Audi zuzüglich aufgewandter Gutachterkosten. Die Einstandspflicht aus der Teilkaskoversicherung ist dem Grunde nach unstreitig; der Selbstbehalt des Klägers beträgt 150,00 €. Die Parteien streiten im Kern über die zutreffende Schadenshöhe und in diesem Zusammenhang darüber, ob das vom Kläger initiierte Sachverständigenverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wurde.

Der zwischen den Streitparteien geschlossene Versicherungsvertrag sieht in den einbezogenen Allgemeinen Bedingungen für die KFZ-Versicherung (AKB) unter A.2.18 folgende Regelung zum Sachverständigenverfahren vor (Bl. 51 d.A.):

„A.2.18

Meinungsverschiedenheiten über die Schadenhöhe (Sachverständigenverfahren)

A.2.18.1

Bei Meinungsverschiedenheiten über die Höhe des Schadens einschließlich der
Feststellung des Wiederbeschaffungswerts oder über den Umfang der
erforderlichen Reparaturarbeiten entscheidet ein Sachverständigenausschuss.

A.2.18.2

Für den Ausschuss benennen Sie und wir je einen Kraftfahrzeugsachverständigen.
Wenn Sie oder wir innerhalb von zwei Wochen nach Aufforderung keinen
Sachverständigen benennen, wird dieser von dem jeweils Anderen bestimmt.

A.2.18.3

Soweit sich der Ausschuss nicht einigt, entscheidet ein weiterer
Kraftfahrzeugsachverständiger als Obmann, der vor Beginn des Verfahrens von
dem Ausschuss gewählt werden soll. Einigt sich der Ausschuss nicht über die
Person des Obmanns, wird er über das zuständige Amtsgericht benannt.
Die Entscheidung des Obmanns muss zwischen den jeweils von den beiden
Sachverständigen geschätzten Beträgen liegen.

A.2.18.4

Die Kosten des Sachverständigenverfahrens sind im Verhältnis des Obsiegens
zum Unterliegen von uns bzw. von Ihnen zu tragen.“

Nach Anzeige des Schadens bezifferte der Beklagte den Schaden mit Schreiben vom 18.7.2011 (Bl. 12 d.A.) zunächst auf 509,92 €. Der Kläger zweifelte an der Richtigkeit der Abrechnung und beauftragte am 27.7.2011 den Dipl.-Ing.  Q. mit der Prüfung der Abrechnung sowie erforderlichenfalls mit der Einleitung eines Sachverständigenverfahrens. Dieser wurde vom Kläger zugleich als Ausschussmitglied benannt.

Mit Gutachten vom 5.8.2011 bezifferte Dipl.-Ing. Q. den Schaden auf 1.734,12 € netto (Bl. 14 ff. d.A.). Für das Gutachten fielen 437,55 € an.

Mit Schreiben vom 5.8.2011 forderte Dipl.-Ing.  Q. den Beklagten zur Benennung seines Ausschussmitglieds für das Sachverständigenverfahren auf (Bl. 16 d.A.). Daraufhin korrigierte der Beklagte die von ihm akzeptierte Schadenshöhe auf 1.019,84 € (Bl. 17 d.A.) und benannte den Leiter ihrer Sachverständigenabteilung, Herrn L. als Ausschussmitglied. Mit Schreiben vom 16.8.2011 bat Dipl.-Ing. Q. um Mitteilung, ob das Ausschussmitglied des Beklagten bei diesem angestellt sei und wies darauf hin, dass ein angestellter Hausgutachter als Ausschussmitglied nicht in Betracht komme (Bl. 19 d.A.). Mit Schreiben vom 19.8.2011 vertrat der Beklagte die Auffassung, dass ein ständiges Dienstverhältnis eines Sachverständigen zu einer benennenden Partei kein Hinderungsgrund für eine Beteiligung am Sachverständigenausschuss sei (Bl. 20 d.A.).

Dipl.-Ing. Q. akzeptierte die Benennung durch den Beklagten nicht und benannte nach Ablauf der in Ziffer A.2.18 AKB geregelten 2-Wochen-Frist Herrn Dipl.-Ing. A. für den Beklagten als Ausschussmitglied.

Dipl.-Ing. Q. und Dipl.-Ing. A. kamen in einer Ausschusssitzung am 14.9.2011 auf der Basis des bereits vom Dipl.-Ing. Q. erstellten Gutachtens zu dem Ergebnis, dass der streitgegenständliche Schaden 1.734,12 € betrage. Abzüglich der Selbstbeteiligung ergäbe sich eine Forderung des Klägers in Höhe von 1.584,12 € (Bl. 21 ff. d.A.). Die Kosten des Sachverständigenverfahrens wurden mit 820,43 € angegeben, davon entfallen 437,55 € auf das bereits zuvor eingeholte Gutachten.

An den Kläger zahlte der Beklagte insgesamt 869,84 €. Mit Anwaltsschriftsatz vom 23.5.2012 wurde der Beklagte zur Zahlung in Höhe von 1.534,71 € (714,28 € + 820,43 €) bis spätestens 5.6.2012 aufgefordert (Bl. 23 f. d. A.). Die Aufforderung blieb fruchtlos, weshalb der Kläger den Betrag mit der Klage verlangt.

2.
Der Kläger ist der Auffassung, dass der vom Beklagten benannte Sachverständige als von diesem weisungsabhängig angesehen werden müsse und daher für das Sachverständigenverfahren nicht in Betracht gekommen sei. Zu Recht habe daher dieser zurückgewiesen und ein anderer Sachverständiger benannt werden können.

3.
Der Beklagte bestreitet die Höhe des im Sachverständigenverfahren ermittelten Schadens und behauptet ein Totalschaden. Zudem seien Zuschläge auf die unverbindlichen Preisempfehlungen des Herstellers (UPE-Zuschläge) nicht zu berücksichtigen.

Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass das Sachverständigenverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden sei. Der vom Kläger benannte Sachverständige sei nicht berechtigt, den vom Versicherer benannten Sachverständigen zurückzuweisen. Im vorliegenden Fall sei auch nicht erkennbar, dass die Zurückweisung mit Willen des Klägers erfolgt sei. Entgegen der Auffassung des Klägers sei der vom Beklagten benannte Sachverständige auch nicht ausgeschlossen gewesen. Die Regelung des § 404 ZPO finde auf das Sachverständigenverfahren nach § 84 VVG keine Anwendung. Bei den Sachverständigen des Sachverständigenverfahrens handele es sich um Parteisachverständige, von denen keine vollständige Neutralität erwartet werden könne. Zudem sehe die vertragliche Regelung für den Fall, dass sich beide Parteisachverständigen nicht einigen können, die Entscheidung des Obmanns vor, dessen Neutralität in besonderer Weise gewährleistet sei. Ein benannter Sachverständiger sei erst dann für das Sachverständigenverfahren ausgeschlossen, wenn er völlig von der benennenden Partei abhängig sei und weisungsgebunden sei. Der von dem Beklagten benannte Sachverständige unterliege dagegen nicht den Weisungen der Beklagten.

Im Übrigen müsse sich aufgrund der Vorbefassung des vom Kläger benannten Sachverständigen die Frage der Befangenheit auch für diesen stellen.

Die fehlende Durchführung des Sachverständigenverfahrens habe zur Folge, dass die Klageforderung noch nicht fällig sei.

4.
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass das Sachverständigenverfahren wirksam eingeleitet worden sei. Der vom Kläger benannte Sachverständige sei nicht befangen gewesen, da dieser trotz des mit dem Kläger abgeschlossenen Vertrages nicht von diesem wirtschaftlich abhängig sei. Demgegenüber habe der Beklagte innerhalb der Zweiwochenfrist einen geeigneten Sachverständigen nicht benannt. Der von Beklagten benannte Sachverständige L. sei als Angestellter des Beklagten als Sachverständiger nicht geeignet, da er zu dem Beklagten in einem Abhängigkeits- und Unterordnungsverhältnis stehe. Es sei insoweit auch zu unterscheiden zwischen einem Arbeitsvertrag und einem selbstständigen Dienstvertrag, Letzterer bestehe zwischen dem Beklagten und dem von ihm benannten Sachverständigen gerade nicht. Nach der berechtigten Ablehnung des Herrn L. sei der Kläger berechtigt gewesen, anstelle des Beklagten ein anderes Ausschussmitglied zu benennen. Maßgeblich für die Schadenshöhe sei daher das Ergebnis des durchgeführten Sachverständigenverfahrens. Der Beklagte habe deshalb auch, da er vollständig unterlegen sei, die Kosten des Sachverständigenverfahrens einschließlich der Kosten des vom Kläger eingeholten Gutachtens zu zahlen.

Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.

5.
Mit der Berufung wendet sich der Beklagte gegen die Verurteilung. Dabei rügt er insbesondere die Annahme des Amtsgerichts, dass das Sachverständigenverfahren wirksam durchgeführt worden sei. Hierzu vertieft der Beklagte seine Auffassung, wonach der von ihm benannte Sachverständige als solcher nicht befangen gewesen sei. Das Amtsgericht habe nicht ausgeführt, von welchem Befangenheitsbegriff es überhaupt ausgehe. Die Regelungen der ZPO bzw. die Rechtsprechung zu Schiedsgerichtsverfahren seien auf das Sachverständigenverfahren nicht anwendbar. Der Beklagte habe bereits erstinstanzlich vorgetragen, dass der benannte Herr L. neben seiner Tätigkeit als Leiter der Sachverständigenabteilung des Beklagten als unabhängiger Sachverständiger tätig sein könne und insoweit keinen Weisungen seiner Vorgesetzten unterliege. Da diese Behauptung auch erstinstanzlich unter Beweis gestellt worden sei, hätte das Amtsgericht seiner Entscheidung nicht die Annahme zugrunde legen dürfen, dass der Sachverständige irgendwelchen Weisungen seiner Vorgesetzten unterliege. Im Übrigen wäre nur eine inhaltliche Weisungsgebundenheit schädlich.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger rügt die Zulässigkeit der Berufung, weil nach seiner Auffassung die Berufungsbegründung den Anforderungen des § 520 ZPO nicht gerecht werde. Die Berufung habe sich nämlich mit der inhaltlichen Richtigkeit der Höhe der beanspruchten Entschädigung nicht auseinandergesetzt. Im Übrigen verteidigt der Kläger das angefochtene Urteil.

II.

1.
Die Berufung ist zulässig. Insbesondere wird die Berufungsbegründung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO gerecht. Die Rüge des Klägers, der Beklagte habe sich in der Berufungsbegründung nicht zur Schadenshöhe geäußert, führt nicht zu einem für die Zulässigkeit relevanten Mangel der Berufungsbegründung. Der Beklagte steht auf dem Standpunkt, dass das Sachverständigenverfahren noch nicht wirksam durchgeführt worden sei und die Klageforderung damit noch gar nicht fällig sei. Insoweit ist es durchaus folgerichtig, dass sich der Beklagte mit der Höhe des festgestellten Schadens in der Berufungsbegründung nicht näher auseinander gesetzt hat.

2.
Die Berufung ist unbegründet.

Die eingeklagte Forderung ist nicht fällig. Das gemäß Ziffer A.2.18 AKB vereinbarte Sachverständigenverfahren ist nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, so dass sich der Beklagte auf die fehlende Fälligkeit der Forderung berufen kann.

a)
Bei dem Sachverständigenverfahren nach A.2.18 der Vertragsbedingungen handelt es sich um ein Sachverständigenverfahren im Sinne des § 84 VVG. Das Gutachten hat im gerichtlichen Verfahren die Wirkung eines Schiedsgutachtens, welches gemäß § 84 Abs. 1 S. 1 VVG bis zur Grenze der offenbar erheblichen Abweichung binden ist (Voit/Prölls/Martin, VVG, 28. Aufl., § 84 Rn. 2).

Da das Sachverständigenverfahren gemäß A.2.18.1 bei Meinungsverschiedenheiten über die Schadenshöhe zwingend durchzuführen ist, ist es Voraussetzung für die Fälligkeit des Anspruchs des Versicherungsnehmers. Klagt daher ein Versicherungsnehmer vor Durchführung des Sachverständigenverfahrens, führt die Berufung des Versicherers auf die vorrangige Durchführung des Sachverständigenverfahrens zur Abweisung der Klage als unbegründet (stRspr., OLG Köln r+s 2002, 188; OLG Saarbrücken VersR 1996, 882; OLG Nürnberg NJW-RR 1995, 544; Meinecke, in: Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung AKB-Kommentar, 18. Aufl. AKB A.2.17 Rn. 2 m.w.N.).

b)
Soweit hier durch Herrn Dipl.-Ing. Q. und Herrn Dipl.-Ing. A. ein Sachverständigenverfahren durchgeführt worden ist, erfolgte dies nicht ordnungsgemäß, weil von dem Beklagten fristgerecht ein Sachverständiger benannt worden war, der am Verfahren hätte beteiligt werden müssen. Weder dem Kläger noch dem von ihm benannten Sachverständigen stand das Recht zu, den vom Beklagten benannten Sachverständigen einseitig aufgrund einer angenommenen Befangenheit aus dem Verfahren auszuschließen und unter Berufung auf die Regelung in A.2.18 AKB selbst einen weiteren Sachverständigen zu benennen.

Ein solches Zurückweisungsrecht sehen die vertraglichen Bestimmungen zum Sachverständigenverfahren nicht vor. Auch nach den Grundsätzen des fairen Verfahrens kann nicht einer Partei einseitig das Recht zugesprochen werden, den von der anderen Seite benannten Sachverständigen wirksam zurückzuweisen. Denn dadurch wird der einen Partei die Beteiligung am Sachverständigenverfahren vollständig entzogen. Dies gilt auch dann, wenn der von der anderen Seite benannte Sachverständige als befangen anzusehen ist. Denn auch über die Frage der Befangenheit eines Sachverständigen können unterschiedliche Auffassungen bestehen, wie der vorliegende Fall zeigt. Zutreffend ist insoweit die Argumentation des Beklagten, dass die Sachverständigen des Sachverständigenverfahrens als Parteisachverständige nicht den Grad an Neutralität aufweisen können, wie ein gerichtlich bestellter Sachverständiger nach den Bestimmungen der ZPO. Letztere können daher nicht entsprechend auf das Sachverständigenverfahren angewendet werden, zumal keine neutrale Instanz existiert, die über die Befangenheit einer Seite entscheiden könnte. Das vertraglich vereinbarte Sachverständigenverfahren sieht keine Lösung für den Fall vor, dass ein Sachverständiger von der anderen Partei als befangen angesehen wird. In der Literatur werden hierzu verschiedene Lösungsansätze vorgeschlagen, so die entsprechende Anwendung der §§ 1036 ff. ZPO (MüKoBGB/Gottwald § 317 Rn. 44; MüKoVVG/Halbach § 84 Rn. 29), ein Kündigungsrecht (Gehrlein VersR 1994, 1009) oder die Nachbenennung eines weiteren Sachverständigen (Voit a.a.O. § 84 Rn. 31). Die Zulässigkeit eines einseitigen Zurückweisungsrechts ist dagegen, soweit ersichtlich, bislang weder in Literatur noch Rechtsprechung vertreten worden. Auch ein Verfahrensmangel kann zum Ausschluss der Bindungswirkung führen (Voit a.a.O. § 84 Rn. 27 m.w.N.).

Im vorliegenden Fall ist der Verfahrensmangel entgegen der Ansicht des Amtsgerichts derart gravierend, dass eine Bindungswirkung im Sinne des § 84 Abs. 1 S. 1 VVG nicht angenommen werden kann. Dabei betrifft die offenbare Unrichtigkeit hier nicht den sachlichen Inhalt des Gutachtens, sondern die konkrete Gestaltung des Sachverständigenverfahrens.

c)
Die Kammer ist der Auffassung, dass das Sachverständigenverfahren hier nicht schon von vorneherein gescheitert ist, weil der Beklagte mit dem Leiter seiner Sachverständigenabteilung einen vermeintlich befangenen Sachverständigen benannt hat. Vielmehr kann das Sachverständigenverfahren in Übereinstimmung mit den vertraglichen Regelungen noch mit den von den Vertragsparteien jeweils benannten Sachverständigen durchgeführt werden. Auf eine mögliche Befangenheit des vom Beklagten benannten Sachverständigen kommt es im Ergebnis nicht an.

aa)
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verliert ein in einer Schiedsgutachtenvereinbarung vorgesehener Gutachter, der anstatt eines Gutachtens, das die Voraussetzungen eines Schiedsgutachtens erfüllt, ein Gutachten im einseitigen Interesse der einen Vertragspartei erstattet, die Eignung zur Bestimmung der Leistung. Enthält der Vertrag in einem solchen Fall keine Regelung über einen Ersatzgutachter, so ist die geschuldete Leistung in entsprechender Anwendung des § 319 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BGB durch gerichtliches Urteil zu bestimmen (NJW-RR 1994, 1314; BGHZ 57, 47). Die Schiedsgutachtenabrede bildet die Grundlage für die Vereinbarung mit dem Schiedsgutachter, den Schiedsgutachtervertrag. Da das staatliche Gericht grundsätzlich an das Ergebnis eines Schiedsgutachtens gebunden ist (BGHZ 9, 138, 145), hat der Schiedsgutachter seine Aufgabe unabhängig und unparteiisch zu versehen (BGH DB 1980, 967, 968). Grundsätzlich kann auch einer der Vertragspartner allein den Schiedsgutachtervertrag mit dem Sachverständigen schließen. Dabei muss jedoch eindeutig offengelegt werden, dass es sich um ein für beide Seiten zu erstattendes Schiedsgutachten handelt. Auch bei der Auftragsvergabe durch einen Vertragspartner ist der Schiedsgutachter beiden Parteien zur ordnungsgemäßen Erstellung seines Gutachtens verpflichtet (BGH NJW-RR 1994, 1314; RGZ 87, 190, 194).

Dieser Rechtsprechung liegen allerdings regelmäßig Konstellationen zu Grunde, in denen nur ein Schiedsgutachter bestellt ist, der das Gutachten zu erstatten hat. Insoweit weicht das Sachverständigenverfahren der AKB nicht unwesentlich von solchen Fallgestaltungen ab, die der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bisher zu Grunde gelegen haben. Ob die für den allein handelnden Schiedsgutachter geltenden Regelungen auch für die Parteisachverständigen des Sachverständigenverfahrens gelten und wie mit dem Befangenheitseinwand umzugehen ist, der bereits zu Beginn des Sachverständigenverfahren erhoben wird, ist eine bislang in der Rechtsprechung ungeklärte Frage.

bb)
Für das Sachverständigenverfahren nach den AKB wird vertreten, dass eine mögliche oder tatsächliche Befangenheit eines von einer Partei benannten Sachverständigen verfahrensrechtlich gänzlich irrelevant sei. Denn jedenfalls für den Fall, dass sich die Sachverständigen über die Höhe des Schadens nicht einig sind, sieht Ziffer A.2.18.3 der AKB die Entscheidung eines Obmanns vor, der im Zweifel vom Amtsgericht benannt werden kann. Dies zielt darauf ab, über die mögliche Befangenheit eines Parteisachverständigen mit Blick auf die Entscheidungsmöglichkeit des Obmanns hinweg zu sehen. So vertritt Meinecke (in Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung AKB-Kommentar, 18. Aufl., AKB A.2.17) die Auffassung, dass eine Befangenheit eines Sachverständigen keine praktische Bedeutung habe. Die rechtlichen Bestimmungen, die sich auf die Ablehnung eines Richters oder Schiedsrichters wegen Befangenheit erstrecken, fänden ebenso wenig auf die Sachverständigen Anwendung wie die übrigen Bestimmungen der ZPO über das Schiedsgerichtsverfahren. Da die Schiedsgutachter die Aufgabe hätten, die Interessen der sie benennenden Partei weitgehend im Verfahren zu vertreten, und der Zwang, die beiderseitigen Ansichten aufeinander abzustimmen bzw. sie der endgültigen Entscheidung des Obmanns zu unterbreiten, willkürliche und sachfremde Ergebnisse weitgehend ausscheiden, sei es grundsätzlich kein Mangel in der Person des Sachverständigen, wenn er zu der ihn benennenden Partei bereits in geschäftlichen Beziehungen gestanden habe und insbesondere bei der Regulierung des gleichen Schadenfalls bereits tätig gewesen sei (so auch OLG Köln VersR 1992, 849). Auch wenn der Sachverständige in einem ständigen Dienstverhältnis zu der ihn benennenden Partei stehe, sei dies kein Hinderungsgrund für seine Beteiligung an dem Sachverständigenausschuss (LG Frankfurt/M VersR 2004, 105; a.A. Bleutge NJW 1985, 1185). Auch ein solcher Sachverständiger sei durchaus in der Lage, ein objektiv richtiges Gutachten zu erstatten. Als Voraussetzung müsse lediglich angesehen werden, dass er im Rahmen des Verfahrens nicht bestimmten Weisungen seines Auftraggebers unterliege, mithin unabhängig sei und über den Parteien stehe (BGH VersR 1976, 822). Die bloße Tatsache eines Dienstverhältnisses zu dem Auftraggeber bedinge aber keineswegs eine Weisungsgebundenheit im einzelnen Fall.

cc)
Eine Nachbenennung, wie sie in der Literatur für den Fall der Befangenheit vertreten wird (Voit a.a.O. § 84 Rn. 31), scheitert hier daran, dass der Beklagte gerade an dem von ihm benannten Sachverständigen in Ansehung der gegen seine Bestellung vorgebrachten Argumente festgehalten hat und der Beklagte nicht gezwungen werden kann, einen anderen Sachverständigen zu benennen.

Da einer Seite aus den unter 2. b) genannten Gründen nicht das Recht zugesprochen werden kann, den Sachverständigen der anderen Seite einseitig abzulehnen, kann der Fall der erforderlichen aber fehlenden Nachbenennung auch nicht als Fall der fehlenden Benennung nach A.2.18.2 angesehen werden.

dd)
Die entsprechende Anwendung der §§ 1036 f. ZPO für den Fall der Ablehnung eines Schiedsgutachters scheint für das vorliegende Sachverständigenverfahren wenig praktikabel, da der Sachverständigenausschuss aus zwei Sachverständigen besteht, deren Voten im Fall der Ablehnung im wesentlichen von vorneherein feststehen, abhängig davon, welche Partei darauf anträgt.

ee)
Die Kammer schließt sich aus Gründen der Praktikabilität und der Rechtssicherheit der oben unter bb) dargestellten Rechtsauffassung an. Letztlich wird die inhaltliche Richtigkeit des Ergebnisses des Sachverständigenverfahrens durch die Möglichkeit sicher gestellt, dass ein – im Zweifel vom Amtsgericht benannter – Obmann über etwaig divergierende Feststellungen der beiden Parteisachverständigen entscheidet. Dabei sind beide Parteisachverständige im Interesse der von ihr jeweils „vertretenen“ Partei gehalten, ihre jeweiligen Auffassungen gegenüber dem Obmann möglichst gut, d.h. nach rein sachlichen Kriterien, zu begründen. Dieser Verfahrensmechanismus schließt es weitgehend aus, dass sich die mögliche Befangenheit eines Parteisachverständigen in dem vom Obmann festgestellten Ergebnis nachteilig für die andere Seite auswirkt. Auch wird der Obmann beurteilen können, ob eine von einer Seite gerügte Begangenheit sich in den Feststellungen des Parteigutachters niedergeschlagen hat. An den Obmann als zwingend neutrale Instanz sind dann ohne Weiteres die Kriterien anzulegen, die auch sonst im Hinblick auf die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit von Schiedsgutachters gelten. Die Rechtsauffassung des Klägers verkennt weitgehend die wesentliche Funktion des Obmanns.

Wie bereits oben dargelegt, ist ein geeigneter und vor allen Dingen praktikabler Verfahrensmechanismus für den Fall der Ablehnung eines Sachverständigen noch vor Durchführung des Sachverständigenverfahrens weder vertraglich vorgesehen noch sonst ersichtlich. Selbst wenn es eine solche Möglichkeit gäbe, wäre damit das Sachverständigenverfahren zwangsläufig mit der Unsicherheit über die Frage belastet, unter welchen konkreten Umständen ein Parteisachverständiger als befangen angesehen werden kann. Denn der Parteisachverständige kann regelmäßig schon aufgrund der Benennung durch nur eine Partei nicht nach dem Maß gemessen werden, der sonst für gerichtliche Sachverständige und Schiedsgutachter angelegt werden muss. Der Versicherungsnehmer benennt regelmäßig den Sachverständigen als Ausschussmitglied, der zuvor ein entsprechendes Schadensgutachten angefertigt hat, auf das sich der Versicherungsnehmer gegenüber der Versicherung stützt. Auch die Versicherung wird regelmäßig einen Sachverständigen benennen, den sie aus einer früheren Zusammenarbeit kennt. Der Grad an wirtschaftlicher Abhängigkeit eines Sachverständigen von der ihn benennenden Partei und das Maß seiner Unabhängigkeit sind kaum objektiv bestimmbar und daher in hohem Maße von subjektiv geprägten Wertungen abhängig. Das Sachverständigenverfahren mit den sich daraus ergebenden Unsicherheit zu belasten, widerspricht seinem Zweck, eine Klärung über die Schadenshöhe möglichst einfach und schnell herbeizuführen.

Die Kammer ist sich bewusst darüber, dass sich dadurch das Sachverständigenverfahren in den Fällen verteuert, in denen aufgrund der unterschiedlichen Auffassungen der Parteisachverständigen die Einholung der Meinung des Obmanns erforderlich wird. Auch stehen sich Versicherungsnehmer und Versicherung im Sachverständigenverfahren nicht gleichberechtigt gegenüber, wenn die Versicherung noch im gerichtlichen Verfahren auf die Vorrangigkeit des Sachverständigenverfahrens verweisen kann und darüber hinaus im Sachverständigenverfahren ein Ausschussmitglied benennen kann, welches ihr wirtschaftlich näher steht, als umgekehrt das andere Ausschussmitglied dem Versicherungsnehmer. Diese Nachteile sind jedoch nach Auffassung der Kammer in Kauf zu nehmen, wenn nicht andernfalls der Zweck des Sachverständigenverfahrens insgesamt gefährdet werden soll.

3.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, 711, 709 S. 2 ZPO.

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen, § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Soweit ersichtlich liegt weder obergerichtliche noch höchstrichterliche Rechtsprechung zu der hier relevanten Frage vor, wie mit einem Befangenheitseinwand zu Beginn des AKB-Sachverständigenverfahrens umzugehen ist. Diese Frage hat jedoch für eine Vielzahl von Fällen praktische Bedeutung und berührt damit das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts.

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