Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,
zum Sonntagnachmittag veröffentlichen wir hier ein interessantes Positivurteil aus Dresden zu den Sachverständigenkosten aus abgetretenem Recht gegen die VHV Versicherung und deren Versicherungsnehmer bzw. den Unfallverursacher. Dieses Urteil ist eine weitere herbe Niederlage für die VHV-Versicherung. Bei den Entscheidungsgründen stützt sich die Amtsrichterin der 116. Zivilabteilung des AG Halle / Saale im wesentlichen auf die Rechtsprechung des BGH und bügelt so nebenbei die immer wieder von den Versicherern angeführte Rechtsprechung des OLG Dresden – zu Recht – ab. Als die Senatsrichter beim OLG Dresden entschieden, was das BGH-Urteil vom 11.2.2014 noch nicht veröffentlicht. Die Rechtsprechung des OLG Dresden modifiziert daher nicht die BGH-Rechtsprechung aus dem Urteil vom 11.2.2014 – VI ZR 225/13 – (= BGH DS 2014, 90 = NJW 2014, 1947), sondern das BGH-Urteil macht die Rechtsprechung des OLG Dresden absolut hinfällig. Lest selbst und gebt – trotz Sommerferien – bitte Eure sachlichen Kommentare bekannt.
Viele Grüße und noch einen schönen Sonntag – möglichst ohne Unwetter –
Willi Wacker
Amtsgericht Dresden
Abteilung für Zivilsachen
Aktenzeichen: 116 C 6918/14
Verkündet am: 15.05.2015
IM NAMEN DES VOLKES
ENDURTEIL
In dem Rechtsstreit
…
– Kläger –
gegen
1. VHV Allgemeine Versicherung AG, Constantinstraße 90, 30177 Hannover, vertreten durch den Vorstand
– Beklagte –
…
– Beklagte
wegen Schadensersatz
hat das Amtsgericht Dresden durch
Richterin E.
ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495 a ZPO am 15.05.2015
für Recht erkannt:
1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger 25,12 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.09.2014 zu zahlen.
2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger 70,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozenpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.10.2014 zu zahlen.
3. Die Kosten des Rechtstreits haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 25,12 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Eines Tatbestandes bedarf es gemäß § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
1. Der Kläger hat gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht gemäß §§ 7, 17, 18 StVG, 823, 249 ff., 398 BGB Anspruch auf Ersatz weiterer Sachverständigenkosten in Höhe von 25,12 €.
a) Die vollständige Haftung der Beklagten für die der Zedentin aus dem Verkehrsunfall vom 19.08.2014 in Dresden entstandenen Schäden steht zwischen den Parteien außer Streit.
b) Die Klägerin ist auf Grund der erfolgten Abtretung vom 20.08.2014 aktivlegitimiert. Die von der Beklagtenseite mit Nichtwissen bestrittene Abtretung hat der Kläger mit Vorlage einer Kopie der Abtretungserklärung der Geschädigten (Anlage K4), welche von dem Kläger offensichtlich angenommen wurde, hinreichend nachgewiesen. Im Übrigen leistete die Beklagte zu 1 bereits vorgerichtlich eine Teilzahlung auf die geltend gemachten Sachverständigenkosten direkt an den Kläger, so dass sie nicht damit gehört werden kann, die Abtretung sei ihr nicht bekannt gewesen und könne mit Nichtwissen bestritten werden. Anhaltspunkte dafür, dass dennoch eine wirksame Abtretung nicht vorlegen soll, sind weder ersichtlich noch substantiiert vorgetragen.
c) Gemäß § 249 Abs. 1 BGB kann der Geschädigte – im vorliegenden Fall die Zedentin – vom Schädiger den Geldbetrag als Schadensersatz erstattet verlangen, der zur Wiederherstellung des Zustands erforderlich ist, der vor dem schädigenden Unfallereignis bestanden hat. Nach gefestiger Rechtsprechung des BGH (BGH, Urteil vom 22.07.2014, VI ZR 357/13; BGH, Urteil vom 11.02.2014, VI ZR 225/13; BGH, Urteil vom 15.10.2013, VI ZR 471/12 BGH, Urteil vom 23.01.2007, VI ZR 67/06; BGH Urteil vom 07.05.1996, VI ZR 138/95) kann der Geschädigte einen Sachverständigen mit der Schätzung der Schadenshöhe an seinem durch den Unfall beschädigten PKW beauftragen und vom Schädiger und dessen Haftpflichtversicherung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand den Ersatz der objektiv erforderlichen Sachverständigenkosten verlangen. Als erforderlich sind nach ständiger Rechtsprechung diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde (BGH Urteil vom 11.02.2014, VI ZR 225/13; BGH, Urteil vom 15.10.2013, VI ZR 471/12; BGH, Urteil vom 23.01.2007, VI ZR 67/06; BGH Urteil vom 07.05.1996, VI ZR 138/95). Der Geschädigte ist dabei gehalten, im Rahmen seiner Erkenntnismöglichkeiten und des Zumutbaren von mehreren zur Verfügung stehenden, gleich geeigneten Wegen zur Schadensbehebung den wirtschaftlicheren Weg zu wählen. Zur Marktforschung ist er dabei auch bei der Einholung eines Sachverständigtengutachtens hinsichtlich der Honorare des Sachverständigten nicht verpflichtet, trägt allerdings das Risiko, dass sich das Gutachten dann im Prozess als zu teuer erweist (BGH, Urteil vom 11.02.2014, VI ZR 225/13, BGH, Urteil vom 12.07.2005, VI ZR 132/04).
Hieraus folgt allerdings nicht, dass erforderlich nur die Sachverständigenvergütung ist, die objektiv angemessen und/oder üblich ist, und der Schädiger darüber hinausgehende Sachverständigenkosten schon deshalb nicht zu erstatten habe. Ausgangspunkt für die Beurteilung der Erforderlichkeit von zur Schadensbeseitigung aufgewendeten Kosten ist nicht allein die objektive Erforderlichkeit dieser Kosten, maßgeblich ist vielmehr, ob einem verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Position des Geschädigten die aufgewendeten Kosten als zweckmäßig und angemessen erscheinen (vgl. BGH Urteil vom 11.02.2014, VI ZR 225/13).
In Anwendung dieser Maßstäbe sind die vom dem Kläger in Rechnung gestellten Sachverständigenkosten in Höhe von 471,72 € erforderlich i.S.d. § 249 Abs. 1 BGB.
Zweifel an der Wirksamkeit des Vertrages zwischen der Zedentin und dem Kläger zur Erstellung eines Sachverständigengutachtens bestehen nicht.
Für die Zedentin als Laien war im Maßstab eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen nicht erkennbar, dass die Rechnung des Sachverständigen – das diesbezügliche Vorbringen der Beklagten als zutreffend unterstellt – überhöht sein könnten. Die von der Beklagten zu 1 erhobenen Einwände gegen die Abrechnung sind Einwände, die einem verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen nicht erkennbar sind. Denn anders als etwa Mietwagenkosten, bei denen der Geschädigte zum einen die Angebote anderer Anbieter unschwer telefonisch oder im Internet überprüfen kann und zum anderen schon anhand der Tagespreise deutlich überhöhte Tarife bei Aufbringung erforderlicher Sorgfalt erkennen kann, sind dem Durchschnittsgeschädigten bei Sachverständigen weder die Tarife noch deren Berechnungsmethoden auch nur in Ansätzen bekannt (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 23.01.2007, VI ZR 67/06). Es ist auch nicht möglich, sich telefonisch nach den Gesamtkosten eines Gutachtens zu informieren, da diese im Wesentlichen vom Ausmaß des Schadens abhängig sind. Eine Kostenkalkulation würde also voraussetzen, dass der Sachverständige sich das Fahrzeug zunächst ansieht. Es ist dem Geschädigten jedoch nicht zuzumuten, mit einem beschädigten Fahrzeug mehrere Sachverständigenbüros abzufahren und sich nach den Gutachtenkosten zu erkundigen.
Für einen verständigen Geschädigten ist aufgrund der fehlenden Erfahrung und Vergleichsmöglichkeiten solcher Sachverständigenabrechnungen nicht überprüfbar, ob solche Abweichungen, wie sie die Beklagte hier beanstandet, sich noch im Rahmen des Üblichen, Angemessenen und Erforderlichen halten oder nicht.
Schon deshalb geht ein Irrtum des Geschädigten in dem vorliegenden Größenordnungsbereich zu Lasten des Schädigers. Die fehlende Erfahrung und Vergleichsmöglichkeit wird auch nicht durch bloße informatorische Schreiben zu Sachverständigenkosten durch die gegnerische Versicherung begründet.
Unter Anwendung dieses Maßstabes greifen die Einwände der Beklagten nicht durch. Für den Laien ist nicht erkennbar, dass Kosten für Lichtbilder in Höhe von 1,90 € pro Bild überhöht sein könnten, denn auch für einen verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen ist regelmäßig nicht nachvollziehbar, welche sonstigen Kostenaufwendungen hinter der Erstellung und dem Ausdruck der Lichtbilder stehen. Gleiches gilt für die Fahrtkosten. Der Sachverständige hat, dies geht aus dem Schadensgutachten hervor, einen Besichtigungstermin durchgeführt, so dass Fahrtkosten hierfür entstanden. Dass die abgerechneten Fahrtkosten von 4,50 € bei einer Fahrtstrecke von 5 km überhöht wären, ist aus Sichteines Laien nicht erkennbar. Ebenso ist der Einwand der Beklagten, die Telefon-/Porto-/Schreibkosten seien nicht angefallen bzw. zu hoch angesetzt, unerheblich, da nicht erwartet werden kann, dass die Zedentin dies hätte erkennen können. Einem Laien ist weder der Arbeitsvorgang noch das dazu verwendete Programm bekannt, um einschätzen zu können, ob diese Kosten anfallen oder nicht. Die Beklagtenseite hat schließlich auch nicht substantiiert vorgetragen, dass bei anderen Kfz-Sachver-ständigen derartige Kosten nicht oder in substantiell geringerer Höhe abgerechnet worden wären. Bloße Verweise auf die Preise für Farbfotografien in Drogeriemärkten oder steuerrechtliche km-Pauschalen genügen insoweit nicht, denn diese weisen keinerlei Bezug zu dem hier konkret betroffenen Marktsegment – dem Kfz-Sachverständigenmarkt – auf.
Soweit die Beklagten sich schließlich auf eine dolo-agit Einrede berufen, greift diese ebenfalls nicht durch. Selbst wenn man dem OLG Dresden darin folgen würde, dass die Beklagten dem Sachverständige, anders als der Geschädigten, Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung vertraglicher Aufklärungspflichten entgegen halten und hierauf gemäß gemäß § 242 BGB eine Einrede stützten könnten (OLG Dresden, Urteil vom 19.02.2014, 7 U 111/12, Rn. 19 – zitiert nach juris), wäre eine solche Verletzung gegen eine vertragliche Aufklärungspflichten nach der Rechtsprechung des OLG Dresden vorliegend abzulehnen. Denn danach ist von einer fehlenden Erforderlichkeit von Sachverständigenkosten und damit von einer Aufklärungspflichtverletzung erst dann auszugehen, wenn die geltend gemachten Nebenkosten mehr als 25 % des Grundhonorars ausmachen (OLG Dresden, Urteil vom 19.02.2014, 7 U 111/12, Rn. 19 – zitiert nach juris).
Vorliegend machen die abgerechneten Nebenkosten lediglich einen Anteil von ca. 13 % des Grundhonorars aus und wären damit auch nach der Rechtsprechung des OLG Dresden vollständig zu erstatten.
Nach Abzug des bereits gezahlten Betrages in Höhe von 446,20 € hat der Kläger Anspruch auf die Erstattung der restlichen Sachverständigenkosten in Höhe von 25,12 €.
2. Der Kläger hat Anspruch auf den Ersatz vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten von 70,20 € (Gegenstandswert von 25,12 €: 1,3 Geschäftsgebühr von 58,50 € zzgl. Postpauschale von 11,70 €) als Verzuggschaden gemäß §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB sowie Anspruch auf Verzugsszinsen gemäß §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 BGB, denn mit der ernsthaften und endgültigen Leistungsverweigerung befanden sich die Beklagten seit 20.09.2014 in Verzug mit der Erstattung der restlichen Sachverständigenkosten.
3. Der Zinsanspruch hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwalts kosten ergibt aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB, denn diese Kosten wurden mit Schreiben vom 23.09.2014 unter Fristsetzung bis zum 30.09.2014 angemahnt.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
5. Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
6. Gegen dieses Urteil ist die Berufung gemäß § 511 ZPO nicht statthaft, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 € nicht übersteigt und die Berufung gegen das Urteil auch nicht gemäß § 511 Abs. 4 ZPO zugelassen wird.
7. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 48 Abs. 1 Satz 1, 63 Abs. 2 GKG in Verbindung mit §§ 3, 4 ZPO.
Hallo Leute,
ist doch klar, dass die Versicherungen auf OLG Dresden abstellen, da das Urteil aus Sachsen doch kurz nach dem vernichtenden Urteil aus Karlsuhe vom 11.02.2014 Az: VI ZR 225/13 ergangen ist und scheinbar das Urteil des BGH relativiert. Dem ist aber nicht so. Willi Wacker hat mit Recht im Vorwort bereits erwähnt, dass BGH VI ZR 225/13 praktisch OLG Dresden vom 19.02.2014 aufhebt. OLG Dresden ist insoweit Geschichte.
mit freundlichen Grüßen aus Sachsen
Arthur D.
Hallo, Willi Wacker,
ich seh das Gute in der Tute und davon eine ganze Menge, wie beispielsweise folgerndes Urteilszitat:
„Für einen verständigen Geschädigten ist aufgrund der fehlenden Erfahrung und Vergleichsmöglichkeiten solcher Sachverständigenabrechnungen nicht überprüfbar, ob solche Abweichungen, wie sie die Beklagte hier beanstandet, sich noch im Rahmen des Üblichen, Angemessenen und Erforderlichen halten oder nicht.“
Nun kann das Gericht ihn belehren, seine eigenen Einschätzung an den Mann bringen oder aber die verantwortlichen Mitarbeiter dieser Versicherung vor die Schranken zitieren und sich erklären lassen, was es unter welchen Randbedingungen mit der Kürzung auf sich hat. Vielleicht ergeben sich so wundersame neue Erkenntnisse. Hat nicht schon der Richter Müller vom AG Coburg mehrfach versucht, weit entfernt wohnende Sachverständige nach Coburg zu zitieren und das sogar unter Androhung eines Ordnungsgeldes, um sich angeblich das erklären zu lassen, was er sowieso für unerheblich hielt und auch nicht zu berücksichtigen gedachte ? Es hat sich nicht nur vor Ort herumgesprochen, wie dieser Amtsrichter nach Strich und Faden von interessierter Seite verhätschelt worden sein soll. Schild davor, Tor und Tür zu und niemand hat es gesehen und gehört. Sanktionen sind auch nicht zu erwarten. Aber auch da schnappt die Falle zu.-
HUK-Observer
@Arthur D.
Das Urteil des OLG Dresden ist eigentlich ein Skandal. Obwohl der Dresdner Senat auf das kurzfristig kommende BGH-Urteil VI ZR 225/13 hingewiesen und um Zuwarten gebeten wurde, hat er trotzdem noch – Husch, Husch – das Schrotturteil abgesetzt.
Hallo Karle,
nur die Versicherungen und versicherungsorientierte Gerichte sprechen noch von OLG Dresden.
Die überwiegende Mehrheit sieht das betreffende Urteil des OLG Dresden als Schrotturteil, das es nicht wert ist, weiter beachtet zu werden.