AG Ibbenbüren verurteilt mit interessanter Begründung den Schädiger (Versicherungsnehmer der LVM) direkt zur Zahlung restlicher Sachverständigenkosten mit Urteil vom 19.5.2015 – 3 C 76/15 -.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,

nachfolgend stellen wir Euch hier ein Urteil aus Ibbenbüren zu den Sachverständigenkosten gegen den Versicherungsnehmer einer Kfz-Haftpflicht- Versicherung mit interessanter Begründung vor. Da der Einsender wieder einmal nur ein geschwärztes Urteil der Redaktion eingereicht hat, konnte auch dieses interessante Urteil zunächst keiner Urteilsliste zugeordnet werden. Eigentlich Schade! Daher erfolgt noch einmal unser Aufruf, möglichst keine geschwärzten Urteile einzusenden. Die Anonymisierung erfolgt vor der Veröffentlichung durch uns. Aufgrund des Aufrufs wurde die betreffende Versicherung dann noch mitgeteilt. Es handelt sich um die LVM in Münster. Aufgrund dieser im Nachhinerin erfolgten Angaben wurde dann das Urteil auch in der entsprechenden Urteilsliste eingefügt und die Überschrift abgeändert. Lest aber trotzdem das Urteil und gebt anschließend bitte Eure sachlichen Kommentare ab.

Viele Grüße und eine schöne Woche
Willi Wacker

3 C 76/15

Amtsgericht Ibbenbüren

IM NAMEN DES VOLKES

Urteil

In dem Rechtsstreit

des Herrn …

Klägers,

gegen

Herrn …

Beklagten,

hat das Amtsgericht Ibbenbüren
im schriftlichen Verfahren gemäß § 495 a ZPO am 19.05.2015
durch den Richter am Amtsgericht B.
für Recht erkannt:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 158,60 EUR zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten jährlich über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.12.2014zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

(Ohne Tatbestand gemäß § 313 a ZPO).

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist begründet.

Dem Kläger steht ein Anspruch gegen den Beklagten zu auf Zahlung restlicher 158,60 EUR aufgrund des Verkehrsunfalls vom 23.11.2014 in Ibbenbüren.

Dass der Beklagte in vollem Umfang für die Unfallfolgen einzustehen hat, ist zwischen den Parteien unstreitig. Zu den danach zu ersetzenden Kosen gehört auch das gesamte Honorar des Sachverständigen … in Höhe von 1.238,60 EUR, das der Kläger zu bezahlen hatte. Die vom Haftpflichtversicherer des Beklagten vorgenommene Kürzung dieses Honorars in Höhe der Klageforderung erfolgte zu Unrecht.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann ein Unfallgeschädigter einen Sachverständigen mit der Schätzung der Schadenshöhe an seinem durch den Unfall beschädigten Pkw beauftragen und vom Schädiger nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als Herstellungsaufwand den Ersatz der objektiv erforderlichen Sachverständigenkosten verlangen. Als erforderlich sind diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde. Wenn der Geschädigte die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann, so ist er nach dem Begriff des Schadens und dem Zweck des Schadensersatzes wie auch nach dem letztendlich auf § 242 BGB zurückgehenden Rechtsgedanken des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das Gebot zu wirtschaftlich vernünftiger Schadensbehebung verlangt jedoch vom Geschädigten nicht, zugunsten des Schädigers zu sparen oder sich in jedem Fall so zu verhalten, als ob er den Schaden selbst zu tragen hätte. Bei dem Bemühen um eine wirtschaftlich vernünftige Objektivierung des Restitutionsbedarfs darf auch im Rahmen von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht das Grundanliegen dieser Vorschrift aus den Augen verloren werden, dass nämlich dem Geschädigten bei voller Haftung des Schädigens ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommen soll. Deshalb ist bei der Prüfung, ob der Geschädigte den Aufwand zur Schadensbeseitigung in vernünftigen Grenzen gehalten hat, eine subjektbezogene Schadensbetrachtung
anzustellen, d. h., Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auch seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen.

Auch bei der Beauftragung eines Kfz-Sachverständigen darf sich der Geschadigte damit begnügen, den ihm in seiner Lage ohne Weiteres erreichbaren Sachverständigen zu beauftragen. Er muss nicht zuvor eine Marktforschung nach dem preisgünstigsten Sachverständigen betreiben (BGH VersR 2014, 474). Die beklagtenseits geäußerte Auffassung, der Kläger habe sich vor Beauftragung des Sachverständigen … über dessen Preise informieren müssen, ist mithin unzutreffend.

Der Geschädigte genügt, wie hier, seiner Dariegungslast zur Schadenshöhe regelmäßig durch Vorlage einer Rechnung des von ihm zur Schadensbeseitigung in Anspruch genommenen Sachverständigen. Die tatsächliche Rechnungshöhe bildet bei der Schadensschötzung nach § 287 ZPO ein wesentliches Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrages im Sinne von § 249 Abs 2 Satz 1 BGB, schlagen sich in ihr doch die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalles einschließlich der (vor dem Hintergrund der subjektbezogenen Schadensbetrachtung relevanten) beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten regelmäßig nieder (BGH VersR 2013, 1544; BGH VersR 2013, 1590). Letztlich sind allerdings nicht die rechtlich geschuldeten, sondern die im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB tatsächlich erforderlichen Kosten entscheidend. Ein Indiz für die Erforderlichkeit bildet die Übereinstimmung des vom Geschädigten erbrachten Kostenaufwands mit der Rechnung und der hier zugrundeliegenden getroffenen Preisvereinbarung, sofern diese nicht auch für den Geschädigten deutlich erkennbar erheblich über den üblichen Preisen liegt. Wissensstand und Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten spielen mithin bereits bei der Prüfung der Erlorderlichkeit des Schadensaufwandes gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB eine maßgebende Rolle (BGH VersR 2014, 474). Nur wenn der Geschädigte erkennen kann, dass der von ihm ausgewählte Sachverständige Honorarsätze für seine Tätigkeit verlangt, die die in der Branche üblichen Preise deutlich übersteigen, gebietet das schadensrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot, einen zur Verfügung stehenden günstigeren Sachverständigen zu beauftragen. Dass der KJäger, der, wie bereits gesagt, keine Marktforschung zu betreiben hatte, zum Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen … über derartige Erkenntnisse verfügte oder sich dies ihm hätte aufdrängen müssen, ist nicht ersichtlich. Damit fallen die geltend gemachten Kosten nicht von vornherein aus dem Rahmen des für die Behebung des Schadens erforderlichen Geldbetrages nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB.

Ein Verstoß des Klägers gegen seine Schadensminderungspflicht nach § 254 BGB nach Erhalt der Honorarrechnung des Sachverständigen … liegt ebenfalls nicht vor. Von einem Laien ist nicht zu erwarten, dass er wissen muss, wie hoch die üblichen Betriebsausgaben/Nebenkosten eines Sachverständigen sind. Er ist daher nicht in der Lage, die Angemessenheit der Ihm in Rechnung gestellten Nebenkosten zu beurteilen Abgesehen davon, dass der Kläger nach Auffassung des Gerichts auch in diesem Punkt nicht zu einer näheren Recherche verpflichtet war, wäre er dann, hätte er eine Recherche unternommen, zu der Erkenntnis gekommen, dass die Sätze des Honorartableau des VKS-Verbandes nicht überschritten sind. Insoweit läge nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH VersR 2014, 474) selbst bei einer Überschreitung entsprechender Höchstsätze noch kein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht vor. Soweit sich der Beklagte auf die Kosten für Fotos etc. bezieht, sind diese ebenfalls In dem VKS-Honorartableau enthalten, so dass der Kläger, bei entsprechender Recherche, auch diesbezüglich von der Angemessenheit und Üblichkeit der in Rechnung gestellten Kosten ausgehen durfte. Was die Anzahl der Fotos anbetrifft, war für den Kläger als Laien selbstverständlich nicht ersichtlich, ob diese überhöht oder üblich war.

Die Einwendungen des Beklagten hinsichtlich der Fahrtkosten sind bereits nicht nachvollziehbar Der Sachverständige hat sein Büro in Steinfurt. Der Kläger ist wohnhaft in Rheine. Offensichtlich handelt es sich also um Fahrtkosten für die Strecke von Steinfurt nach Rheine und zurück, nicht etwa nur für eine Fahrt innerhalb Steinfurts. Die Auffassung des Beklagten, der Kläger hätte mit seinem stark beschädigten Fahrzeug (Reparaturaufwand über 10.000 EUR) selbst zum Sitz des Sachverständigen fahren müssen, ist geradezu abwegig. Der in Rechnung gestellte Kilometersatz hält sich im Bereich des üblichen. Zumindest war auch in diesem Punkt für den Kläger eine überhöhte Berechnung nicht zu erkennen, so dass ihm kein Verschuldensvorwurf im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB zu machen ist.

Im Ergebnis hat der Beklagte dem Kläger die gesamten Sachverständigenkosten zu erstatten, also auch die noch offenen 158,60 EUR.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 511 Abs. 4 ZPO ersichtlich nicht gegeben sind.

Urteilsliste “SV-Honorar” zum Download >>>>>

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Eine Antwort zu AG Ibbenbüren verurteilt mit interessanter Begründung den Schädiger (Versicherungsnehmer der LVM) direkt zur Zahlung restlicher Sachverständigenkosten mit Urteil vom 19.5.2015 – 3 C 76/15 -.

  1. Redakteur sagt:

    Der Einsender des Urteils teilte mir telefonisch die hinter dem beklagten Versicherungsnehmer stehende Kfz-Haftpflichtversicherung mit. Es handelt sich um die in Münster ansässige LVM.

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