Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,
von Hamburg an der Elbe geht es nach Witten an der Ruhr. Nachfolgend stellen wir Euch hier ein positives Urteil desAmtsgerichts Witten zu den restlichen Sachverständigenkosten aus abgetretenem Recht (Factoring) gegen die HUK-COBURG vor. Die junge Richterin der 2. Zivilabteilung des AG Witten hat zutreffend im Wesentlichen auf die Grundsatzentscheidungen des BGH zu den Sachverständigenkosten, nämlich die BGH-Urteile VI ZR 67/06 (BGH NJW 2007, 1450 = DS 2007, 144) und VI ZR 225/13 (BGH NJW 2014, 1947 = DDS 2014, 90), hingewiesen. Ob es die HUK-COBURG jetzt nach dem Urteil lernt, die Schadensersatzleistungen nach einem Verkehrsunfall bei einhundertprozentiger Haftung auch zu einhundertprozent zu erfüllen? Ich wage es zu bezweifeln! So uneinsichtig kann eine Versicherung doch nicht sein, oder? Was denkt Ihr? Gebt, nachdem Ihr das Urteil aus dem Ruhrgebiet gelesen habt, bitte Eure Kommentare ab.
Viele Grüße
Willi Wacker
2 C 96/15 Verkündet am 21.07.2015
Amtsgericht Witten
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
der Deutsche Verrechnungsstelle AG, v. d. d. Vorstand, Schanzenstr. 30, 51063 Köln,
Klägerin,
gegen
die HUK-Coburg Allgemeine Vers. AG, v. d. d. Vorstand, Bahnhofsplatz, 96450 Coburg,
Beklagte,
hat das Amtsgericht Witten
auf die mündliche Verhandlung vom 30.06.2015
durch die Richterin P.
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 227,29 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.02.2015 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Ohne Tatbestand (gemäß § 313a Abs. 1 ZPO).
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Klägerin hat aus abgetretenem Recht einen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung restlichen Sachverständigenhonorars in Höhe von 227,29 € gemäß §§7, 17 StVG, 823 Abs. 1 BGB, 115 VVG i.V.m. 1 PflVG, 398, 249 BGB in Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall vom 12.12.2014 in Witten, bei dem das Fahrzeug des Herrn S. V. durch einen zum Zeitpunkt des Unfalls bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW beschädigt worden ist.
Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach zu 100 Prozent für die dem Geschädigten aus dem Unfallereignis entstandenen Schäden ist zwischen den Parteien unstreitig; streitig ist vorliegend die Frage der Ersatzfähigkeit eines nach Kürzung durch die Beklagte noch offenen Restbetrages der Honorarrechnung des Sachverständigen, des Zeugen H. , der von dem Geschädigten mit der Erstellung eines Gutachtens hinsichtlich der Beschädigungen an seinem Fahrzeug beauftragt war. Die Rechnung des Zeugen H. beläuft sich auf insgesamt 788,29 €. Wegen der Einzelheiten wird auf die als Anlage zur Klageschrift eingereichte Kopie der Rechnung Bezug genommen (Bl. 31 d.A.). Hiervon regulierte die Beklagte einen Teilbetrag in Höhe von 561,00 €.
Der Anspruch ist wirksam zunächst von dem Geschädigten an den Zeugen H. und anschließend von diesem an die Klägerin abgetreten worden, § 398 BGB. Soweit sich die Beklagte darauf beruft, dass die Abtretungserklärung zwischen dem Geschädigten und dem Sachverständigen aufgrund der Formulierung, dass der Geschädigte für die Geltendmachung und Durchsetzung seines Schadenersatzanspruches gegen den Anspruchsgegner selbst zu sorgen habe, wegen Verstoßes gegen §§ 305 c, 307 BGB unwirksam sei, bezieht sich die Beklagte wohl auf einen anderen Fall; der vorliegend als Anlage K3 zur Akte gereichten Kopie der Abtretungserklärung kann eine entsprechende Formulierung nicht entnommen werden. Die Abtretung des Geschädigten an den Zeugen H. sind auch nicht wegen einer unangemessenen Benachteiligung des Geschädigten aufgrund Fehlens einer Rückabtretungsklausel für den Fall der Zahlung durch ihn unwirksam. Es entspricht dem Wesen einer Leistung erfüllungshalber, dass die Forderung erst erlischt, wenn der Gläubiger sich aus dem Geleisteten befriedigt hat. Soweit der Geschädigte die Werklohnforderung des Sachverständigen gegen ihn befriedigt, hat er einen Anspruch auf Rückabtretung des Schadenersatzanspruches aus § 812 Abs. 1 S. 1 Fall 1 BGB. Dem Geschädigten steht mit der Leistung durch ihn die bereicherungsrechtliche Einrede zu, der Herausgabeanspruch kann sich auch auf eine Abtretung beziehen. Vor dem Hintergrund des gesetzlich geregelten Anspruchs bedurfte es keiner Rückabtretungsklausel.
Der Anspruch besteht auch in geltend gemachter Höhe. Die Kosten für Sachverständigengutachten zählen bei Verkehrsunfällen als Herstellungsaufwand zu den zu ersetzenden Schadenspositionen, soweit diese zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind (BGH, Urteil vom 23.01.2007, VI ZR 67/06; BGH, Urteil vom 11.02.2014, VI ZR 225/13). Als erforderlich sind diejenigen Aufwendungen anzusehen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheinen (BGH, Urteil vom 11.02.2014, VI ZR 225/13 m.w.N.). Der dem Kläger entstandene Schaden liegt oberhalb der Bagatellgrenze von 700 € (vgl. Palandt – Grüneberg, BGB, 73. A., § 249, Rn. 58).
Der Einwand der Beklagten, die Kosten für das Gutachten seien übersetzt, geht ins Leere. Der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei; hierzu zählt auch die Auswahl eines geeigneten Sachverständigen zur Feststellung der Schadenshöhe. Dabei ist der Geschädigte nicht zur Markterforschung hinsichtlich des günstigsten Sachverständigen verpflichtet. Aus diesem Grund kann auch die Berechnung des Schadens nicht grundsätzlich von etwaigen rechtlichen Mängeln der zu seiner Beseitigung tatsächlich eingegangenen Verbindlichkeiten, zum Beispiel einer überhöhten Honorarforderung des Sachverständigen, abhängig gemacht werden. Der Einwand der Überhöhung des Honorars führt nur dann zu einer Kürzung des Anspruchs, wenn für den geschädigten Laien erkennbar ist, dass der Sachverständige geradezu willkürlich sein Honorar festsetzt und Preis und Leistung in einem auffälligen Missverhältnis stehen oder dem Geschädigten ein Auswahlverschulden zur Last fällt (OLG Naumburg, Urteil vom 20.01.2006, 4 U 49/05).
Anhaltspunkte für ein Auswahlverschulden sowie für eine willkürliche Festsetzung oder ein auffälliges Missverhältnis zwischen Preis und Leistung bestehen vorliegend nicht. Hierbei ist auf die Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten abzustellen (BGH, Urteil vom 11.02. 2014, VI ZR 225/13; LG Bochum, Urteil vom 19.04.2013, I-5 S 135/13). Dass eine eventuelle Überhöhung des Honorars für den Geschädigten ersichtlich war, hat die Beklagte nicht vorgetragen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass einem Laien ein Honorar in berechneter Höhe für die qualifizierte Tätigkeit eines Sachverständigen -auch im Vergleich zu den Preisen für andere, ähnliche Qualifikationen voraussetzende Tätigkeiten – übersetzt erscheinen müsste. Aus dem Umstand, dass das berechnete Honorar den Korridor der BVSK-Honorarbefragung unter Berücksichtigung des Zeitablaufs zwischen der Befragung und der Beauftragung nur geringfügig überschreitet, ergibt sich, dass eine Überhöhung nicht ersichtlich gewesen sein dürfte. Dass der Geschädigte die Beauftragung am Honorartableau der Beklagten
hätte orientieren müssen, ist ebenfalls nicht ersichtlich.
Auch die berechneten Nebenkosten waren erforderlich im Sinne von § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Neben dem Grundhonorar, das für die Ingenieurleistung anfällt, ist Ersatz für entstandene Nebenkosten zu leisten. Eine Deckelung auf einen bestimmten Prozentsatz findet nicht statt.
Das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die für einen EDV-Abruf abgerechneten Kosten entstanden sind. Der Zeuge H. hat glaubhaft bekundet, dass er bei Fahrzeugen des Modells BMW Z1, das vorliegend Gegenstand seiner Begutachtung war, üblicherweise einen entsprechenden EDV-Abruf tätige und dass ihm für die Nutzung des EDV-Systems Kosten entständen, die er entsprechend weiter belaste. Nachdem ihm das Gutachten vorgelegt worden war, hat der Zeuge angegeben, dass aus dem Gutachten ersichtlich sei, dass der entsprechende EDV-Abruf getätigt worden sei. Der Zeuge ist auch glaubwürdig. Er hat seine übliche Vorgehensweise nachvollziehbar beschrieben und Erinnerungslücken, die im Hinblick darauf, dass die Erstellung von Gutachten zu seiner täglichen Arbeit gehört, verständlich sind, offen gelegt. Tendenzen, die Klägerin als mit ihm zusammen arbeitendes Unternehmen zu begünstigen, waren nicht erkennbar.
Im Übrigen sind seitens der insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten keine Umstände vorgetragen worden, die hinsichtlich der Nebenkosten einen Verstoß gegen § 254 BGB durch ein Unterlassen von Maßnahmen, die ein wirtschaftlich denkender und verständiger Mensch zur Schadenminderung getroffen hätte, ergäben. Insbesondere sind die abgerechneten Fahrtkosten als erforderlich anzusehen. Dass der Kläger den Sachverständigen nicht aufgesucht hat, stellt keinen Verstoß gegen seine Schadensminderungspflicht dar, denn der Geschädigte ist nicht gehalten, den Sachverständigen aufzusuchen, wenn die Möglichkeit einer Untersuchung bei ihm besteht. Inwiefern dem Geschädigten eine eventuelle Überhöhung der weiteren Nebenkosten, i.e. für Porto und Telekommunikation, Fotos, Schreibauslagen und Fahrtkosten erkennbar gewesen sein soll, ist nicht dargelegt.
Aus dem Umstand, dass vorliegend nicht der Geschädigte selbst klagt, ergibt sich in Bezug auf die Ersatzfähigkeit nichts anderes. Durch die Abtretung des Anspruchs ändert sich dessen Rechtsnatur nicht. Soweit die Beklagte sich unter Hinweis auf OLG Dresden, Urteil vom 19.02. 2014, 7 U 111/12 darauf beruft, dass bei Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs durch eine „Nachfolgeorganisation“ des Sachverständigen diese sich gemäß § 242 BGB den Einwand der Überhöhung entgegen halten lassen müsse, ist nicht dargelegt, inwieweit die durch den Zeugen H. berechneten Kosten unter werkvertraglichen Gesichtspunkten überhöht sein sollen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich das abgerechnete Honorar nicht im Rahmen des Angemessenen hält.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
Die Kostenentscheidung beruhtauf § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO. Die Zulassung der Berufung gemäß § 511 Abs. 4 ZPO ist nicht veranlasst.
Der Streitwert wird auf 227,29 EUR festgesetzt.
Mich verwundert schon, dass zum Bahnfahren etliche Kommentare, aber keiner zu diesem hervorragenden Urteil aus Witten, abgegeben wurden.