Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,
heute wollen wir Euch zwei Urteile des Amtsgerichts Bochum vorstellen. Zunächst stellen wir Euch das positive Urteil vom 9.2.2016 vor. Nachdem es beim AG Bochum durchaus auch Zivilprozessabteilungen gibt, deren Dezernenten offenbar von Schadensersatz nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall keine Ahnung haben – ein derartiges Urteil stellen wir Euch im Nachgang zu diesem positiven Urteil vor -, ist dieses Urteil ein Beispiel, wie Schadensersatz zu beurteilen ist. In der 83. Zivilabteilung des AG Bochum hält sich der erkennende Amtsrichter an das Gesetz und die schadenersatzrechtlich beurteilungsrelevante BGH-Rechtsprechung wie auch an die entscheidungserhebliche Beachtung der Ex-ante-Sichtweise des Geschädigten zum Zeitpunkt der Auftragserteilung. Es handelt sich um ein beachtenswertes Urteil aus der HUK-Coburg Hochburg in NRW, das ganz ohne § 287 ZPO und ohne Abstützung auf jedwedes Honorartableau auskommt, weil die Erforderlichkeit und die Schadenersatzverpflichtung davon gerade nicht abhängen, denn es ist nicht die Aufgabe des Geschädigten, Preisvergleiche anzustellen oder etwa den billigsten Sachverständigen auszuwählen (so auch BGH DS 2007, 144 m. zust. Anm. Wortmann = NJW 2007, 1450; so auch Landgericht München I, Urteil vom 01.09.2011 – 19 S 7874/11 -). Selbst wenn die Rechnung insgesamt oder einzelne Positionen tatsächlich überteuert sein sollten, trägt das Risiko hierfür grundsätzlich nicht der Geschädigte, denn der vom Geschädigten beauftragte Kfz-Sachverständige ist nach absolut herrschender Rechtsprechung und Literatur nicht dessen Erfüllungsgehilfe (BGHZ 63, 182 ff; OLG Naumburg DS 2006, 283 ff = NZV 2006, 546, 548; OLG Nürnberg SP 2002, 358; Imhof/Wortmann DS 2011, 149, 151; Himmelreich-Halm-Müller Hdb. des FA VerkR Kap. 6, Rn. 227) . Auf eine Auseinandersetzung mit dem Gutachter muss er sich insoweit nicht einlassen (vgl. z.B. AG Bochum, Urteil vom 6.12.1995, 70 C 514/95; s. auch OLG Naumburg aaO.).
Es ist also grundsätzlich nicht die Aufgabe des Geschädigten, einzelne Positionen der Rechnung nach Überhöhung oder Plausibilität zu durchforsten, wenn für ihn nicht erkennbar ist, dass die Kosten deutlich erkennbar über den branchenüblichen Preisen liegen (BGH DS 2014, 90 = NJW 2014, 1947). Lest selbst das positive Urteil des AG Bochum und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße
Willi Wacker
83 C 202/15
Amtsgericht Bochum
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
des Herrn … ,
Klägers,
gegen
Frau … , (Versicherungsnehmerin der HUK-COBURG)
Beklagte,
hat das Amtsgericht Bochum
im schriftlichen Verfahren am 09.02.2016
durch den Richter am Amtsgericht Z.
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 51,79 Euro nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2013 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. § 313a ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet.
Die Beklagte haftet als Fahrerin des unfallbeteiligten Fahrzeuges EN-… für den Schaden, der in Folge des Unfalls vom 12.02.2013 in Bochum entstand.
Hierzu gehört das Sachverständigenhonorar des Klägers, das dieser aus abgetretenem Recht des Geschädigten M. geltend macht.
Der Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte gem. § 249 BGB umfasst die zur Bemessung der Schadenshöhe erforderlichen Aufwendungen für einen Sachverständigen, sofern ein verständiger und wirtschaftlich denkender Geschädigter dessen Einschaltung nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten und unter Abwägung gegen ihm zumutbare andere -preiswertere- Wege der Feststellung für geboten erachten durfte.
Zum Grunde ist zwischen den Parteien nicht streitig, dass der Kläger zur Feststellung der Schadenhöhe ein Gutachten in Auftrag geben durfte.
Der geltend gemachte Anspruch ist aber auch zur Höhe berechtigt.
Es handelt sich um einen Anspruch i. H. v. 51,79 Euro, nämlich die Differenz zwischen der Honorarforderung des Klägers i. H. v. 571,79 Euro und die Teilzahlung des Haftpflichtversicherers HUK-Coburg i. H. v. 520,00 Euro.
Zur Höhe der zu erstattenden Kosten ist die höchstrichterliche Rechtsprechung zu beachten, die dahin geht, dass ein Unfallgeschädigter als Herstellungsaufwand den Ersatz der objektiv erforderlichen Sachverständigenkosten verlangen kann, wobei als erforderlich diejenigen Aufwendungen anzusehen sind, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde.
Es ist eine subjektbezogene Schadensbetrachtung anzustellen, d. h. .Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten zu nehmen. Auch bei der Beauftragung eines Kfz-Sachverständigen darf sich der Geschädigte damit begnügen, den ihm in seiner Lage ohne weiteres erreichbaren Sachverständigen zu beauftragen. Seiner Darlegungslast zur Schadenshöhe genügt er regelmäßig durch Vorlage einer Rechnung des von ihm zur Schadensbeseitigung in Anspruch genommenen Sachverständigen. Die tatsächliche Rechnungshöhe bildet bei der Schadensschätzung ein wesentliches Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrags im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB.
Nur, wenn der Geschädigte erkennen kann, dass der von ihm ausgewählte Sachverständige Honorarsätze für seine Tätigkeit verlangt, die die in der Branche üblichen Preise deutlich übersteigen, gebietet das schadensrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot, eine zur Verfügung stehenden günstigeren Sachverständigen zu beauftragen.
Der Kläger hat die Unterlagen über die Auftragserteilung und seine Liquidation vom 20.02.2013 vorgelegt.
Die dagegen erhobenen Einwendungen der Beklagten greifen nicht durch.
Ihr Vortrag lässt bereits nicht erkennen, dass die Honorarsätze des Klägers die in der Branche üblichen Preise deutlich übersteigen.
Das geltend gemachte Honorar i. H. v. 571,79 Euro und der von dem Haftpflichtversicherer für angemessen gehaltene Betrag i. H. v. 520,00 Euro differieren lediglich um 51,79 Euro, etwa zehn Prozent.
Darüber hinaus ist nicht dargetan, dass und woran der Geschädigte hätte erkennen können, dass das Sachverständigenhonorar deutlich übersetzt ist.
Ausschlaggebend ist insoweit, das Gesamthonorar des Sachverständigen, der Vortrag, dass bestimmte Nebenkostenarten nicht ansetzbar seien und bestimmte Nebenkostenpositionen zu hoch angesetzt würden, genügt insoweit nicht.
Das erkennende Gericht sieht insoweit nicht die Darlegungslast für die Angemessenheit jeder Einzelhonorarposition des Sachverständigen beim Geschädigten. Zwar hat dieser die verbleibende Honorarrechnung des Klägers offenbar nicht ausgeglichen.
Er ist aber weiterhin dessen Erstattungsanspruch ausgesetzt, da die Abtretung des Gutachterhonorars nicht erfüllungshalber, sondern ausschließlich zur Sicherung der Gutachterkosten erfolgte.
Dass für den zur Entscheidung stehenden Sachverhalt aus dem Jahr 2013 nicht neue Richtlinien für die Beauftragung von Sachverständigen ab dem 01.01.2016 Anwendung finden, bedarf keiner weiteren Begründung.
Der Zinsanspruch ist infolge Verzuges der Beklagten gem. §§ 286, 288 BGB begründet, die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Ziff. 11, 713 ZPO.
Hallo, Willi Wacker, man erkennt beispielgebend auch an diesem Urteil, dass man die Höhe der Schadenersatzverpflichtung praxisnah und unter Beachtung der Gesetzgebung ausleuchten kann, ohne den besonders freigestellten Tatrichter bemühen zu müssen. Die Abstützung auf eine „Schätzung“ ist sowieso fragwürdig, wenn eine Rechnung mit Honorarvereinbarung vorliegt, denn eine Schätzung kann vergleichsweise nicht genauer sein und soll überdies den Geschädigten nicht benachteiligen, was aber der Fall ist ,wenn entgegen § 249 BGB einem a n d e r en Zustand das Wort geredet wird und sich der Schadenersatz allenfalls auf Zubilligung beschränkt.
Im Übrigen ist ein Rechtsgeschäft ist nur dann sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Ein Sittenverstoß kann auch in einem Verhalten gegenüber dem Geschäftspartner bestehen, etwa wenn ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung gegeben ist, was bei einer Überschreitung der vertraglich vereinbarten Leistung/Vergütung um ca. 100 % der üblichen und angemessenen Vergütung der Fall ist (BGH NJW 2001, 1127; BGH NJW 2002, 429; BGH NJW 2002, 3165).
Für den Geschädigten als Laien ist wohl kaum erkennbar, ob die vereinbarten oder berechneten Preise über den üblichen bzw. erforderlichen Preisen liegen, zumal den Geschädigten keine Erkundigungspflicht trifft (vgl. BGH DS 2007, 144 ff Rdnr. 17; BGH DS 2014, 90 Rdnr. 7).
Grundsätzlich muss auch gefragt werden, ob § 254 BGB im Schadensersatzrecht dogmatisch überhaupt anwendbar ist (vgl. dazu Wortmann ZfS 1999, 1 ff)? Denn eine Anwendung würde bedeuten, dass der Geschädigte trotz voller Haftung des Schädigers einen Teil seines Schadens selbst tragen müsste.
Das widerspricht eindeutig dem Grundsatz des Schadensersatzrechtes, wonach bei voller Haftung vollständiger Schadensersatz zu leisten ist (vgl. Steffen NZV 1991, 1 f.; ders. NJW 1995, 2057, 2062; BGH NJW 2014, 1947 Rdnr. 7).
Die Anwendung von § 287 ZPO bei Vorlage einer konkreten Rechnung (außer für den Geschädigten erkennbarem Wucher) stellt einen unzulässigen Willkürakt dar – Schätzung ins Blaue. Daran ändert auch die Bezugnahme auf eine in der Regel unbekannte BVSK-Befragung 2015 nichts, weil es sich dabei um keine Richtwerte für Sachverständige handelt, die zu 95 % dem BVSK nicht angehören und es sich außerdem auch nicht um eine Gebührenordnung handelt. In der vorgebenden Abgrenzung der Nebenkosten, ihrer Einordnung und ihrer Höhe nach, handelt es sich offenbar um „Sonderkonditionen“,
denn in der Regel berufen sich aktuell gerade Versicherungen darauf.
Es gibt keinerlei gesetzliche Grundlage, wonach ein Sachverständiger gehalten ist, seine Aufwendungen besonders gering zu halten. Auch sein Honorar kann er grundsätzlich – im Rahmen des § 138 BGB – frei bestimmen und weil es in solche gerichtlichen Auseinandersetzungen grundsätzlich nicht Aufgabe der Gerichte ist, „den gerechten Preis“ von Amts wegen zu bestimmen.
Mit besten Grüßen
nach Bochum und Karlsruhe
H.U.
Hallo H.U.,
Sie haben mit Ihrem Kommentar genau den Nagel auf den Kopf getroffen.
Ihre Grüße nach Bochum und nach Karlsruhe habe ich so verstanden, dass Sie das Amtsgericht Bochum, insbesondere die Abteilung 65 C und den BGH grüßen wollen. Beste Grüße unter Bezugnahme auf Ihren Kommentar auch von mir.
Willi Wacker
Es geht auch hier nicht um eine Honorarklage im Sinne des Werkvertragsrechts, sondern um eine Schadensersatzklage auf Erstattung der berechneten Sachverständigenkosten. Das erstere hat seine Anspruchsgrundlage in den §§ 631 ff. BGB, das andere in den §§ 249 ff. BGB. Das sollte man schon sauber zu trennen verstehen und erst recht darf man das von einem Richter in der BRD auch erwarten.
Scouty