Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,
von Leipzig geht es weiter nach Essen. Hier und heute stellen wir Euch ein Urteil aus Essen zu den restlichen Sachverständigenkosten gegen den VN der VHV Versicherung vor. Auch in diesem Schadensfall hat der Geschädigte, nachdem die eintrittspflichtige Kfz-Versicherung, in diesem Fall die VHV, nicht vollständig Schadensersatz geleistet hat, den Schädiger persönlich in Anspruch genommen. So müsste es immer gehen. Denn Fahrer, Halter und Versicherer haften als Gesamtschuldner für die angerichteten Schäden. Unter Bezugnahme auf die entscheidenden BGH-Urteile wurde zu Recht der Schädiger persönlich zur Zahlung des Restschadensersatzes verurteilt. Es ist daher auch wichtig, dass ein erfahrener Verkehrsanwalt die Klage führt und den Kläger berät, wie in diesem Fall. Lest selbst das Urteil und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße und ein schönes Wochenende.
Willi Wacker
14 C 543/15
Amtsgericht Essen
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
der Frau F. K. aus E.,
Klägerin,
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte I & P. aus A.
gegen
Herrn H. D. aus E. (Versicherungsnehmer der VHV) ,
Beklagten,
hat das Amtsgericht Essen
im vereinfachten Verfahren gemäß § 495a ZPO ohne mündliche Verhandlung am
18.01.2016
durch die Richterin am Amtsgericht S.
für Recht erkannt:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 217,76 Euro nebst Zinsen daraus in Höhe von 5 Prozentpunkten jährlich über dem Basiszinssatz seit 13.11.2014 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d :
Von der Wiedergabe des Tatbestandes wird gemäß § 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die zulässige Klage ist begründet.
Das Gericht konnte nach § 495a ZPO im vereinfachten Verfahren ohne mündliche Verhandlung durch Endurteil entscheiden, weil der Streitwert 600,00 Euro nicht übersteigt.
Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch gemäß § 7 Abs. 1 StVG auf die restlichen Sachverständigenkosten in Höhe von 217,76 Euro zu.
Der Beklagte haftet für das streitgegenständliche Verkehrsunfallgeschehen zu 100 %, nachdem die Fahrerin seines Pkws rückwärts gegen das stehende Klägerfahrzeug fuhr.
Die Klägerin kann daher von dem Beklagten nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als Herstellungsaufwand den Ersatz der objektiv erforderlichen Sachverständigenkosten verlangen.
Als erforderlich sind diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde (BGH VI ZR 471/12, Urteil vom 15. Oktober 2013).
Dabei darf sich der Geschädigte damit begnügen, den ihm in seiner Lage ohne weiteres erreichbaren Sachverständigen zu beauftragen. Er muss nicht zuvor eine Marktforschung nach dem honorargünstigsten Sachverständigen betreiben keine Kostenvoranschläge einholen (vgl. LG Hamburg, SP 2012, 87), keinen Preisvergleich anstellen (vgl. AG Frankfurt, Der Verkehrsanwalt 2014, 251).
Nur wenn der Geschädigte erkennen kann, dass der von ihm ausgewählte Sachverständige Honorarsätze für seine Tätigkeit verlangt, die die in der Branche üblichen Preise deutlich übersteigen, gebietet das schadensrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot, einen zur Verfügung stehenden günstigeren Sachverständigen zu beauftragen (BGH VI ZR 528/12, Urteil vom 15.10.2013).
Im Prozess reicht daher ein einfaches Bestreiten der Sachverständigenrechnung seitens des Schädigers oder seiner Versicherung grundsätzlich nicht aus (vgl. BGH, NJW 2014, 1947; siehe auch AG Frankfurt, Der Verkehrsanwalt 2014, 254). Der Schädiger muss vielmehr vortragen, dass die vorgelegte Sachverständigenrechnung die übliche Abrechnung der Branche deutlich übersteigt und der Geschädigte dies erkennen hätte können (vgl. BGH, NJW 2014, 1947).
Der Beklagte hat keinerlei Einwendungen gegen die Rechnung des von der Klägerin beauftragten Sachverständigen erhoben. Daher war der gesamte den Anspruch begründende Tatsachenvortrag der Klägerin der Entscheidung zugrunde zu legen, weil er gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt.
Der Anspruch auf Zinsen ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges (§§ 280 Abs.1, 2, 286 BGB), nachdem die Klägerin die hinter dem Beklagten stehende Haftpflichtversicherung mit Schreiben vom 29.10.2014 unter Fristsetzung bis zum 12.11.2014 zur Zahlung aufgefordert hatte.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil der Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Anrufung des Berufungsgerichts auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts erforderlich ist, §511 Abs. 4 S. 1ZPO.
Der Streitwert wird auf 217,76 Euro festgesetzt.
Hallo, Willi Wacker,
versteht man die Entscheidungsgründe dieses Urteils, so verwundert es in höchstem Maße, wie die VHV dennoch rechtfertigend ihre Vorgehensweise vertritt, wie nachfolgender Beitrag aus einer altuellen Stellungnahme dieser Versicherung in Hannover zeigt, wobei offenbar sogar 2 Mitglieder des Vorstandes sinnigerweise diese „Richtlinien“ unterzeichnet haben, die sich auf einen themaverfehlenden Textbaustein beschränken und mit der bestehenden Schadenersatzverpflichtung deshalb überhaupt nichts zu tun haben.
Und nun kommts:
„Sehr geehrte Damen und Herren!
Der Ausgleich des Honorars erfolgte im Rahmen ortsüblicher Grundgebühren und der abrechnungsfähigen Nebenkosten.
Weitere Nebenkostenpositionen sind nicht erstattungsfähig.
Die entsprechenden Tätigkeiten sind als originäre Bestandteile der Gutachtenerstellung bereits mit der Grundgebühr abgegolten und können deshalb nicht noch einmal gesondert in Rechnung gestellt werden (z.B.: LG Baden Baden 1 S 56/11 in SP 2013, 86; AG Arnstadt 2 C 621/12)
Andernfalls würden diese Tätigkeiten sowohl über das Honorar alszusätzlich auch über die Nebenkosten mehrfach vergütet werden. Wir halten daher an unserer Abrechnung fest.
Mit freundlichen Grüßen
VHV Allgemeine Versicherung AG“
Dieser Erkenntnisschub und das Verständnis für die Schadenersatzverpflichtung sind schlicht überwältigend.
Und was sagen dazu aktuell die Gerichte?
„Auch die Überhöhung der Sachverständigenkosten gehört aus guten Gründen demnach grundsätzlich zum sog. „Prognoserisiko“ des Schädigers, zu dem grundsätzlich all jene typischen Probleme gezählt werden, mit denen sich durch Kraftfahrzeugunfälle Geschädigte üblicherweise eigentlich herumzuschlagen hätten, wenn es das subjektsbezogen auszulegende Korrektiv der Erforderlichkeit i.S.d. § 249 BGB nicht gäbe, wozu im Übrigen grundsätzlich auch fehlerhafte und sogar unbrauchbare Gutachten zu zählen sind. Mit der unfallbedingten Verursachung der Beschädigung der Rechtsgüter des Geschädigten hat der Schädiger zugleich auch kausal und zurechenbar verursacht, dass sich der Geschädigte u.U. weiteren Problemen bei der Schadenregulierung gegenüberstehen sieht, die er ohne Unfall nicht hätte bewältigen müssen, weshalb der Schädiger und damit auch dessen Haftpflichtversicherer auch für diese Probleme und Nachteile grundsätzlich einzustehen hat, jedenfalls, solange sie noch vorhersehbar und auch im Übrigen noch zurechenbar sind. Dies aber ist gerade auch bei überhöhten Sachverständigenkosten grundsätzlich der Fall.“
Fazit: Kein Auswahlverschulden, kein „Verstoß“ gegen die „Schadenminderungspflicht.“
HR
Hallo, HR , aktuell verurteilt wurde durch das AG Wiesbaden diese Versicherung aus unserem schönen Hannover in Niedersachsen und zwar mit Urteil vom 07.07.2016 – 91 C 569/16 (15).
Am Schluss der Entscheidungsgründe: „Aber selbst der Umstand, dass die vom Sachverständigen abgerechneten Nebenkosten die aus der BVSK-Honorarbefragung ersichtlichen Höchstsätze überschreiten, rechtfertigen die Annahme nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes (aaO) eines solchen Verstoßes nicht.“
Und jetzt folgend als besonderes Schmankerl noch aus dem aktuellen Urteil des AG Idstein vom 03.11.2015 – 31 C 219/15 (10) gegen die Versicherungsnehmerin der VHV als Schadenverursacherin:
„Soweit die Beklagte die Erforderlichkeit und Angemessenheit der über 684,59 € hinausgehenden Kosten hierfür gemäß § 249 Abs. 2 BGB bestreitet, geht sie nach Auffassung des hier erkennenden Gerichtes von vorneherein von einem falschen Ansatz aus.
Die Klagerin will nicht ,,fiktiv“ abrechnen. Sie verlangte gar nicht ,,statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag“. Vielmehr will sie gerade die zum Ausgleich ihrer Einbuße -Zahlung der Sachverständigenkosten – tatsächlich entstandenen Kosten gemäß § 249 Abs. 1 BGB.
Im Übrigen besteht zwischen den Parteien kein Werkvertrag, so dass die Klägerin die Erfordertlichkeit und Angemessenheit des Werklohns nachweisen müsste. Vielmehr verfolgt sie im Rahmen des Schadenersatzes die zum Ersatz ihres Schadens angefallenen Kosten. Dass diese nicht erforderlich gewesen sein sollen, stellt in der Sache den Vorwurf dar, die Klägerin habe gegen die Schadenminderungspflicht verstoßen (Staudinger/Schiemann, § 249BGB, Rn. 230).
Das bloße Bestreiten der Erforderlichkeit, mit welchen Erwägungen auch immer, führt daher nicht dazu, dass die Geschädigete die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Kosten eines Gutachtens beweisen müsste. Es bedürfe vielmehr näheren Vortrages dazu, dass die Klägerin als Geschädigte die angeblich deutliche Überhöhung der Sachverständigenkosten, die sich ohnehin auf etwa 10 % beschränkt, hätte erkennen können (BGH, Urteil vom 11.02.2014 – VI ZR 225/13, S. 7 f.). Hiezu fehlt im Beklagtenvorbringen jedes Wort. Eine solche Erkennbarkeit liegt aber nicht schon dann vor,wenn der Geschädigte durch intensive Marktforschungen hätte feststellen können, dass er irgendwo eine billigere Naturalrestitution hätte erlangen können (BGH NJW 1996, 1958, 1959).“
Soweit der Richter Dr. Dr. A. des AG Idstein.
Aber auch das AG Gummersbach hat die VHV in 2 weiteren Verfahren nicht von der Richtigkeit ihrer Rechtsauffassung überzeugen können. Dort hatte auch ein qualifizierter und beufserfahrener Sachverständiger sogar mehr als moderat abgerechnet und sich trotzdem noch eine rechtswidrige Kürzung der abgerechneten Gutachterkosten eingehandelt. Beiden Klagen des Sachverständigen wurde stattgegeben. Es handelt sich um die Verfahren 11 C 378/15 – 21.01.2016 und 12 C 188/15 -21.01.2016.
Dass ein solcher Regulierungsboykott auf Dauer nicht greifen kann, sollte eigentlich jedem vernünftig und wirtschaftlich denkenden Menschen klar sein. Aber gibt es den bei der VHV in Hannover, Herr Uwe H. Reuter ?
G.v.H.