Hallo verehrte Captain-Huk-Leserschaft,
von Bochum geht es weiter nach Nürnberg. Nachfolgend stellen wir Euch hier ein Urteil des Amtsgerichts Nürnberg zu den Sachverständigenkosten aus abgetretenem Recht gegen die VHV Versicherung vor. Das erkennende Gericht urteilt im Ergebnis zwar richtig, in der Begründung jedoch absolut grottenfalsch. Das erkennende Amtsgericht Nürnberg meint doch allen Ernstes, dass nur eine Vergütung nach § 632 BGB begründet sei. Es vergisst dabei, dass es nicht um restlichen Werklohn, sondern um restlichen Schadensersatz aus abgetretenem Recht geht. Insoweit ist der werkvertragliche Gesichtspunkt ein schadensersatzrechtlicher Quatsch. Auch ein unangemessener Werklohn kann erforderlicher Wiederherstellungsaufwand im Sinne des § 249 BGB sein. Und dann wird wieder eine Angemessenheitsprüfung, also werkvertragliche Überprüfung der Einzelpositionen der Sachverständigenkostenrechnung auf der Grundlage der BVSK-Honorarabfrage vorgenommen. Hierzu kann man nur noch einmal darauf hinweisen, dass der BGH ausdrücklich entschieden hat, dass der Geschädigte die Ergebnisse der BVSK-Umfrage nicht kennen muss (Vgl. BGH VI ZR 225/13 Rn. 10). Was er nicht kennen muss, kann ihm auch nicht angelastet werden. Hinzu kommt dann noch, dass das erkennende Gericht eine Preiskontrolle der einzelnen Rechnungsposten vornimmt, obwohl der BGH eine Preiskontrolle untersagt hat, wenn der Geschädigte den Rahmen des zur Wiederherstellung Erforderlichen gewahrt hat (BGH VI ZR 67/06 = BGH NJW 2007, 1450 = DS 2007, 144 m. Anm. Wortmann). Insoweit hat das Gericht eklatant gegen die Rechtsprechung des BGH entschieden. Daher kann nur das Ergebnis überzeugen. Einziger Lichtblick war die Bemerkung zur „Gesamtbetrachtung“. Lest aber selbst das Urteil des AG Nürnberg vom 6.5.2016 und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße und ein schönes Wochenende mit einem schönen 3. Advent
Euer Willi Wacker
Amtsgericht Nürnberg
Az.: 15 C 10210/15
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Rechtsstreit
Kraftfahrzeug-Sachverständigenbüro …
– Klägerin –
gegen
VHV Allgemeine Versicherung AG, vertreten durch d. Vorstand Thomas Voigt, Constantinstr. 90, 30177 Hannover
– Beklagte –
wegen Schadensersatz
erlässt das Amtsgericht Nürnberg durch die Richterin am Amtsgericht B. am 06.05.2016 auf Grund des Sachstands vom 06.05.2016 ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495a ZPO folgendes
Endurteil
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 35,70 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.11.2015 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 35,70 € festgesetzt.
Tatbestand
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. §§ 495a,313a ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist im zuletzt geltend gemachten Umfang vollumfänglich begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus abgetretenem Recht Anspruch auf Erstattung restlicher Sachverständigenkosten in Höhe von 35,70 €.
1.
Die Aktivlegitimation der Klägerin ergibt sich aus der Abtretungserklärung vom 4.2.2016.
2.
Die Klägerin hat aus abgetretenem Recht Anspruch auf Erstattung restlicher Sachverständigenkosten in Höhe von 35,70 €.
Der Unfallgeschädigte H. K. hat am 27.5.2015 die Klägerin mit der Erstellung eines Schadengutachtens beauftragt. Da nach eigenem Klägervortrag keine Absprache über die Höhe des Honorars getroffen wurde, ist gem. § 632 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung zu bezahlen (siehe BGH NJW 2006, 2472). Nur diese Vergütung ist vom Unfallgeschädigten geschuldet (nicht etwa eine höhere einseitige Inrechnungstellung des Sachverständigen), so dass auch nur dieser Betrag als Schadensersatz vom Unfallschädiger bzw. Versicherer erstattungsfähig sein kann und vom Kläger aus abgetretenem Recht geltend gemacht werden kann.
Wie der BGH a.a.O. ausgeführt hat, bewegt sich regelmäßig die übliche Vergütung auf dem Markt innerhalb einer bestehenden Bandbreite. Diese Spanne ermittelt das Gericht für ein Gutachten vom 07.11.2011 anhand der BVSK-Befragung 2010/2011. Insoweit erscheint diese Liste eine geeignete Bemessungsgrundlage zur Bestimmung des marktüblichen Preises. Die Befragung durch den BVSK stellt eine Umfrage des größten Zusammenschlusses der freiberuflichen qualifizierten Kfz-Sachverständigen in Deutschland dar. Wie sich aus der Vorbemerkung oben genannter Liste ergibt, wurden hierbei die Sachverständigen nach dem üblicherweise berechneten Honorar befragt.
Keinesfalls kann ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die dort wiedergegebenen Preise nicht von Angebot und Nachfrage bestimmt wurden, sondern durch gleichförmiges Verhalten der Anbieter, wie dies im Ersatzmietwagengeschäft der Fall ist. Für einen solchen „Sondermarkt“ fehlt es bei der Vergütung des Sachverständigen an jeglichem konkreten Anhaltspunkten, worauf auch der BGH (NJW 2007, 1450) hinweist.
Auch das LG Nürnberg-Fürth, 8. Zivilkammer, vertritt nunmehr mit Urteil vom 29.02.2012, 8 S 2791/11, die Auffassung, dass, sofern der Unfallgeschädigte mit dem von ihm beauftragten Kfz-Sachverständigen keine Honorarvereinbarung trifft, der Geschädigte vom Unfallverursacher nur die Kosten der üblichen Vergütung im Sinn von § 632 Abs. 2 BGB als erforderlich ersetzt verlangen kann. Einen praktikablen Wert für die Üblichkeit liefert auch nach Rechtsprechung des Landgerichts das arithmetische Mittel des sogenannten „HB III Korridors“ der BVSK Honorar-Befragung 2008/2009 bzw. des entsprechenden „HB V Korridors“ der BVSK-Honorarbefragungen 2010/2011 und 2013. Für den vorliegenden Schadensfall ergeben sich bei Zugrundelegung der BVSK-Honorarbefragung 2013 damit folgende übliche Vergütungsbeträge:
a.
Das Grundhonorar ist mit 354,00 € in Ansatz zu bringen. Hierbei wird, wie auch für die folgenden Bewertungen, der Honorarkorridor HB V der Liste herangezogen, da innerhalb der dort angegebenen Spanne 40% bis 60% der Gutachter, mithin der Durchschnitt abrechnet. Innerhalb der sich für diesen Schadenshöhe in HB V ergebenden Bandbreite ist im Rahmen der Schätzung durch den Tatrichter regelmäßig vom Mittelwert auszugehen, soweit nicht Besonderheiten des Einzelfalles eine Abweichung rechtfertigen (siehe Randnummer 16 zu § 632 BGB, Palandt).
Bei Reparaturkosten in Höhe von 1650,52 € netto zuzüglich Wertminderung von 250,00 €, insgesamt somit 1.900,52 €, ergibt sich aus dem Mittel von 338,00 € bis 370,00 € eine erstattungsfähige Grundgebühr von 354,00 €.
b.
Neben dem Grundhonorar hält das Gericht grundsätzlich auch (pauschale) Nebenkosten für erstattungsfähig. Einzelpositionen können auch, soweit dies nach der BVSK-Honorarbefragung zulässig und üblich ist, nach Einzelaufwand abgerechnet werden.
Dass neben dem Grundhonorar üblicherweise Nebenkostenpauschalen abgerechnet werden, ergibt sich aus der BVSK-Honorarbefragung gerade nicht. Vielmehr ist es nach dem Ergebnis der Befragungen durchaus üblich, weitere Nebenkosten nach Aufwand oder pauschal in Rechnung zu stellen. Das Gericht sieht, dass vielleicht nicht alle Sachverständigen die Nebenkosten, die die Tabellen des BVSK ausweisen, kumulativ in Rechnung stellen, sondern nur einzelne Positionen. Wenn sich jedoch die in Rechnung gestellten Einzelpositionen im Rahmen des Üblichen bewegen, vermag das Gericht dies nicht zu beanstanden (so auch LG Nürnberg-Fürth a.a.O.). Die Nebenkosten schätzt das Gericht nach dem Mittelwert entsprechend der Auswertung der Nebenkosten in der BVSK-Befragung 2013, HB V Korridor, diese belaufen sich auf insgesamt 93,24 € netto.
aa)
Die Klägerin hat Fahrtkosten pauschal mit 50,00 € abgerechnet. Der Schätzung zugrundezulegen ist daher die, von der gefahrenen Wegstrecke unabhängige Fahrtkostenpauschale. Der Mittelwert entsprechend der Auswertung der Nebenkosten in der BVSK-Befragung 2013, HB V Korridor beläuft sich auf 20,91 €. Ob die Auswahl eines, 25 km vom Besichtigungsort ansässigen Sachverständigenbüros erforderlich war, spielt daher keine Rolle.
bb)
Abgerechnet hat hier die Klägerin Orginallichtbilder 9 Lichtbilder zu je 2,00 €. Ausweislich des Gutachtens wurden auch 9 Lichtbilder gefertigt.
Für die erforderlichen neun Lichtbilder ist pro Foto der It. HB V mittige Betrag von 2,38 €, insgesamt 21,42 € in Ansatz zu bringen.
cc)
Schreibkosten können geltend gemacht werden aus einem Mittelwert von 2,66 € bei 13 Seiten 34,58 €.
Es ist zwar erkennbar, dass der Kläger keine Schreibkosten verlangt hat. Solche sind jedoch offensichtlich angefallen, was sich aus dem vorliegenden Sachverständigengutachten der Klägerin vom 28.05.2015 ergibt. Nach Ansicht des Gerichts ist dabei auf eine Gesamtbetrachtung abzustellen. Die Überschreitung einzelner Kostenpositionen ist hier unschädlich, die Kostenschätzung hat anhand einer Gesamtheit der angefallenen Kosten zu erfolgen.
dd)
Für Porto und Telefon ist nach der BVSK-Auswertung zusätzlich ein pauschaler Ansatz im Mittelwert in Höhe von 16,33 € zu berechnen.
Insgesamt sind daher erstattungsfähig Sachverständigenkosten von netto 447,24 € zzgl. 19% Mehrwertsteuer (84,97 €), brutto folglich 532,21 €. Die Rechnung der Klägerin liegt mit 531,93 € darunter. Vorgerichtlich beglichen wurden von der Beklagten lediglich 496,32 €, sodass die Klage auf Zahlung des offenen Differenzbetrags von 35,70 € begründet ist.
3.
Kosten: §§ 91,92 Abs. 2, 269 III ZPO
4.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 713 ZPO
Hier haben wir auch so eine als erheblich behauptete Überhöhung in Höhe von 35,70 € !
Die VHV hat allerdings 93,3% (!!!) der abgerechneten Gutachterkosten reguliert. Danach sollen rund 6,7 % nicht erforderlich gewesen sein? Eine Zumutung für eine so versicherungsseitig provozierte Auseinandersetzung. Hier hätte die Richterin vor dem Hintergrund schadenersatzrechtlich beurteilungsrelevanter Kriterien kurzen Prozess machen sollen. Keine erheblicher Sachvortrag, kein Auswahlverschulden und somit kein Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht. Der Sachverständige hat auch den Rahmen des Erforderlichen gewahrt, der nicht an einen bestimmten Betrag gebunden ist unter Berücksichtigung zu akzeptierender Honorarbandbreiten im Bereich des Grundhonorars und erst recht bei den Nebenkosten. Eine schadenersatzrechtlich entscheidungserhebliche Begründung kann bekanntlich gerade die VHV-Vers. für ihre Behauptungen ins Blaue hinein nicht ins Feld führen. Warum also dieser immense, jedoch unnötige und dazu noch falsche Begründungsaufwand seitens des Gerichts?
Oliver M.
Hallo, Willi Wacker,
wieder einmal zutreffend von Dir kommentiert. Der Kommentar muss jedoch auch nachdenklich stimmen, zeigt er doch, wie auch die Entscheidungsgründe selbst , wie leicht es offenbar ist, unsere Gerichtsbarkeit „elegant“ zu bluffen bzw. hinters Licht zu führen. Da behauptet ein Versicherer im Zuge der Schadenregulierung eine nicht erforderliche bzw. überhöhte Abrechnung des Kfz.-Sachverständigen als „Rechfertigung“ für die Kürzung und nicht gerade selten geht ein Gericht auf diese unsubstantiierte „Lockbehauptung“ spontan ein und überprüft unter werkvertraglichen Erwägungen die Rechnungshöhe und zwar genau so, wie versicherungsseitig gewollt. So ist es versicherungsseitig erfahrungsgemäß dann oft erfolgreich, die schadenersatzrechtlich beurteilungsrelevanten Randbedingungen auszublenden ohne dass dies in einer gerichtlichen Auseinandersetzung überhaupt auffällt. Wenn sich jedoch ein Gericht vergegenwärtigt, dass 100% Haftung auch 100% Schadenersatz bedingen, so könnte zumindest hinsichtlich der versicherungsseitig verfolgten Zielsetzung schon mal ein Fragezeichen entstehen, denn wenn es nicht Sache der Gerichte ist einen gerechten Preis festzulegen, ist es erst recht nicht Sache der Versicherungen, die gesetzlich bestehende Schadenersatzverpflichtung ex post nach eigener Vorstellung durch ZUBILLIGUNG zu bestimmen, zumal fast regelmäßig eine qualifizierte Beurteilungsmöglichkeit für die Basis der vorgenommenen Abrechnung fehlt und § 249 S.1 BGB einfach ausgeblendet wird. Da wird dann in der Folge mit „fiktiven Zahlen“ gerechnet, die der Geschädigte nicht kennen muss und ignoriert, dass die Rechsfolgen aus der Position des Sachverständigen als Erfüllungsgehilfe des Schädigers auch nicht zu Lasten des Geschädigten gehen dürfen. Die Bandbreite der Kürzungsbeträge in Bezug auf die Gesamtabrechnungen bewegt sich regelmäßig in einer prozentualen Größenordnung, die eine rechtwidrige Kürzung von Schadenersatzansprüchen wegen angeblicher Nichterforderlichkeit bzw. erheblicher Überhöhung eine „Nachforschung“ bzw. vergleichende „Berechnung“ erübrigen, da schadenersatzrechtlich nicht nachvollziehbar und da sind die Leitgedanken des auch hier vielfach schon angesprochenen Urteils des AG Essen-Steele vom 28.9.2004 – 17 C 167/04 mehr denn je vorbildhaft:
„Die Beklagtenseite wehrt sich gegen ihre Inanspruchnahme durch Verwendung von Textbausteinen, die dem Gericht allzu gut bekannt sind. Die Beklagtenseite *(gemeint ist hier die Beklagte zu 3) HUK-Coburg) mag aber vielleicht nunmehr endlich zur Kenntnis nehmen, dass das Amtsgericht Essen-Steele in ständiger Rechtssprechung keinen Anhaltspunkt dafür sieht, die Sachverständigenrechnungen, die von dem Sachverständigen………… stammen, aufgrund der ständig wiederkehrenden, dadurch aber nicht überzeugender werdenden Abfolge immer gleicher Argumente der Beklagtenseite zu beanstanden, zu kürzen oder diesen zu widersprechen.
Die Beklagtenseite mag sich endlich damit abfinden, das für Sachverständige keine Gebührenordnung gilt. Wenn insbesondere die Beklagte zu 3) als eine Haftpflichtversicherung, die scheinbar ausreichend Geld hat, um die Versicherungssprämien für aussichtslose Prozesse wie diese zu verwenden, meint, dass es klare Vorgaben für Sachverständigengebühren geben müsse, so mag sie damit den Gesetzgeber nicht aber die Gerichte, die im Rahmen der geltenden Gesetze zu urteilen haben, beschäftigen.
Die Berechtigung der Gebührenforderung des Sachverständigen … ergibt sich nach der von diesem zugrunde gelegten Streitwertberechnung nach der Schadenssumme.
Die Berechtigung zum Ansatz der Nebenkosten ergibt sich aus dem zwischen dem Kläger und dem Sachverständigen … zustande gekommenen Vertrag.“
HR
@HR
Das Urteil des AG Essen-Steele ist doch geradezu hervorragend geeignet, den VN als Schädiger auf das Basartreiben seines Versicherers mit der gebotenen Deutlichkeit aufmerksam zu machen. Da helfen auch keine faulen Ausreden mehr zur Vorgehensweise des Sachverständigen, der versicherungsseitig als böser Bube abgestempelt wird, weil er es doch tatsächlich noch wagt, sich gegen solche rechtswidrigen Kürzungen zu wehren.
B.V.