Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,
hier und heute stellen wir noch eine historische Entscheidung des IV. Zivilsenates des BGH vor, aus der man erkennen kann, dass schon damals die Versicherer mit allen Tricks versucht hatten, sich aus der Haftung zu schleichen. Im konkreten Fall wollte die eintrittspflichtige Versicherung dies durch den Kunstkniff des „Betriebsschadens“ erreichen. Damit ist sie jedoch am BGH gescheitert. Interessant sind auch die Ausführungen zu den Sachverständigenkosten in Zusammenhang mit den Wiederherstellungskosten. In den damaligen AKBs hatten die Versicherer die Sachverständigenkosten noch nicht explizit ausgeschlossen. Demzufolge waren auch diese Kosten als Teil der Wiederherstellung zu ersetzen. Lest selbst das BGH-Urteil des IV. Zivilsenates vom 5.11.1997 – IV ZR 1/97 – und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße
Willi Wacker
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 1/97 Verkündet am: 05.11.1997
In dem Rechtsstreit
…
1.
Schäden, die nach dem Umkippen eines LKW durch das Aufschlagen auf den Boden entstehen, sind Unfallschäden und keine Betriebsschäden.
2.
Aufwendungen für ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung des Schadensumfangs gehören zu den erforderlichen Kosten der Wiederherstellung nach § 13 Abs. 5 AKB, sofern es sich nicht um einen Bagatellschaden handelt.
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Schmitz, den Richter Dr. Zopfs, die Richterin Dr. Ritter und die Richter Terno und Seiffert
auf die mündliche Verhandlung vom 5. November 1997
für Recht erkannt:
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 28. November 1996 wird zurückgewiesen.
2. Auf die Anschlußrevision der Klägerin wird das vorgenannte Urteil aufgehoben, soweit die Berufung der Klägerin in Höhe von 1.095,50 DM nebst 4% Zinsen hieraus seit 19. Dezember 1995 zurückgewiesen worden ist. Insoweit wird auf die Berufung der Klägerin das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 27. Juni 1996 dahin abgeändert, daß die Beklagte an die Klägerin weitere 1.095,50 DM nebst 4% Zinsen hieraus seit 19. Dezember 1995 zu zahlen hat.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, die ein Tiefbauunternehmen betreibt, unterhielt bei der Beklagten für einen LKW eine Fahrzeugvollversicherung mit einer Selbstbeteiligung von 1.000 DM. Am 30. September 1995 stürzte der LKW beim Abkippen von Bauschutt auf einem Auffüllplatz um. Durch das Aufschlagen auf den Boden entstand am LKW ein Schaden in Höhe von 36.467,03 DM, den die Klägerin durch ein Gutachten feststellen ließ. Sie verlangt von der Beklagten Ersatz des Fahrzeugschadens in Höhe von 35.467,03 DM und der Sachverständigenkosten von 1.095,50 DM.
Die Beklagte verweigert die Zahlung, weil ein nicht versicherter Betriebsschaden vorliege. Sie beruft sich auf § 12 Abs. 1 II e der Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB), der auszugsweise wie folgt lautet:
„(1)
Die Fahrzeugversicherung umfaßt die Beschädigung, die Zerstörung … des Fahrzeugs
…
II.
in der Vollversicherung darüber hinaus:
e)
durch Unfall, d.h. durch ein unmittelbar von außen her plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis; Brems-, Betriebs- und reine Bruchschäden sind keine Unfallschäden.“
Die Sachverständigenkosten müsse sie schon deshalb nicht tragen, weil sie keinen entsprechenden Auftrag erteilt habe.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte zum Ersatz des Fahrzeugschadens verurteilt und die Berufung wegen der Sachverständigenkosten und eines Teils des Zinsanspruchs zurückgewiesen. Die Beklagte erstrebt mit ihrer Revision die Abweisung der Klage. Die Klägerin verfolgt mit der Anschlußrevision den Anspruch auf Ersatz der Sachverständigenkosten weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet (I.), die Anschlußrevision der Klägerin hat Erfolg (II.).
I.
1.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts liegt hier ein Unfallschaden und kein vom Versicherungsschutz ausgenommener Betriebsschaden vor. Die Abgrenzung zwischen Betriebsschaden und Unfallschaden bereite seit jeher Schwierigkeiten, weil der Begriff Betriebsschaden unscharf sei. Wie dem Urteil des Bundesgerichtshofs in VersR 1969, 940 (Urteil vom 2. Juli 1969 – IV ZR 625/68) zu entnehmen sei, handele es sich bei dem durch den Aufprall auf den Erdboden entstandenen Schaden jedenfalls um einen versicherten Unfallschaden. Weiter führt das Berufungsgericht unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 6. März 1996 (IV ZR 275/95 – VersR 1996, 622 unter 3 b) aus, der durchschnittliche Versicherungsnehmer könne der Regelung, wonach Betriebsschäden keinen Versicherungsschutz genießen, nicht entnehmen, daß damit nicht der allgemeine Betrieb gemeint sei, sondern der Betrieb in besonderen Fällen und nicht nur solche Schäden, die durch normale Abnutzung, durch Material- und Bedienungsfehler an dem Fahrzeug oder seinen Teilen entstehen.
2.
Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, daß hier ein nach § 12 Abs. 1 II e AKB versicherter Unfallschaden vorliegt.
a)
Der Senat hat bereits früher entschieden, daß jedenfalls die nach dem Umkippen eines LKW durch das Aufschlagen auf den Boden und die durch den Sturz eines LKW in einen Abgrund entstandenen Schäden als Unfallschäden unter den Deckungsschutz der Fahrzeugversicherung fallen (Urteil vom 2. Juli 1969, aaO unter I 2; Urteil vom 23. Oktober 1968 – IV ZR 515/68 – VersR 1969, 32 f.). Daran ist festzuhalten, weil für die Auslegung von § 12 Abs. 1 II e AKB auf die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Versicherungsnehmers abzustellen ist (vgl. BGHZ 123, 83, 85).
Schon unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung und des Zwecks der Vollkaskoversicherung wird er zu dem Ergebnis gelangen, daß Schäden durch das Aufschlagen auf den Boden oder den Sturz in einen Abgrund ebenso Unfallschäden sind wie solche, die durch den Zusammenstoß mit einem Baum oder einem anderen Fahrzeug entstehen (vgl. dazu auch Knappmann in Prölss/Martin, VVG 25. Aufl. § 12 AKB Anm. 6a und b bb; Stiefel/Hofmann, Kraftfahrtversicherung 16. Aufl. § 12 AKB Rdn. 77, 78). In seiner Auffassung, daß Aufprallschäden nicht unter die Betriebsschäden einzuordnen sind, sieht er sich durch den in der Klausel gewählten engen sprachlichen Zusammenhang mit den Brems- und reinen Bruchschäden bestärkt. Dadurch wird der Eindruck erweckt, daß mit der Bestimmung ähnliche oder im wesentlichen gleichwertige Arten von Schäden vom Versicherungsschutz ausgenommen werden sollen. Aufprallschäden nach dem Umstürzen eines Kraftfahrzeugs sind aber nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers den Brems- und reinen Bruchschäden weder ähnlich noch gleichwertig.
b)
Da im vorliegenden Fall jedenfalls ein Unfallschaden anzunehmen ist, kommt es auf weitere Abgrenzungen nicht an. Das gilt insbesondere für die Frage, welche Schäden noch als Betriebsschäden anzusehen sind, obwohl sie durch ein Ereignis verursacht wurden, das die äußeren Merkmale eines Unfalls aufweist (vgl. Senatsurteil vom 23. Oktober 1968, aaO S. 33). Zu dieser Frage verhält sich auch das Senatsurteil vom 6. März 1996 (aaO) nicht, weil es auch in jener Entscheidung nicht auf sie ankam.
II.
Die Sachverständigenkosten sind der Klägerin zu ersetzen. Dabei handelt es sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht um einen nicht versicherten Vermögensschaden, sondern um einen nach den AKB zu ersetzenden Sachschaden.
Nach § 13 Abs. 5 AKB ersetzt der Versicherer bei Beschädigung des Fahrzeugs die erforderlichen Kosten der Wiederherstellung. Bei der Beschädigung einer Sache gehören die Aufwendungen für ein Sachverständigengutachten zur Ermittlung des Schadensumfangs zu den notwendigen Kosten der Wiederherstellung, sofern es sich nicht um einen Bagatellschaden handelt (vgl. auch BGH, Urteil vom 29. November 1988 – X ZR 112/87 – NJW-RR 1989, 953 unter II B, S. 956). Daß die erforderlichen Kosten der Wiederherstellung nach § 13 Abs. 5 AKB etwas anderes meinen, ist für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht ersichtlich. Das Gegenteil ergibt sich vielmehr aus § 13 Abs. 6 AKB. Diese Bestimmung nimmt bestimmte Kosten von der Ersatzpflicht des Versicherers aus, zu denen auch Kosten rechnen, die nach § 249 Satz 2 BGB zum Wiederherstellungsaufwand gehören (Mietwagenkosten, vgl. BGHZ 61, 346, 348). Sachverständigenkosten sind in dieser Bestimmung nicht genannt. Ob sich aus § 66 Abs. 2 VVG etwas anderes ergibt, kann offenbleiben. Diese Vorschrift ist jedenfalls zugunsten des Versicherungsnehmers abdingbar. In § 13 Abs. 5 und 6 AKB hat der Versicherer dem Versicherungsnehmer den Ersatz der erforderlichen Kosten der Wiederherstellung vertraglich versprochen und deren Umfang so bestimmt, daß die Sachverständigenkosten davon nicht ausgenommen sind. Überläßt der Versicherer es dem Versicherungsnehmer, den Sachverständigen zu beauftragen, hat er die Kosten zu ersetzen.
Da der Schaden hier erheblich war, war es erforderlich, zur Schadensermittlung ein Gutachten einzuholen.
Dr. Schmitz Dr. Zopfs Dr. Ritter
. Terno Seiffert
Vorinstanzen:
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 28.11.1996 – 8 U 2337/96
LG Regensburg, Entscheidung vom 27.06.1996 – 3 O 473/96