Hallo verehrte Captain-Huk-Leserschaft,
zum Wochenende melde ich mich zurück. Leider muss ich etwas kürzer treten. Nachfolgend stellen wir Euch hier ein Urteil aus Otterndorf zur konkreten Abrechnung gegen die LVM Versicherung vor. Der Geschädigte hatte sich gegen die willkürlichen Kürzungen durch den Versicherer bei der konkreten Schadensabrechnung zu Recht zur Wehr gesetzt. Die Versicherer – und in diesem Fall die LVM – versuchen doch allen Ernstes, Kürzungen bei einer konkreten Schadensabrechnung und bei tatsächlich entstandenen Verbringungskosten vorzunehmen. Das scheint wohl die Folge der jüngeren, nicht nachvollziehbaren Rechtsprechung des BGH zu sein. Auch die Frage der „Indizwirkung“ einer bezahlten bzw. unbezahlten Rechnung ist völlig abwegig, denn beide Rechnungen bilden einen Schaden des Geschädigten. Dieser Blog hatte bereits mehrfach auf diese Problematik hingewiesen und darauf verwiesen, dass der VI. Zivilsenat des BGH mit seiner „Indizwirkungsrechtsprechung“ selbst gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung verstößt. Die erkennende Richterin des AG Otterndorf hat die Sache zwar zuerst mit § 249 Abs. 2 BGB abgehandelt, ist dann aber – richtigerweise – ins Lager der Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 übergelaufen. Zu Recht hat das erkennende Gericht die Werkstatt auch als Erfüllungsgehilfen des Schädigers angenommen. Dementsprechend gehen Fehler des Erfüllungsgehilfen zu Lasten des Schädigers. Gleiches gilt für den Sachverständigen, denn auch das Prognoserisiko trägt der Schädiger. Lest selbst das Urteil und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße und ein schönes Wochenende
Willi Wacker
Amtsgericht
Otterndorf
2 C 36/17
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
…
Kläger
gegen
LVM Landwirtschaftlicher Versicherungsverein Münster a.G., vertr.d.d. Vorstand, dieser vertr. d.d. Vorstandsvorsitzenden Dr. Mathias Kleuker, Kolde-Ring 21, 48126 Münster
Beklagte
hat das Amtsgericht Otterndorf im Verfahren gem. § 495 a ZPO mit einer Erklärungsfrist bis zum 09.03.2017 am 14.03.2017 durch die Richterin am Amtsgericht K. für Recht erkannt:
1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 135,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24.02.2017 zu zahlen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 135,00 € festgesetzt.
Von der Darstellung des
Tatbestandes
wird gemäß § 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf restlichen Schadensersatz aus dem Unfallereignis vom 11.11.2016 gemäß §§ 7 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1, 249 ff. BGB i.V.m. § 115 VVG in Höhe von 135,00 € zu.
Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Parteien streiten lediglich noch darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die vollen Reparaturkosten, d.h. insbesondere auch die übrigen Lackierkosten in Höhe von 70,00 € netto sowie übrigen Verbringungskosten in Höhe von 65 € netto zu erstatten.
Der Kläger hat gegen den Beklagten sowohl einen Anspruch auf Erstattung der vollen Verbringungskosten in Höhe von 165,00 € netto als auch einen Anspruch auf Erstattung der vollen Kosten für Lackierarbeiten in Höhe von 927,50 € netto gemäß §§7 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1, 249 ff. BGB i.V.m. 115 VVG.
Es kann dahinstehen, ob diese Kosten in der vom Autohaus … abgerechneten Höhe tatsächlich angefallen sind. Denn sämtliche Reparaturkosten einschließlich der Verbringungskosten und der Lackierkosten sind als erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB anzusehen und daher von dem Beklagten zu erstatten. Dem Kläger als Geschädigten sind nämlich gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB auch Mehrkosten zu ersetzen, die ohne Schuld des Geschädigten durch tatsächlich nicht durchgeführte Maßnahmen der Reparaturwerkstatt entstehen. Der Schädiger trägt das sog. Werkstatt- und Prognoserisiko, falls den Geschädigten nicht ausnahmsweise hinsichtlich der gewählten Fachwerkstatt ein Auswahlverschulden trifft (vgl. BGH, NJW 1992, 302, 304; AG Köln, Urteil vom 24.04.2015 – 274 C 214/14 – zitiert nach juris Rn. 21). Dass letzteres hier der Fall ist, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die Reparaturwerkstatt ist nicht Erfüllungsgehilfe im Sinne von § 278 BGB des Geschädigten (AG Köln a.a.O.). Da der Schädiger gemäß § 249 Abs. 1 BGB grundsätzlich zur Naturalrestitution verpflichtet ist und § 249 Abs. 2 S. 1 BGB dem Geschädigten lediglich eine Ersetzungsbefugnis zuerkennt, vollzieht sich die Reparatur vielmehr in der Verantwortungssphäre des Schädigers. Würde der Schädiger die Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB selbst vornehmen, so träfe ihn gleichfalls das Werkstattrisiko (AG Düsseldorf, Urteil vom 21.11.2014 – 37 C 11789/11 – zitiert nach juris Rn. 15). Ebenso sind die begrenzten Kenntnis- und Einwirkungsmöglichkeiten des Geschädigten zu berücksichtigen: Sobald der Geschädigte das verunfallte Fahrzeug der Reparaturwerkstatt zwecks Reparatur übergeben hat, hat er letztlich keinen Einfluss mehr darauf, ob und inwieweit sodann unnötige oder überteuerte Maßnahmen vorgenommen werden (OLG Hamm, Urteil vom 31.01.1995 – 9 U 168/94; AG Norderstedt, Urteil vom 14.09.2012 – 44 C 164/12).
Die Ersatzfähigkeit von unnötigen Mehraufwendungen ist nur ausnahmsweise dann ausgeschlossen, wenn dem Dritten ein äußerst grobes Verschulden zur Last fällt, sodass die Mehraufwendungen dem Schädiger nicht mehr zuzurechnen sind (LG Hagen, Urteil vom 04.12.2009 – 8 O 97/09; AG Düsseldorf a.a.O. Rn. 17).
Letzteres ist vorliegend nicht ersichtlich. Für den Geschädigten als Laien dürfte nicht erkennbar gewesen sein, ob Verbringungskosten für den Transport seines Fahrzeugs zum Lackierbetrieb tatsächlich berechnet worden sind oder nicht. U.a. wurde bei dem Verkehrsunfall der Lack an der rechten hinteren Seitentür beschädigt, so dass eine Lackierung notwendig war. Ob der Lackierbetrieb im konkreten Fall über einen kostenlosen Bring- und Abholservice verfügt, konnte und musste der Geschädigte nicht wissen. Die in Rechnung gestellten Verbringungskosten stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem entstandenen Schaden.
Gleiches gilt für die in Rechnung gestellten Lackierarbeiten. Diese Kosten betragen insgesamt 927,50 €. Dass eine Lackierung notwendig war, stellt der Beklagte nicht in Abrede. Für den Kläger aber war nicht erkennbar, ob ein Kostenanteil von gerade einmal 7,5 % abzusetzen war, zumal er keine Kenntnis darüber hatte, wie sich die Kosten für die Lackierarbeiten konkret zusammensetzen. Ebenso musste er als Laie keine Fachkenntnisse darüber haben, ob angrenzenden Teile beilackiert werden mussten oder nicht.
Letztlich sind die Verbringungskosten und die Lackierkosten dem Geschädigten in Rechnung gestellt worden und damit im Rahmen einer konkreten Schadensberechnung zu erstatten.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB. Die Klage ist dem Beklagten am 23.02.2017 zugestellt worden, so dass Rechtshängigkeitszinsen ab dem 24.02.2017 zuzusprechen waren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Der Streitwert wurde nach § 3 ZPO festgesetzt.
Hallo, W.W.,
schön, dass Du wieder da bist.-
Dieses Urteil macht deutlich, dass die versicherungsseitigen Einwendungen schadenersatzrechtlich nicht erheblich waren.
Es ist erstaunlich, dass gerichtsseitig diesem Beurteilungskriterium, das ganz am Anfang der Klageverursachung steht, vielfach gerichtsseitig keine Beachtung gewidmet wird, zumal eine pauschal behauptete „Nichterforderlichkeit“ bzw. eine pauschal als erheblich behauptete „Überhöhung“ schadenersatzrechtlich ebenfalls nicht als „erheblich“ einzuordnen sind vor dem Hintergrund, dass der Sachverständige nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten ist und die hieraus sich ergebenden Rechtsfolgen dem Geschädigten nicht zum Nachteil gereichen dürfen. Da angefallene Gutachterkosten konkret abgerechnet wurden und nicht fiktiv abgerechnet werden sollen, ist keine Grundlage für eine Schätzung verfügbar, die dann auch noch nach Maßgabe durch den besonders freigestellten Tatrichter dem Geschädigten Schaden zufügen würde. Entscheidungserheblich ist allerdings nach wie vor die Respektierung des § 249 S.1 BGB und seine sachbedingte Zuordnung. Es bleibt, wie dieses Urteil deutlich macht, dabei, dass 100 % Haftung 100 % Schadenersatz bedingen und nicht einen Cent weniger.
Cornelius v. d. S.
W.W. „Die erkennende Richterin des AG Otterndorf hat die Sache zwar zuerst mit § 249 Abs. 2 BGB abgehandelt, …“
Die Richterin hat korrekt ausgeführt – Schadensersatz dem Grunde nach:
„Denn sämtliche Reparaturkosten einschließlich der Verbringungskosten und der Lackierkosten sind als erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB anzusehen und daher von dem Beklagten zu erstatten.“
Zum besseren Verständnis umformuliert: Denn sämtliche Reparaturen einschließlich der Verbringung und der Lackierung sind als erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB anzusehen und (daher) zur Durchführung der Reparatur als notwendige Kosten von dem Beklagten zu erstatten.
Hier sieht man vergleichsweise einmal den deutlichen Unterschied zu Schrotturteilen, die mit der vermeintlich erforderlichen Anwendung des § 287 ZPO die Unfallopfer rechtsbeugend benachteiligen. Der § 287 ZPO hat bei dieser Art der gerichtlichen Auseinanderzetzung überhaupt nichts zu suchen, es sei denn, ein Gericht legt es von vornherein darauf an, dem Geschädigten zu schaden oder vor dem rechtswidrigen Vorgehen einiger Autoversicherer einfach die Augen zu verschließen. Außerdem darf man den Solidaritätsfaktor nicht unterschätzen, wenn es um die Klage gegen eine Versicherung geht, bei welcher der Richter oder die Richterin selbst versichert ist. Hierzu hat sich bei augenfällig fragwürdigen Urteilen bisher noch kein Richter und keine Richterin geäußert. Dass insoweit die Besorgnis der Befangenheit greifen könnte, ist jedoch nicht von der Hand zu weisen.
LUPUS