Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,
heute stellen wir Euch noch ein Urteil aus Völklingen an der Saar zu den Sachverständigenkosten gegen die LVM Versicherung vor. Bekanntlich liegt Völklingen im Bereich des Landgerichts Saarbrücken. Die Rechtsprechung der Berufungskammer des LG Saarbrücken, der sogenannten Freymann-Kammer, ist bei den dortigen Amtsgerichten bekannt. Gleichwohl sind einige Richter und Richterinnen nicht gewillt, der Rechtsprechung des LG Saarbrücken zu folgen, sondern richten sich nach der übergeordneten Rechtsprechung des Saarländischen Oberlandesgerichtes. So war es auch bei dem Amtsrichter der 5. Zivilabteilung des AG Völklingen in dem Rechtsstreit des Geschädigten gegen die LVM-Versicherung Münster. Insgesamt handelt es sich daher um eine positiv zu bewertende Entscheidung des AG Völklingen. Aber ein Wermutstropfen ist leider doch zu beklagen. Leider wurde wieder nach § 249 Abs. 2 BGB entschieden, obwohl auf der Basis einer Rechnung konkret abgerechnet wurde. Zum anderen wurde wieder von „Gebühren“ gesprochen, obwohl der Sachverständige seine Kosten berechnet hat. Ansonsten handelt es sich aber um eine positive Entscheidung auf der Grundlage der Rechtsprechung des OLG Saarbrücken. Wieder wurde der Berufungskammer des LG Saarbrücken mit ihrer kritisch zu betrachtenden Rechtsprechung zu den Sachverständigenkosten die Gefolgschaft – zu Recht – verweigert. Das müsste der Freymann-Kammer doch zu denken geben, oder? Lest selbst das Urteil des AG Völklingen vom 11.1.2017 und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße und einen schönen Feiertag
Willi Wacker
5 C 361/16 (14) Verkündet am 11.01.2017
Amtsgericht Völklingen
U r t e i l
I m N a m e n d e s V o l k e s
In dem Rechtsstreit
…
Kläger
gegen
LVM Landwirtschaftlicher Versicherungsverein Münster a. G., vertr. d. d. Vorstand, Kolde-Ring 21, 48126 Münster
Beklagte
hat das Amtsgericht Völklingen
durch den Richter am Amtsgericht F.
im schriftlichen Verfahren mit einer Erklärungsfrist bis zum 21.12.2016
am 11.01.2017 für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 43,55 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.09.2014 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Auf die Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 313 a Absatz 1, Satz 1 ZPO verzichtet.
Entscheidungsgründe
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und 2, 18 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 VVG.
Die alleinige gesamtschuldnerische Haftung der Beklagtenseite ist unstreitig.
Der Kläger verfügt auch über die notwendige Aktivlegitimation, nachdem der Sachverständige seine Ansprüche aus der Abtretung mit Schriftsatz vom 11.03.2015 an den Kläger rückübertragen hat.
Der Höhe nach beläuft sich der Anspruch des Klägers nicht nur auf den von der Beklagten bereits regulierten Betrag.
1.
Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Ersatz von Sachverständigenkosten in Höhe von insgesamt 798,01 €. Unter Berücksichtigung der vorprozessualen Zahlung der Beklagten in Höhe von 754,46 € war daher bezüglich der Sachverständigenkosten noch ein weiterer Betrag in Höhe von 43,55 € zuzusprechen.
Grundsätzlich kann ein Unfallgeschädigter einen Sachverständigen mit der Schätzung des Schadens an seinem durch den Unfall beschädigten PKW beauftragen und vom Schädiger nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als Herstellungsaufwand den Ersatz der objektiv erforderlichen Sachverständigenkosten verlangen (so OLG Saarbrücken, Urteil vom 08.05.2014, Az.: 4 U 61/13, mit weiteren Nachweisen).
Dabei sind als erforderlich diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde (so OLG Saarbrücken, Urteil vom 08.05.2014, Az.: 4 U 61/13, mit weiteren Nachweisen).
Wenn der Geschädigte die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann, so ist er nach dem Begriff des Schadens und dem Zweck des Schadensersatzes wie auch nach dem letztlich auf § 242 BGB zurückgehenden Rechtsgedanken des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das Gebot zu wirtschaftlich vernünftiger Schadensbehebung verlangt jedoch vom Geschädigten nicht, zu Gunsten des Schädigers zu sparen oder sich in jedem Fall so zu verhalten, als ob er den Schaden selbst zu tragen hätte (so OLG Saarbrücken, Urteil vom 08.05.2014, Az.: 4 U 61/13, mit weiteren Nachweisen).
Bei der Prüfung der Frage, ob der Geschädigte den Aufwand zur Schadensbeseitigung in vernünftigen Grenzen gehalten hat, ist eine subjektbezogene Schadensbetrachtung anzustellen, d.h. Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (so OLG Saarbrücken, Urteil vom 08.05.2014, Az.: 4 U 61/13, mit weiteren Nachweisen).
Nur wenn der Geschädigte erkennen kann, dass der von ihm ausgewählte Sachverständige Honorarsätze für seine Tätigkeit verlangt, die die in der Branche üblichen Preise deutlich übersteigen, gebietet das schadensrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot, einen zur Verfügung stehenden günstigeren Sachverständigen zu beauftragen (so OLG Saarbrücken, Urteil vom 08.05.2014, Az.: 4 U 61/13, mit weiteren Nachweisen).
Es muss jedoch nach der Auffassung des Gerichts festgestellt werden, dass es dem Geschädigten eines Verkehrsunfalls schlicht und einfach nicht möglich ist, sich über die entstehenden Kosten für die Erstellung des Sachverständigengutachtens vorab ausreichend zu informieren.
Selbst wenn der Geschädigte zwei oder drei Sachverständige anrufen würde, würde es ihm nicht gelingen, ausreichende Angaben und insbesondere aussagekräftige Angebote bezüglich der entstehenden Kosten zu erhalten.
Die Sachverständigengebühren werden von vielen Sachverständigen anhand der Höhe des Schadens pauschal berechnet. Da aber die Höhe des Schadens zum Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen noch nicht feststeht, ist eine Feststellung der voraussichtlich entstehenden Gebühren des Sachverständigen praktisch ausgeschlossen. Dies gilt auch bezüglich der Sachverständigen, die nicht pauschal nach der Höhe des Schadens abrechnen. Auch der Zeitaufwand, nach dem diese Sachverständigen abrechnen, steht nämlich bei der Beauftragung des Sachverständigen nicht fest. Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls kann regelmäßig nicht selbst schätzen, welchen Zeitaufwand der Sachverständige für die Erstellung des Gutachtens benötigt. Auch der Sachverständige selbst kann vor der Besichtigung des Wagens den wahrscheinlichen Zeitaufwand nicht angeben, weil sich erst bei der Besichtigung des Wagens der tatsächliche Umfang des Schadens zeigt.
Es ist einem Geschädigten auch nicht zuzumuten, vor der Beauftragung eines Sachverständigen mit dem Fahrzeug eine Werkstatt aufzusuchen, um dort die ungefähre Schadenshöhe in Erfahrung zu bringen. Unabhängig davon, dass ungefähre Angaben einer Werkstatt auch nicht wirklich weiterhelfen würden, würde der Geschädigte mit einer solchen Vorgehensweise auch Gefahr laufen, weitere Kosten zu verursachen. Die meisten Werkstätten werden nämlich kaum bereit sein, eine Kostenschätzung ohne entsprechende Bezahlung zu erstellen. Immerhin ist eine derartige Schätzung für eine Werkstatt mit einem nicht unerheblichen Aufwand verbunden, weil vor einer Schätzung der Schadenshöhe erst der Umfang der Beschädigungen festgestellt werden müsste.
Es kann auch nicht unterstellt werden, dass der Geschädigte vor der Beauftragung eines Sachverständigen ohnehin eine Werkstatt aufsucht. Vielmehr ist es so, dass viele Geschädigte nach einem Unfall zunächst einen Rechtsanwalt aufsuchen, der dann darauf hinweist, dass der Schadensumfang durch einen Sachverständigen festgestellt werden muss.
Im Ergebnis hat ein Geschädigter regelmäßig praktisch keine Möglichkeiten, die tatsächlich entstehenden Sachverständigengebühren vor der Beauftragung des Sachverständigen zu ermitteln.
Vor diesem Hintergrund ist dem Geschädigten aber auch ein Vergleich mit den Gebühren anderer Sachverständiger nicht möglich.
Der Geschädigte könnte lediglich in Erfahrung bringen, ob von dem jeweiligen Sachverständigen die Gebühren pauschal oder nach dem Zeitaufwand berechnet werden. Aus diesen Feststellungen können jedoch keine Rückschlüsse auf die Höhe der späteren Rechnung gezogen werden.
Unter Berücksichtigung dieser Schwierigkeiten ist nach der Auffassung des Gerichts der von dem Sachverständigen in Rechnung gestellte Betrag jedenfalls im Verhältnis zum Kläger als erforderlicher Herstellungsaufwand anzusehen.
Ob die streitgegenständlichen Sachverständigengebühren objektiv überhöht oder nicht überhöht sind, kann indes nach dem oben Gesagten dahinstehen.
Wie oben dargelegt konnte der Kläger im vornherein nicht erkennen, dass der Sachverständige evtl. überhöhte Kosten abrechnen würde.
Auch nach der Vorlage der Rechnung des Sachverständigen musste der Kläger keine Bedenken bezüglich der Höhe der Rechnung des Sachverständigen haben.
Dem Kläger kann nicht vorgeworfen werden, dass er nicht über umfangreiche rechtliche Kenntnisse bezüglich der Abrechnung von Sachverständigengebühren verfügt. Über ein derartiges Spezialwissen (verschiedene Abrechnungsmöglichkeiten, Konsequenzen der BVSK-Honorarbefragung) verfügen praktisch nur in diesem Bereich tätige Juristen und Sachverständige. Es muss nicht weiter erörtert werden, dass bei einem „Normalbürger“, es muss auf den verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten und nicht auf Juristen abgestellt werden, derartige Kenntnisse nicht ansatzweise vorhanden sind.
Dem Schädiger verbleibt in jedem Falle die Möglichkeit darzulegen und ggf. zu beweisen, dass der Geschädigte gegen seine Pflicht zur Schadensminderung aus § 254 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB verstoßen hat, indem er bei der Schadensbeseitigung Maßnahmen unterlassen hat, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Schadensminderung ergriffen hätte. Allein der Umstand, dass die vom Schadensgutachter vorliegend abgerechneten Kosten evtl. zu hoch sind, rechtfertigt die Annahme eines solchen Verstoßes des Klägers allerdings nicht (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 08.05.2014, Az.: 4 U 61/13, mit weiteren Nachweisen).
Die Zinsentscheidung folgt aus den §§ 286, 288 BGB.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Absatz 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit resultiert aus §§ 708 Nr. 11, 1. Alt, 713 ZPO.
Der Streitwert des Verfahrens wird auf 43,55 € festgesetzt.
Hallo, Willi Wacker,
im Ergebnis schön. Jedoch kann man den Eindruck gewinnen, dass sich hier der Richter quasi noch entschuldigen will für das Ergebnis seines Urteils. Die Vorgehensweise der LVM-Versicherung bzw. der versicherungsseitige Vortrag werden so gut wie überhaupt nicht angesprochen. So kann man das Übel nicht bei der Wurzel packen. Kein Wunder, dass dann auch diese Versicherung zum Wiederholungstäter wird.
Lori
„Grundsätzlich kann ein Unfallgeschädigter einen Sachverständigen mit der Schätzung des Schadens an seinem durch den Unfall beschädigten PKW beauftragen und vom Schädiger nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als Herstellungsaufwand den Ersatz der objektiv erforderlichen Sachverständigenkosten verlangen (so OLG Saarbrücken, Urteil vom 08.05.2014, Az.: 4 U 61/13, mit weiteren Nachweisen).“
Objektiv erforderliche Sachverständigenkosten sind jedoch bestimmt nicht das, was Versicherer regelmäßig mit subjektiv gefärbten Pauschalbehauptungen vortragen und das müsste jedes Gericht eigentlich auch erkennen können. Deshalb sind bekanntlich solche Einwendungen auch nicht erheblich. Was aber schadenersatzrechtlich nicht erheblich ist, muss das Gericht bei seiner Entscheidungsfindung auch nicht in Betracht ziehen. Diesem Umstand wird aber bisher leider kaum Rechnung getragen. Die Verifizierung der Ursachen dafür dürfte interessant sein oder was meint Ihr?
Logopäde
Das Urteil enthält zumindest eine vorzüglich dargestellte Überlegungskette von schadenersatzrechtlicher Bedeutung.
„Es muss jedoch nach der Auffassung des Gerichts festgestellt werden, dass es dem Geschädigten eines Verkehrsunfalls schlicht und einfach nicht möglich ist, sich über die entstehenden Kosten für die Erstellung des Sachverständigengutachtens vorab ausreichend zu informieren.
Selbst wenn der Geschädigte zwei oder drei Sachverständige anrufen würde, würde es ihm nicht gelingen, ausreichende Angaben und insbesondere aussagekräftige Angebote bezüglich der entstehenden Kosten zu erhalten.
Die Sachverständigengebühren werden von vielen Sachverständigen anhand der Höhe des Schadens pauschal berechnet. Da aber die Höhe des Schadens zum Zeitpunkt der Beauftragung des Sachverständigen noch nicht feststeht, ist eine Feststellung der voraussichtlich entstehenden Gebühren des Sachverständigen praktisch ausgeschlossen.
Im Ergebnis hat ein Geschädigter regelmäßig praktisch keine Möglichkeiten, die tatsächlich entstehenden Sachverständigengebühren vor der Beauftragung des Sachverständigen zu ermitteln.
Vor diesem Hintergrund ist dem Geschädigten aber auch ein Vergleich mit den Gebühren anderer Sachverständiger nicht möglich.
Unter Berücksichtigung dieser Schwierigkeiten ist nach der Auffassung des Gerichts der von dem Sachverständigen in Rechnung gestellte Betrag jedenfalls im Verhältnis zum Kläger als erforderlicher Herstellungsaufwand anzusehen.
Ob die streitgegenständlichen Sachverständigengebühren objektiv überhöht oder nicht überhöht sind, kann indes nach dem oben Gesagten dahinstehen.
Wie oben dargelegt konnte der Kläger im vornherein nicht erkennen, dass der Sachverständige evtl. überhöhte Kosten abrechnen würde.
Dem Kläger kann nicht vorgeworfen werden, dass er nicht über umfangreiche rechtliche Kenntnisse bezüglich der Abrechnung von Sachverständigengebühren verfügt.
Über ein derartiges Spezialwissen (verschiedene Abrechnungsmöglichkeiten, Konsequenzen der BVSK-Honorarbefragung) verfügen praktisch nur in diesem Bereich tätige Juristen und Sachverständige.
Es muss nicht weiter erörtert werden, dass bei einem „Normalbürger“, es muss auf den verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten und nicht auf Juristen abgestellt werden, derartige Kenntnisse nicht ansatzweise vorhanden sind.
Dem Schädiger verbleibt in jedem Falle die Möglichkeit darzulegen und ggf. zu beweisen, dass der Geschädigte gegen seine Pflicht zur Schadensminderung aus § 254 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB verstoßen hat, indem er bei der Schadensbeseitigung Maßnahmen unterlassen hat, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Schadensminderung ergriffen hätte.
Allein der Umstand, dass die vom Schadensgutachter vorliegend abgerechneten Kosten evtl. zu hoch sind, rechtfertigt die Annahme eines solchen Verstoßes des Klägers allerdings nicht (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 08.05.2014, Az.: 4 U 61/13, mit weiteren Nachweisen).“
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