Hallo verehrte Captain-Huk-Leserschaft,
auch heute stellen wir Euch hier ein weiteres BGH-Urteil mit Hinweis zur Beweiserleichterung für den Kläger unter Bezugnahme auf § 287 ZPO vor. In diesem Fall hatte der III. Zivilsenat am 21.1.2016 entschieden. Zu diesem Zeitpunkt hatte der VI. Zivilsenat bereits mehrfach im Rahmen des § 287 ZPO den „besonders freigestellten Tatrichter“ herausgestellt, der im Rahmen der Schadenshöhenschätzung berechtigt sei, auch den durch Urkunden, sprich: Sachverständigenkostenrechnung, Mietwagenrechnung oder Werkstattrechnung belegten und bewiesenen Schaden zu kürzen. Mit dieser Rechtsprechung weicht der VI. Zivilsenat erheblich von der herrschenden Rechtsprechung der übrigen Zivilsenate des BGH ab, so dass in der BGH-Rechtsprechung die Rechtsprechung des VI. Zivilsenates des BGH als Mindermeinung angesehen werden muss. Der Kläger des vor dem III. Zivilsenat entschiedenen Rechtsstreits hat die Revision zwar verloren, jedoch aus anderen Gründen. Entscheidend bleibt die Aussage des III. Zivilsenats des BGH, wonach die erforderliche Feststellung des Ursachenzusammenhangs zur haftungsausfüllenden Kausalität gehört, so dass dem Geschädigten die Beweiserleichterung des § 287 ZPO zugute kommt, mithin § 287 ZPO eine Norm der Beweiserleichterung für den Kläger ist. Lest selbst die Revisionsentscheidung des III. Zivilsenats und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße und ein schönes Wochenende
Willi Wacker
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 171/15 Verkündet am: 21. Januar 2016
in dem Rechtsstreit
…
BGH, Urteil vom 21. Januar 2016 – III ZR 171/15 – OLG Naumburg
. LG Magdeburg
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 21. Januar 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Herrmann und die Richter Wöstmann, Tombrink, Dr. Remmert und Reiter
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 29. April 2015 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger nimmt den beklagten Notar aus Amtshaftung auf Schadensersatz in Anspruch.
Die I. mbH und die … I. KG planten, einen größeren Altbaukomplex in M. zu sanieren und die sanierten Wohnungen als Eigentumswohnungen zu verkaufen. In diesem Zusammenhang entwickelte der Beklagte den Entwurf eines notariellen Angebots zum Abschluss eines Wohnungskaufvertrags. Darin bietet der Käufer den vorgenannten Gesellschaften an, mit ihm einen in dem Entwurf wiedergegebenen Kaufvertrag abzuschließen. Weiter heißt es in dem Angebotsentwurf:
„An dieses Angebot hält sich Käufer bis zum … gebunden. Auch danach soll das Angebot weiter gelten, bis es von dem Käufer gegenüber dem Notar S. [= Beklagter] nachstehend Vollzugsnotar genannt, widerrufen wird. Der Widerruf muss durch eingeschriebenen Brief erfolgen. Der Vollzugsnotar ist vom Verkäufer zur Entgegennahme des Widerrufs bevollmächtigt worden.
Der Kaufvertrag kommt bereits dadurch zustande, dass der Verkäufer vor dem Vollzugsnotar eine Annahmeerklärung beurkunden lässt. Der Zugang der Annahmeerklärung ist nicht erforderlich. Es genügt, wenn diese „demnächst“ dem Käufer zugeht.“
Am 29. Mai 2006 beurkundete der Notar T. in M. das Angebot des Klägers zum Abschluss eines Wohnungskaufvertrags entsprechend dem vorgenannten Entwurf. In die Leerstelle wurde eingetragen, dass der Käufer an das Angebot bis zum 4. Juli 2006 gebunden ist. Der Kaufpreis betrug 81.279 €. Am 10. August 2006 beurkundete der Beklagte die Annahme des Angebots durch die Verkäufer. Der Kaufvertrag wurde durchgeführt. Der Kläger wurde Eigentümer der Wohnung.
Im Rahmen seiner persönlichen Anhörung am 29. Januar 2014 in einem Rechtsstreit gegen die Rechtsnachfolgerin der I. mbH gab der Kläger folgende Erklärung ab:
„Wenn im August 2006 der Notar gesagt hätte, die Erklärung sei noch nicht hinreichend, um Eigentümer zu werden, ich müsse die Erklärung nochmals abgeben, so hätte ich dies wahrscheinlich gemacht, wenn sich an den Argumenten, die für den Kauf sprachen, nichts geändert hätte. In meinen persönlichen Verhältnissen gab es jedenfalls keine Änderung.“
Der Kläger begehrt die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 68.274,36 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen lastenfreie Übertragung der Eigentumswohnung sowie die Feststellung der Verpflichtung des Beklagten zum Ausgleich des Weiteren mit dem Erwerb und der Finanzierung der Wohnung zusammenhängenden Vermögensschadens. Er vertritt die Auffassung, der Beklagte hätte ihn vor Beurkundung der Annahmeerklärung darauf hinweisen müssen, dass das Kaufangebot bereits erloschen sei und die Annahme der Verkäufer ein neues Angebot darstelle, das er, der Kläger, seinerseits hätte annehmen müssen, damit ein wirksamer Kaufvertrag zustande komme. Er behauptet, bei einem entsprechenden Hinweis hätte er von dem Kauf Abstand genommen.
Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Haftung des Notars scheitere bereits daran, dass er nicht schuldhaft nach § 19 Abs. 1 Satz 1 BNotO gehandelt habe. Aufgrund der vom Kläger im Rahmen seiner persönlichen Anhörung am 29. Januar 2014 in dem Rechtsstreit gegen den Verkäufer abgegebenen Erklärung sei überdies davon auszugehen, dass ihm kein kausaler Schaden entstanden sei.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision hat in der Sache keinen Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Kläger stehe gegen den Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 19 Abs. 1 Satz 1 BNotO nicht zu. Zur Begründung werde zunächst gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO auf die in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils dargelegten zutreffenden Erwägungen des Landgerichts Bezug genommen. Ergänzend gelte Folgendes:
Der Beklagte habe nicht gegen seine aus § 4, § 17 Abs. 2 BeurkG, § 14 Abs. 2 BNotO folgenden Belehrungspflichten verstoßen, indem er die Annahme des Antrags des Klägers beurkundet sowie den Vertrag vollzogen und den Kläger nicht darauf hingewiesen habe, dass dessen Kaufvertragsangebot unwirksam gewesen sei. Zwar habe der Bundesgerichtshof mit Versäumnisurteil vom 7. Juni 2013 (V ZR 10/12, NJW 2013, 3434) entschieden, dass Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, wonach das Angebot des Käufers unbefristet fortbestehe und vom Verkäufer jederzeit angenommen werden könne, auch dann mit § 308 Nr. 1 AGB unvereinbar seien, wenn das Angebot nicht bindend, sondern widerruflich sei. Dies sei für den Beklagten jedoch im Zeitpunkt der Beurkundung nach dem seinerzeitigen Stand von Rechtsprechung und Literatur nicht erkennbar gewesen.
II.
Das Berufungsurteil hält den Angriffen der Revision stand. Zwar mag der Beklagte eine ihm gegenüber dem Kläger obliegende Hinweis- und Belehrungspflicht (§ 17 Abs. 1 BeurkG, § 14 Abs. 1 Satz 2 BNotO) fahrlässig verletzt haben (vgl. hierzu in zwei Parallelsachen Senat, Urteile vom 21. Januar 2016 – III ZR 159/15, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen, und III ZR 160/15).
Jedoch ist revisionsrechtlich davon auszugehen, dass eine schuldhafte Pflichtverletzung des Beklagten jedenfalls nicht kausal für einen Schaden des Klägers geworden ist:
1. Nach den im Berufungsurteil teilweise wiedergegebenen und im Übrigen in Bezug genommenen Feststellungen des Landgerichts hat sich der Kläger in seiner persönlichen Anhörung vom 29. Januar 2014 in einem von ihm vor dem Landgericht M. geführten Rechtsstreit gegen die Rechtsnachfolgerin der I. mbH in Bezug auf den vorliegend betroffenen Wohnungskauf dahingehend geäußert, er hätte die Erklärung wahrscheinlich nochmals abgegeben, wenn im August 2006 der Notar gesagt hätte, die Erklärung sei noch nicht hinreichend, um Eigentümer zu werden, er müsse die Erklärung nochmals abgeben, und wenn sich an den Argumenten für den Kauf nichts geändert hätte; in seinen persönlichen Verhältnissen habe es keine Änderung gegeben.
Das Landgericht ist auf der Grundlage dieser Angaben des Klägers davon ausgegangen, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass der Kläger nach Ablauf der Annahmefrist und zum Zeitpunkt der Annahmeerklärung durch den Verkäufer nicht immer noch an der Durchführung des Vertrags interessiert gewesen wäre, so dass aus diesem Grund dem Kläger kein kausaler Schaden entstanden sei (S. 7 f des Urteils des Landgerichts).
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Auffassung, dem Kläger stehe gegen den Beklagten kein Schadensersatzanspruch aus § 19 BNotO zu, nach § 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO auch auf die vorgenannten, aus seiner Sicht zutreffenden Erwägungen des Urteils des Landgerichts, die es in den Gründen des Berufungsurteils ausdrücklich wiedergegeben hat, Bezug genommen (S. 3, 5 des Berufungsurteils). Es hat die Klageabweisung mithin nicht nur auf einen fehlenden schuldhaften Verstoß des Beklagten gegen die ihm obliegenden notariellen Belehrungspflichten gestützt, sondern – selbständig tragend – auch auf die fehlende Kausalität einer etwaigen Amtspflichtverletzung des Beklagten für den vom Kläger geltend gemachten Schaden.
Die Revision greift weder die Feststellungen noch die Rechtsausführungen der Vorinstanzen zur fehlenden Kausalität an. Sie beschränkt sich auf die Rüge, Land- und Oberlandesgericht hätten zu Unrecht eine schuldhafte Amtspflichtverletzung durch den Beklagten verneint.
2. a) Zur Beantwortung der Frage, welchen Schaden eine Amtspflichtverletzung zur Folge hat, ist in den Blick zu nehmen, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten genommen hätten und wie die Vermögenslage des Betroffenen sein würde, wenn der Notar die Pflichtverletzung nicht begangen hätte (Senat, Urteil vom 10. Juli 2008 – III ZR 292/07, WM 2008, 1753 Rn. 14 mwN; Wöstmann in Ganter/Hertel/Wöstmann, Handbuch der Notarhaftung, 3. Aufl., Rn. 2185). Die erforderliche Feststellung dieses Ursachenzusammenhangs gehört zur haftungsausfüllenden Kausalität, so dass dem Geschädigten die Beweiserleichterung des § 287 ZPO zugute kommt (BGH aaO mwN; Wöstmann aaO).
b) Nach § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung wahr oder nicht wahr ist. Diese Würdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, an dessen Feststellungen das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden ist. Dieses kann lediglich überprüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen und die Grenzen des § 286 ZPO gewahrt hat.
Damit unterliegt der Nachprüfung nur, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und den etwaigen Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze- und Erfahrungssätze verstößt (z.B. Senat, Urteil vom 10. November 2011 – III ZR 81/11, WM 2011, 2353 Rn. 16 mwN; BGH, Urteile vom 24. Juni 2008 – VI ZR 234/07, NJW 2008, 2910 Rn. 18 und vom 19. April 2005 – VI ZR 175/04, VersR 2005, 945; MüKoZPO/Krüger, 4. Aufl., § 559 Rn. 8 f). Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise für eine Beweiswürdigung, die – wie hier – nach § 287 ZPO vorzunehmen ist (BGH, Urteile vom 24. Juni 2008 aaO und vom 19. April 2005 aaO; MüKoZPO/Prütting, 4. Aufl., § 287 Rn. 35; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 287 Rn. 8).
c) Nach diesem Maßstab erweist sich die Wertung der Vorinstanzen als
fehlerfrei. Aus ihren – von der Revision nicht angegriffenen – Feststellungen ergibt sich eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Kläger im maßgeblichen Zeitraum angesichts der Unwirksamkeit seines ursprünglichen Angebots vom 29. Mai 2006 nach Ablauf der bis zum 4. Juli 2006 währenden Annahmefrist (vgl. hierzu BGH, Versäumnisurteil vom 7. Juni 2013 – V ZR 10/12, NJW 2013, 3434 Rn. 13 ff) ein erneutes Angebot zum Abschluss des Wohnungskaufvertrags abgegeben hätte mit der Folge, dass zwischen ihm und den Verkäufern ein wirksamer Kaufvertrag zustande gekommen wäre. Der Kläger hat in seiner persönlichen Anhörung vor dem Landgericht M. am 29. Januar 2014 sinngemäß bekundet, in seinen persönlichen Verhältnissen habe es im August 2006 seit der Beurkundung seines Kaufangebots am 29. Mai 2006 keine Änderung gegeben; er hätte „die Erklärung“, d.h. sein notarielles Angebot vom 29. Mai 2006, wahrscheinlich erneut abgegeben, wenn ihm im August 2006 der Notar gesagt hätte, er müsse dies tun, um Eigentümer zu werden, und wenn sich an den Argumenten, die für den Kauf gesprochen hätten, nichts geändert hätte. Für eine solche Änderung der aus Sicht des Klägers für einen Kauf sprechenden Argumente im Zeitraum vom 29. Mai 2006 bis August 2006 ist nichts ersichtlich. Vor diesem Hintergrund ist die Würdigung der Vorinstanzen, es sei kein kausaler Schaden entstanden, weil das Interesse des Klägers an dem Erwerb der Eigentumswohnung auch nach dem Ablauf der Annahmefrist fortbestanden habe, rechtlich möglich. Sie verstößt auch nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Anhaltspunkte, dass sich das Landgericht und das Oberlandesgericht mit dem Prozessstoff und den etwaigen Beweisergebnissen nicht umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt haben, bringt die Revision nicht vor und sind auch sonst auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts und Parteivortrags nicht ersichtlich.
Herrmann Wöstmann Tombrink
. Remmert Reiter
Vorinstanzen:
LG Magdeburg, Entscheidung vom 10.12.2014 – 10 O 2127/13 –
OLG Naumburg, Entscheidung vom 29.04.2015 – 5 U 10/15 –