Neues BGH-Urteil zur fiktiven Schadensabrechnung – Stundenverrechnungssätze der markengebundenen Fachwerkstatt (VI ZR 337/09 vom 22. 06.2010)

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

VI ZR 337/09 Verkündet am:

22. Juni 2010

a) Der Geschädigte leistet dem Gebot der Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat.

b) Der Schädiger kann den Geschädigten aber unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen „freien Fachwerkstatt“ verweisen, wenn er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden.

c) Unzumutbar ist eine Reparatur in einer „freien Fachwerkstatt“ für den Geschädigten insbesondere dann, wenn sie nur deshalb kostengünstiger ist, weil ihr nicht die marktüblichen Preise dieser Werkstatt, sondern auf vertraglichen Vereinbarungen mit dem Haftpflichtversicherer des Schädigers beruhende Sonderkonditionen zugrunde liegen.

BGH, Urteil vom 22. Juni 2010 – VI ZR 337/09 – LG Hannover
                                                                           AG Wennigsen

Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren mit Schriftsatzfrist bis 20. Mai 2010 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Wellner, Pauge und Stöhr und die Richterin von Pentz

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 11. November 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger nimmt die Beklagten auf Ersatz restlichen Sachschadens aus einem Verkehrsunfall vom 28. Januar 2008 in Anspruch, bei dem sein Fahrzeug, ein zum Unfallzeitpunkt mehr als sieben Jahre alter Mercedes-Benz mit einer Laufleistung von über 114.451 km, beschädigt wurde. Die Haftung des Beklagten zu 1 als Fahrer des anderen unfallbeteiligten Fahrzeugs und der Beklagten zu 2 als Haftpflichtversicherer steht dem Grunde nach außer Streit. Die Parteien streiten nur noch um die Frage, ob sich der Kläger im Rahmen der fiktiven Abrechnung seines Fahrzeugschadens auf niedrigere Stundenverrechnungssätze einer von der Beklagten zu 2 benannten, nicht markengebundenen Reparaturwerkstatt verweisen lassen muss oder ob er auf der Grundlage des von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Vertragswerkstatt erstattet verlangen kann.

Die Beklagte zu 2 legte ihrer Schadensberechnung die günstigeren Stundenverrechnungssätze der von ihr benannten Reparaturwerkstatt zugrunde und kürzte deshalb die im Sachverständigengutachten ausgewiesenen Reparaturkosten um insgesamt 883,24 €. Dieser Differenzbetrag nebst Zinsen sowie vorgerichtliche Anwaltskosten sind Gegenstand der vorliegenden Klage.

Das Amtsgericht hat die Klage bis auf einen Betrag in Höhe von 12,75 € abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, dass der Kläger seiner fiktiven Schadensabrechnung nicht die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen dürfe. Vielmehr müsse er sich auf die günstigeren Stundenverrechnungssätze der von der Beklagten zu 2 benannten, nicht markengebundenen Reparaturwerkstatt E. verweisen lassen. Aufgrund des gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens sei bewiesen, dass eine bei der Firma E. durchgeführte Reparatur einer durch eine markengebundene Fachwerkstatt durchgeführten Reparatur technisch gleichgestanden hätte. Dass eine Gleichwertigkeit deshalb nicht gegeben sei, weil die Reparatur durch eine Markenwerkstatt aufgrund eines höheren Vertrauens in die Kompetenz einen besonderen Wertfaktor beinhalte, könne bei der Art der Schäden an dem Pkw des Klägers nicht angenommen werden, da ein spezialisiertes Wissen zur vollständigen und zuverlässigen Schadensbehebung nicht gefordert gewesen sei. Auch im Hinblick auf das Alter und die Laufleistung des Fahrzeugs sei ein besonderes schützenswertes Interesse des Klägers an der Reparatur durch eine Vertragswerkstatt nicht erkennbar, da nicht davon auszugehen sei, dass sich diese bei einem hypothetischen Verkauf tatsächlich im zu erzielenden Preis anders niederschlüge als eine Reparatur in der freien Werkstatt E.

II.

Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Der erkennende Senat hat in seinen Entscheidungen vom 20. Oktober 2009 (- VI ZR 53/09 – VersR 2010, 225, z.V.b. in BGHZ) und vom 23. Februar 2010 (- VI ZR 91/09 – z.V.b.) grundsätzlich Stellung dazu bezogen, unter welchen Voraussetzungen ein Geschädigter, der den Ersatz fiktiver Reparaturkosten begehrt, gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Erstattung der Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt verlangen kann. Danach leistet der Geschädigte dem Gebot der Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (Senatsurteile vom 20. Oktober 2009 – VI ZR 53/09 – aaO, Rn. 8 m.w.N.; vom 23. Februar 2010 – VI ZR 91/09 – Rn. 8).

Der Schädiger kann den Geschädigten aber unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen „freien Fachwerkstatt“ verweisen, wenn er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er gegebenenfalls vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden (Senatsurteile vom 20. Oktober 2009 – VI ZR 53/09 – aaO, Rn. 9, 13; vom 23. Februar 2010 – VI ZR 91/09 – Rn. 9). Unzumutbar ist eine Reparatur in einer „freien Fachwerkstatt“ für den Geschädigten insbesondere dann, wenn sie nur deshalb kostengünstiger ist, weil ihr nicht die (markt-)üblichen Preise dieser Werkstatt, sondern auf vertraglichen Vereinbarungen mit dem Haftpflichtversicherer des Schädigers beruhende Sonderkonditionen zugrunde liegen. Andernfalls würde die dem Geschädigten nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen, die ihm die Möglichkeit der Schadensbehebung in eigener Regie eröffnet und ihn davon befreit, die beschädigte Sache dem Schädiger oder einer von ihm ausgewählten Person zur Reparatur anvertrauen zu müssen (vgl. Senatsurteile BGHZ 63, 182, 184; vom 20. September 2009 – VI ZR 53/09 – aaO, Rn. 9 f., 12 ff., m.w.N.).

2. Mit diesen Grundsätzen steht das Berufungsurteil nicht im Einklang. Zwar entspricht die Reparatur in der von der Beklagten zu 2 benannten, nicht markengebundenen Reparaturwerkstatt E. nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt. Nach den bisherigen Feststellungen erscheint es aber nicht ausgeschlossen, dass es dem Kläger gleichwohl unzumutbar war, sein Fahrzeug bei der Firma E. reparieren zu lassen. Denn nach der Behauptung des Klägers, die mangels tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts in der Revisionsinstanz zugrunde zu legen ist, handelte es sich bei den Preisen der Firma E. nicht um deren (markt-)übliche Preise, sondern um Sonderkonditionen aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung mit der Beklagten zu 2. Wie die Revision mit Recht geltend macht, hatte der Kläger mit Schriftsätzen vom 6. Februar, 1. Juli und 17. August 2009 vorgetragen, dass die Firma E. eine Vertragswerkstatt der Beklagten zu 2 sei, die dieser geringere als die marktüblichen Preise in Rechnung stelle. Der Kläger hatte dabei ausdrücklich auf das Ergänzungsgutachten des Sachverständigen vom 28. Januar 2009 Bezug genommen, dem ein Lichtbild des am Büroeingang der Firma E. angebrachten Hinweisschildes mit der Aufschrift „Schadenservice Spezial-Partnerwerkstatt VHV Versicherungen“ beigefügt war.

3. Das Berufungsurteil war deshalb aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die insoweit erforderlichen Feststellungen treffen kann. Es wird dabei zu beachten haben, dass die Beklagte die Beweislast dafür trägt, dass sie ihrer Abrechnung die üblichen Preise der Firma E. zugrunde gelegt hat und es dem Kläger deshalb zumutbar war, die ihm aufgezeigte günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit bei der Firma E. wahrzunehmen. Dies entspricht dem Grundsatz, dass der Schädiger die Tatsachen zu beweisen hat, aus denen sich ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht im Sinne des § 254 Abs. 2 BGB ergibt (Senatsurteil vom 20. Oktober 2009 – VI ZR 53/09 – aaO, Rn. 9).

Bei der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht ferner dem Kläger Gelegenheit zur Konkretisierung seiner pauschalen Behauptung zu geben haben, er habe sein Fahrzeug bei der Mercedes-Benz-Niederlassung in H. gekauft und es dort auch stets warten und reparieren lassen. Zwar kann es für den Geschädigten auch bei älteren Kraftfahrzeugen unzumutbar sein, sich auf eine technisch gleichwertige Reparaturmöglichkeit außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Geschädigte sein Kraftfahrzeug bisher stets in der markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen (vgl. Senatsurteil vom 20. Oktober 2009 – VI ZR 53/09 – aaO, Rn. 15). Da es sich insoweit um ein zum Wahrnehmungsbereich des Geschädigten gehörendes Geschehen handelt, setzt die Prüfung der Unzumutbarkeit unter diesem Gesichtspunkt im Falle des Bestreitens durch die Gegenseite aber konkreten – beispielsweise durch Vorlage des Scheckheftes, der Rechnungen oder durch Mitteilung der Reparatur- bzw. Wartungstermine substantiierten und vom Schädiger widerlegbaren – Tatsachenvortrag des Geschädigten voraus (vgl. Senatsurteile vom 20. Oktober 2009 – VI ZR 53/09 – aaO, Rn. 15; vom 23. Februar 2010 – VI ZR 91/09 – Rn. 15), an dem es bislang fehlt.

Galke                                      Wellner                                    Pauge

                          Stöhr                                  von Pentz

Vorinstanzen:

AG Wennigsen, Entscheidung vom 30.04.2009 – 10 C 135/08 –
LG Hannover, Entscheidung vom 11.11.2009 – 12 S 36/09 –

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Eine Antwort zu Neues BGH-Urteil zur fiktiven Schadensabrechnung – Stundenverrechnungssätze der markengebundenen Fachwerkstatt (VI ZR 337/09 vom 22. 06.2010)

  1. virus sagt:

    „c) Unzumutbar ist eine Reparatur in einer “freien Fachwerkstatt” für den Geschädigten insbesondere dann, wenn sie nur deshalb kostengünstiger ist, weil ihr nicht die marktüblichen Preise dieser Werkstatt, sondern auf vertraglichen Vereinbarungen mit dem Haftpflichtversicherer des Schädigers beruhende Sonderkonditionen zugrunde liegen.“

    Dies ist zunächst eine klare Aussage der BGH-Richter. Wäre es da nicht angebracht, Versicherer im Schadensersatzprozess gleichzeitig auf Unterlassung zu verklagen, zukünftig Haftpflichtgeschädigten auf Preise, welche aufgrund von Preisabsprachen von Versicherern mit Reparaturbetrieben zustande gekommen sind, zu verweisen.
    Deswegen zunächst, weil sich doch die Frage: „Wie vielen Haftpflichtgeschädigten sind die variierenden, mit unter rechtswidrigen Regulierungspraktiken vieler Versicherer bekannt?“ geradezu aufdrängt. Daher, lieber Willi Wacker, bleibe ich dabei, dass es Pflichten von Unfallopfern dergestalt, dass Nachweise über die Reparaturvorgeschichte eines Fahrzeuges dem Schädiger vorgelegt werden müssen, vom Gesetzgeber nicht gefordert werden. Wäre dies der Fall, müsste zukünftig über jeden fiktiven Anspruch aufgrund eines Unfall bedingten Fahrzeugschadens ein Kollege der BGH-Richter entscheiden.

    Wohin hat nun die aktuelle BGH-Rechtsprechung des 6. Senats geführt? Nachweislich ein Haftpflicht Versicherer fragt bereits ganz harmlos nach Fahrzeugreparaturrechnungen aus der Vergangenheit. So schreibt die Aachener und Münchener an das Unfallopfer:

    „Hatte das Fahrzeug vor dem Ereignis Schäden, Mängel oder Fehler? Wenn ja, welche? Wurden diese beseitigt? Bitte senden Sie uns alle Belege über diese Reparaturen.“

    Siehe dazu meinen Beitrag vom 07.06.2010 um 20:53: http://www.captain-huk.de/haftpflichtschaeden/fikiver-schadensersatz-die-aachener-muenchener-bereitet-die-verhandlung-vor/

    Auf den Beitrag vom SV Zimper: http://www.captain-huk.de/allgemein/der-link-der-anspruch-auf-angemessene-schadenregulierung/ hier bei captain-huk möchte ich aufgrund der Ausführungen der BGH Richter hinsichtlich der Zurückweisung an die Vorinstanz hinweisen:

    Zitat aus: „Der Anspruch auf angemessene Schadenregulierung von Herrn Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski:

    Der Versuch, den Zustand wiederherzustellen, der ohne schädigendes Ereignis bestand, besteht im Wesentlichen aus drei Kernkomponenten:
    – Pflicht zur umfassenden, wahrheitsgemäßen und objektiven Sachverhaltsaufklärung
    – Pflicht zur zeitnahen Entwicklung eines (Vor-)Finanzierungskonzeptes
    – Pflicht zur Entwicklung eines Konzeptes zur angemessenen psychischen Betreuung
    Nimmt man diese drei Kernelemente des Anspruchs auf angemessene, faire Schadensregulierung ernst, so obliegt es dem Schädiger aktiv und fördernd bei der Sachverhaltsaufklärung mitzuwirken, aktiv und fördernd die Finanzierungsfrage zu klären und aktiv und fördernd für eine psychologische Betreuung im angemessenen Umfang zu sorgen.
    Diese drei Kernelemente schuldet jeder Schädiger, weil es ohne sie gar nicht gelingen kann, einen Zustand wiederherzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.

    Die Karte der Pflichten hält eindeutig der Schädiger, bzw. sein Versicherer in Händen.
    Ich bin daher nach wie vor der Meinung, dass es regelmäßig, auch in finanzieller Hinsicht, unzumutbar ist, das „Leben“ eines/meines von mir finanzierten und zu unterhaltenden Fahrzeuges auf ein mögliches unverschuldetes Unfallschadensereignis auf jedwede am Markt befindliche Versicherung auszurichten. Dies einzig,um im Fall des Falles Schadensersatzkürzungen durch Haftpflichtversicherer gerichtlich erfolgreich begegnen zu können.

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