OLG Düsseldorf bejaht bei fiktiver Schadensabrechnung Stundenverrechnungssätze der markengebundenen Fachwerkstatt

Der 1. Zivilsenat des OLG Düsseldorf hat das Urteil des Amtsgerichtes Velbert abgeändert und neu gefasst, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 204,50 € nebst Zinsen sowie weitere 26,39 € nebst Zinsen zu zahlen. Die Kosten in beiden Instanzen trägt die Beklagte. Die Revision ist nicht zugelassen.

Aus den Gründen:

Der Kläger, polnischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Polen, nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherer, des Pkw Opel, amtl. ME-…. auf Schadensersatz in Anspruch. Die Haftung ist dem Grunde nach unstreitig. Strittig ist allein die Bemessung des Fahrzeugschadens. Dem Rechtsstreit liegt der Unfall vom 31.12.2005 in Velbert/Rheinland auf dem Parkplatz eines Supermarktes zugrunde. Dort hatte der Zeuge S., ein Verwandter des Klägers, den Pkw des Klägers, ein älterer Mitsubishi Lancer mit polnischem Kennzeichen abgestellt. Der Kläger, der zu keinem Zeitpunkt in Deutschland gelebt hat, hatte das Fahrzeug seinem in Velbert wohnenden Verwandten leihweise überlassen.

Von November 2005 bis März 2006 befand es sich bei dem Zeugen S. Nach dem Unfall, bei dem der Wagen des Klägers im Frontbereich beschädigt worden war, beauftragte der Zeuge S. den Sachverständigen U. mit der Erstattung eines Schadensgutachten. Der Sachverständige schätzte die Reparaturkosten auf 626,44 € brutto. Seine Kalkulation beruht auf den durchschnittlichen ortsüblichen Kosten einer Fachwerkstatt. Der Kläger bzw. der Zeuge S. ließ das Fahrzeug nicht in einer Werkstatt reparieren. Es wurde in Velbert provisorisch von dem Zeugen S. mit Hilfe eines Bekannten instand gesetzt. Der Kläger hatte den Fahrzeugschaden auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen U. geltend gemacht. Bezugnehmend auf die Rechtsprechung hat die Beklagte die im Schadensgutachten zugrundegelegten Stundenverrechnungssätze von 82,50 € bzw. 84,50 € auf einen Betrag von 35,00 € gekürzt. Der Differenzbetrag von 204,50 € ist Gegenstand des Rechtsstreites. Der Kläger ist der Ansicht, abzurechnen sei der Schadensfall nach Grund und Höhe nach deutschem Recht. Somit sind auch die Reparaturkosten auf deutsche Verhältnisse abzustellen. Die Kürzung der Stundenverrechnungssätze könne nicht hingenommen werden. Das Amtsgericht Velbert hat mit Urteil vom 12.02.2007 die Klage abgewiesen. Mit der vom Amtsgericht zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Klageziel weiter. Die Beklagte hält an ihrem Standpunkt fest. Die Berufung ist zulässig und in der Sache erfolgreich. Da der Unfall sich in Deutschland ereignet hat, gilt nach dem Tatortgrundsatz (Artikel 40 Abs. 1 EGBGB) für Grund und Höhe des Schadensersatzanspruches deutsches Recht. Von Bedeutung ist im vorliegenden Fall, dass der Kläger die Reparaturkosten nicht konkret (auf Rechnungsbasis), sondern fiktiv auf der Grundlage eines Schadensgutachtens geltend macht. Wie im zweiten Rechtszug unstreitig geworden, ist das Fahrzeug in Deutschland in Eigenregie notdürftig instand gesetzt worden. Schadensrechtlich ist dabei von wesentlicher Bedeutung, dass der Wagen nicht nur kurzfristig, beispielsweise auf der Durchreise durch Deutschland, in Deutschland gefahren wurde, sondern von November 2005 – März 2006 einer in Deutschland lebenden Person zur alleinigen Nutzung zur Verfügung gestanden hat. Unter diesen besonderen Umständen kann der Kläger entgegen der Ansicht der Beklagten nicht auf die Stundensätze einer polnischen Werkstatt verwiesen werden. Er ist einem deutschen Geschädigten gleichzustellen. Dieser darf der Schadensberechnung die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen, wenn er Reparaturkosten auf Gutachtenbasis, also fiktiv, abrechnet (BGH NJW 2003, 2086). Mit dieser grenzüberschreitenden Gleichbehandlung verstößt der Senat weder gegen das bei der fiktiven Abrechnung besonders zu beachtende Wirtschaftlichkeitsgebot des § 249 Abs. 2 BGB noch gegen die vom BGH aufgestellten Grundsätze zur Schadensminderungspflicht in Reparaturfällen. Auch der Gedanke der subjektiven Schadensbetrachtung rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Dass in Polen zu deutlich günstigeren Preisen repariert werden kann, ist unbestreitbar. Gleichwohl ist der Geschädigte nicht auf günstigere Reparaturmöglichkeiten in Polen zu verweisen. Die deutlich billigere und fachlich gleichwertige Alternativwerkstatt muss außerdem für den Geschädigten mühelos ohne weiteres zugänglich sein, um ihn darauf verweisen zu können. Auch wenn das Amtsgericht Velbert diesen Gesichtspunkt nicht ausdrücklich geprüft hat, versteht der Senat das angefochtene Urteil dahin, dass von einer mühelosen Zugänglichkeit ausgegangen wird. Das Amtsgericht weist darauf hin, dass es in Polen Fachwerkstätten für Mitsubishi Fahrzeuge gäbe und dass das Unfallfahrzeug ohne weiteres in eine solche Werkstatt hätte gebracht werden können. Diese Erwägungen mögen berechtigt sein, wenn ein polnischer Staatsbürger auf der Heimreise nach Polen oder unmittelbar vor der geplanten Rückkehr in sein Heimatland in Deutschland einen Unfall erleidet und sein Fahrzeug dabei nur gering beschädigt wird, dass es fahr- und verkehrssicher bleibt. Im Streitfalle liegen die Dinge jedoch anders. Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles kann eine mühelose Zugänglichkeit einer polnischen Werkstatt nicht angenommen werden. Der Wagen des Klägers konnte und durfte in Velbert (Deutschland) bleiben. Das angefochtene amtsgerichtliche Urteil war daher anzufechten und aufgrund der Berufung des Klägers die Beklagte zur Zahlung der Differenzkosten kostenpflichtig zu verurteilen.

Nicht zuletzt mit Rücksicht auf die Erörterung in der mündlichen Verhandlung hat der Senat erwogen, die Revision zuzulassen. Er sieht dafür aber keinen hinreichenden Grund im Sinne des § 543 ZPO. Wegen der Besonderheiten im Tatsächlichen hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.

So das überzeugende Urteil des 1. Zivilsenates des OLG Düsseldorf vom 05.11.2007 (I-1 U 64/07).

Urteilsliste “Fiktive Abrechnung” zum Download >>>>>

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15 Antworten zu OLG Düsseldorf bejaht bei fiktiver Schadensabrechnung Stundenverrechnungssätze der markengebundenen Fachwerkstatt

  1. Buschtrommler sagt:

    Zitat:
    ..hat die Beklagte die im Schadensgutachten zugrundegelegten Stundenverrechnungssätze von 82,50 € bzw. 84,50 € auf einen Betrag von 35,00 € gekürzt.

    Sowas kann ja nur einen kräftigen Dämpfer vom Gericht geben!
    Wäre interessant,aus welcher Glaskugel dieser reduzierte Betrag entsprungen ist.(SSH? DEKRA? CE? oder der „Hauspreis in Pl“ des Versicherers?)

    Gruss Buschtrommler

  2. Werkstatt-Freund sagt:

    Hi Willi,
    das Thema „Fachwerkstattlöhne markengebundener Werkstätten“ dürfte jetzt ja wohl endgültig durch sein. Ich wüßte nicht, mit welcher Argumentation jetzt noch die unsinnige Verweisung auf Referenzwerkstätten oder Partnerwerkstätten begründet werden soll. Ich glaube, CH hat volle Arbeit geleistet. Danke dafür.
    Dein Werkstatt-Freund

  3. Fritz Fleißig sagt:

    Hallo ,
    böse Zungen behaupten, dass Allianz, HUK, DEVK und andere – trotz der bestehenden herrschenden Rspr. und Lit. – nach wie vor der Meinung sind, bei Schadensabrechnung auf Gutachtenbasis die Werkstattpreise der mit ihnen verbundenen Partnerwerkstätten vorschreiben zu können und dies auch tatsächlich noch bei Gericht vortragen. Ich meine, die Justiziare der besagten Versicherungen müssten doch die gegen ihre Versicherungen ergangenen Urteile auch lesen und eigentlich von unsinnigen Rechtstreiten abraten bzw. entsprechende Anweisungen geben, dass nicht mehr gegen Recht und Gesetz reguliert werden soll. Nichts davon. Gerade bei der Allianz soll noch mehr gespart werden.
    Eigentlich müssten wegen derartiger unsinniger Prozesse die Vorstandsvorsitzenden persönlich geladen und ihr persönliches Erscheinen angeordnet werden. Einzelne Gerichte hatten damit bereits angefangen. Leider nicht bis zur letzten Konsequenz durchgehalten.
    Grüsse nach Düsseldorf
    Fritz Fleißig

  4. borsti sagt:

    @zu Fritz Fleißig@
    Es ist ein Irrglaube zu meinen das Prozesse führen koste die Versicherer nun gewaltig mehr Geld welches sie an ihre externen Anwälte zahlen müßten.

    Diese Anwälte werden meist jährlich pauschal bezahlt, – verlieren sie, – egal, – das ist bereits bezahlt.

    Gewinnen sie, – bekommen sie von der unterlegenen Partei noch ein „Draufgeld“ dazu, – so geht das da.

    Aber sie müssen jeden Prozess, – auch wider besseres Wissen und eigene Einsicht, – führen, wenn’s denn der Sachbearbeiter so will. Tja, – man hat sich halt versklavt an jene Herren.

  5. Joachim Otting sagt:

    …das Urteil ist aber kein typisches Stundenverrechnungssatzurteil. Wer es liest versteht auch, wie die Versicherung auf die 35 EURO kam: Der Geschädigte war ein Pole, der auch in Polen lebt. deshalb hat die Versicherung die polnischen Konditionen zu Grunde gelegt. Das ist auch nicht rechtmäßig, aber eine ganz andere Rechtsfrage als die aus dem Porsche-Urteil.

    Sachliche Grüße,
    Joachim Otting

  6. Andreas sagt:

    Das Problem sind wie so oft, die Geschädigten, die sich die Kürzungen gefallen lassen. Wenn sich von 100 nur 10 wehren, dann lohnen sich auch die paar Kröten Gerichtskosten. Verklagt zu werden (und zu verlieren) ist einfach zu billig.

    Pro unrechtmäßiger Kürzung und anschließendem verlorenen Prozess sollte der Versicherer 5000,- an die Staatskasse zahlen, sodass das Geld für eine Reduzierung der Lohnnebenkosten eingesetzt werden kann und jeder was davon hat…

    Grüße

    Andreas

    Grüße

    Andreas

  7. LawShock sagt:

    So zutreffend das Urteil des OLG Düsseldorf in der Sache sein dürfte, sehe ich es nicht so, dass das Thema „markengebundene Werkstattpreise“ durch sein dürfte. Dazu dürfte es sich um einen sehr speziellen Einzelfall mit Auslandsbezug handeln.
    Notwendig ist mE eine klare HÖCHSTrichterliche Entscheidung zu dieser Frage, die allerdings von der Versicherungswirtschaft gefürchtet wird. Deswegen wird es nicht dazu kommen. Solange es keine BGH-Entscheidung zu diesem Thema gibt und keine flächendeckende einheitliche OLG-Rechtsprechung, wird man die Versicherer auch nicht über die strafrechtliche Schiene packen können. Dies dürfte der einzig wirksame Weg sein, diese Regulierungspraxis schnell und nachhaltig abzustellen. Bis dahin muß jeder Einzelfall durchgeprügelt werden.

  8. Willi Wacker sagt:

    @ Otting 16.10.2008 23.00

    Hallo Herr Otting,
    nach meiner Information hat das OLG Düsseldorf die Revision nicht zugelassen. Mithin müßte Zulassungsantrag und tatsächlich Annahme der Revision durch den BGH erfolgt sein. Wissen Sie mehr?
    MfG
    Willi Wacker

  9. Joachim Otting sagt:

    @ Willi Wacker

    Nein, aber ich hake mal nach.

    Gruß, Otting

  10. Werkstatt-Freund sagt:

    @ Otting 16.10.08 23:00

    Hallo Herr Otting,
    Ihrer Argumentation kann ich nicht folgen. Willi Wacker hatte oben aufgeführt, dass der Zeuge S. den Sachverständigen beauftragte. Der Sachverständige schätzte die Reparaturkosten auf 626,44 Euro brutto. Seine Kalkulation beruht auf den durchschnittlichen ortsüblichen Kosten einer Fachwerkstatt. Also sind doch die Fachwerkstattpreise zu Grunde gelegt worden, die die Versicherung nicht zahlen wollte, weil sie auf Preise wie in Polen verweisen wollte. Dieses Vorgehen mißlang jedoch.
    Zu Recht, wie ich meine.
    freundliche Grüße
    Werkstatt-Freund

  11. F.Hiltscher sagt:

    @Zitat:
    „Der Sachverständige schätzte die Reparaturkosten auf 626,44 Euro brutto. Seine Kalkulation beruht auf den durchschnittlichen ortsüblichen Kosten einer Fachwerkstatt. Also sind doch die Fachwerkstattpreise zu Grunde gelegt worden, die die Versicherung nicht zahlen wollte, weil sie auf Preise wie in Polen verweisen wollte.“

    Die Kalkulation welche auf den durchschnittlichen ortsüblichen Kosten einer Fachwerkstatt aufgebaut ist, ist nach dem „Porsche Urtei“ u. nach gefestigter Rechtsprechung fehlerhaft.
    Warum?
    Es ist der Stundensatz einer markengebundenen Fachwerkstätte anzusetzen und natürch auch kein Durchschnitt.
    Man beachte bitte den feinen Unterschied…markengebundenen!!
    Fachwerkstätten dürfen sich alle nennen wenn die handwerksrechtlichen Voraussetzungen geben sind.
    MfG
    F.Hiltscher

  12. Willi Wacker sagt:

    Hallo Herr Hiltscher,
    Danke für den Hinweis. Ich werde in Zukunft auf den feinen Unterschied achten.
    Mit freundl. Grüßen nach Bayern
    Ihr Willi Wacker

  13. Joachim Otting sagt:

    @ Werkstattfreund

    Die zu entscheidende Rechtsfrage war eine andere: Polentarife oder deutsche Sätze, und zwar nur mittlere, weil was anderes gar nicht geltend gemacht war. Schade, sonst hätte das als Polen-Porsche-Urteil in die Schadenrechtsgeschichte eingehen können.

    Mit sachlichen Grüßen,

    Joachim Otting

  14. F.Hiltscher sagt:

    @Joachim Otting Sonntag, 19.10.2008 um 14:31
    „Die zu entscheidende Rechtsfrage war eine andere: Polentarife oder deutsche Sätze, und zwar nur mittlere, weil was anderes gar nicht geltend gemacht war. Schade, sonst hätte das als Polen-Porsche-Urteil in die Schadenrechtsgeschichte eingehen können.

    Mit sachlichen Grüßen,“

    Hallo Herr Otting,
    Genau das wollte ich mit den feinen Unterschied „markengebundene Fachwerkstätte“ damit sagen, das war/ist doch wieder das alte Problem, ein unzureichender Klagevortrag aufgrund eines fehlerhaften Gutachtens.
    Warum hat der SV mittlere Werkstattstundensätze einer Fachwerkstätte veranschlagt und nicht wie es höchstrichterlich entschieden ist, die tatsächlichen Werkstattverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstätte?
    Warum prüft der Rechtsvertreter des Klägers nicht das SV-Gutachten auf solch wichtige Rechtskonformitäten und macht den SV nicht auf das rechtsfehlerhafte GA aufmerksam und fordert Nachbesserung bevor man sich bis zum OLG durchringt?
    Das Ergebnis mit einem rechtskonformen GA vor dem OLG wäre wesentlich richtungsweisender gewesen.

    Später wundert man sich wieder warum Gerichtsentscheidungen nicht ausgereift oder fehlerhaft ergangen sind.
    Alles eine Frage des Sachvortrages und den „feinen Unterschieden „, wie ich meine.
    MfG
    F.Hiltscher

  15. Andreas sagt:

    Hallo Herr Hiltscher,

    da haben Sie ganz recht! Ein Anruf des Anwalts beim SV hätte gereicht, um festzustellen, ob rechtskonform gearbeitet wurde.

    Falls nicht, hätte bereits der Anwalt eine entsprechende Nachbesserung fordern können.

    Aber so ist das mit Unwissenheit…

    Grüße

    Andreas

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