Hier noch ein Endurteil der 8. Zivilkammer des LG Nürnberg-Fürth zur Erforderlichkeit der Einschaltung eine Kfz-Sachverständigen zur Unfallschadensdokumentation auch bei geringen Schäden. Nachfolgend das komplette Endurteil vom 28.7.2010 – 8 S 2757/10 – (NZV 2009, 244 ). Die Besonderheit dieses Rechtsstreites lag darin, dass der Unfallverursacher ein tschechischer Staatsangehöriger war und eintrittspflichtig die tschechische Kfz-Haftpflichtversicherung.
Landgericht Nürnberg-Fürth
Az.: 8 S 2757/10
34 C 9086/09 AG Nürnberg
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Rechtsstreit
– Kläger und Berufungskläger –
gegen
– Beklagter und Berufungsbeklagter –
wegen Schadensersatz
erlässt das Landgericht Nürnberg-Fürth – 8. Zivilkammer- durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht …, den Richter am Landgericht … und die Richterin am Landgericht … auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2010 folgendes
Endurteil
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichte Nürnberg vom 08.03.2010, Az: 34 C 9086/09, abgeändert:
a) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 401,45 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.11.2009 zu bezahlen.
b) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 30,94 € außergerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.12.2009 zu bezahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 401,00 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht hat die auf Zahlung von Sachverständigenkosten in Höhe von 401,45 € gerichtete Klage abgewiesen. Begründet wurde dies damit, dass aufgrund der unstreitigen Tatsache, dass keine massiven Beschädigungen am Klägerfahrzeug vorlagen und lediglich austauschbare Teile beschädigt wurden, die Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht erforderlich im Sinne des §249 BGB gewesen sei.
Auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils wird Bezug genommen. Die Kammer schließt sich zwar insoweit den Ausführungen des Erstgerichts an, wonach keine Bagatellschadensgrenze existiert und für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer solchen Begutachtung auf die Sicht eines durchschnittlich sachkundigen und wirtschaftlich vernünftig denkenden Geschädigten abzustellen sei. Die Kammer kommt jedoch nach der informatorischen Anhörung des Klägers und unter Berücksichtigung der Besonderheit dieses Falles, dass hier ein Schadensfall unter Beteiligung eines im Ausland zugelassenen Fahrzeugs mit einem ausländischen Verursacher vorlag, zu einer anderen Einschätzung der Erforderlichkeit im konkreten Fall.
II.
Die zulässige Berufung ist in vollem Umfang begründet.
1.
Die Berufung war zulässig, da die Berufung zugelassen wurde. Die Kammer ist hieran gemäß § 511 Abs. 4 S. 2 ZPO gebunden.
2.
Die Berufung ist vorliegend auch begründet. Die Kosten des Sachverständigengutachtens in Höhe von 401,46 € waren vorliegend gemäß § 249 BGB erforderlich.
a) Die Kammer verweist zunächst auf seine bisherige Rechtsprechung im Beschluss vom 18.08.2006, Az. 8 S 6091/08 (NZV 2009, 244) und führt dabei aus: „Die Kosten eines Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist. Für die Frage der Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit einer solchen Begutachtung ist auf die Sicht des Geschädigten zum Zeitpunkt der Beauftragung abzustellen. Demnach kommt es darauf an, ob ein verständig und wirtschaftlich denkender Geschädigter nach seinen Erkenntnissen und Möglichkeiten die Einschaltung eines Sachverstandigen für geboten erachten durfte. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür liegt beim Geschädigten. Für die Frage, ob der Schädiger die Kosten eines Gutachtens zu ersetzen hat, ist nicht allein darauf abzustellen, ob die durch die Begutachtung ermittelte Schadenshöhe einen bestimmten Betrag überschreitet oder in einem bestimmten Verhältnis zu den Sachverständigenkosten steht, denn zum Zeitpunkt der Beauftragung des Gutachters ist dem Geschädigten diese Höhe gerade nicht bekannt. Allerdings kann der später ermittelte Schadensumfang im Rahmen tatrichterlicher Würdigung nach § 287 ZPO oft ein Gesichtspunkt für die Beurteilung sein, ob eine Begutachtung tatsächlich erforderlich war oder ob nicht möglicherweise andere, kostengünstigere Schätzungen – wie beispielsweise ein Kostenvoranschlag eines Reparaturbetriebs – ausgereicht hätten. Eine in diesem Kontext in die Überlegungen einzubeziehende Bagatellschadensgrenze ist im Bereich von 700 Euro anzusiedeln (zu allem: BGH VersR 2005, 380 m. w . N.).
Die Rechtsprechung) des BGH macht – zutreffend – ganz deutlich, dass es eben gerade keine starre Bagatellgrenze gibt, die einen Automatismus dergestalt auslöst, dass jene überschreitende Schäden ohne weiteres mit Erstattung der zu ihrer sachverständigen Ermittlung aufgewendeten Kosten rechnen können.
Insoweit trifft zwar der Hinweis des Berufungsklägers auf die ermittelte Schadenshöhe als maßgebliches Argument für die Erforderlichkeit eines Gutachtens nicht zu.
b) Auch ist dem Erstgericht zuzustimmen, dass unabhängig von der nachträglich festgestellten Höhe des Schadens von 909,21 €, der Kläger nach dem Schadensbild nicht davon ausgehen durfte, dass mehr als ein Bagatellschaden vorlag. Auf den Schadenslichtbildern ist deutlich zu sehen, dass es sich bei dem Schaden um Lackabsplitterungen handelte. Unstreitig geblieben ist auch, dass Eingriffe in die Fahrzeugkonstruktion oder in wesentliche Aggregate offenkundig nicht nötig waren.
Aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles ist jedoch allein aufgrund dieser Begründung eine Erforderlichkeit nicht zu verneinen.
c) Der Kläger kann sich nämlich aus sonstigen Erwägungen auf die Erforderlichkeit des Sachverständigengutachtens berufen. Der Klüger gab in seiner informatorischen Anhörung vor der Kammer an, dass er eine Schadensbegutachtung vornehmen hat lassen, um bei der Schadensabwicklung jeglichen Schwierigkeiten zu entgehen. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass an dem Unfall ein tschechisches Fahrzeug mit einem ausländischen Unfallgegner beteiligt war. Die hier vom Kläger bemühten Umstände zur Begründung der Erforderlichkeit haben ihre Wurzel ausschließlich in der Beziehung zwischen dem Kläger als Eigentümer des beschädigten Wagens und dem Schadensersatzpflichtigen und dessen Versicherung. Es reicht nach der bisherigen Rechtsprechung der Kammer aus, die Einschaltung eines Sachverständigen zur Feststellung des Unfallschadens an einem Kraftfahrzeug als erforderlich zu begründen, wenn das Bedürfnis nach Beweissicherung seine Wurzeln in der Beziehung zwischen Geschädigtem und Schadenersatzpflichtigem hat (LG Nürnberg-Fürth, NZV2009, 244).
d) Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung der Sächverständigenkosten in Höhe von 401,45 €.
Im Rahmen der Prüfung, ob dem Geschadigten ein Anspruch auf Ersatz der Sachverständigänkosten zusteht, kommt es auf die Frage, ob der Sachverständige in zulässiger Weise nach der Schadenshöhe abrechnen konnte oder aber ob er seinen Zeitaufwand hätte darlegen müssen, nicht an. Denn es ist der Beklagten im Verhältnis zum Geschädigten verwehrt, sich auf die vermeintliche Überhöhung der Sachverständigenkosten zu berufen.
Es ist einem Geschädigten vor Erteilung des Gutachtenauftrags nicht zuzumuten, „Marktforschung“ zu betreiben und in jedem Fall mehrere Kostenvoranschläge von Sachverständigen einzuholen. Ein Preisvergleich dürfte ohne vorherige Begutachtung des Fahrzeugs durch mehrere Sachverständige auch nur schwer möglich sein. Zudem fehlen Tarifübersichten, anhand derer der Kunde sich informieren könnte. Der Streit aber die Höhe der geltend gemachten Sachverständigenkosten kann daher nicht auf dem Rücken des Geschädigten ausgetragen werden.
Der Sachverständige ist auch kein Erfüllungsgehilfe des Geschädigten, dessen etwaiges Verschulden ihm nach §§ 254 Abs. 2 Satz 2, 278 BGB zugerechnet würde. Zwar darf ein Geschädigter auf Kosten des Schädigers nicht jeden beliebigen Preis vereinbaren. So lange für ihn allein als Laien jedoch nicht erkennbar ist, dass der Sachverständige sein Honorar geradezu willkürlich festsetzt, Preis und Leistung, in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen oder dem Geschadigten selbst ein Auswahlverschulden zur Last fällt. kann der Geschädigte vom Schädiger den Ausgleich gezahlter Aufwendungen bzw. Freistellung hiervon verlangen (vgl. hierzu: Grunsky, Zur Ersatzfähigkeit unangemessen hoher Sachverständigenkosten, NZV2000, Seite 4, 5; Roß, a. a. O., Seite 322; OLG Nürnberg, OLG-R 2002, 471; OLG Hamm, VersR 2001, Seite 249, 250; auch AG München, NZV 98, 298, 290; Geigel, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl. 2004, Rziff. 113, Staudinger-Schiemann, a. a. 0., § 251 Rziff. 122; auoh Palandt-Heinrichs, a. a.O., § 249 Rziff. 40; Wussow a. a. O., Kapital 41 Rziff. 5, 7). Die Gegenmeinung (vgl. AG Hagen, NZV2003, 144, 145 f., Trost, VersR 97, 537 ff. (543)) berücksichtigt insoweit nicht, dass es dem Geschädigten bei Sachverständigengutachten mangels Vergleichsmöglichkeiten – wie oben ausgeführt – noch weniger als bei Mietwagenkosten überhaupt möglich sein dürfte, vor der Auftragserteilung, die Angemessenheit einer Vergütung zu beurteilen. Es ist dem Geschädigten auch nicht zuzumuten, die Schadensabwicklung stets in die Hände des Schädigers bzw. dessen Versicherung zu legen.
Der Kläger konnte vorliegend nicht davon ausgehen, dass die Kosten für das Sachverständigengutachten unangemessen waren. Der Sachverständige hat 401,45 € in Rechnung gestellt. Hinweise dafür, dass es sich um eine Scheinrechnung handelte oder der Kläger diese aus Oktober 2009 stammende Rechnung noch nicht bezahlt hätte, liegen nicht vor. Deshalb sind diese Kosten dem Kläger zu erstatten, wobei die Beklagte allerdings die Abtretung etwaiger Rückforderungsansprüche des Klägers gegen den Sachverständigen wegen überhöht in Rechnung gestellter Leistungsentgelte gemäß § 255 BGB verlangen könnte (OLG Nürnberg, VRS 103, 321).
3. Die außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten waren wie beantragt zuzusprechen.
Die Berufung war daher begründet und die Klageforderung zuzusprechen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 S. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Über die vorläufige Vollstreckbarkeit war gem. §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO zu entscheiden.
So die überzeugenden Ausführungen der 8. Zivilkammer des LG Nürnberg-Fürth aus dem Endurteil vom 28.7.2010 – 8 S 2757/10 -. Die von der Kammer angeführte Gegenmeinung von Trost (in VersR 1997, 537 ff.) kann getrost als Mindermeinung bezeichnet werden (vgl. Wortmann VersR 1998, 1204 ff.).
Schon allein wegen der Beweissicherung und Dokumentation der eingetretenen Schäden am Fahrzeug war ein SV-Gutachten erforderlich – und gerade bei einer ausländischen Haftpflichtversicherung angezeigt. Das Urteil ist folgerichtig.
Den Machern dieses interessanten Blogs schöne Weihnachtstage und einen guten Rutsch.
Euer Klaus