BGH-Entscheidung zur Erforderlichkeit des Unfallersatztarifs bei Mietwagenkosten (VI ZR 161/06 vom 12.06.2007)

In seiner Entscheidung vom 12.06.2007 hat der BGH deutlich zum Thema „Unfallersatztarif“ Stellung bezogen und dabei auch die Verwendung der Schwacke-Liste bestätigt (Gesch.-Nr.: VI ZR 161/06).

Tatbestand:

Die Parteien streiten noch um die Erstattung weiterer Mietwagenkosten nach einem Verkehrsunfall.

Am 17. Mai 2005 kam es zu einem Verkehrsunfall zwischen dem PKW der Klägerin und dem vom Beklagten zu 1 gehaltenen, vom Beklagten zu 2 ge­führten und bei der Beklagten zu 3 haftpflichtversicherten PKW.

Die Klägerin mietete für die Dauer der Reparatur ihres Fahrzeugs vom 17. bis 24. Mai 2005 ein Ersatzfahrzeug an, ohne andere Angebote einzuholen.

Der von ihr angesprochene Vermieter unterscheidet in seinen Tarifen nicht zwi­schen Unfallersatz- und Normaltarif. Er berechnete einen Mietpreis von 1.434,04 € brutto. Die Beklagte zu 3 erstattete den Schaden vorprozessual nach einer Haftungsquote von 75%. Bei den Mietwagenkosten erkannte sie 500 € als ersatzfähigen Schaden an und glich diesen Betrag ebenfalls zu 75% aus. Mit der Klage hat die Klägerin Bezahlung von 100% ihrer Kosten begehrt.

Das Amtsgericht hat der Klage auf der Grundlage einer vollen Ersatzpflicht der Beklagten mit Ausnahme eines Teils der Mietwagenkosten stattgegeben, die es nur bis zu einem Gesamtbetrag von 500 € zugesprochen hat. Hinsichtlich der zusätzlich begehrten Mietwagenkosten in Höhe von 908,48 € hat es die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Landgericht zurückge­wiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klä­gerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts stellen die in Rechnung gestellten Mietwagenkosten keinen gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB objektiv erforder­lichen und damit ersatzfähigen Herstellungsaufwand dar. Objektiv erforderlich seien Mietwagenkosten für ein Unfallersatzfahrzeug nur, wenn sie sich im Be­reich der allgemeinen marktüblichen Mietpreise hielten. Würden – wie hier – kei­ne Vergleichsangebote eingeholt, könne der Geschädigte darlegen und ggf. beweisen, dass sich der gezahlte Mietpreis im Rahmen des Marktüblichen be­wege und somit objektiv erforderlich gewesen sei. Die Bestimmung der Marktüblichkeit müsse sich an den durchschnittlichen „Normaltarifen“ orientieren, wenn der Betroffene nicht im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht ge­mäß § 254 BGB ordnungsgemäße Erkundigungen durch Einholung mehrerer Vergleichsangebote angestellt habe. Besondere Unfallersatztarife, die die ge­wöhnlichen Mietwagenkosten nach „Normaltarifen“ erheblich überstiegen, stell­ten grundsätzlich keine gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ersatzfähige Scha­densposition dar. Die Kammer gehe in Abweichung zu der ständigen Recht­sprechung des Bundesgerichtshofs nicht davon aus, dass ein Unfallersatztarif ersatzfähig sein könne, wenn die Besonderheiten dieses Tarifs einen gegen­über dem Normaltarif höheren Preis aus betriebswirtschaftlicher Sicht rechtfer­tigten.

Wenn demnach ein marktüblicher Mietpreis als ersatzfähiger Schaden anzusehen sei, könne das Gericht nach § 287 ZPO die erforderlichen Mietwa­genkosten schätzen. Dafür biete das so genannte „gewichtete Mittel“ der „Schwacke-Mietpreisliste“ eine geeignete Orientierungshilfe.

Vorliegend ergebe sich unter Berücksichtigung der unbestrittenen Darle­gungen der Beklagten in der ersten Instanz, wonach ein Fahrzeug der Mietwa­genklasse des klägerischen Fahrzeugs für den fraglichen Zeitraum im örtlichen Bereich zu einem Durchschnittspreis von 343 € hätte angemietet werden kön­nen, und des Umstandes, dass Mietwagenkosten von 500 € zugestanden wor­den seien, kein Anhaltspunkt dafür, dass der Klägerin darüber hinaus weitere Mietwagenkosten zustehen könnten.

II.

Das Berufungsurteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Nach der gefestigten Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. etwa BGHZ 160, 377, 383 f.; 163, 19, 22 f.; Urteile vom 26. Oktober 2004 – VI ZR 300/03 – VersR 2005, 241, 242 f.; vom 15. Februar 2005 – VI ZR 160/04 – VersR 2005, 569 f. und – VI ZR 74/04 – VersR 2005, 568 f.; vom 9. Mai 2006 – VI ZR 117/05 – VersR 2006, 986 f.; vom 20. März 2007 – VI ZR 254/05, Umdruck Rn. 10, z.V.b.) kann der Geschädigte vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer nach § 249 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur den Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Der Geschädigte ist dabei nach dem aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren von mehreren möglichen den wirt­schaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das bedeutet für den Bereich der Mietwagenkosten, dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt – nicht nur für Unfallgeschädigte – erhältlichen Tarifen für die Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeugs (innerhalb eines gewissen Rahmens) grundsätzlich nur den günstigeren Mietpreis ersetzt verlangen kann. Der Ge­schädigte verstößt allerdings noch nicht allein deshalb gegen seine Pflicht zur Schadensgeringhaltung, weil er ein Kraftfahrzeug zum Unfallersatztarif anmie­tet, der gegenüber einem „Normaltarif“ teurer ist, soweit die Besonderheiten dieses Tarifs mit Rücksicht auf die Unfallsituation (etwa die Vorfinanzierung, das Risiko eines Ausfalls mit der Ersatzforderung wegen falscher Bewertung der Anteile am Unfallgeschehen durch den Kunden oder das Mietwagenunter­nehmen u.ä.) einen gegenüber dem „Normaltarif“ höheren Preis rechtfertigen, weil sie auf Leistungen des Vermieters beruhen, die durch die besondere Un­fallsituation veranlasst und infolge dessen zur Schadensbehebung nach § 249 BGB erforderlich sind.

Wie der Senat inzwischen mehrfach dargelegt hat (vgl. Urteile vom 25. Oktober 2005 – VI ZR 9/05 – VersR 2006, 133; vom 14. Februar 2006 – VI ZR 126/05 – VersR 2006, 669, 670; vom 30. Januar 2007 – VI ZR 99/06 -VersR 2007, 516, 517 m.w.N.) ist es dabei nicht erforderlich, dass der bei der Schadensberechnung nach § 287 ZPO besonders frei gestellte Tatrichter für die Prüfung der betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung eines „Unfallersatztarifs“ die Kalkulation des konkreten Unternehmens – ggf. nach Beratung durch einen Sachverständigen – in jedem Fall nachvollzieht. Vielmehr kann sich die Prüfung darauf beschränken, ob spezifische Leistungen bei der Vermietung an Unfall­geschädigte allgemein einen Aufschlag rechtfertigen, wobei unter Umständen auch ein pauschaler Aufschlag auf den „Normaltarif“ in Betracht kommt. In Aus­übung des Ermessens nach § 287 ZPO kann der Tatrichter den „Normaltarif“ auch auf der Grundlage des gewichteten Mittels des „Schwacke-Mietpreisspiegels“ im Postleitzahlengebiet des Geschädigten – ggf. mit sachver­ständiger Beratung – ermitteln (vgl. Senatsurteile vom 9. Mai 2006 – VI ZR 117/05 – VersR 2006, 986, 987; vom 30. Januar 2007 – VI ZR 99/06 – aaO).

Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht von der Rechtspre­chung des erkennenden Senats abweichen will, sind nicht stichhaltig. Sie sind nicht fallbezogen und beruhen nicht auf einer sachverständigen Beratung, son­dern stützen sich im Wesentlichen auf Argumente im Schrifttum, die dem Senat bekannt sind und denen er sich in dieser Allgemeinheit nicht anzuschließen vermag.

Mithin ist revisionsrechtlich zu unterstellen, dass der geltend gemachte Unfallersatztarif erforderlich gewesen ist, weil das Berufungsgericht die grund­sätzlich notwendige Prüfung der Erforderlichkeit eines höheren Unfallersatzta­rifs nicht vorgenommen hat. Soweit es die erforderlichen Mietwagenkosten ge­mäß § 287 ZPO anhand des so genannten gewichteten Mittels der „Schwacke-Mietpreisliste“ geschätzt hat, macht dies eine Prüfung, ob der Unfallersatztarif erforderlich war, nicht entbehrlich. Bei seiner Schätzung ist es nämlich entge­gen der Rechtsprechung des Senats davon ausgegangen, dass ein Unfaller­satztarif grundsätzlich nicht ersatzfähig ist und Mietwagenkosten nur im Rah­men der nach dem „Normaltarif“ zu bemessenden marktüblichen Mietwagen­kosten als erforderlich anzusehen sind. Es hat somit nicht berücksichtigt, dass möglicherweise beim Unfallersatztarif ein Aufschlag auf den „Normaltarif“ zuzu­billigen ist. Daher hat es seiner Schätzung einen Ausgangspunkt zugrunde ge­legt, der einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht standhält.

2. Im Streitfall konnte die Frage der Erforderlichkeit nach den bisher ge­troffenen Feststellungen auch nicht offen bleiben.

Die Frage, ob ein Unfallersatztarif aufgrund unfallspezifischer Kostenfak­toren erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ist, kann offen bleiben, wenn feststeht, dass dem Geschädigten ein günstigerer „Normaltarif“ in der konkreten Situation ohne weiteres zugänglich war, so dass ihm eine kosten­günstigere Anmietung unter dem Blickwinkel der ihm gemäß § 254 BGB oblie­genden Schadensminderungspflicht zugemutet werden konnte (vgl. Senatsur­teile vom 14. Februar 2006 – VI ZR 32/05 – VersR 2006, 564, 565; vom 4. Juli 2006 – VI ZR 237/05 – VersR 2006, 1425, 1426; vom 23. Januar 2007 – VI ZR 18/06 – VersR 2007, 515, 516; vom 6. März 2007 – VI ZR 36/06 – VersR 2007, 706, 707; vom 20. März 2007 – VI ZR 254/05, Umdruck Rn. 11, z.V.b.). Ebenso kann diese Frage offen bleiben, wenn zur Überzeugung des Tatrichters feststeht, dass dem Geschädigten die Anmietung zum „Normaltarif“ nach den kon­kreten Umständen nicht zugänglich gewesen ist, denn der Geschädigte kann in einem solchen Fall einen den „Normaltarif“ übersteigenden Betrag im Hinblick auf die gebotene subjektbezogene Schadensbetrachtung auch dann verlangen, wenn die Erhöhung nicht durch unfallspezifische Kostenfaktoren gerechtfertigt wäre (vgl. Senatsurteile vom 13. Juni 2006 – VI ZR 161/05 – VersR 2006, 1273, 1274; vom 4. Juli 2006 – VI ZR 237/05 – VersR 2006, 1425, 1426; vom 20. März 2007 – VI ZR 254/05 – aaO). Für die Frage, ob dem Geschädigten ein wesent­lich günstigerer Tarif ohne weiteres zugänglich war, ist auf die konkreten Um­stände des Einzelfalles abzustellen. Solche auf den Einzelfall bezogenen Fest­stellungen hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Soweit es ausführt, die Klägerin habe trotz eines entsprechenden Hinweises keinen Vortrag hinsichtlich marktüblicher Mietkosten erbracht, die den zuerkannten Betrag von 500 € über­stiegen, bezieht sich auch dies nur auf den „Normaltarif“.

Soweit das Urteil des Bundesgerichtshofes.

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