Die Amtsrichterin der 1. Zivilabteilung des AG Obernburg am Main hatte über folgenden interessanten Rechtsstreit zu entscheiden: Das Kraftfahrzeug des Klägers wurde von dem Fahrzeug des Beklagten zu 1. beschädigt, das bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversichert war. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist unstreitig. Der Kläger gab sofort nach dem Unfall ein Schadensgutachten in Auftrag. Das Schadensgutachten wies einen wirtschaftlichen Totalschaden aus. Der Wiederbeschaffungswert betrug 2.450,–€. Der Restwert wurde gutachterlicherseits mit 0,– € angegeben. Nach Erhalt des Gutachtens begann der Kläger in Eigenregie das beschädigte Fahrzeug zu reparieren. Zum Zeitpunkt der Nachbesichtigung des Fahrzeuges war die Reparatur bereits durchgeführt. Nach etwa 6 Wochen verkaufte der Kläger das in Eigenregie reparierte Fahrzeug. Aufgrund einer von der eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherung unter Verletzung des Urheberrechtes des Sachverständigen eingeholten Internetrestwertrecherche nahm die Beklagte zu 2. einen Abzug von 320,– € vom kalkulierten Wiederbeschaffungswert vor. Die Beklagte zu 2., die Volkswohl-Bund Sachversicherung AG in Dortmund , vertrat die Auffassung, dass auch in einem solchen Fall unter 6-monatiger Weiternutzung des beschädigten Fahrzeuges der Geschädigte sich das Internetrestwertangebot anrechnen lassen müsse. Der Kläger war der Auffassung, dass das Internetrestwerthöchstgebot zeitlich durch die Reparatur des Fahrzeuges überholt war, denn das Restwerthöchstgebot betraf das unreparierte Fahrzeug des Klägers. Durch die zwischenzeitlich erfolgte Reparatur war das Online-Restwerthöchstgebot bereits überholt.
Der Kläger klagte die einbehaltene Differenz aus dem Wiederbeschaffungswert laut Gutachten und dem Internetrestwert der Versicherung in Höhe von 320,– € bei dem örtlich und sachlich zuständigen Amtsgericht ein. Die Klage hatte in vollem Umfang Erfolg. Der Kläger muss sich das Internetrestwerthöchstgebot – trotz Veräußerung des reparierten Fahrzeuges nach etwa 6 Wochen – nicht anrechnen lassen. Nachfolgend das interessante Urteil der Amtsrichterin der 1. Zivilprozessabteilung des AG Obernburg am Main vom 7.4.2011. Das Urteil wurde erstritten und eingesandt von Herrn RA. Lutz Imhof aus Aschaffenburg. Lest aber selbst.
Antsgericht Obernburg am Main
1 C 317/10
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Rechtsstreit
I.R. aus L. – Kläger –
Prozessbev. Rae. D.I. u. P. aus A.
g e g e n
1. Frau R.S. aus L.
2.Volkswohl-Bund Sachversicherung AG, vertreten durch d. Vorstand, Dortmund – Beklagte –
Prozessb. Rae. D.E.u.P. aus B.
wegen Forderung
erlässt das Amtsgericht Obernburg am Main durch die Richterin am Amtsgericht … auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 15.3.2011 folgendes Endurteil
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 325,– € nebst Zinsen sowie vorgerichtliche Anwaltskosten von 83,54 € zu zahlen.
2. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreites.
Tatbestand
entfällt gemäß §§ 495 a. 313 a Abs. 1 ZPO.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist zulässig und begründet, §§ 7 Abs. 1 u. 2 StVG, 3 Nr. 1 und 2 PflVersG, 249 ff BGB.
Bei den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung ergab sich, dass der Kläger die Reparatur in Eigenregie bereits unmittelbar nach Erhalt des Schadensgutachtens der T. & D. GmbH vom 11.1.2010 begonnen hatte und diese Reparatur zum Zeitpunkt der Nachbesichtigung des Sachverständigen zur Reparaturbestätigung am 26.1.2010n bereits durchgeführt und abgeschlossen war. Dies ergibt sich aus der Bestätigung des Sachverständigen von diesem Tage (Bl. 36 d.A.). Der Vorgang der Nachbesichtigung zwecks Reparaturbestätigung hat sich praktisch überschnitten mit dem Eingang des Restwertangebotes der Beklagten zu 2. vom 25.1.2010 ( Anlage 1 Bl. 57 d.A.). Dieses ging nach Angaben des Klägervertreters am 25.1.2010 bei ihm per Fax ein. Durch die zwischenzeitlich bereits erfolgte und offensichtlich weitgehend angeschlossene Reparatur war das Restwertangebot der Beklagten überholt. Es wurde auch für den Kläger in der Folgezeit nicht beachtlich, als er sich nach erfolgter Eigenreparatur ca. 4 Wochen später entschied, das Fahrzeug doch zu verkaufen, da seine Tochter es aufgrund des Unfallereignisses nicht weiter nutzen wollte. Denn das Restwertangebot bezieht sich ausdrücklich auf das Fahrzeug im beschädigten Zustand, nicht jedoch im Zustand nach der vom Kläger durchgeführten Reparatur, wie sie durch den Sachverständigen am 26.1.2010 bestätigt wurde. Bei dieser Sachlage war der Kläger aufgrund der konkreten zeitlichen Abfolge berechtigt, gemäß dem Gutachten der T. & D. GmbH und dem dort angesetzten Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert: 2.450,— € abzgl. Restwert: 0,— € ) abzurechnen. Aufgrund der konkreten Umstände des vorliegenden Falles (Reparatur in Eigenregie noch vor Eingang des Restwertgebotes) kam es letztlich auch nicht mehr auf die Problematik aus dem Urteil des BGH vom 23.11.2010 – VI ZR 35/10 – an. Nachdem der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung unwidersprochen Angaben zur Höhe der Ausgaben für die Reparatur und der Einnahmen durch den Verkauf des Fahrzeuges machte, war auch nachzuvollziehen, dass er bei der Abwicklung des Unfallschadens nicht gegen das sog. Bereicherungsverbot verstoßen hat.
Da Pauschalauslagen nach einem Unfall ohne nähere Nachweise weiterhin in Höhe von 25,– € anerkannt werden, waren noch 5,– € zu den vorgerichtlich erstatteten 20,– € zuzusprechen.
Hinsichtlich der vorgerichtlichen Anwaltskosten waren 83,54 € zuzusprechen.
II.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92 ZPO.
So also die Amtsrichterin der 1. Zivilprozessabteilung des AG Obernburg am Main. Daraus ergibt sich folgender Praxishinweis: Das Urteil des AG Obernburg bestätigt nachdrücklich die Dispositionsfreiheit des Unfallopfers, indem es entsprechend der BGH-Rechtsprechung die Restwerthöchstgebote aus dem Internet bei Voll- oder Teilreparaturen des verunfallten Fahrzeuges für unbeachtlich hält. Der richtige anwaltliche Rat für die Unfallgeschädigten besteht oftmals darin, den vom Sachverständigen festgestellten wirtschaftlichen Totalschaden zu reparieren oder wenigstens teilweise zu reparieren oder reparieren zu lassen. Restwerthöchstgebote der eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherung sind dann schon deshalb unbeachtlich, weil sie einen anderen Gegenstand, nämlich einen unreparierten total beschädigten Wagen, betreffen und weil das Unfallopfer mit der Reparatur oder Teilreparatur eine selbstverständlich erlaubte Disposition darüber getroffen hat, wie es mit dem ihm zugefügten Schaden umgehen will.
Was meint ihr?
Genau richtig, alles andere wäre falsch gewesen. Insofern, danke an den Klägeranwalt, danke an die Richterin und danke an Willi. 🙂
Grüße
Andreas
Hallo Andreas,
der Hauptdank muss dem Klägervertreter gebühren. Es war ein schweres Stück Arbeit für ihn, die erkennende Richterin von der richtigen Rechtslage zu überzeugen. So schrieb er mir. Dafür sind ellenlange Anlagen zu den Schriftsätzen des Klägers eingereicht worden. Erfreulicherweise hat die Richterin es dann doch richtig gesehen. Das ist dann doch eine Niederlage für die Prozessbevollmächtigten der Beklagten, einem renommierten, mir bekannten Anwaltsbüro, das ausschließlich Versicherungen vertritt.
Mit freundlichen Grüßen 🙂
Dein Willi
Wie ist eigentlich der Sachstand in Sachen Urheberrechtsverletzung?
@ Hunter
Bestens!
Fristablauf ist am 06.05.2011.
Danach werden,wie es so schön unangreifbar heisst,“die zu Gebote stehenden Weiterungen“eingeleitet.
Ich hätte da mal eine Frage und hoffe, dass mir jemand helfen kann:
Die Reparaturkosten liegen unter dem Wiederbeschaffungswert. Ich will das Fahrzeug ohne Reparatur weiternutzen. Muss ich 6 Monate warten, bis ich die Differenz zwischen den Reparturkosten und dem Wiederbeschaffungsaufwand beanspruchen kann? Gibt es dazu schon Urteile?
Vielen Dank im Voraus.
BGH VI ZR 393/02
http://www.captain-huk.de/wp-content/uploads/rechtsprechung/urteile/fiktive-abrechnung/BGH_VI_ZR_393-02.pdf
BGH VI ZR 192/05
http://www.captain-huk.de/wp-content/uploads/rechtsprechung/urteile/fiktive-abrechnung/BGH_VI_ZR_192-05.pdf
BGH VI ZR 220/07
http://www.captain-huk.de/wp-content/uploads/rechtsprechung/urteile/fiktive-abrechnung/BGH_VI_ZR_220-07.pdf
AG Mannheim 3 C 303/10
http://www.captain-huk.de/allgemein/ag-mannheim-entscheidet-mit-urt-v-19-11-2010-3-c-30310-zur-faelligkeit-der-reparaturkosten/
Siehe hierzu auch
BGH VI ZR 35/10
http://www.captain-huk.de/urteile/neues-bgh-urteil-zur-fiktiven-abrechnung-bei-veraeusserung-des-fahrzeugs-innerhalb-der-6-monats-haltefrist-vi-zr-3510-vom-23-11-2010/
Weitere Urteile gibt es unter der Kategorie 130%-Regelung bzw. Fiktive Abrechnung.
Selbstreparatur Totalschaden
Hallo,
ich habe einen Haftpflichtschaden der von der gegnerrischen Versicherung über ein Gutachten zum Totalschaden deklariert worden ist.
Der Schaden lt. Gutachten beträgt 6700 € und der Wiederbeschaffungswert ca. 4800 € sowie das Gebot über die Restwertbörse von 2060 €.
Allerdings finde ich kein vergleichbares Fahrzeug zum Preis der Wiederbeschaffungswertes (Zustand, Ausstattung).
Welche Möglichkeiten der Abrechnung habe ich wenn ich das Fahrzeug in Eigenregie reparieren möchte?
Bekomme ich dann die 100% des Wiederbeschaffungswertes oder die 130% wenn ich keine Rechungen oder nur für die Teile vorlegen kann?
Kann ich nach den Stundensätzen des Gutachtens abrechnen?
Vielen Dank
Michael K.
Hi Michael K.,
das Urteil des AG Obernburg passt auf keinen Fall für Dein Vorhaben. Du hast offensichtlich noch nicht repariert. Bei dem Fall des AG Obernburg hatte sich das Online-Restwertgebot der Versicherung ja überholt, weil das Fahrzeug nach begonnener Reparatur bereits anders aussah.
Am besten erfahrenen Anwalt für Schadensrecht fragen.
eine der spannendsden fragen derzeit …
ohne sach- und fachgerechte reparatur geht gar nichts außer abrechnung auf totalschadenbasis, wobei weiter fraglich ist, ob das restwertangebot (wohl vom überregionalen markt?) i.s. der rechtsprechung des BGH annahmefähig ist.
weitere fragen:
hat der SV seine ermittlungen zum WBW offen gelegt?
wurde mit preisen der vertragswerkstatt kalkuliert?
welche kosten entstehen tatsächlich für die reparatur?
das ist kein fall für einen blog, sondern für den anwalt und den BGH 🙂