Der 6. Zivilsenat hat mit Urteil vom 03.03.2009 – VI ZR 100/08 – erneut über eine fiktive Schadensabrechnung entschieden. Der Leitsatz lautet: Kommt es beim KFZ Haftpflichtschaden für den Umfang des Schadensersatzes darauf an, ob die vom Sachverständigen kalkulierten Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert übersteigen, ist in der Regel auf die Bruttoreparaturkosten abzustellen.
Tatbestand:
Der Kläger verlangt von den Beklagten restlichen Schadensersatz für sein bei einem Verkehrsunfall beschädigtes Fahrzeug. Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist unstreitig.
Ausweislich eines vom Kläger eingeholten Gutachtens betragen die Reparaturkosten 3.572,40 € netto (4.251,16 € brutto) und der Wiederbeschaffungswert incl. Mehrwertsteuer 4.200,00 €. Der Kläger verlangte von den Beklagten daraufhin Ersatz der Nettoreparaturkosten von 3.572,40 € zuzüglich 25,00 € Kostenpauschale. Die Beklagte zu 2 regulierte den Schaden in Höhe des Wiederbeschaffungswerts von 4.200,00 € abzüglich 1.680,00 € Restwert, und zahlte daher 2.520,00 € nebst 20,00 € Kostenpauschale. Mit der Klage verlangt der Kläger die Zahlung des Differenzbetrags sowie vorgerichtlicher Kosten von 155,30 €.
Das Amtsgericht Fulda hat mit Urteil vom 29.11.2007 ( 32 C 203/07 ) der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage bis auf einen Betrag von 5 € (erhöhte Kostenpauschale) abgewiesen ( Landgericht Fulda Urteil vom 29.02.2008 – 1 S 200/07- ) . Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klagantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht führt aus: Übersteige der Kraftfahrzeugschaden den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs, könnten dem Geschädigten Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungsaufwand des Fahrzeugs liegen, grundsätzlich nur dann zuerkannt werden, wenn diese Reparaturkosten konkret angefallen seien oder wenn der Geschädigte nachweisbar wertmäßig in einem Umfang repariert habe, der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteige.
Anderenfalls sei die Höhe des Ersatzanspruchs auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt. Da der Kläger nach seinem eigenen Vorbringen allenfalls Notreparaturen vorgenommen habe, um die Fahrfähigkeit des PKW wieder her zustellen und eine qualifizierte Reparatur nicht erfolgt sei, könne er nur dann die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten verlangen, wenn der Fahrzeugschaden den Wiederbeschaffungswert nicht überstiegen habe. Die für die Entscheidung maßgebliche Frage, ob der Kraftfahrzeugschaden den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs überstiegen habe, sei zu bejahen. Unstreitig betrage der Wiederbeschaffungswert einschließlich Mehrwertsteuer 4.200 €.
Insofern habe der Gutachter ausgeführt, dass vergleichbare Fahrzeuge überwiegend am Privatmarkt angeboten würden. Der mehrwertsteuerneutrale Betrag entspreche dem Wiederbeschaffungswert einschließlich Mehrwertsteuer. Demgegenüber beliefen sich die Reparaturkosten auf 3.572,40 € netto und auf 4.251,16 € einschließlich Mehrwertsteuer. Die Nettoreparaturkosten lägen daher unter dem Wiederbeschaffungswert von 4.200 €, während die Bruttoreparaturkosten höher als der Wiederbeschaffungswert seien. Die Frage, ob der Wiederbeschaffungswert mit den Nettoreparaturkosten oder den Bruttoreparaturkosten zu vergleichen sei, sei dahin zu beantworten, dass der erforderliche Reparaturaufwand und der Fahrzeugwert zu vergleichen seien, wobei zum Aufwand für eine ordnungsgemäße Reparatur regelmäßig ebenso wie zum Aufwand für die Wiederbeschaffung eines Fahrzeugs auch die Mehrwertsteuer gehöre. Insofern bedürfe es eines einheitlichen Vergleichsmaßstabes und könnten die Werte nicht einmal auf Nettobasis Reparaturkosten) und einmal auf Bruttobasis (Wiederbeschaffungswert) verglichen werden. Da es um einen Wirtschaftlichkeitsvergleich gehe, also alternative tatsächliche Schadensausgleichsmaßnahmen miteinander verglichen würden, sei es sachgerecht, auf beiden Seiten der Vergleichsrechnung den jeweiligen Bruttowert in den Vergleich einzustellen.
II.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand.
1. Zutreffend legt das Berufungsgericht seiner Entscheidung die ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats zu Grunde. Übersteigt der Kraftfahrzeugschaden den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs – im Rahmen der 130%-Grenze -, können Reparaturkosten, die über dem Wiederbeschaffungsaufwand des Fahrzeugs liegen, grundsätzlich nur dann zuerkannt werden, wenn die Reparatur fachgerecht und in einem Umfang durchgeführt wird, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat, und wenn diese Reparaturkosten konkret angefallen sind oder wenn der Geschädigte nachweisbar wertmäßig in einem Umfang repariert hat, der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigt, und dass anderenfalls die Höhe des Ersatzanspruchs auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt ist (Senatsurteile BGHZ 162, 161 ff.; 162, 170 ff.). Hingegen spielt die Qualität der Reparatur so lange keine Rolle, wie die geschätzten Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen, so dass in diesem Fall die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts ohne Abzug des Restwerts verlangt werden können (Senatsurteile BGHZ 154, 395 ff.; 168, 43 ff.).
Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Voraussetzungen für einen Ersatz in Höhe der vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten hier nicht vorliegen, falls diese den Wiederbeschaffungswert übersteigen, stellt die Revision nicht in Frage.
2. Die Revision meint, im vorliegenden Fall überstiegen die geschätzten Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert nicht, weil sie nur netto, also ohne Zurechnung der Mehrwertsteuer anzusetzen seien. Die nach der Schuldrechtsreform geltende Fassung des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB bestimme, dass Umsatzsteuer bei Schadensersatz nur dann verlangt werden könne, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen sei. Diese Norm enthalte ein allgemein geltendes schadensersatzrechtliches Prinzip, nach dem auch bei Elementen der Schadensberechnung Umsatzsteuer nur dann in die Berechnung einfließen dürfe, wenn sie effektiv bezahlt wurde. Hieraus ergebe sich, dass dann, wenn, wie hier, der Wiederbeschaffungswert umsatzsteuerneutral sei, weil vergleichbare Fahrzeuge nur auf dem Privatmarkt angeboten würden, dieser Wert nicht zu korrigieren sei.
Dem kann nicht gefolgt werden.
a) Dem Geschädigten, der eine Reparatur nachweislich durchführt, werden die zur Instandsetzung erforderlichen Kosten, die den Wiederbeschaffungswert bis zu 30% übersteigen, nur deshalb zuerkannt, weil regelmäßig nur die Reparatur des dem Geschädigten vertrauten Fahrzeugs sein Integritätsinteresse befriedigt (vgl. Senatsurteile BGHZ 115, 364, 371; 162, 161, 166; 162, 170, 173, jew. m. w. Nachw.), wobei aber letztlich wirtschaftliche Aspekte den Zuschlag von bis zu 30% zum Wiederbeschaffungswert aus schadensrechtlicher Sicht als gerechtfertigt erscheinen lassen (Senatsurteil BGHZ 162, 161, 166 ff.). Dabei ist zu bedenken, dass die Schadensersatzpflicht von vornherein nur insoweit besteht, als sich die Aufwendungen im Rahmen wirtschaftlicher Vernunft halten (Senatsurteile BGHZ 115, 375, 378 f.; 162, 161, 165).
Daran hat sich der Vergleichsmaßstab auszurichten. Nimmt der Geschädigte – wie hier – nur eine Notreparatur vor, stellen die vom Sachverständigen geschätzten Bruttoreparaturkosten einschließlich der Mehrwertsteuer regelmäßig den Aufwand dar, den der Geschädigte hätte, wenn er das Fahrzeug tatsächlich derart reparieren ließe, dass ein Schadensersatz im Rahmen der 130%-Grenze in Betracht käme. Dieser Aufwand ist mit dem Wiederbeschaffungswert zu vergleichen (ebenso: OLG Düsseldorf, DAR 2008, 268, 269; AG Kaiserslautern, VersR 2005, 1303, 1304 f.; Geigel/Knerr, Der Haftpflichtprozess, 25. Aufl., Kap. 3 Rn. 35; Palandt/Heinrichs, 68. Aufl., § 249 Rn. 28). Liegt der Betrag der vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten einschließlich der Mehrwertsteuer über dem Wiederbeschaffungswert, kann eine Reparatur nur dann als noch wirtschaftlich vernünftig angesehen werden, wenn sie vom Integritätsinteresse des Geschädigten geprägt ist und fachgerecht sowie in einem Umfang durchgeführt wird, wie ihn der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat. Eine fiktive Schadensabrechnung führt in diesem Fall dazu, dass der Geschädigte nur den Wiederbeschaffungsaufwand verlangen kann.
b) Aus § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB, wonach Umsatzsteuer nur dann verlangt werden kann, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist, ergibt sich nichts Abweichendes. Die Vorschrift besagt nur, dass im Fall fiktiver Schadensabrechnung der auf die Umsatzsteuer entfallende Betrag nicht zu ersetzen ist. Nach der gesetzlichen Wertung käme es zu einer Überkompensation, wenn der Geschädigte fiktive Umsatzsteuer auf den Nettoschadensbetrag erhielte (vgl. BT-Drucks. 14/7752 S. 13; Senatsurteil BGHZ 158, 388, 391), was auch im Fall eines Totalschadens (Senatsurteil BGHZ 158, 388 ff.) und bei konkreter Schadensabrechnung nach der Ersatzbeschaffung eines Fahrzeugs (Senatsurteile BGHZ 164, 397 ff.) gilt. Um die Verhinderung einer Überkompensation geht es bei der vorliegenden Fragestellung indes nicht. Vielmehr geht es um eine wertende Betrachtung, unter welchen Umständen eine Reparatur des total beschädigten Fahrzeugs noch als ausreichend wirtschaftlich angesehen werden kann, damit dem Schädiger eine Belastung mit den Kosten zuzumuten ist.
c) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, es verstoße gegen das Gleichheitsgebot (Art. 3 GG), die Bruttoreparaturkosten als Vergleichsmaßstab heranzuziehen, weil von unterschiedlichen Ergebnissen auszugehen sei je nachdem, ob der Geschädigte vorsteuerabzugsberechtigt sei oder nicht. Zwar kann die Vorsteuerabzugsberechtigung bei der Schadensberechnung zu beachten sein (vgl. Senatsurteile vom 6. Juni 1972 – VI ZR 49/71 – VersR 1972, 772; vom 4. Mai 1982 – VI ZR 166/80 – VersR 1982, 757, 758). Es kann auch unterstellt werden, dass im Fall eines vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten die Nettoreparaturkosten als Vergleichsmaßstab herangezogen werden können, was hier nicht zu entscheiden ist. Indes dient das Schadensrecht dem Ersatz des dem jeweiligen Geschädigten jeweils konkret entstandenen Schadens. Deshalb ist die Schadensberechnung an den konkreten Umständen auszurichten und kann von daher im Einzelfall zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.
Die vom Berufungsgericht vorgenommene Schadensberechnung ist demnach aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Gegen den bei der Berechnung angesetzten Restwert und gegen die Annahme, dass die Opfergrenze bei Ansatz der Bruttoreparaturkosten überschritten sei, wendet sich die Revision nicht.
So die 6. Zivilkammer des BGH.
Das Urteil überrascht nicht.
Hallo Willi,
wie der Kläger in dieser Fallgestaltung ( nur Notreparatur, statt der geforderten sach- und fachgerechten Reparatur ) Revision einlegen konnte, ist mir mehr als schleierhaft. Vom Ergebnis her überrascht das Urteil daher nicht.
MfG
Dein Werkstatt-Freund
währ ich der Gutachter gewesen hätt ich die Repkosten unter den WBW gehalten.
51,60€ sollte sollte bei 4000 zu verschieben sein
und keiner hätte Probleme gehabt
hat wohl ein SV nicht mitgedacht
Genau darum geht es doch.
Natürlich hat ein „normaler“ Gutachter den Spielraum, eine vergleichbare Sache „stressfrei“ für den Geschädigten zu gestalten.
Entweder eindeutiger Totalschaden oder eindeutiger Reparaturschaden – und nicht die o.a. Zitterpartie.
Der Fall sollte doch offensichtlich vor den BGH gezerrt werden.
Ansonsten hätte
1.) der Gutachter tief und fest geschlafen
2.) der Geschädigte praxisfremden Mut. Denn welcher Geschädigte, der ein Fahrzeug im Wert von EUR 4.200 sein eigen nennt, geht für vage EUR 1.000 – in Kenntnis des gesamten Prozess- und Kostenrisikos – mit solch einer Lachplatte, die man nicht gewinnen kann, bis zum BGH? Insbesondere wenn man seine „Pappenheimer“ kennt. Die meisten „Helden“ kneifen doch bei klarer Rechtslage und vorgezeichneter Siegerspur schon vor einem AG-Prozess. Und plötzlich gibt es einen wirtschaftlich schwachen Geschädigten mit einem Sack voller Geld, der aussichtslos zum BGH hechtet? Nie und nimmer.
3.) der Anwalt des Geschädigten eine Meise, wenn er diesen Fall befürwortet und bis zum BGH treibt!
4.) der BGH-Anwalt keine Ahnung, wenn er dem Geschädigten bei der klaren Sachlage, aufgrund der bisherigen BGH-Rechtsprechung, nicht von der Revision abrät.
Da fällt einem doch spontan die Anwaltshaftung ein?!
Hat vielleicht irgend jemand nur den leisesten Piep gehört von diesen 3 Prozessen, bevor die BGH-Entscheidung veröffentlicht wurde. Riecht doch mehr als deutlich gegen den Wind nach einem BGH-Kasperltheater.
War die beklagte Versicherung vielleicht wieder die HUK, die Bruderhilfe oder eventuell die DEVK?
Tri, tra, trullala……
Fragt mal bei der Clearingstelle beim GDV nach.
Da bekommt ihr bestimmt Antwort über geplante BGH-Prozesse.
hi hunter
sehe ich absolut genauso!
es schüttelt einem,wenn man den juristischen nonsens liest,den die revision hier dem bgh vorgelegt hat.
die huk war´s sicher nicht;die hätte die revision eine woche vor der verhandlung zurückgenommen,um das urteil zu verhindern.
ist jetzt beim vorsteuerabzugsberechtigten der nettowertvergleich anzustellen?
sydney´s finest
Frage von downunder: „ist jetzt beim vorsteuerabzugsberechtigten der nettowertvergleich anzustellen?“
Antwort laut Urteilsbegründung:
„Es kann auch unterstellt werden, dass im Fall eines vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten die Nettoreparaturkosten als Vergleichsmaßstab herangezogen werden können, was hier nicht zu entscheiden ist.“
@downunder
Nicht die Beklagte ist in Revision gegangen, sondern der Kläger (Geschädigter)!!!
@ downunder 28.03.2009 10.56 und SV 28.03.2009 11.47
Hi Mr. Downunder,
ich meine, dass der VI. Zivilsenat diese Frage offen gelassen hat, aber wohl dahin tendieren wird, dass bei vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten der Vergleich mit den Nettozahlen vorgenommen werden muss, da anderenfalls tatsächlich Brutto mit Netto verglichen wird, was m.E. nicht möglich ist.
SV ist mit seinem Kommentar vom 28.03.2009 wohl auf der richtigen Spur.
MfG
Willi Wacker
…ich glaube, das ist recht einfach: Der Schaden ist der Betrag, der auf den konkreten Geschädigten bezogen aus dessen Portemonnaie endgültig abfließt.
Ob ich nun zum Vorsteuerabzug berechtigt bin oder nicht, jeweils ist bei einem Fahrzeug ohne ausgewiesene Mehrwertsteuer der Kaufpreis der Betrag, der „weg“ ist.
Für den Privaten sind die Bruttoreparaturkosten „weg“.
Für den Unternehmer sind nur die Nettoreparaturkosten „weg“.
Mag es auch nicht so akademisch klingen, wie brutto oder netto: Wer sich merkt, dass man „weg“ mit „weg“ vergleichen muss, macht wohl nichts falsch.
Hallo Werkstatt-Freund, hallo Hunter,
Eure Überlegungen zur Revision wegen rund 1000 Euro durch den geschädigten Kläger (!) dürften m.E. in die richtige Richtung gehen. Mir feällt dabei der Revisionsfall des Geschädigten in der Fussgängerzone ein. Bei dieser klaren Sachlage ( Reparaturkosten über Wiederbeschaffungswert ) nur eine Notreparatur durchführen und dann fiktiv auf Gutachtenbasis abrechnen wollen erscheint mir sehr schleierhaft. Hat evtl. der Klägeranwalt falsch beraten? Hätte der BGH-Anwalt des klagenden Geschädigten nicht von der Revision abraten müssen, bei der bereits bestehenden Rspr. des 6. Zivilsenates? Ich meine, dass dieser Revisionsrechtstreit wieder einige Fragen, wie er zustande gekommen ist, aufwirft.
Der Urteilsausspruch und der gefasste Leitsatz überraschen daher nicht. Es liegt eine konsequente Fortführung der bisherigen Rspr. des BGH vor.
MfG
Willi Wacker
Hallo Herr Otting,
rein technisch ist es aber letztlich egal, ob der Geschädigte vorsteuerabzugsberechtigt ist oder nicht.
Es kann auch keinem Techniker vermittelt werden, dass es hierauf ankommt, wann ein bestimmter Schaden an einem Fahrzeug ein Totalschaden ist.
Man stelle sich ein fünf Jahre altes Fahrzeug vor, dass überwiegend differenzbesteuert angeboten wird. Es habe einen WBW von 8000,00 Euro (inkl. MwSt-Anteil, sagen wir 2,4%).
Der Schaden beläuft sich nun auf 7000,00 netto (= 8330 brutto) + 800,00 Wertminderung.
Fall 1: Privatmann/frau: 9130,00 Euro gesamt => Totalschaden, weil > 8000,- Euro
Fall 2: Geschäftsmann/frau: 7800,00 Euro gesamt => Reparaturschaden, weil < 7808,- Euro
Beim Arzt sind es aber wieder 9130,00 Euro Gesamtschaden und in der Landwirtschaft ergeben sich wieder andere MwSt-Verhältnisse, sodass es noch verwirrender wird.
Der Privatmann wird zu Recht nicht verstehen, weshalb bei gleichem Schaden und gleichem Fahrzeug einmal ein Totlaschaden vorliegt und einmal nicht. Interessanter wird es noch bei der 130%-Grenze…
Vergleichen lässt sich immer nur Gleiches mit Gleichem.
Es könnte ja jetzt die Versicherung auf die Idee kommen, dass sie als Auftraggeber auftritt, weil dann haben wir in den Reparaturkosten wieder 19% drin und schneller einen Totalschaden…
Grüße
Andreas
…zum Glück, Andreas, ist es anders. Wir haben ein Schadenrecht, dass auf die individuellen Verhältnisse des Geschädigten abstellt. Das kann im Einzelfall negativ sein, wenn man auf „Meistbegünstigung“ schielt. Im Ganzen ist das aber nur positiv.
Wenn der Schädiger eine Körperverletzung herbeiführt, bei dem ein Auge des Geschädigten das Augenlicht verliert, macht es einen erheblichen Unterschied, ob der Geschädigte auf dem anderen Auge schon vorher blind war oder nicht. Der Eine sieht dann gar nichts mehr, der Andere noch auf einem Auge.
Obwohl: „Technisch“ ist in beiden Fällen nur ein Auge betroffen.
Und in unserem Fall ist bei dem Einen der Nettobetrag „weg“, bei dem Anderen der Bruttobetrag. Der Schaden bezieht sich auf das individuelle Loch im Portemonnaie. Der schadenrechtliche Grundsatz lautet: Der Schädiger muss den Geschädigten so nehmen, wie er ihn vorfindet.
Für die Verschwörungstheoretiker: Nicht nur ein Instanzgericht hatte bisher auf die Nettokosten abgestellt. Motto: Mehr muss der Versicherer fiktiv nicht bezahlen, also ist das der Schaden. Dass Instanzurteile sogar von Experten für das Maß aller Dinge gehalten werden, kommt ja auch hier von Zeit zu Zeit vor (siehe die 6-Monats-Frage nach Werkstattreparatur). Da hätte doch auch fast Jeder hier mit wehenden Fahnen den Marsch nach Karlsruhe angetreten, oder?
Ob ein Totalschaden an einem Fahrzeug vorliegt oder nicht, kann nicht an der Betrachtungsweise des jeweiligen Geschädigten festgemacht werden. Mehrwersteueroption oder nicht spielt hierbei keine Rolle – auch wenn das eine oder andere Instanzgericht hier so oder so entschieden hat oder entscheiden sollte.
Die Entscheidung „Totalschaden“ fällt bei der Gegenüberstellung der gesamten Reparaturkosten zum Wiederbeschaffungswert. Die Betrachtung der steuerlichen Situation des Geschädigten ist hierbei außen vor. Die Gelehrten streiten sich zwar noch, ob Netto/Netto oder Brutto/Brutto jeweils zu bewerten ist, aber Brutto/Netto kommt auf alle Fälle nicht zum tragen.
Die Reparaturwürdigkeit des Fahrzeuges an sich ist der Maßstab – losgelöst von der jeweiligen steuerlichen Betrachtungsweise des Geschädigten.
Die Brutto/Brutto-Klassifizierung erscheint als die korrekte Lösung, da ein Fahrzeug am Markt einen Wert X Brutto hat und eine Reparatur einen Wert Y Brutto auslöst.
Alles andere ist nicht praktikabel und landet in den meisten Fällen bei Gericht.
Der Gesamtschaden muss am Bruttowert festgemacht werden, unabhängig davon wer die jeweiligen Steuersätze zu tragen oder nicht zu tragen hat.
Die steuerliche Betrachtung kommt erst nach der Entscheidung, ob ein Fahrzeug reparaturwürdig ist oder nicht.
Analog der 6-Monats-Frist.
Dort: Differenzierung nach Anspruchsvoraussetzung und Fälligkeit.
Hier: Differenzierung nach Reparaturwürdigkeit und Erstattungsanspruch.
Auf alle Fälle kommt der o.a. Gang zum BGH, bei dem zugrundeliegenden Sachverhalt, einem juristischen Selbstmord gleich.
Hallo Herr Otting,
Ihr Vergleich hinkt, denn es geht nicht um gleiche Voraussetzungen (identischer Schaden am identischen Objekt).
Sie haben zwar den identischen Schaden, aber kein vergleichbares Objekt.
Es kann nur eine Betrachtung auf gleicher Basis vorgenommen werden, sonst könnte ich auch Euro mit Dollar ohne Umrechnung vergleichen. Das ist schlicht und ergreifend Unsinn.
Und wenn in unserem Fall die gleiche Basis nicht 19% MwSt ist, dann ist schon genauer nachzufragen, von welcher Basis auszugehen ist und das ist meiner Meinung nach immer der Bruttobetrag, denn nur dieser ermöglicht einen einheitlichen Bezug.
Grüße
Andreas
…na, wenn Sie den zum Vorsteuerabzug Berechtigten unbedingt um sein VI ZR 393/02 oder VI ZR 192/05 – Geld bringen wollen, nur zu.
Ich halte noch viel vom subjektbezogenen Schadenbegriff, und zwar generell, nicht nur, wie man’s gerade braucht. Wenn ich es richtig sehe, zieht sich der durch die gesamte Schadenrechtsprechung. So zum Beispiel, Andreas, bei der 130 % Rechtsprechung: Gleicher Schaden, vergleichbares Objekt. Dann müsste nach Ihrer objektivierten Ansicht auch immer das gleiche Ergebnis rauskommen. Nun will der Eine das Fahrzeug nach der Reparatur behalten, der Andere aber nicht. Und nun?
Mag es vielleicht doch einen subjektiven Einfluss geben?
Auch bei der 130%-Regelung wird erst der fahrzeugtechnische Sachverhalt geklärt – in der Regel Brutto/Brutto – und dann kommt erst die (subjektive) Betrachtung der weiteren Schadensabwicklung.
@ Hunter
„…in der Regel Brutto/Brutto…“
Wirklich? Ist das typische 130 % – Auto nicht mehrwertsteuerneutral?
Und schon greift das obige Urteil wieder.
Na ja, egal, ich geb’s auf. Ich löse -weil identifizierbar- offenbar Argumentabwehrreflexe aus. Ich werde das Schadenrecht nach wie vor subjektbezogen anwenden. Den Fans des objektiven Schadens: Waidmannsheil!
Hallo Herr Otting,
der Schaden als solches ist identisch, nur der Schadenbetrag ist ein anderer, wenn vom Wahlrecht entsprechend Gebrauch gemacht wird.
Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass es ein 130%-Fall ist.
Grüße
Andreas
Der BGH irrt hier, wenn er meint, das bei einem Schaden nach dem 1.8.2001, bei dem eine wiederherstellbare Sache beschädigt wurde, Brutto mit Brutto verglichen werden muß.
§ 249 regelt seither nach dem Willen der Versicherer, das nur ein Nettoschaden entstanden ist.
Das UST Pflichtige durch danach entstandene Aufwendungsnachweise Mwst zusätzlich verlangen können, ändert diesen Grundsatz nicht. (Dann entsteht auch keine GG-widrige Ungleichbehandlung zwischen Vorsteuerabzugsberechtigten und dem Rest mehr.) Gehen der Netto WBW und die mögliche Mwst gemäß §§ 10 und 25a Ustg aus dem Gutachten hervor, stellt es derzeit kein Problem für Berechtigte mehr dar, auf Nachweis auch bei älteren Fahrzeugen die darauf entfallende Regelsteuer zu bekommen. Dies belegen bereits eine ganze Reihe zwischenzeitlicher Rechtsprechungen verschiedener Gerichte einschließlich bestätigender Instanzentscheidungen, die teilweise schon hier veröffentlicht wurden (nur allein zu letzteren hier Veröffentlicht der LGe Frankfurt und Magdeburg) und weitere, die C HUK bereits seit längerem vorliegen, die hoffentlich auch bald hier folgen werden. (Andreas und Hunter waren hier also auf dem richtigen Weg, Herr Otting irrt sich bereits bei seiner Definition des WBW, weil dieser als durchschnittlicher Händlerverkaufspreis definiert ist, bildet er sich ausschließlich aus Preisangeboten die Ust nach §§ 10 und 25 a Ustg enthalten müssen, die dann auch noch durch den qualifizuerten Sachverständigen je nach Marktanteil gewichtet werden müssen usw. Alle anderen Preisangebote sind krimineller Schwarzhandel oder Privat und deshalb unbeachtlich,)