Hallo verehrte Captain-Huk-Leser!
Nun ist er da, der 1.000. Beitrag von mir für diesen Blog. Bisher hat es immer Spass gemacht, durch eingestellte Urteile das rechtswidrige Regulierungsverhalten der Kfz-Haftpflichtveresicherer darzustellen. Vielleicht kann sich der ein oder andere Leser noch an meine Worte zum 500. Beitrag erinnern. Wie schnell ist die Zeit vergangen. Aber die Versicherer – und allen voran die HUK-Coburg – zwingen ja tagtäglich zu Beiträgen. So war auch vor kurzem eine Frage an mich herangetragen worden, ob der Haftpflichtversicherer den Gutachter bestimmen könne. Die Kundin eines Sachverständigen habe von der eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherung einen Anruf erhalten des Inhalts, dass das Gutachten durch den Sachverständigen XY am Ort erstellt werden müsse. Der Geschädigte müsse den preiswertesten Gutachter am Ort auswählen, wenn ihm nicht die Verletzung der Schadensminderungspflicht vorgeworfen werden soll. Diese Ansicht des Sachbearbeiters der Kfz-Haftpflichtversicherung ist natürlich falsch. Nachstehend daher ein wieder aktuell gewordener Beitrag zum Schadensersatzrecht. Der Geschädigte hat nämlich das Recht der freien Gutachterwahl. Also dieses Mal kein Urteil zum 1000. Beitrag von mir, sondern ein Beitrag.
Eigentlich ist es eine schadensersatzrechtliche Belanglosigkeit, dass der Geschädigte nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall zur Feststellung und Beweissicherung seiner Unfallschäden und zur Feststellung der Schadenshöhe ein Sachverständigengutachten in Auftrag geben darf. Dieses Recht hat er wegen der Waffengleichheit sogar, wenn der eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherer seinerseits ein Gutachten in Auftrag gibt. Die Kosten eines Gutachtens, das nach einem fremd verschuldeten Kfz-Unfall der Geschädigte zur sachverständigen Feststellung des Schadens, des Fahrzeugzeitwertes sowie der voraussichtlichen Instandsetzungskosten erstellen lässt, sind erstattungsfähig (so OLG Karlsruhe NJW 1968,1333 = VersR 1969, 191). Mit diesem Urteil ist erstmalig festgestellt worden, dass der Geschädigte berechtigt ist, ein Gutachten eines qualifizierten Kfz-Sachverständigen in Auftrag geben zu dürfen. Die Kosten des Gutachtens hat nach § 249 BGB der Schädiger zu tragen. Dieses Urteil hat sich die Rüge der versicherungsfeindlichen Tendenz eingebracht (so: Fleischmann in Anm. in VersR 1969, 193). Trotzdem war es der Ursprung einer bis heute durchgehenden Rechtsprechung. Diese Rechtsprechung des OLG Karlsruhe wurde fortgesetzt durch das OLG Stuttgart mit Urteil vom 30.1.1974 (OLG Stuttgart DAR 1974, 189 = NJW 1974, 951). Danach sind die Kosten eines vom Geschädigten zur Unfallschadensfeststellung eingeholten Sachverständigengutachtens vom Schädiger regelmäßig auch dann zu ersetzen. Das Kammergericht Berlin hat entschieden, dass die Kosten eines vom Geschädigten eingeholten Gutachten auch dann zu erstatten sind, wenn dem Schädiger bereits ein Gutachten vorliegt (KG VersR 1977, 155). Das Kammergericht hat in dem vorerwähnten Urteil auf das Urteil des BGH vom 6.11.1973 – VI ZR 27/73 – (BGH NJW 1974, 34 = DAR 1974, 17) verwiesen. Darin hat der BGH ohne weitere Begründung die grundsätzliche Ersatzfähigkeit der einschlägigen Sachverständigenkosten festgestellt. Dort heißt es, allerdings an versteckter Stelle, dass der Herstellung nach § 249 BGB zunächst die Instandsetzungsarbeiten an dem Unfallfahrzeug selbst dienen einschließlich der vorher durchgeführten Begutachtung des Fahrzeugs durch einen Sachverständigen. Mit der Einstufung der Sachverständigenkosten als unmittelbaren Sachschaden – und nicht als Sachfolgeschaden – hat der BGH in seinem Urteil vom 29.1.1985 ( BGH DAR 1985, 154 = MDR 1985, 483) diesen Standpunkt bestätigt.
Letztlich ergibt sich auch aus dem Sachverständigenkosten-Urteil des BGH vom 23.1. 2007 – VI ZR 67/06 – (= BGH DS 2007, 144 m. Anm. Wortmann), dass der Geschädigte berechtigt ist, ein Gutachten über die Unfallschäden an seinem verunfallten Kfz. in Auftrag zu geben. In diesem urteil hat der BGH ausgeführt, dass der Geschädigte grundsätzlich die Kosten des von ihm beauftragten Kfz-Sachverständigen erstattet verlangen kann, denn die Kosten gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gem. § 249 I BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit eine vorherige Begutachtung zur Geltendmachung der Schadensersatzansprüche erforderlich und zweckmäßig ist (vgl. auch BGH NJW 2005, 356 = DS 2005, 108; BGH NJW-RR 1989, 953, 956). Ebenso können die Sachverständigenkosten zu dem nach § 249 II 1 BGB erforderlichen Herstellungsaufwand gehören, wenn eine vorherige Begutachtung zur tatsächlichen Durchführung der Wiederherstellung erforderlich und zweckmäßig ist (vgl. BGH NJW 1974, 34 = VersR 1974, 90; BGH NJW 1985, 1845 L = VersR 1985, 441, 442; BGH DS 2005, 108 = NJW 2005, 356; Wortmann VersR 1998, 1204, 1210f.). Der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei (vgl. BGH NJW 2003, 2085; BGHZ 155, 1 = BGH NJW 2003, 2086; BGH DS 2006, 193; BGH NJW 1989, 3009). Er darf zur Schadensbeseitigung grundsätzlich den Weg einschlagen, der aus seiner Sicht seinen Interessen am besten zu entsprechen scheint (vgl. BGH NJW 2005, 1112 = VersR 2005, 558, 559), so dass er im Regelfall berechtigt ist, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen (BGH DS 2007, 144, 145; Hörl NZV 2003, 305, 306f.; Wortmann ZfS 1999, 1, 2; derselbe VersR 1998, 1204, 1210). Aus diesem letzten Satz ergibt sich, dass der Geschädigte auch nach der Rechtsprechung des BGH berechtigt ist, einen Gutachter seiner Wahl zu beauftragen.
Auch aus der Dispositionsfreiheit, die sich aus § 249 II BGB ergibt, kann das Recht der freien Sachverständigenwahl hergeleitet werden. Denn der Geschädigte darf zur Schadensbeseitigung – und dazu gehört auch die vorhergehende Schadensfeststellung – grundsätzlichg den Weg einschlagen, der aus seiner subjektiven Sicht seinen Interessen am besten geeignet erscheint. Insoweit darf er entscheiden, wann, wo, wie und ob er den Schaden beseitigt oder beseitigen läßt. Da die vorhergehende Begutachtung des Unfallfahrzeuges zur Durchführung der Schadensbeseitigung erforderlich und zweckmäßig ist, ist der Geschädigte auch bei der Begutachtung des Schadensbildes frei und kann den Sachverständigen auswählen, der am geeignetesten erscheint.
Schließlich sein noch darauf hingewiesen, dass der Geschädigte einen Schadensersatzanspruch auf Wiederherstellung des früheren Zustandes hat. Der Geschädigte ist daher Inhaber der Forderungsrechte. Er ist insoweit Gläubiger, während der Schädiger Leistender ist, der den Schadensersatzanspruch zu erfüllen hat. Der Schädiger ist daher Schuldner. Der Schuldner ist aber regelmäßig nicht mit Rechten versehen, sondern mit Verpflichtungen. Aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis ergibt sich daher auch, dass der Schädiger regelmäßig keine Rechte, sondern Pflichten hat (Wortmann ZfS 1999, 1 ff.) Wer aber zu einer Leistung verpflichtet ist, kann nichts fordern, sondern muss leisten. Der Schädiger muss den Schadensersatz leisten. Aufgrund des gesetzlichen Bildes des Leistenden kann der Schuldner auch nichts fordern. Da nach der herrschenden Rechtsprechung der Geschädigte nicht verpflichtet ist, vor Beauftragung des Sachverständigen quasi eine Marktforschung zu betreiben ( so zutreffend: BGH DS 2007, 144, 145; AG Nürnberg Urt. v. 2.4.1996 – 36 C 302/96 – ; AG Herne-Wanne Urt. v. 13.1.1998 – 2 C 351/98 -; AG Dortmund Urt. v. 24.3.2006 – 134 C 11158/05 -: AG Baden-Baden Urt. v. 20.8.2010 – 1 C 24/10 -) und es im übrigen auch keine einheitlichen Sachverständigentarife gibt, kann der Geschädigte den Sachverständigen beauftragen, bei dem er meint, dass dieser seinen Belangen am besten zusagt (BGH NJW 2005, 1112). Das Gesetz kennt auch keine Pflicht des Geschädigten, vor der Beauftragung eines bestimmten Sachverständigen Vergleichsangebote anderer Sachverständiger einzuholen, nur um den billigsten beauftragen zu können. Dies kann auch nicht aus der Schadensgeringhaltungspflicht gem. § 254 II BGB hergeleitet werden. Der Geschädigte ist nämlich gar nicht in der Lage, Vergeichsangebote einzuholen. Nach herrschender Rechtsprechung des BGH ist der Sachverständige bei Routinegutachten berechtigt, sein Honorar an der Schadenshöhe zu bemessen ( BGH DS 2006, 278 ). Das bedeutet, dass der Sachverständige sein verdientes Honorar erst nach Auftragsbeendigung berechnen kann. Im vorhinein liegt die Schadenshöhe noch nicht vor. Diese soll ja gerade durch das Gutachten festgestellt werden. Insoweit ist bereits der Ansatz, der Geschädigte müsse Vergleichsangebote einholen, um den günstigsten Sachverständigen zu beauftragen, falsch, weil im vorhinein die Schadenshöhe als maßgebliche Berechnungsgröße noch nicht feststeht. Wenn der Geschädigte gar nicht in der Lage ist, Vergleichsangebote einzuholen, dann kann ihm auch nicht die Pflicht auferlegt werden, ebensolche einzuholen.
Es bleibt also letzten Endes dabei, dass der Geschädigte grundsätzlich berechtigt ist, einen qualifizierten Kfz-Sachverständigen seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen. Alle anderen Ansichten sind daher in das Reich der Legenden zu verweisen.
Mit frreundlichen Grüßen
Euer Willi Wacker
Hi Willi,
vielen Dank für 1000 informative Beiträge in diesem Forum. Immer gerne habe ich deine Beiträge gelesen. Ich freue mich auf die nächsten 1000 Beiträge.
Grüße aus Essen
und Glück Auf
Andreas
Auch ich schließe mich ausdrücklich dem Lob für die vielen Beiträge an, auch wenn ich nicht immer inhaltlich damit einverstanden bin. Aber davon lebt ja dieser Blog!
@ 1000ster Beitrag von Willi Wacker
Lieber Willi,
ich bin ein großer Fan von Dir und von Deinen fundierten juristischen Beiträgen.
Eine Hochachtung habe ich aber von Deinem unermüdlichen Einsatz für die Rechte der Geschädigten, für die wertvollen Hinweise an uns Sachverständige und für jene an unerfahrene Juristen.
Dein ungebrochener Wille(i) das Unrecht anzuprangern und kriminelle Verhaltensweisen einiger Versicherer in die Welt zu posten, ist nicht zu toppen.
Bitte achte auch auf Deine angeschlagene Gesundheit, mach etwas weniger, aber bleibe uns bitte, bitte dafür noch möglichst lange erhalten.
Die meisten Leser in diesem Blog haben nicht annähernd eine Vorstellung was Du hier für geistige u. physische Leistungen bringst.
Nochmals besten, Dank für Dein Wirken hier im Blog.
Dein Freund Franz
Go, Willi, go! 🙂
Und jetzt nochmal 1000 und dann nochmal und dann nochmal, …
Glückwünschende Grüße!
Andreas
Hallo Andreas aus Essen,
hallo Babelfisch,
hallo Franz Hiltscher und
hallo Andreas,
für Eure netten Worte einen recht herzlichen Dank. Besonders die Worte meines Freundes Franz Hiltscher haben mich doch berührt. Von angegriffener Gesundheit kennt er auch was.
So Gott will, will und werde ich noch eine Weile mich hier im Blog tummeln. Der eine oder andere Beitrag oder das eine oder andere Urteil wird von mir noch veröffentlicht werden. Das bin ich der guten Sache bis zum Schluß schuldig. Wenn nur das Problem mit der Luft nicht wäre.
Auch ich will, dass auch weiterhin – möglichst ohne persönliche Anfeindungen – die Leser informiert werden. Die Themen sind zu wichtig, um zerredet zu werden. Wir brauchen daher mehr „Mitmacher“, „Lieferanten“ und „Schreiber“. Helft bitte alle mit, dass der gut gemeinte Blog nicht in belanglose, nicht zielführende Kommentare mündet.
Mit freundlichen Grüßen
Willi Wacker
Vielen Dank für diesen interessanten Artikel. Ich stimme dem voll und ganz zu. Die Wahl des freien und unabhängigen Sachverständigen / Kfz Gutachters sollte und muss das Recht eines jeden Geschädigten sein. Deshalb ist es wichtig nach einem Unfall ruhig zu bleiben und keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Bestehen Sie auf ihren Gutachter, wenn möglich vor Gericht!