Hallo verehrte Captain-Huk-Leser,
nachfolgend gebe ich Euch ein Sachverständigenkosten- und Wertminderungs-Urteil aus Aachen bekannt. Während der Richter der 101. Zivilabteilung des AG Aachen die Rechtslage hinsichtlich der erforderlichen Sachverständigenkosten noch richtig beurteilt hat, hat er wegen der merkantilen Wertminderung aber völlig daneben gegriffen. Sogar die bestehende Rechtsprechung wurde ignoriert. Die merkantile Wertminderung ist keine Rechtsfrage, sondern eine technische Frage, die ein Kfz-Sachverständiger ermitteln kann. Ob dann nach älterer Rechtsprechung bei älteren oder viel gefahrenen Fahrzeugen ein Minderwert zu berücksichtigen ist, ist dann eine Rechtsfrage. Bei der letzteren Behandlung hat sich der Richter offenbar zu sehr auf die irrige Ansicht der Schriftsätze der HUK-Coburg-Anwälte gestützt. Bei älteren Fahrzeugen gibt es sehr wohl eine Wertminderung. Man denke nur an den berühmten Fall des OLG Düsseldorf (I-1 U 107/08 vom 30.11.2010) mit der Wertminderung bei dem Mercedes 300 SL Coupe. Um den vom Berufungsgericht ausgewiesenen Minderwertbetrag feststellen zu können, wurden drei Sachverständigengutachten benötigt. Also kann festgehalten werden, dass der erste Teil des Urteils top ist, während der zweite Teil flopt. Gebt bitte vielzählig Eure Meinungen ab.
Viele Grüße
Willi Wacker
101 C 443/10 Verkündet am 12.01.2011
Amtsgericht Aachen
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
der Frau
Klägerin,
gegen
HUK Coburg Versicherung
Beklagten,
hat das Amtsgericht Aachen
auf die mündliche Verhandlung vom 15.12.2010
durch den Richter …
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 480,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz aus seit dem 23.04.2010 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreites werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Von der Darstellung des Tatbestandes wurde gemäß § 313 a ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
1.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung der restlichen Sachverständigenkosten in Höhe von 480,80 € gemäß § 7 Abs.1 StVG. § 823 Abs.1 BGB i.V.m. § 115 VVG. Die Haftung der Beklagten als Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Unfallgegners ist zwischen den Parteien dem Grunde nach unstreitig. Hinsichtlich der Schadenshöhe gilt, dass die Klägerin gegenüber der Beklagten auch die weiteren Sachverständigenkosten geltend machen kann. Zu den unfallbedingten Schäden, die grundsätzlich vollumfänglich ersatzfähig sind, gehören auch die dem Geschädigten aus Anlass des Verkehrsunfalls entstandenen Gutachterkosten. Diese sind auch dann vom Schädiger bzw. dessen Versicherung zu ersetzen, wenn die Kosten übersetzt sind (vgl. Grüneberg in: Palandt, BGB, 69. Aufl., 2010, § 249 Rdnr. 58 m.w.N.; OLG Sachsen-Anhalt. Urt. v. 20.01.2006. Az.: 4 U 49/05). Der Beklagten ist es im Verhältnis zum Geschädigten verwehrt, sich auf die vermeintliche Überhöhung der Sachverständigengebühren zu berufen, da es einem Geschädigten vor Erteilung des Gutachtenauftrags nicht zuzumuten ist „Marktforschung“ zu betreiben und mehrere Kostenvoranschläge von Sachverständigen einzuholen. Der Streit über die Höhe der geltend gemachten Sachverständigenkosten kann daher nicht auf dem Rücken des Geschädigten ausgetragen werden (vgl. OLG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 20.01.2006. Az.: 4 U 49/05), so dass die Kosten schon aus diesem Grund zu erstatten sind. Darüber hinaus sind die geltend gemachten Kosten im vorliegenden Fall ortsüblich und angemessen. Die Gutachterkosten können im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens nach § 287 ZPO hinsichtlich der einzelnen Kostenpositionen geschätzt werden. Das Gericht hält die angesetzten Positionen für angemessen und insbesondere für erforderlich. So ist es nicht zu beanstanden, dass der Sachverständige eine Pauschalierung seines Honorars anhand der Schadenshöhe vorgenommen hat (vgl. BGH, Urt. v. 23.01.2007, Az.: VI ZR 67/06) und die Nebenkosten separat abgerechnet hat. Die Klägerin hat vorliegend auch einen Anspruch auf Zahlung gemäß § 250 S. 2 BGB, da die Beklagte eine weitere Leistung auf die Kosten des Gutachtens endgültig verweigert hat. Besteht die Naturalrestitution – so wie hier – in einem Befreiungsanspruch wegen der Belastung mit einer Verbindlichkeit, dann richtet sich der Schadensersatz auf Zahlung des Geldbetrages, der zur Tilgung der Verbindlichkeit erforderlich ist (vgl. Oetker in: Münchener Kommentar zum BGB. 5. Aufl., 2007, § 250 Rdnr. 13 m.w.N.).
2.
Die Zinsentscheidung ergibt sich aus §§’280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
3.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keine weiteren Ansprüche gemäß § 7 Abs.1 StVG, § 823 Abs.1 BGB i.V.m. § 115 VVG. Insbesondere hat die Klägerin keinen Anspruch auf Ersatz eines merkantilen Minderwertes. Bei Pkw entfällt ein merkantiler Minderwert in der Regel ab einer Grenze von fünf Jahren oder 100.000 km (vgl. Grüneberg in: Palandt, BGB, 69. Aufl., 2010, § 251 Rdnr. 16 m.w.N.). Die zu berücksichtigen Umstände des Einzelfalls führen vorliegend nicht dazu, dass ein merkantiler Minderwert im Rahmen des Vermögensschadens zu berücksichtigen wäre. Das Fahrzeug ist zum Unfallzeitpunkt schon weit über acht Jahre alt gewesen und hat auch die Fahrleistung von 100.000 km schon annähernd erreicht. Weitere Umstände, die die Annahme eines merkantilen Minderwertes rechtfertigen würden sind nicht ersichtlich. Bei der Frage ob ein merkantiler Minderwert eingetreten ist, handelt es sich um eine Rechtsfrage, so dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens insoweit nicht geboten gewesen ist.
Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder Bedeutung i.S.d. § 511 Abs. 4 Nr.1 ZPO besitzt noch die Zulassung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsp Entscheidung des Berufungsgerichts erforderlich ist.
5.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
Streitwert: 980,80 €
Verehrte Leserinnen und Leser,
man lernt immer noch dazu und das ist doch nach wie vor äußerst spannend, was z. B. die seitens der Gerichte präsentierte Vorstellungsbandbreite betrifft.
„Zu den unfallbedingten Schäden, die grundsätzlich vollumfänglich ersatzfähig sind, gehören auch die dem Geschädigten aus Anlass des Verkehrsunfalls entstandenen Gutachterkosten. Diese sind auch dann vom Schädiger bzw. dessen Versicherung zu ersetzen, wenn die Kosten übersetzt sind (vgl. Grüneberg in: Palandt, BGB, 69. Aufl., 2010, § 249 Rdnr. 58 m.w.N.; OLG Sachsen-Anhalt. Urt. v. 20.01.2006. Az.: 4 U 49/05).
Der Beklagten ist es im Verhältnis zum Geschädigten verwehrt, sich auf die vermeintliche Überhöhung der Sachverständigengebühren zu berufen, da es einem Geschädigten vor Erteilung des Gutachtenauftrags nicht zuzumuten ist „Marktforschung” zu betreiben und mehrere Kostenvoranschläge von Sachverständigen einzuholen. Der Streit über die Höhe der geltend gemachten Sachverständigenkosten kann daher nicht auf dem Rücken des Geschädigten ausgetragen werden (vgl. OLG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 20.01.2006. Az.: 4 U 49/05), so dass die Kosten schon aus diesem Grund zu erstatten sind.“
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Verehrte Leserinnen und Leser,
die vorstehend aufgeführte Passage aus den Entscheidungsgründen ist nicht nur zutreffend, sondern läßt an Deutlichkeit auch nichts zu wünschen übrig.
Gut wär es sicherlich, wenn auch die Schädiger dies neben ihrer Versicherung einmal verinnerlichen könnten, weil es ja gerade diejenigen sind, auf die zunehmend bei rechtswidriger Regulierungsverkürzung bedauerlicherweise zurückgegriffen werden muss.
Zur Frage des Merkantilen Minderwerts ist möglicherweise nicht ausreichend und deutlich genug vorgetragen worden, da ansonsten die Entscheidungsgründe kaum nachvollziehbar wären.
Dazu nur 2 Anmerkungen:
1.) Die Offenbarungspflicht für einen Unfallschaden besteht bekanntlich unabhängig vom Fahrzeugbaujahr und der zu unterstellenden Betriebsleistung. Sie ist auch nicht abhängig vom Erhaltungszustand des Fahrzeuges unter Berücksichtigung von Alt-u. Vorschäden!!!
2.) Entscheidungserheblich ist, ob dieses Fahrzeug am Gebrauchtwagenmarkt noch gehandelt wird und wertmäßig durch einen offenbarungspflichtigen Unfallschaden gemindert werden könnte, weil die maßgebliche Bezugsgröße für den Merkantilen Minderwert nun einmal der Fahrzeugwert ist, der als Objektwert gemindert wird.
Das sind ersichtlich jedoch keine Rechtsfragen, denn solche sind unter den Teilnehmern am Gebrauchtwagenmark gerade nicht der Beurteilungsmaßstab.
Mit freundlichen Grüßen
aus Bochum & Tangendorf
Dipl.-Ing. Harald Rasche
Liebes AG Aachen, einfach mal bei
CH – Wichtige BGH-Urteile – reinschauen und dem Link zum Urteil VI ZR 357/03 folgen.
14. Wertminderung
Urteil des VI. Zivilsenats vom 23.11.2004 – VI ZR 357/03
BGB §§ 249 Hd, 251; ZPO § 287
Zur Bemessung der Nutzungsausfallentschädigung und des merkantilen Minderwerts bei einem älteren Kraftfahrzeug.
Captain Huk Kurztext: Der BGH hat der allgemeinen Situation des heutigen Marktes Rechnung getragen und sieht die Grenze für die merkantile Wertminderung nicht mehr starr bei einem Alter des Fahrzeuges von 5 Jahren und einer Laufleistung unter 100.000 km.
Hallo virus,
so ist es! Leider übersehen einige Richter, worauf schon im Vorspann hingewiesen wurde die neuere Rechtsprechung zur merkantilen Wertminderung. Leider. Vieles liegt aber auch deshalb im Argen, weil die Anwälte der Versicherungen immer noch auf die veraltete Rechtsprechung verweisen. Deshalb muss dieser Blog noch mehr aufklären.
Ob und inwiefern eine merkantile Wertminderung eintritt ist ganz sicherlich keine Rechtsfrage.
Es kommt grob eingegrenzt auf den Schaden und die Marktlage für das betreffende Fahrzeug an. Rechtlich könnte man höchstens den Anspruch darauf irgendwie verneinen (Marktwert verringert sich zwar, aber du hast keinen Anspruch darauf…). Das müssen Juristen beurteilen.
Merkantiler Minderwert ist eine Sache die der Sachverständige mit seiner Marktkenntnis bewertet.
Alles andere ist abwegig.
Mfg. SV Stoll/RT
Hallo Herr SV Stoll aus Reutlingen,
genau so hatte ich es auch im Vorspann versucht darzustellen. Die Frage, ob eine merkantile Wertminderung eintritt, ist eine Frage an den Sachverständigen, keine Rechtsfrage. Ich bin ganz bei Ihnen.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Willi Wacker
@ Willi Wacker
Ich erlaube mir den Hinweis, daß die Frage der merkantilen Wertminderung keine „technische“ Frage ist.
Gleichwohl kann sie näturlich durch einen Sachverständigen mit Marktkenntnis bestimmt bzw. geschätzt werden kann.
RA Schepers
Donnerstag, 08.03.2012 um 13:43
@ Willi Wacker
Ich erlaube mir den Hinweis, daß die Frage der merkantilen Wertminderung keine “technische” Frage ist.
Gleichwohl kann sie näturlich durch einen Sachverständigen mit Marktkenntnis bestimmt bzw. geschätzt werden kann.
Hallo, Herr RA Schepers,
worauf stützen Sie sich bei Ihrem Beurteilungsansatz ?
Liegen dann die Gerichte falsch, wenn sie einen Sachverständigen mit der gutachtlichen Abklärung zu einer solchen Frage beauftragen ?
Das eine zu verneinen und mit einem „Gleichwohl“ zu koppeln, verstehen ich nicht so ganz. Aber vielleicht helfen Sie mir, was das Verständnis angeht.-
Mit freundlichen Grüßen
aus Bochum & Tangendorf
Dipl.-Ing. Harald Rasche
@ Dipl.-Ing. Rasche
Gerne. Ob ein Fahrzeug auf dem Gebrauchtwagenmarkt einen geringeren Preis erzielt, ist keine technische Frage. Das ist eine ökonomische Frage, vielleicht auch eine psychologische Frage. Entscheidend ist die Auswirkung des Merkmals „Unfallwagen“ auf den am Markt zu erzielenden Preis. Und das hat relativ wenig mit technischen Aspekten zu tun.
Es gibt genug Beschädigungen, die nach der Reparatur (technisch) vollständig beseitigt sind. Gleichwohl reagiert der Markt mit Preisreduzierung. Technisch gesehen ist das unlogisch, aber Marktgeschehen muß ja nicht logisch sein.
Deshalb: die Wertminderung ist keine technische Frage. Gleichwohl kann die Höhe der Wertminderung durch einen Sachverständigen ermittelt werden, allerdings muß dieser Sachverständige kein „Techniker“ sein, er muß „nur“ Ahnung vom Markt haben. Der Sachverstand kann sich daraus ergeben, daß er als Kfz-Sachverständiger regelmäßig mit Unfallfahrzeugen zu tun hat, und dadurch auch Einblick in das Marktgeschehen „Gebrauchtwagenmarkt“ hat.
Den erforderlichen Sachverstand könnten aber auch z.B. ein gewerblicher Gebrauchtwagenhändler oder ein Auktionator von Gebrauchtwagenfahrzeugen haben.
In der Praxis wird schon deshalb der Kfz-Sachverständige (auch) mit der Ermittlung der Wertminderung beauftragt, weil diese i.d.R. ein „Anhängsel“ der Reparaturkostenermittlung ist.
RA Schepers
Donnerstag, 08.03.2012 um 16:04
@ Dipl.-Ing. Rasche
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Hallo, Herr RA Schepers,
danke für Ihre ausführliche Antwort. Jetzt ist mir besser klar, was Sie meinen.
Mit freundlichen Grüßen
aus Bochum & Tangendorf
Dipl.-Ing. Harald Rasche
Hallo Herr Schepers,
sehr gut erklärt und zusammengefasst.
Insbesondere der Teil „Gleichwohl reagiert der Markt mit Preisreduzierung. Technisch gesehen ist das unlogisch, aber Marktgeschehen muß ja nicht logisch sein.“ ist richtif ausgedrückt.
Deswegen verbietet sich auch ein Berechnen der Wertminderung, denn das wäre ja wieder ein logisches Schema, mit dem alle Schäden abgefrühstückt werden könnten…
Viele Grüße
Andreas Hoppe