Hallo verehrte Captain-Huk-Leser,
gesundheitsbedingt musste ich eine kleine Pause einlegen. Deshalb waren in der letzten Zeit wenige Urteile von mir veröffentlicht worden. Hier noch ein LG-Berufungsurteil aus Aurich zur 130%-Regelung vom 17.2.2012. Die Berufungskammer hat sich durch das DEKRA-Gutachten, das die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung vorgelegt hat, nicht blenden lassen. Ein vom Gericht bestellter Sachverständiger hat dem Kläger eine ordnungsgemäße und sach- und fachgerechte Reparatur bestätigt. DEKRA ist eben nicht alles! Merkwürdig ist nur, dass nunmehr argumentiert wird, es müsse ausgetauscht werden, während sonst doch aus Schadensgeringhaltungspflichtgründen die günstigere Version des Instandsetzens beansprucht wird. Offensichtlich immer so, wie es dem Versicherer am günstigsten erscheint. Auch eine Instandsetzung ist eine ordentliche fachgerechte Wiederherstellung. Und darauf hat zu Recht die Berufungskammer des LG Aurich hingewiesen. Lest aber selbst und gebt Eure Kommentare ab.
Viele Grüße
Euer Willi Wacker
Landgericht Aurich Verkündet am:
Geschäfts-Nr. 17.02.2012
1 S 206/11
5 C 661/10 Amtsgericht Norden
Im Namen des Volkes!
Urteil
In dem Rechtsstreit
…
Beklagte und Berufungsklägerin
gegen
…
Kläger und Berufungsbeklagter
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Aurich auf die mündliche Verhandlung vom 20.01.2012 durch
den Präsidenten des Landgerichts … ,
den Richter am Landgericht … und
den Richter am Landgericht …
für R e c h t erkannt:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Norden vom 02.09.2011 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Berufungsstreitwert: 1.990,00 €.
Gründe
Die Parteien streiten über restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, bei welchem der Pkw des Klägers beschädigt wurde. Die Beklagte haftet für den Schaden dem Grunde nach in Höhe von 100 %. Der Wiederbeschaffungswert beträgt 5.200,00 €. der Restwert 690,00 €. Die Reparaturkosten betrugen nach einem von der Beklagten vorgerichtlich eingeholten DEKRA-Gutachten 8.532,70 €. Die Beklagte rechnete daher den Sachschaden am Pkw des Klägers auf Totalschadensbasis ab und zahlte 4.510,00 €. Der Kläger ließ seinen Pkw reparieren, wodurch ihm Kosten in Höhe von 6.500,00 € entstanden.
Mit der Klage hat er die Differenz in Höhe von 1.990,00 € geltend gemacht, welche ihm das Amtsgericht nach Einholung eines Sachverständigengutachtens in voller Höhe zugesprochen hat.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung und beantragt,
das amtsgerichtliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte meint, das Amtsgericht sei rechtfehlerhaft davon ausgegangen, dass es sich bei den durchgeführten Reparaturarbeiten um eine fachgerechte Reparatur im Sinne der Rechtsprechung handele. Aus dem eingeholten Gutachten ergebe sich weder, dass alle im Gutachten der DEKRA aufgeführten Arbeiten fachgerecht durchgeführt worden seien, noch sei daraus zu entnehmen, dass der abgerechnete Arbeitslohn der Kostenschätzung der DEKRA entspreche. Entgegen des DEKRA-Gutachtens seien Kotflügel und Scheinwerferaufnahme vorne links lediglich instand gesetzt und nicht ausgetauscht worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen. Die Berufungskammer hat den Sachverständigen … sein in der ersten Instanz erstattetes Gutachten im Verhandlungstermin am 20.01.2012 mündlich erläutern lassen. Insoweit wird auf das Protokoll vom 20.01.2012 verwiesen.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Das Amtsgericht hat in dem angefochtenen Urteil zu Recht einen Schadensersatzanspruch des Klägers in Höhe von 1.990,00 € ausgeurteilt.
Die durchgeführte Reparatur war fachgerecht im Sinne der Rechtsprechung, so dass der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Ersatz der ihm tatsächlich entstandenen Reparaturkosten in Höhe von 6.500,00 € hat, auf welchen die Beklagte bereits 4.510,00 € gezahlt hat.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Geschädigte, der nach einem Unfall sein Kraftfahrzeug reparieren lässt und damit sein Interesse an dessen Erhalt bekundet, gemäß § 249 S, 2 BGB vom Schädiger den zur Instandsetzung erforderlichen Geldbetrag verlangen, sofern sich die Reparaturkosten auf nicht mehr als 130 % des Wiederbeschaffungswertes des Fahrzeugs belaufen (BGH NJW 99, 500). Maßgeblich ist dabei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der Geschädigte den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeugs wie vor dem Unfall wiederherstellt. Nur zu diesem Zweck wird die sogenannte Opfergrenze des Schädigers erhöht und der Geschädigte hat einen Anspruch auf Ersatz von Reparaturkosten in Höhe von-bis zu 130 % des Wiederbeschaffungswertes (vgl. BGH NJW 2005, 1108 – 1110).
Vorliegend handelt es sich um eine fachgerechte Reparatur. Der Sachverständige … hat dies im Verhandlungstermin am 20.01.2012 mündlich ausführlich und überzeugend dargelegt. Nach seinen Ausführungen ist das Fahrzeug fachgerecht und tolerabel repariert worden. Soweit die Lackschicht an einzelnen Stellen etwa einen Millimeter betrage, sei dieser Wert noch als fachgerecht zu bezeichnen. Die Reparatur sei angesichts des Alters, des Fahrzeuges insgesamt zu akzeptieren. Bei Unfallreparaturen im Karosseriebereich sei es in der Regel besser, das Ursprungsteil instand zu setzen, als ein neues Ersatzteil zu verwenden. Neuteile wiesen oftmals nicht die Qualität des Ursprungsteiles auf und zeigten bereits nach drei bis vier Jahren Rostansätze. Auch sei ein Originalkotflügel meist besser versiegelt, als dies im nachhinein bei einem Austauschtei! möglich sei. Ein Austausch sollte daher in der Regel vermieden werden. Soweit er in seinem schriftlichen Gutachten einen geringfügen Mangel am Kotflüge! links festgestellt habe, handele es sich dabei allein um die aufgebrachte Schichtstärke, die lokal überhöht gewesen sei. Die überhöhte Schichtstärke habe weder eine funktioneile noch eine optische Beeinträchtigung am Fahrzeug zufolge. Sofern er in seinem schriftlichen Gutachten auch ausgeführt habe, am vorderen Abschnitt des Rahmenlängsträgers seien entsprechende Restbearbeitungsspuren der Reparatur noch erkennbar, seien diese aus technischer Sicht zu akzeptieren.
Die Berufung kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, das Gutachten des Sachverständigen „kranke“ bereits daran, dass die Reparatur ausführende Firma ihre Stundenverrechnungssätze nicht offen gelegt habe. Zwar weicht der Arbeitslohn von der Kostenkalkulation der DEKRA ab, es handelt sich jedoch erkennbar um einen Pauschalpreis. Solange die Reparatur – wie vorliegend – dabei fachgerecht ausgeführt wird, darf es nicht zum Nachteil des Geschädigten gehen, wenn er einen für ihn günstigen Pauschalpreis aushandelt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
an dieser stelle auch mal ein lob und zwar für die ZURICH!
folgender sachverhalt: nach dem gutachten lagen die RK für den beschädigten opel bei ca. 150% des WBW. der geschädigte wollte ein neues fahrzeug, also wurde mit opelpreisen gerechnet (war ja egal). das gutachten ging zur versicherung und parallel an mich. nun kam der mandant, der es sich anders überlegt hatte und das fahrzeug nun doch weiternutzen wollte.
also hab ich den SV gebeten, das gutachten mit den „normal-preisen“ einer leipziger partnerwerkstatt diverser versicherer nochmal zu rechnen.
RK nun ca. 118% vom WBW und zwar allein durch die niedrigeren stundensätze der freien werkstatt.
das gutachten hab ich an die zurich gemailt und um einer reparaturkostenübernahmeerklärung für die konkret benannte werkstatt gebeten. außerdem hab ich schon mal die deckungsanfrage an die RSV für die klage auf feststellung, dass der versicherer zur übernahme der RK verpflichtet ist, diktiert.
einen tag später hab ich bei der zurich angerufen und siehe da: der sachbearbeiter hatte überhaupt kein problem damit, die (im vergleich zum WBA) immerhin um ca. 3.000 EUR höheren reparaturkosten zu übernehmen, wenn sach- und fachgerecht repariert wird, woran der sachbearbeiter aufgrund der reparatur in „seiner“ vertragswerkstatt keine zweifel hatte.
da kann man nur sagen: BRAVO ZURICH, auch wenn dort nicht selten eigenartige ansichten vertreten werden.
zu obigem urteil:
eigentlich vollkommen klar, dass so entschieden werden musste (wenn sich der tatrichter von einer sach- und fachgerechten repartur überzeug hat), denn was den versicherern unter bestimmten umständen in die eine richtung „erlaubt“ wird, muss auch dem geschädigten in die andere richtung erlaubt sein.
interessant wäre zu wissen, ob der geschädigte selbst ein gutachten eingeholt hatte. wenn dem nicht so war, muss man sagen:
MUTIGES VORGEHEN DES GESCHÄDIGTEN, denn es dürfte keineswegs zwingend sein, dass die reparatur (die nicht nach den vorgaben des – wenn auch – vom versicherer des schädigers vorgelegten gutachtens erfolgte) später als sach- und fachgerecht bewertet wird.
ich würde an dieser stelle aufs deutlichste vor einer verallgemeinerung dieser entscheidung des landgerichtes aurich warnen, damit nicht der eindruck entsteht, dass man alle „Ü-130%-fälle“ (RK > 130% vom WBW) „irgendwie“ reparieren und die konkreten reparaturkosten lt. rechnung verlangen kann.
wenn der geschädigte natürlich ein parteigutachten vorgelegt hat, aus dem sich ergibt, dass die instandsetzung ausreicht und das vom versicherer (danach?) eingeholte DEKRA-gutachten ersichtlich nur dazu diente, einen 130%-fall zum „Ü-130%-fall“ zu rechnen (was leider immer öfter vorkommt), liegt der sachverhalt natürlich anders.