AG Leipzig verurteilt VHV Allgemeine Versicherung AG zur Erstattung des restlichen Schadensersatzes und zur Zahlung der Reproduktionskosten des vernichteten Sachverständigengutachtens (Az.: 103 C 3969/11 vom 10.05.2012)

Hier eine Entscheidung des Amtsgerichts Leipzig mit entsprechender Erklärung des Einsenders. Das Urteil wurde erstritten und übermittelt durch Herrn Rechtsanwalt Uterwedde aus Leipzig (Kanzlei Ivenz, Glogowski, Beschnitt, Uterwedde).

Ein VHV-Versicherter hat das Fahrzeug des (Leipziger) Mandanten beschädigt, dieser einen Gutachter beauftragt, welcher folgende Beträge feststellte:

RK netto: 4.226,50 EUR
WBW: 6.400,00 EUR
RW 2.100,00 EUR

Die VHV legt ein Restwertangebot mit Münchener Telefonnummer vor.
Hiernach wäre eine Fa. xy bereit, 2.766,00 EUR zu bezahlen, woraufhin ich das Restwertangebot zurückgewiesen habe und zwar erstens, weil ich überhaupt nicht empfangsbevollmächtigt für die Entgegennahme von Restwertangeboten bin, zweitens, weil es nicht vom regionalen Markt stammt und drittens, weil der Mandant das Fahrzeug nicht verkaufen, sondern reparieren wollte. Die VHV blieb jedoch trotz zahlreicher, die Rechtslage erläuternder Schreiben, bei dieser Abrechnung, so dass ich ca. 7 Wochen nach dem Unfall Klage auf die Differenz erhob.

Wer nun gedacht hat, die VHV lenkt ein und zahlt, der hat sich geirrt.
Man konnte dort sogar die Dresdner Filiale der Kanzlei Dr. E & P. aus H. für die Sache begeistern, die doch tatsächlich bis zum Schluss die Auffassung vertreten hat, meine Rechtsauffassung sei vollkommen abwegig und die Abrechnung auf Totalschadenbasis sei in Ordnung.

Auch nachdem (während des Prozesses) die Reparatur nachgewiesen und dann sogar die „6-Monats-Frist“ abgelaufen war, erfolgte keine Zahlung.

Im dann unausweislichen Urteil stellt das Gericht  zusätzlich fest, dass die Kosten der Reproduktion des vernichteten Gutachtens mit 38 EUR zu erstatten sind. Die Anwaltskosten hieraus wurden leider mit falscher Begründung abgewiesen, denn auf Verzug kommt es beim Schadenersatz ja gerade nicht an.

Amtsgericht
Leipzig

Zivilabteilung I

Aktenzeichen: 103 C 3969/11

Verkündet am: 10.05.2012

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit

– Kläger –

gegen

1.

– Beklagte –

2. VHVAllgemeine Versicherung AG, Constantinstraße 90, 30177 Hannover vertr. d. d. Vorstände Thomas Voigt, Jürgen A Junker, Dietrich Werner

– Beklagte –

wegen Schadensersatz aus Verkehrsunfall

hat das Amtsgericht Leipzig durch

Richter am Amtsgericht … aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 29.03.2012

am 10.05.2012

für Recht erkannt:

1.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 746,10 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 10.10.2011 zu zahlen.

2.

Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an den Kläger 38,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpuntken über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 10.10.2011 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.

Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.

4.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gebührenstreitwert: bis 800,00 Euro

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 04.04.2011 in Leipzig.

Die Frage der Haftung der Beklagten ist nicht in Streit.

Der Kläger verlangt Zahlung seiner fiktiven Reparaturkosten aufgrund des Sachverständigengutachtens … vom 11.04.2011. Das Sachverständigengutachten weist 4.226,50 Euro netto als Reparaturkosten aus. Unstreitig hat die Beklagte zu 2) 3.480,40 Euro dem Kläger zum Ausgleich gebracht. Unter Zugrundelegung des privaten Sachverständigengutachtens hat die Beklagte zu 2) vom ausgehenden Wiederbeschaffungswert in Höhe von 6.246,40 Euro (netto) den Restwert in Höhe von 2.766,00 Euro zum Abzug gebracht, mithin den Regulierungsbetrag in Höhe von 3.480,40 Euro ermittelt.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die 6-Monatsfrist nach der zitierten BGH-Entscheidung keine Fälligkeitsfrist sei. Im Übrigen nutze der Kläger das Fahrzeug nach wie vor.

Der Kläger beantragt,

die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 746,10 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an den Kläger 46,41 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpuntken über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechts hängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen

Klageabweisung.

Die Beklagten bestreiten einen weiteren Schadensersatzanspruch.

Der Kläger könne die den Wiederbeschaffungsaufwand überschreitenden Reparaturkosten erst ersetzt verlangen, wenn er sein Integritätsinteresse nachgewiesen habe und das Fahrzeug noch mindestens 6 Monate im verkehrssicheren Zustand weiter nutze, was jedoch nicht der Fall sei.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen,

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und überwiegend begründet.

Gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ist der Geschädigte, der es nach einem Sachschaden selbst in die Hand nimmt, den früheren Zustand wieder herzustellen, berechtigt, vom Schädiger den dazu erforderlichen Geldbetrag zu verlangen. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der Kläger nicht auf den Ersatz des Wiederbeschaffungsaufwandes zu verweisen, sondern kann die im Gutachten ausgewiesenen Reparaturkosten ersetzt verlangen.

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH kann ein Unfallgeschädigter fiktiv die vom Sachverständigen geschätzen (über dem Wiederbeschaffungsaufwand liegenden) Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes in der Regel nur abrechnen, wenn er das Fahrzeug mindestes sechs Monate weiter nutzt und es zu diesem Zweck, falls erforderlich, verkehrssicher reparieren lässt (vgl. AG Berlin Mitte vom 25.07.2011, AZ: 12 C 3044/10 m.w.N.).

Dies ist vorliegend der Fall. Das Fahrzeug des Klägers war nach den ergänzenden Stellungnahmen des Sachverständigen nicht verkehrssicher. Der Kläger hat jedoch zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen, dass das Fahrzeug instand gesetzt wurde. Im Übrigen hat der Kläger angeboten, das Fahrzeug zum Termin mitzubringen, sowie die Zulassungsbescheinigung und den KFZ-Brief vorzulegen. Diese Belege sind – auch in Anbetracht der zitierten Entscheidung des Amtsgerichts Berlin Mitte – ausreichend zur Annahme des bestehenden Integritätsinteresses.

Auch die Reproduktionskosten für das nachträgliche Erstellen des Gutachtens in Höhe von 38,00 Euro sind dem Grunde und der Höhe nach gerechtfertigt. Weitere Anwaltskosten können jedoch mangels Verzug der Beklagten hierwegen nicht geltend gemacht werden.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO i.V.m. § 91 ZPO.

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57 Antworten zu AG Leipzig verurteilt VHV Allgemeine Versicherung AG zur Erstattung des restlichen Schadensersatzes und zur Zahlung der Reproduktionskosten des vernichteten Sachverständigengutachtens (Az.: 103 C 3969/11 vom 10.05.2012)

  1. vm sagt:

    Hallo,

    ich befasse mich gerade mit einem Fall, zu dem das Urteil des AG Leipzig passt.

    Schuldfrage ist unstreitig.

    Der SV beziffert die RK mit 3.113,43 €, den WBW mit 2.987,00 €, den RW mit 530,00 €.

    Der Versicherer legt ein RW-Angebot von 770,00 € vor.

    Der Geschädigte möchte aber sein verkehrssicher verbliebenes Fahrzeug reparieren und noch mindestens 6 Monate fahren. Er verlangt die vom SV festgestellten RK.

    1. Kennt Ihr noch weitere (später ergangene) Urteile, die sich mit dieser Problematik befassen?
    2. Der Geschädigte ist Kfz-Mechaniker und möchte die Reparatur in Eigenregie u.a auch mit gebrauchten Ersatzteilen ausführen. Nach der BGH-Rspr. dürfte dies wohl der Geltendmachung der im Gutachten bezifferten RK nicht entgegen stehen, oder?

    Danke

  2. Karle sagt:

    @vm

    Was ist das denn für eine linke Nummer? WBW 2.987 €? Wo gibts denn so was? Mit so einem Gutachten würde ich (wg. Verdacht auf weitere Mängel) sowieso kein Klageverfahren führen. Außerdem sind bei der Verwendung von Gebrauchtteilen die Kriterien des BGH nicht erfüllt. Im Rahmen der 130%-Regelung muss das Fahrzeug (exakt) nach den Vorgaben des Gutachtens repariert werden, sofern man die kalkulierten Reparaturkosten geltend machen will. Von Gebrauchtteilen steht im Gutachten aber nichts – hoffentlich?

    Abrechnung bei Weiternutzung des Fahrzeugs: WBW – Restwert gemäß Sachverständigengutachten.

  3. vm sagt:

    @ Karle

    Ich habe die Werte absichtlich abgewandelt.

    Alles klar. Danke.

    Aber um fiktive RK gemäß Gutachten bis zur Höhe des dort festgestellten WBW ohne Abzug des RW zu verlangen, wird keine fachgerechte Reparatur benötigt?

    Warum ist der RW im Angebot des Versicherers unbeachtlich? Greift hier die Schadensminderungspflicht etwa nicht?

  4. Karle sagt:

    @vm

    Entweder Reparaturkosten mit Durchführung der Reparatur auf Grundlage des Gutachtens (130%-Regelung) oder Totalschadenabrechnung auf Grundlage des Sachverständigengutachtens (sofern das Fahrzeug weiter genutzt wird).

    „Warum ist der RW im Angebot des Versicherers unbeachtlich? Greift hier die Schadensminderungspflicht etwa nicht?“

    Bei Weiternutzung des Fahrzeugs = Restwert des Sachverständigengutachtens (siehe Restwerturteile des BGH). Der Geschädigte muss sich nur bei tatsächlicher Verwertung auf ein (höheres) Restwertangebot der Versicherung einlassen – sofern es rechtzeitig vor der Veräußerung vorgelegt wird und die Veräußerung für den Geschädigten „mühelos“ ist.

    Das Ganze ergibt sich aber auch aus logischen Gründen. Sofern der Versicherer über die gewünschte Weiternutzung informiert ist, könnte er ja stets einen nicht realen „Traumrestwert“ in Abzug bringen. Ist zwar positiv für die „Schadensminderung“ und wird täglich mit den „Dummen“ auch so praktiziert, ist aber trotzdem rechtswidrig.

  5. vm sagt:

    @Karle

    „Totalschadenabrechnung auf Grundlage des Sachverständigengutachtens (sofern das Fahrzeug weiter genutzt wird)“

    Damit meinst Du also die Durchführung mindestens einer verkehrssicheren Reparatur mit Originalteilen gemäß Gutachten sowie die Weiterbenutzung des Fahrzeugs für die Dauer von mindestens 6 Monaten. In diesem Fall könnte der Geschädigte die RK abzüglich RW (beides gemäß Gutachten) verlangen.

    Verstehe ich Dich richtig? Danke

  6. Karle sagt:

    @vm

    Nein.

    Entweder WBW minus RW (und zwar der WBW und RW, der im Geschädigtengutachten steht) oder RK bei (nachweislich) vollständiger Reparatur gemäß Geschädigtengutachten (und 6-monatiger Haltefrist).

    Nochmal schreib ich’s aber nicht.

  7. vm sagt:

    Danke für die Klarstellung

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