Mit Urteil vom 16.12.2011 (4 U 106/11) hat das OLG Karlsruhe die Entscheidung des LG Waldshut-Tiengen vom 06.04.2011 (4 O 111/10) bestätigt. Das LG hatte die beteiligte Versicherung zur Zahlung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 1.212,26 € zzgl. Zinsen sowie vorgerichtlicher RA-Kosten verurteilt. Hierzu hatte das LG die Schwacke-Liste als Schätzungsgrundlage herangezogen und die Fraunhofer Tabelle sowie angebliche Internet-Angebote abgelehnt. Obwohl die Berufung diesen Teil des erstinstanzlichen Urteils nicht explizit angegriffen hatte, hat das OLG Karlsruhe die Sicht- und Entscheidungsweise des LG Waldhof-Tiengen insoweit bestätigt.
Aus den Entscheidungsgründen:
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache im Wesentlichen Erfolg. Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.
1.
Die Klägerin ist anspruchsberechtigt. Sie ist Eigentümerin und Halterin des verunfallten Fahrzeuges. Dies ergibt sich aus dem in der Sitzung vom 04.11.2011 vorgelegten Kraftfahrzeugbrief und der Aussage des Zeugen S. Nach dem Inhalt des Kraftfahrzeugbriefs war die Klägerin bereits vor dem Unfall als Halterin eingetragen. Der ansonsten als Eigentümer des Fahrzeuges einzig in Betracht zu ziehende Zeuge S. hat erstinstanzlich glaubhaft eine eigene Eigentümerstellung verneint.
2.
Die Beklagten haften der Klägerin aus dem Verkehrsunfall zu 100 %. Dem Fahrer des klägerischen Fahrzeugs ist ein eigener Verursachungsbeitrag nicht anzulasten. Das Fehlverhalten der Beklagten Ziff. 1 – Verstoß gegen § 1 Abs.2 StVO – ist so gravierend, dass die Betriebsgefahr des klägerischen Kraftfahrzeuges zurücktritt.
Bei der Bestimmung des Verursachungsbeitrags dürfen zum Nachteil der einen oder der anderen Seite nur feststehende, d.h. bewiesene oder zugestandene Umstände berücksichtigt werden, und zwar auch nur solche Umstände, die sich auch nachweislich auf den Unfall ausgewirkt haben (BGH NJW 07, 506).
a.
Das Landgericht hat dem Fahrer des klägerischen Fahrzeugs angelastet, er habe den Unfall vermieden, wenn er sich noch sorgfältiger an die Ausfahrt herangetastet hätte, wobei es eine Geschwindigkeit von ca. 10 km/h zugrunde gelegt. Der Sachverständige kann jedoch nicht ausschließen, dass das klägerische Fahrzeug vor dem Unfall mit lediglich 5 km/h – Schrittgeschwindigkeit – unterwegs war. Bei Berücksichtigung einer solchen geringen Geschwindigkeit kann dem Zeugen S. der Schuldvorwurf einer den Verkehrsverhältnissen und Situation entsprechenden Fahrweise nicht gemacht werden.
b.
Das Landgericht hat einen Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot zu Recht nicht angenommen. Der Zeuge S. hat die Ausfahrt aufgrund der Sichtbehinderung durch Hecke und das Gestrüpp zwar nicht ganz rechts, sondern in einem Abstand von 2 bis 2,2 m von der Hecke angefahren. Dieser Umstand hat sich nach den überzeugenden Angaben des Sachverständigen aber nicht ursächlich auf den Eintritt des Unfalls ausgewirkt.
c.
Genauso wenig ist dem Zeugen S. anzulasten, dass er sich beim Vortasten bis zum Sichtpunkt nicht hat einweisen lassen. Denn auch dieser Umstand ist für den Unfall nicht kausal geworden. Ein Einweisen hätte aufgrund der Fahrweise der Beklagten Ziff. 1 nichts bewirkt.
d.
Die Beklagten können sich für ein Verschulden des Fahrers des klägerischen Fahrzeugs nicht auf den Anscheinsbeweis gemäß § 10 StVO berufen.
aa.
Kommt es im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Ausfahren aus einem Grundstück auf die Straße zu einer Kollision mit dem fließenden Verkehr, so spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Ausfahrenden (vgl. Quaisser NJW-Spezial 2008, 745).
bb.
Vorliegend ist ein Verstoß gegen § 10 StVO in Betracht zu ziehen. Die Vorschrift dient dem Schutz und Vorrang des fließenden Verkehrs. Der Vorrang des fließenden Verkehrs endet erst, wenn der Teilnehmer des fließenden Verkehrs die Straße mit einer ganzen Pkw-Länge verlassen hat (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1991, 392). Hier war die Beklagte Ziff. 1 bei der Kollision noch mit einem Teil ihres Fahrzeuges dem fließenden Verkehr der öffentlichen Fahrbahn zuzuordnen, weshalb ihr Vorrang noch galt.
cc.
Der genannte Anscheinsbeweis ist aber widerlegt. Der Unfall beruht gerade nicht auf einem Fehlverhalten des Fahrers des klägerischen Pkw, sondern allein auf dem grob verkehrswidrigen Verhalten der Beklagten Ziff. 1. Ihr ist ein gravierender Verstoß gegen § 1 Abs.2 StVO anzulasten. Dem Schutz des in der Grundstücksausfahrt befindlichen Verkehrs dienen die Verhaltensanweisungen des § 1 StVO bzw. der sonst in Betracht kommenden weiteren Vorschriften der StVO (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1988, 231, 232). Nach § 1 Abs. 2 StVO war die Beklagte Ziff. 1 verpflichtet, sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt wird. Hiergegen hat sie unter Außerachtlassung der verkehrserforderlichen Sorgfalt und Rücksichtnahme verstoßen. Sie ist viel zu schnell – nach eigenen Angaben mit einer Geschwindigkeit von ca. 35 km/h – auf das Parkplatzgelände gefahren und hat hierbei den im Ausfahren begriffenen Pkw der Klägerin übersehen. Außerdem hat sie um des von ihr zugestandenen, schnelleren Fortkommens willen beim Einbiegen die Einmündung stark geschnitten. Ob ihr auch ein Verstoß gegen § 9 Abs.1 S.2 StVO wegen unkorrektem Verhaltens beim Linksabbiegen vorzuwerfen ist, bedarf keiner Entscheidung. § 9 Abs. 5 StVO ist nicht einschlägig. Die einem in ein Grundstück abbiegenden Fahrzeugführer auferlegte erhöhte Sorgfaltspflicht schützt nur die Verkehrsteilnehmer im Folge- und Gegenverkehr. Die Vorschrift gilt nicht gegenüber einem aus demselben Grundstück ausfahrenden Kraftfahrzeug (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1991, 392).
e.
Die gravierend verkehrswidrige Fahrweise der Beklagten Ziff. 1 bewirkt ein Zurücktreten der Betriebsgefahr des klägerischen Kraftfahrzeuges.
Gegenüber der durch Verschulden erhöhten Betriebsgefahr auf der einen Seite ist die einfache Betriebsgefahr auf der anderen Seite üblicherweise mit 20% zu bewerten. Bei einem schwerwiegenden Verkehrsverstoß, wie hier, kann es aber gerechtfertigt sein, die einfache Betriebsgefahr ganz zurücktreten zu lassen (vgl. BGH VersR 69, 738; r+s 94, 131; VersR 95, 357; NZV 96, 272). Das Fehlverhalten der Beklagten Ziff. 1 ist als besonders gravierender Verkehrsverstoß einzustufen. Es ist äußerst gefährlich, in einen Parkplatz mit einer derart hohen Geschwindigkeit einzufahren und dabei, obwohl eine ausreichende Breite der Ein- bzw. Ausfahrt vorhanden ist, die zu erwartende Fahrlinie der Ausfahrenden zu schneiden.
3.
Der Klägerin steht Schadensersatz wie folgt zu:
a) Sachschaden 3.985,30 €
b) SV-Kosten 378,42 €
c) Mietwagenkosten 1.212,26 €
d) Pauschale 25,00 €
Gesamt 5.600,98 €
zu a) und d):
Diese zutreffend ermittelten Positionen werden von der Berufung nicht weiter angegriffen.
zu c)
Da die Klägerin 100 % ihres Schadens zu beanspruchen hat, kann die Rechtauffassung des OLG Rostock im Urteil vom 11.03.2011 (DAR 2011, 263), wonach Sachverständigenkosten nicht entsprechend der Verursachungsquote zu kürzen seien, unerörtert bleiben.
zu b)
Mietwagenkosten kann die Klägerin in Höhe von 1.212,26 € verlangen. Der Betrag setzt sich aus folgenden Einzelpositionen zusammen:
Miete 957,96 €
Aufschlag Vollkasko 256,20 €
Zustellung/Abholung 46,00 €
Zwischensumme 1.260,16 €
abzgl. 10 % Eigenersparnis 47,90 €
1.212,26 €
aa.
Die Beklagten dringen mit ihrem Bestreiten einer Anmietung nicht durch. Der Zeuge S. hat die Anmietung glaubhaft bestätigt. Die Anl. 3 (I 55) belegt, dass diese namens der Klägerin erfolgte.
bb.
Was die Dauer der Inanspruchnahme des Mietwagens betrifft, verweist die Klägerin zutreffend darauf, dass ein früherer Abschluss der Reparaturarbeiten bereits am xx.xx.2010 nicht ihren Lasten geht. Die Reparaturwerkstatt ist Erfüllungsgehilfe des Schädigers. Feststeht, dass das reparierte Fahrzeug dem Zeugen S. erst nach dem Wochenende am xx.xx.2010 übergeben wurde.
cc.
Der von der Klägerin geltend gemachte Normaltarif gemäß Schwacke-Mietpreisspiegel 2010 ist gerechtfertigt.
(1)
Der Senat hatte bereits in anderer Sache entschieden, dass die Heranziehung des Normaltarifs anhand des gewichteten Mittels des „Schwacke-Mietpreisspiegels 2008“ im Rahmen von § 287 ZPO in jenem Einzelfall nicht zu beanstanden ist. Der vorliegend von der Klägerin herangezogene Schwacke-Mietpreisspiegel 2010 stellt jedenfalls aufgrund der nur verhältnismäßigen geringen Abweichungen zu den höchstrichterlich gebilligten Vorjahreslisten (vgl. BGH NJW 2011, 1947 – nach juris Rn. 17) noch eine geeignete Schätzgrundlage für den Normaltarif dar, so dass es darauf ankommt, ob die Beklagten mit konkreten Tatsachen aufgezeigt haben, dass sich die geltend gemachten Mängel der Schätzgrundlage auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang ausgewirkt haben (BGH NJW-RR 2011, 823 – nach juris Rn. 7 m.w.N.). An derartigem Tatsachenvortrag fehlt es vorliegend auf Beklagtenseite.
(2)
Hierfür reicht nicht allein der Verweis auf geringere Mietpreise im Marktpreisspiegel Mietwagen des Fraunhofer Instituts 2010 aus. Dieser ist entgegen der unzutreffenden Behauptung der Beklagten nicht ohne weitere Klärung zugrunde zu legen. Es lässt sich keine derart überlegene Methodik der Fraunhofer Erhebung feststellen, dass zugleich die Annahme einer mangelhaften Erhebung für den Schwacke Mietpreisspiegel gerechtfertigt ist (vgl. zitierte Rechtsprechung des BGH). Die Einwendungen gegen die Erhebung des Fraunhofer Instituts (zu grobe Aufteilung des Bundesgebiets in ein- bis zweistellige statt dreistellige Postleitzahlengebiete, teilweise lediglich telefonische Befragungen; zu großen Teilen Auswertungen von Internetangeboten) sind hinlänglich bekannt und können nicht ignoriert werden.
(3)
Die Beklagten haben sich im Weiteren auf recherchierte Internet-Angebote bei einer Anmietung in F. berufen. Sie betreffen damit nicht den örtlich relevanten Bereich, sondern einen Markt, auf dem die im Dreiländereck wohnhafte Geschädigte bzw. der im … W. wohnhafte Nutzer des geschädigten Fahrzeuges einen Mietwagen nicht nachfragen. Hieraufsind die Beklagten in der Sitzung vom 04.11.2011 ausdrücklich hingewiesen worden.
Was die Beklagten mit nachgelassenem Schriftsatz vom 28.11.2011 vorgetragen haben, beseitigt den vorstehenden Mangel nicht. Mit dem Vortrag, dass die gewählten Autovermieter (S., A.( E.) in F. und auch am Standort L. seien, gestehen die Beklagten zunächst zu, dass andere Firmen, für die ebenfalls Internet-Recherchen vorgelegt wurden, nämlich E. und H., für die Klägerin am relevanten Markt nicht zugänglich waren. Die genannten Autovermieter S., A., E. unterhalten bundesweit Stationen. F. ist dabei nicht etwa eine Hauptstelle, L deren Nebenstelle, wie die Beklagten suggerieren wollen. Der weitere Vortrag, die erstinstanzlich bereits dargelegte Preisspanne habe für die Stationen in L. gegolten, erfolgt ins Blaue hinein. Eine irgendwie geartete Recherche ist augenscheinlich nicht mehr erfolgt. Außerdem ist im Schriftsatz vom 28.11.2011 für diesen Umstand nicht Beweis angetreten worden, obwohl gerade die Frage der Beweiserhebung über die aufgrund konkreter Tatsachen aufgezeigten Mängel in der Sitzung vom 04.11.2011 eingehend erörtert worden ist.
Hinzu kommt die Problematik unverbindlicher Internetangebote der genannten Firmen, die ebenfalls in der Sitzung vom 04.11.2011 diskutiert worden ist. Beim Internetmarkt handelt es sich um einen Sondermarkt, der mit dem allgemeinen regionalen Mietwagenmarkt nicht ohne weiteres vergleichbar sein muss (vgl. BGH MDR 2010, 622 – nach juris Rn. 21). So setzt die Internetanmietung regelmäßig eine Vorabreservierung voraus und die Anmietzeit ist von Anfang an zu befristen. Beiden Kriterien konnte die Klägerin am Morgen des xx.xx.2010 nicht genügen. Auch hierauf geht der Vortrag der Beklagten nicht ein.
dd.
Die Klägerin kann einen Aufschlag für die Vollkaskoversicherung verlangen. Die Aufwendungen für den Abschluss einer Vollkaskoversicherung gehören bei Schwacke eindeutig zu den sogenannten Nebenkosten, die neben dem Normaltarif zusätzlich anfallen (vgl. Nebenkostentabelle). Die Vollkaskoversicherung ist ausweislich der Mietwagenrechnung auch als Zusatzleistung vereinbart worden. Hierfür ist auch eine gesonderte Vergütung verlangt worden.
ee.
Der Aufschlag für einen zweiten Fahrer ist nicht berechtigt. Im Mietvertrag hätte nur ein Fahrer eingetragen werden müssen, da von Anfang an beabsichtigt war, dass nur der Zeuge S., nicht aber die Klägerin das Fahrzeug nutzt. Aus der Tatsache, dass der Mietvertrag nur den Zeugen S. als zweiten Fahrer neben der Klägerin vorgesehen hatte, wird deutlich, dass dessen Ehefrau, anders als jetzt dargestellt, nicht als weitere Fahrerin in Betracht gezogen worden war.
ff.
Die Beklagten haben den berechtigterweise zugesprochenen Aufschlag für die Zustellung/Abholung mit der Berufung nicht weiter angegriffen. Dass hier eine Zustellung und Abholung des Mietfahrzeugs erfolgte, ist durch die vorgelegte Mietwagenrechnung belegt. Ihre Notwendigkeit ergibt sich aus den äußeren Umständen. Die Klägerin ist in M. wohnhaft. Der ständige Nutzer des Fahrzeugs, der Zeuge S., wohnt im … W. Schon hieraus folgt, dass eine Selbstabholung nicht günstiger gewesen wäre.
gg.
Die Klägerin hat sich auf ihren Anspruch eine Eigenersparnis von 5 % anrechnen zu lassen. Entgegen der Auffassung der Beklagten widerspricht eine Eigenersparnis von 5 % nicht der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGH NJW 2010, 1445). Der BGH überlässt die Schätzung einer Eigenersparnis im Einzelfall im Rahmen von 3-10 % vielmehr den Instanzgerichten. Die Schätzung des erstinstanzlichen Gerichts ist nicht zu beanstanden.
4.
Außergerichtliche Anwaltskosten kann die Klägerin in Höhe von 546,69 € beanspruchen (vgl. Gebührenrechnung vom 27.10.2010 – Anl. 5; der geringfügig höhere Gegenstandswert ist unschädlich).
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 Abs.l BGB. Gegen die zutreffende Höhe und den Zinsbeginn erinnert die Berufung nichts.
III.
Die Voraussetzungen für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung sind nicht gegeben. Neuer Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 30.11.2011 ist bei der Entscheidung nicht berücksichtigt worden.
IV.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs.2, 97 Abs. 1, 100, 708 Nr.10, 713 ZPO. Zutreffende Gründe dafür, die Revision zuzulassen, haben die Beklagten nicht aufgezeigt. Solche sind auch nicht gegeben.
Soweit das OLG Karlsruhe.