Hallo verehrte Captain-Huk-Leser,
zum beginnenden Wochenende gebe ich Euch noch ein Urteil zur fiktiven Schadensabrechnung aus dem Siegerland bekannt. Auch in diesem Rechtsstreit hat der zuständige Amtsrichter erkannt, dass die fiktive Abrechnung, also die Abrechnung auf Gutachtenbasis, den Geschädigten (bis auf die Mehrwertsteuer!) nicht schlechter stellen darf als wenn er auf konkreter Schadensabrechnung durch Vorlage der Reparaturrechnung abrechnen würde. Beide Abrechnungsarten sind vom Gesetzgeber gleichberechtigt anerkannt worden. Aus der Tatsache, dass der Geschädigte zulässigerweise nicht konkret abrechnet, darf ihm kein Nachteil entstehen. Der Geschädigte ist Herr des Restitutionsanspruches und er ist Herr der Disposition. Also, er darf bestimmen, wann, wie, wo und ob repariert werden soll. Er muss sich nicht vom Schädiger vorschreiben lassen, wo er zu reparieren hat. Soweit geht auch die Pflicht zur Geringhaltung des Schadens nicht, denn grundsätzlich hat der Geschädigte seit dem Porsche-Urteil (BGHZ 155, 1ff.) Anspruch auf Ersatz der Stundensätze in der Markenfachwerkstatt. Das gilt wegen der Gleichheit der Abrechnungsweisen auch für die fiktive Schadensabrechnung. Lest aber selbst das Urteil des AG Siegen zur fiktiven Abrechnung und gebt dann bitte Eure Meinungen ab.
Viele Grüße
Euer Willi Wacker
14 C 1073/11 Verkündet am 16.03.2012
Amtsgericht Siegen
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
Klägers,
gegen
Beklagten,
hat das Amtsgericht Siegen
im schriftlichen Verfahren mit einer Erklärungsfrist bis zum 24.02.2012
durch den Richter am Amtsgericht …
für Recht erkannt:
I. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 1.146,45 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 18.01.2011 und aus weiteren 123,20 € für die Zeit vom 18.01.2011 bis einschließlich 25.05.2011 zuzahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits werden den Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldnern auferlegt.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.Die Beklagten zu 1) und 2) dürfen die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d:
Der Kläger macht gegen die Beklagten zu 1) und 2) einen Restschadensersatzanspruch wegen eines von der Beklagten zu 1) unstreitig verursachten Verkehrsunfalls vom 24.12.2010 um 12.15 Uhr auf der Weidenauer Straße in Höhe der Esso-Tankstelle in Siegen geltend.
Zwischen den Parteien ist im einzelnen streitig, in welcher Höhe der Kläger von den Beklagten zu 1) und 2) Reparaturkosten netto beanspruchen kann.
Der Kläger behauptet, ihm seien durch den Verkehrsunfall ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens des Büros … vom 29.12.2010 Netto-Reparaturkosten in Höhe von 6.019,46 € entstanden.
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte zu 2) vorgerichtlich hierauf zunächst 4.749,81 € und nach Rechtshängigkeit der Klage weitere 123,20 € an den Kläger gezahlt hat.
Ursprünglich hat der Kläger beantragt, die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 1.269,65 € sowie außergerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 661,16 € nebst Zinsen aus den vorgenannten Beträgen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.01.2011 zu zahlen. Wegen eines seitens der Beklagten zu 2) nach Rechtshängigkeit gezahlten Betrages in Höhe von 123,20 € haben die Parteien den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt. Zudem hat der Kläger in seiner nunmehrigen Antragstellung berücksichtigt, dass die Beklagte zu 2) am 21.04.2011 auf die geltend gemachten Anwaltsgebühren einen Betrag von 603,93 € gezahlt hat.
Der Kläger beantragt nunmehr,
die Beklagten zu 1) und 2) zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn 1.146,45 € sowie außergerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 57,23 € nebst Zinsen aus den vorgenannten Beträgen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 18.11.2011 zu zahlen, abzüglich auf die Hauptforderung gezahlter 123,20 € am 26.05.2011 und abzüglich auf die Anwaltsgebühren gezahlter 603,93 € am 21.04.2011.
Die Beklagten zu 1) und 2) beantragen,
die Klage abzuweisen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
Die Klage ist ganz überwiegend begründet.
Der zuerkannte Zahlungsanspruch steht dem Kläger gegen die Beklagten zu 1) und 2) gemäß den §§ 7, 18 StVG, § 3 Nr. 1 PflVG zu.
Aufgrund des anerkannten Grundsatzes der Dispositionsfreiheit des Unfallgeschädigten sind die Beklagten verpflichtet, an den Kläger auch den nunmehr noch geltend gemachten weiteren Schadenersatzanspruch in Höhe von 1.146,45 € auszugleichen.
Der vorliegend fiktiv abrechnende Kläger muss sich nicht auf eine günstigere und gegebenenfalls gleichwertige Reparaturmöglichkeit verweisen lassen. Anderenfalls würde gerade der Grundsatz der Dispositionsfreiheit des Unfallgeschädigten vollkommen ausgehöhlt. Der Unfallgeschädigte soll nämlich gerade keinen Nachteil dadurch erleiden, dass er sich – zulässigerweise – dazu entschließt, sein beschädigtes Fahrzeug gar nicht oder etwa in Eigenleistung oder in einer Werkstatt reparieren zu lassen. Die – zulässigerweise – fiktive Abrechnung seitens des Unfallgeschädigten darf gerade nicht dazu führen, dass ihm in bestimmten Fällen finanzielle Einschränkungen auferlegt werden, die gerade Einfluss auf seine Disposition haben, wie er im einzelnen die entstandenen Schäden an seinem Fahrzeug repariert bzw. ob er dieses überhaupt repariert.
Billigt man dem Geschädigten bei Abrechnung fiktiver Reparaturkosten nur Ersatz der bei Ausführung der Arbeiten in einer sonstigen Fachwerkstatt anfallenden geringeren Kosten zu, so würde damit der Grundsatz unterlaufen, dass der Geschädigte sowohl in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung als auch in der Verwendung des vom Schädiger zu leistenden Schadensersatzes frei ist. Hiermit ist es unvereinbar, hinsichtlich der Höhe der ersatzfähigen Reparaturkosten zu differenzieren, je nachdem ob bzw. wie der Unfallgeschädigte sein Fahrzeug reparieren lässt, zumal der Schaden bereits im Augenblick des Unfalls selbst entstanden ist.
Anhaltspunkte dafür, dass die Abrechnung des Klägers vorliegend als Verstoß gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit und damit als Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht bezeichnet werden kann, liegen – gerade auch im Hinblick auf das vom Kläger eingeholte Gutachten des Sachverständigenbüros … vom 29.12.2010 – nicht vor.
Der zuerkannte Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 1 BGB.
Soweit der Kläger die Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren von den Beklagten zu 1) und 2) begehrt, war die Klage abzuweisen.
Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Beklagten zu 1) und 2) in der Klageerwiderung hinreichend substantiiert bestritten haben, dass die anwaltliche Honorarforderung ausgeglichen ist. Hieraus ergibt sich, dass der Kläger keine Zahlung gerade an sich selber verlangen kann. Demgemäß steht dem Kläger aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zahlung der geltend gemachten weiteren außergerichtlichen Anwaltsgebühren in Höhe von 57,23 € zu. Aus vorgenannten Erwägungen folgt gleichzeitig, dass ein Zinsanspruch des Klägers auch hinsichtlich derjenigen geltend gemachten Rechtsanwaltsgebühren, die vor Rechtshängigkeit seitens der Beklagten gezahlt worden sind, nicht besteht.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91 a, 92 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO. Soweit die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, waren die Kosten den Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldnern aufzuerlegen, da die Zahlung in Höhe von 123,20 € erst deutlich nach Rechtshängigkeit erfolgt ist, die Beklagten zu 1) und 2) insoweit also dem Kläger Veranlassung zur Klageerhebung gegeben haben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Und nun bitte Eure Kommentare.
@ Willi Wacker
Der erkennende Amtsrichter scheint im Captain-HUK-Blog mitzulesen, denn oft genug ist hier in Beiträgen und Kommentaren daraufhingewiesen worden, dass konkret gleich fiktiv (mit Ausnahme der USt.) ist. Was konkret abgerechnet werden darf, kann auch fiktiv berechnet werden. Alles andere würde den Versicherer des Schädigers begünstigen und den Geschädigten benachteiligen.
Die Begründung überzeugt voll und ganz.
Gerade in letzter Zeit ist vermehrt festzustellen, dass in Prüfberichten auf die billigste Werkstatt im Umkreis von 29 km verwiesen wird.
Wenn ich der fiktiven Abrechnung aber die billigsten Löhne zu Grunde lege, dann sind mir alle anderen Reparaturwerkstätten verwehrt. Ich bekomme also nicht einmal im Ansatz das, was ich durchschnittlich aufwenden müsste.
Das kann nicht Sinn der Dispositionsfreiheit sein, denn diese wird mit den billigsten Löhnen vollständig unterwandert, ich kann ja nicht einmal mehr zwischen zwei billigen Werkstätten wählen…
Viele Grüße
Andreas
Mit der Rechtsprechung des BGH setzt sich das Gericht nicht aneinander. Der Inhalt des Urteils ist sicherlich wünschenswert, aber mangels Berücksichtigung der vom BGH entwickelten Grundsätze wohl falsch. Zumindest ergibt sich aus dem Urteil keinerlei Ausführung, ob das Fahrzeug älter als drei Jahre ist, ob es bis dato stets in einer markengebundenen Werkstatt repariert wurde und ob die Vergleichswerkstatt gleichwertig repariert.
Die Begründung des Gerichts hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren ist zudem völlig falsch. Wenn die Versicherung folgerichtig die Zahlung der Schadensersatz Ansprüche ablehnen, kann sofort auf Zahlung des Honorars geklagt werden, unabhängig davon, ob dieses bereits vom Geschädigten an den Rechtsanwalt bezahlt wurde.
Sehr geehrter Herr Kollege Hoynatzky,
zwar nicht explizit, so doch versteckt, übt das Gericht Kritik an der bisherigen BGH-Rechtsprechung zur fiktiven Schadensabrechnung. Die Kritik an den Urteilen des BGH ab dem VW-Urteil als Fortführung des Porsche-Urteils wird immer lauter. Dass der BGH im VW-Urteil eine dreijährige Frist angenommen hat, ist rein willkürlich. Warum nicht zwei oder gar vier Jahre? Die dreijährige Frist unterläuft die Gleichwertigkeit der Abrechnungsmöglichkeiten in konkreter und fiktiver Weise. Der Gesetzgeber hatte – ohne irgendwelche Fristen – beide Abrechnungsweisen in § 249 BGB gleichberechtigt angeführt. Was konkret abgerechnet werden kann, muss auch bei fiktiver Abrechnung geleistet werden (mit Ausnahme der USt.!). Also kann der Geschädigte nicht ab einer gewissen Zeit auf eine minderwertigere Reparatur verwiesen werden. Selbst wenn die Reparatur in der Referenzwerkstatt qualitativ gleichwertig mit der Reparatur in der Markenfachwerkstatt wäre, was der Schädiger darzulegen und zu beweisen hätte, hat der Geschädigte gleichwohl Anspruch auf die Beträge, die eine Reparatur in der markengebundenen Fachwerkstatt kosten würde, denn er kann sich ja immer noch in Richtung Reparatur in der Markenfachwerkstatt entscheiden. Das kann er auch, wenn das beschädigte Fahrzeug älter als drei Jahre ist, denn dann liegt eine konkrete Abrechnung vor und der Schaden ergibt sich aus dem Rechnungsbetrag.
Ebenso wie das AG Mitte, das AG Kerpen u.a. hat auch hier der erkennende Richter die BGH-Rechtsprechung kritisch hinterfragt. Ich halte Ihre Kritik daher für nicht zielführend. Vielmehr sollte man sich mit der BGH-Rechtsprechung kritisch auseinandersetzen. Nicht jedes BGH-Urteil kann kritiklos hingenommen werden.
Mit freundl. koll. Grüßen
Willi Wacker