Hallo verehrte Captain-Huk-Leser,
Zum Wochenbeginn geben wir Euch noch eine kleine „Leckerei“ aus Hattingen zum Thema fiktive Abrechnung und was das Gericht von „Werkstatt-Sonderkonditionen“ der Versicherer hält, mit auf den Weg. Der erkennende Amtsrichter hat der darlegenden beklagten Kfz-Haftpflichtversicherung hinsichtlich der von ihr angegebenen günstigeren Stundensätze in Bezug auf eine ohne Weiteres zugängliche Werkstatt keinen Glaben geschenkt. Bekanntlich ist es für den Geschädigten unzumutbar auf Preise einer Werkstatt verwiesen zu werden, die auf Sondervereinbarungen beruhen. Gerade diese Sondervereinbarungen sind hier durch die Beweisaufnahme zutage getreten. Zutreffend sind auch die fiktiven Verbringungskosten zugesprochen worden. Insgesamt handelt es sich um ein lesenswertes Urteil eines fiktiv abrechnenden Geschädigten aus dem Ruhrgebiet. Lest selbst und gebt bitte Eure Kommentare ab.
Viele Grüße und eine gute Woche
Willi Wacker
15 C 61/12 Verkündet am 21.09.2012
Amtsgericht Hattingen
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
des …
Klägers,
g e g e n
1. …
2. …
Beklagten,
hat das Amtsgericht Hattingen
auf die mündliche Verhandlung vom 21.09.2012
durch den Richter …
für Recht erkannt:
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 222,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.12.2011 zu zahlen.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, vorgerichtfiche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 46,41 € an die … Rechtsschutzversicherung, zu Händen der Prozessbevollmächtigten des Klägers, zu zahlen.
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Berufung wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Klage ist zulässig und begründet.
I.
Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch aus §§ 7, 17, 18 StVG, 115 VVG auf Zahlung von 222,50 €. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach für die aus dem Verkehrsunfall vom 23.08.2011 resultierenden Schäden des Klägers ist zwischen den Parteien unstreitig.
Der Kläger hat seinen Schaden fiktiv auf der Basis des Privatgutachtens des Sachverständigen … (Bl. 12 ff. d. A.) in Höhe von 1.522,92 € netto abgerechnet. In Anknüpfung an den Prüfbericht vom 02.11.2011 (Bl. 8 ff. d. A.) hat die Beklagte zu 2. an den Kläger 1.300,42 € ausgezahlt, so dass eine rechnerische Restforderung des Klägers von 222,50 € verbleibt.
Eine Verweisung des Klägers an die … ist vorliegend entgegen der Ansicht der Beklagten nicht zulässig, so dass keine entsprechende Kürzung des Anspruchs des Klägers vorzunehmen ist. Voraussetzung für eine zulässige Verweisung ist nämlich u.a., dass die beklagte Partei darlegt und ggf. beweist, dass sie in ihrer Abrechnung die üblichen Preise der Vergleichswerkstatt zugrunde gelegt hat und es der Klägerpartei deshalb zumutbar war, die ihr aufgezeigte günstigere und gleichwertige Reparaturmöglichkeit wahrzunehmen (BGH, NJW 2010, Seite 2941). Unzumutbar ist eine Reparatur in einer freien Fachwerkstatt für den Geschädigten demgegenüber dann, wenn sie nur deshalb kostengünstiger ist, weil ihr nicht die marktüblichen Preise dieser Werkstatt, sondern auf vertraglichen Vereinbarungen mit dem Haftpflichtversicherer des Schädigers beruhende Sonderkonditionen zugrunde liegen (BGH, NJW 2010, Seite 2725). Vorliegend steht es nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass es sich bei den von der Beklagten zu 2. zugrunde gelegten Stundenverrechnungssätzen der … um deren allgemeine und jedermann zugängliche Preise handelt. Vielmehr ist das Gericht davon überzeugt, dass es sich bei diesen Stundenverrechnungssätzen um Sonderkonditionen betreffend die Beklagte zu 2. handelt. Die diesbezügliche Überzeugung des Gerichts folgt aus der glaubhaften Aussage des Zeugen … , einem der Gesellschafter der …. , die dieser im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 21.09.2012 getätigt hat. Nach dieser Aussage unterscheiden sich die Stundenverrechnungssätze der … danach, ob die Schadensabrechnung gegenüber einem Privatkunden oder aber gegenüber der Beklagten zu 2. vorgenommen wird. Dabei sind die gegenüber der Beklagten zu 2. in Ansatz gebrachten Stundenverrechnungssätze regelmäßig günstiger. Zudem gelten diese günstigeren Tarife gegenüber der Beklagten zu 2. sowohl für die Abwicklung von Kasko- also auch für die Abwicklung von Haftpflichtreparaturen. Die Aussage ist glaubhaft, da der Zeuge … als Gesellschafter der … präzise Auskunft über die Preisgestaltung dieser Fachwerkstatt geben konnte. Bestätigt wird die Aussage zudem durch den Inhalt eines seitens des Zeugen … geschilderten Telefonats vom 27.03.2012.
Eine Kürzung des Anspruchs des Klägers ist auch nicht vor dem Hintergrund der abgerechneten Verbringungskosten (97,00 €) geboten. Zwar hält auch der BGH eine Kürzung von Fahrzeugverbringungskosten für angezeigt, wenn sämtliche Referenzwerkstätten in der Umgebung des Geschädigten eine eigene Lackierwerkstatt haben (vgl. BGH, NJW 2010, Seite 2941). Nämliches wird von der Beklagtenseite aber nicht vorgetragen. Vorbehaltlich dieser Voraussetzungen stellen sich Verbringungskosten nach der Ansicht des Gerichts aber als grundsätzlich erstattungsfähig dar. Denn nach der Rechtsprechung des BGH leistet der Geschädigte im Reparaturfall dem Gebot der Wirtschaftlichkeit im Allgemeinen schon dann genüge und bewegt sich in dem für die Schadensbehebung nach § 249 Abs 2 Satz 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er bezüglich der Schadensabrechnung die Ansätze zugrunde legt, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat (BGH, NJW 2010, Seite 606). Derart ist der Kläger vorliegend verfahren. Vorbehaltlich einer – hier nicht gegebenen – zulässigen Verweisung auf eine konkrete günstigere Reparaturmöglichkeit besteht daher keine Veranlassung, Abzüge von Einzelpositionen vorzunehmen. Vielmehr entspricht die vorliegende Berechnung des Klägers gerade dem Gebot der Wirtschaftlichkeit. Gegen die Möglichkeit der Vornahme derartiger Abzüge spricht im Übrigen auch der Wortlaut des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB. Dieser sieht Abzüge bei fiktiver Schadensberechnung nämlich nur im Hinblick auf die Umsatzsteuer vor. Daraus lässt sich im Weiteren schließen, dass der Gesetzgeber eine weitergehende Abzugsmöglichkeit gerade nicht zu eröffnen beabsichtigte.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 286 BGB. Insbesondere handelt es sich bei dem Schreiben vom 01.12.2011 um eine wirksame Mahnung.
II.
Ein durch Zahlung auf die … übergegangener Anspruch des Klägers auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 46,41 € folgt ebenfalls aus §§ 7, 17, 18 StVG, 115 VVG.
Die Prozessführungsbefugnis des Klägers folgt aus der insoweit unstreitig gegebenen Ermächtigung des Klägers seitens der … .
Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren sind als Rechtsverfolgungskosten des Klägers auch schadensersatzrechtlich ersatzfähig. Ausgehend von einem Gegenstandswert von 222,50 € sind eine 1,3 Geschäftsgebühr (Nr. 2300 W RVG) in Höhe von 32,50 €, eine Kommunikationspauschale (Nr. 7002 W RVG) in Höhe von 6,50 € sowie Umsatzsteuer (Nr. 7008 W RVG) in Höhe von 7,41 €, mithin Gesamtkosten in Höhe von 46,41 € angefallen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
Nach § 511 Abs. 4 Satz 1 ZPO war über die Zulassung der Berufung zu entscheiden. Die Zulassung ist indes nicht veranlasst. Denn durch den Rechtsstreit sind keine über den Lebenskreis der Parteien hinausgehende Interessen berührt, die eine Entscheidung des Berufungsgerichts erforderlich erscheinen lassen.
Urteil von wann denn nun, 21.08.2012 oder 21.09.2012 ?
5C 61/12 oder 15C 61/12 ?
Es hat eine Beweisaufnahme stattgefunden. Demnach hat die Versicherung im Prozeß wohl vortragen lassen, die Preise der Verweisungswerkstatt beruhten nicht auf einer Sondervereinarung mit dieser Werkstatt.
Ein Gesellschafter eben dieser Verweisungswerkstatt sagt dann aus, daß es sich doch um Preise einer Sondervereinbarung handelt.
Das war dann wohl ein versuchter Prozeßbetrug.
Da die Versicherung Beklagte zu 2) war, ist als Beklagter zu 1) wohl der Fahrer oder der Halter verklagt worden.
Nur zu schön wäre ja, wenn der Richter des AG Hattingen die Akte von Amts wegen an die StA abgeben würde (hat er wahrscheinlich nicht)
Wie wärs denn mal mit nem Strafantrag gegen den Beklagten zu 1) wegen versuchten Prozeßbetruges???
Hallo Herr Andreas Oehler,
Fehler ist schon korrigiert worden. War beim Veröffentlichen nicht aufgefallen, dann aber nach einer Weile und dann sofort korrigiert worden. Aber trotzdem Danke für Ihren Hinweis. Er zeigt, dass Sie aufmerksam mitlesen.
Mit freundlichen Grüßen
Willi Wacker
@RA Schepers
Eine sehr charmante Idee mit dem Strafantrag gegen den Beklagten zu 1.).
Dieser würde sich sodann sicherlich gerne bei seiner Versicherung für bedanken. Ich werde diesen Gedanken aufnehmen und in unseren alltäglichen Umgang mit sämtlichen Haftpflichtversicheren einbringen.
Die Ansage, dass die Ansprüche sodann gegen den VN der gegnerischen Versicherung persönlich geltend gemacht werden und wurden, hat so manchesmal schon Früchte getragen.
Aber dieser Gedanke amüsiert mich, denn auf die kreativen Ausflüchte der Versicherungen, gilt es kreative Auswege zu finden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Versicherung bereits vorprozessual mitteilt, dass eine verbindliche Bestätigung zu den Preisen der Referenzwerkstatt nicht gegeben werden kann und sich der AST., selbst darum zu kümmern habe.
Vlt. wird mit dem Vorbringen des technischen Prüfberichtes ja schon die „Schwelle zum jetzt geht´s los“ überschritten, die sich der VN über seine Versicherung sodann zurechnen lassen muss.
Wenn Versicherungen das Spiel „Fair-Play“ als „Foul-Spiel“ auslegen und es so spielen wollen, dann sollen sich Versicherungen auch nicht verwundern, wenn es ruppig wird.
Mit kollegialem Gruß
@ Kollege Schwier
wird grundsätzlich eingestellt,macht aber ´ne hohe Welle,vor allem deshalb,weil dann mitunter herauskommt,dass der Herr Beklagtenvertreter das Vorbringen selbst frei erfunden hat.
Man staunt manchmal nicht schlecht über das Ausmass degenerierten Unrechtsbewusstseins bei den „Kollegen“.
Hallo Kollege Schepers,
selbst wenn jetzt wieder im Rolands Blog über mich hergezogen wird, erscheint Ihr Gedankengang durchaus etwas Geschmäckle zu haben. Die Beklagten zu 1. und 2. werden durch ein und denselben Versicherungsanwalt vertreten. Den Vortrag des Anwalts muss sich daher auch der Halter oder der Fahrer des unfallstiftenden Fahrzeugs, versichert bei der Beklagten zu 2., zurechnen lassen. Insoweit wird in der Tat durch die Beklagten als Gesamtschuldner versucht, das Gericht zu täuschen und zu einer Verfügung zu Lasten des Geschädigten zu veranlassen. Jeder Gesamtschuldner haftet. Mithin dürfte der Betrugsversuch auch auf den Beklagten zu 1. zutreffen.
Ob die zuständige Staatsanwaltschaft Essen das Ermittlungsverfahren eröffnet oder ob es bereits im Vorfeld unter Bezug auf OLG Hamm einstellt, bleibt offen. Ich vermute eher das Letztere.
Mit kollegialen Grüßen
Willi Wacker
@ RA Schwier
Ich stelle mir den Anruf des VN bei seiner Versicherung so vor:
„Sie haben mir doch gesagt, wegen des Unfalls kümmern Sie sich um alles. Ich bräuchte mich um nichts kümmern. Sie würden mir auch einen Anwalt besorgen, der das alles regelt. Und jetzt bekomme ich eine Vorladung von der Polizei wegen versuchten Prozeßbetruges??? WAS SOLL DAS DENN ?!? Ich werde mir jetzt erst mal einen Strafverteidiger suchen, der das alles klar stellt. Und die Kosten dafür werden Sie übernehmen, das ist ja wohl mal klar. Und kommen Sie mir jetzt bloß nicht damit, daß Sie mir einen Anwalt stellen würden. Das hatten wir schon mal, darauf kann ich verzichten. Ich brauche jemanden, der MEINE Interessen vertritt, nicht Ihre!“
Eine Strafbarkeit des Halters liegt hier meines Erachtens nicht vor.
Prozessbetrug setzt u. a. Vorsatz hinsichtlich der Unwahrheit der behaupteten Tatsache voraus. Der Halter/Versicherungsnehmer wird in der Regel nicht wissen, ob seine Versicherung mit einer bestimmten Werkstatt irgendwelche Vereinbarungen getroffen hat.
In strafrechtlicher Hinsicht muss sich der mitbeklagte Versicherungsnehmer weder das Wissen seiner Versicherung noch das Wissen seines Prozessvertreters zurechnen lassen. Die zivil-/zivilprozessrechtlichen Wissenszurechnungsregeln für Vertreter gelten für die strafrechtlichen Vorsatzbedingungen nicht.
Aber sonst halte ich eine Strafanzeige für durchaus angebracht.
@RA Maas
Freilich sollte im Ergebnis sicherlich kein strafbares Verhalten des VN vorliegen. Es war auch nur ein rabulistischer charmanter Gedanke! Aber vlt. sollte man derartiges mal ausprobieren.
Aber im Hinblick auf die Versicherungen liegen uns mittlerweile mehrfache vorprozessuale Aussagen vor, dass die Referenzpreise eben nicht verbindlich sind, sondern seitens des AST. persönlich angefragt werden müssen.
Kurz, es wird seitens der Versichrung vorprozessual ein Preis „ins Blaue hinein“ behauptet und gekürzt, obwohl keine verbindliche Zusage vorliegt. Ins Blaue hinein zu behaupten, trifft da wieder den Kern.
Tipp: Bei „fiktiver Abrechnung“ einfach mal nach einem verbindlichen Reparaturkostenangebot bei der Versicherung nachfragen, damit der Mandant sich gleichfalls im Vorfeld um einen kostengünstiges Mietfahrzeug kümmern kann.
Mehr als eine direkte Aufforderung im Sinne der Schadensminderungspflicht kann man von einem Geschädigten und AST. vorprozessual nicht verlangen.
Die Antworten sind jedoch abenteuerlich!
Als nächstes werden wir feste Reparaturzeiten anfragen, damit diese nicht haltbaren Vergleichspreise bereits vorprozessual „ad absurdum“ geführt werden oder vlt. auch endlich mal in Anspruch genommen werden können.