Hallo verehrte Captain-Huk-Leser,
hier etwas Lektüre über historische Urteile. Das geschieht nicht, weil uns die aktuellen Urteile ausgehen. Das Gegenteil ist der Fall. Jeden Tag flattern neue Entscheidungen per Post, Fax oder Mail bei der Redaktion ein. Die Versicherungen sorgen mit ihren rechtswidrigen Kürungen schon dafür, dass uns die Arbeit nicht ausgeht. Gleichwohl ist es manchmal schön, in der Historie zu kramen. Das nachfolgende Berufungsurteil des LG Mainz vom 6.12.2000 zur fiktiven Abrechnung, Lackangleichung, Verbringungskosten und UPE sowie zur Wertminderung und auch zu den Sachverständigenkosten ist weiterhin topaktuell. Sämtliche Thesen der Begründung können weiterhin verwandt werden. Da könnte sich manch „moderner Richter“ eine Scheibe davon abschneiden. Lest selbst und gebt bitte Eure Kommentare ab. Ich verspreche Euch, dass das nächste Urteil wieder ein aktuelles ist.
Viele Grüße und ein schönes Wochenende mit dem ersten Lichtlein
Willi Wacker
Landgericht Mainz
Aktenzeichen:
3 S 205/00
70 C 204/99 AG Mainz
Verkündet am: 6.12.2000
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
…
– Beklagte und Berufungsklägerin –
gegen
…
– Kläger und Berufungsbeklagter –
w e g e n Schadensersatzes aus Verkehrsunfall
hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Mainz auf die mündliche Verhandlung vom 14. November 2000 durch Richterin am Landgericht… , Richter am Landgericht … und Richter am Landgericht …
für R e c h t erkannt :
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Mainz vom 16. Juni 2000 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Berufung ist zulässig, in der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
Zu Recht hat das Amtsgericht einen Anspruch des Klägers auf Ersatz des von ihm geltend geraachten Unfallschadens bejaht. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung.
Die Berufung richtet sich in erster Linie gegen den Ansatz fiktiver Verbringungskosten zu einer Fremdlackiererei sowie des sogenannten Ersatzteilaufschlags. In beiden Punkten greifen die Einwendungen der Beklagten nicht durch.
Ist ein Kraftfahrzeug bei einem Unfall beschädigt worden, so kann der Geschädigte von dem ersatzpflichtigen Schädiger statt der Herstellung durch diesen (§ 249 Satz 1 BGB) den hierzu erforderlichen Geldbetrag verlangen (§ 249 Satz 2 BGB.) . Dieser Geldbetrag bemisst sich, wie vom Amtsgericht zutreffend ausgeführt, nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes danach, was vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Eigentümers in der Lage des Geschädigten für die Instandsetzung des Fahrzeugs zweckmäßig und angemessen erscheint (BGH NJW 1989, 3009. m.w.N.). In der Verwendung der Ersatzleistung ist der Geschädigte frei; ein Anspruch besteht also auch dann, wenn er eine Reparatur überhaupt nichtoder nur teilweise veranlasst oder selbst mit geringerem Aufwand ausführt. (BGH a.a.O.; BGH NJW 1997, 520).
Nach diesen Grundsätzen ist zunächst der Ansatz der Verbringungskosten zu einer Fremdlackiererei auch bei fiktiver Abrechnung auf Gutachtenbasis nicht zu beanstanden. Auch wenn, wie im vorliegenden Fall, zur Instandsetzung des Fahrzeugs nur Arbeiten an der Karosserie erforderlich sind – was der Kläger aufgrund des von ihm eingeholten Schadensgutachtens wusste- und solche Arbeiten fachgerecht auch in einer Karosseriefachwerkstatt durchgeführt werden können, ist es dem Geschädigten zuzubilligen, hiermit eine Vertragswerkstatt des Fahrzeugherstellers (im vorliegenden Fall Fiat) zu betrauen, die gerade bei einem in der Abwicklung von Unfallschäden Unerfahrenen im Allgemeinen besonderes Vertrauen genießt . Da nach dem insoweit auch von der Beklagten nicht angegriffenen Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen H. Fiat-Vertragswerkstätten im Raum Mainz, in dem der Kläger wohnt, nicht über eine eigene Lackiererei verfügen, fallen damit bei Instandsetzung des Schadens in einer solchen Werkstatt notwendigerweise Verbringungskosten zu einer Fremdlackiererei an. Sie gehören damit wie die Kosten der Lackierung selbst zu dem zur Herstellung erforderlichen Geldbetrag im Sinne des § 249 Satz 2 BGB (in diesem Sinne neben den von dem Kläger angeführten Entscheidungen unter anderem des OLG Hamm auch Himmelreich-Klinike, VerkR, Rn.: 721 a). Soweit ersichtlich, ist die Ersatzfähigkeit tatsächlich entstandener Verbringungskosten allgemein anerkannt; auch die Beklagte geht erkennbar hiervon aus. Die unterschiedliche Behandlung fiktiver Verbringungskosten, wie sie zum Teil vertreten wird (siehe – neben den von der Beklagten genannten Entscheidungen – die Machweise bei Himmelreich-Klinike, a.a.O.), ist mit dem oben erwähnten Grundsatz des Schadensersatzrechts unvereinbar, dass der Geschädigte in der Verwendung der Ersatzleistung frei ist. Ob bestimmte Reparaturkosten erforderlich sind, ist danach unabhängig davon zu beurteilen, ob bzw. in welcher Weise die Reparatur tatsächlich durchgeführt wird. Entscheidend ist allein, welche Kosten bei fachgerechter Reparatur in einer vom Geschädigten auszuwählenden Fachwerkstatt seines Vertrauens üblicherweise entstehen.
Zu Recht hat das Amtsgericht auch einen Anspruch des Klägers auf Ersatz des in dem Schadensgutachten der GFÜ GmbH in Ansatz gebrachten Ersatzteilaufschiags von 10 % auf die unverbindlichen Richtpreise des Herstellers bejaht. Nach dem vom Amtsgericht eingeholten Gutachten des Sachverständigen H. erheben rund 75 % der Reparaturwerkstätten solche Aufschläge auf die Ersatzteilepreise. Die Beklagte hat das gerichtliche Gutachten auch insofern nicht konkret angegriffen, insbesondere behauptet sie nicht, dass der angegebene Prozentsatz überhöht sei oder jedenfalls Fiat-Vertragswerkstätten im Raum Mainz nicht hierzu gehören. Da dem Kläger, wie oben dargelegt, die Reparatur in einer solchen Werkstatt zuzubilligen ist, zählt auch der Ersatzteilaufschlag zu den zur Herstellung erforderlichen Kosten im Sinne des § 249 Satz 2 BGB, und zwar unabhängig davon, ob die Reparatur tatsächlich in einer solchen Werkstatt durchgeführt wird oder nicht.
Nach dem Gutachten des Sachverständigen H. sind die in dem Schadensgutachten der GFÜ GmbH angesetzten Kosten auch im Übrigen nicht zu beanstanden. Soweit das von der Beklagten vorgelegte Privatgutachten des Sachverständigen B. zu geringeren Reparaturkosten kommt, beruht dies – abgesehen von der Abweichung in den beiden vorgenannten Punkten – darauf, dass der Sachverständige B.n davon ausgeht, ein Schaden am Scheinwerfer rechts und dem Verbindungsblech sei nicht erkennbar und eine Beilackierung der Tür vorne rechts nicht notwendig. Wie der gerichtliche Sachverständige H. ausführlich dargelegt hat, waren jedoch auch diese Teile beschädigt; das Fahrzeug zeige deutliche Reparaturspuren und auch noch Schäden zwischen dem vorderen rechten Kotflügel, der A-Säule und der vorderen rechten Tür sei auch ein – geringer – Farbtonunterschied vorhanden. Das Gericht sieht keine Veranlassung, diesen Feststellungen zu misstrauen und ein Obergutachten hierzu einzuholen; die erforderliche Sachkunde des Sachverständigen H. steht außer Frage, auch wenn dessen öffentliche Bestellung und Vereidigung „für Straßenverkehrsunfälle“ sich hauptsächlich auf die Rekonstruktion von Verkehrsunfällen bezieht. Im Übrigen wäre bei nicht ausreichender Sachkunde eher damit zu rechnen, dass ein schwer erkennbarer Schaden übersehen wird, als dass man einen in Wahrheit überhaupt nicht vorhandenen Schaden- bzw. Spuren angeblich nicht erfolgter Reparaturarbeiten wahrnimmt. Die Kammer sieht auch keinen Anlass zur Anhörung des Sachverständigen, nachdem die Beklagte ihren entsprechenden Antrag in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich zurückgenommen hat. Ohne Grund beanstandet die Beklagte schließlich, dass der gerichtlicheSachverständige keine eigene Schadenskalkulation vorgenommen habe. Der Sachverständige H. kommt nach Überprüfung des Schadensgutachtens der GFÜ GmbH zu dem Ergebnis, dass zur ordnungsgemäßen Instandsetzung des Fahrzeugs die hierin angesetzten Reparaturkosten erforderlich sind. Für eine nähere Erörterung bestand auch für ihn nur Anlass, soweit die Beklagte – gestützt auf das Privatgutachten des Sachverständigen B. – konkrete Einwendungen erhoben hatte. Derartige gezielte Angriffe – außer bezüglich der angesprochenen Punkte und der Höhe des nunmehr unstreitigen Stundenverrechnungssatzes – sind auch im zweiten Rechtszug nicht ersichtlich.
Die geltend gemachte Wertminderung ist, wie vom Amtsgericht zutreffend angenommen, bei notwendigen Reparaturkosten in der von dem Sachverständigen H. bestätigten Höhe nicht zu beanstanden. Insoweit erhebt auch die Beklagte keine Einwendungen. Soweit sie lediglich eine geringere Wertminderung zugestanden hatte, beruht dies auf ihrem Ausgangspunkt, dass wesentlich geringere Reparaturkosten erforderliche seien.
Der Schadensersatzanspruch des Klägers umfasst schließlich auch die durch die Einholung eines Schadensgutachtens der GFÜ GmbH entstandenen Kosten. Abgesehen davon, dass dieses nach dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen entgegen der Auffassung des Beklagten durchaus zutreffend ist, wären etwaige Fehler insoweit unbeachtlich, da den Kläger, wie bereits das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, insoweit kein ihm zurechenbares Verschulden trifft. Soweit die Beklagte die Abtretung angeblich bestehender Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die GFÜ GmbH wegen Schlechterfüllung des Gutachtenauftrags begehrt hat, hat der Kläger dem in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer entsprochen.
Die Berufung war nach alledem mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.
Urteilsliste “Fiktive Abrechnung u. SV-Honorar” zum Download >>>>>
@ Die Berufung richtet sich in erster Linie gegen den Ansatz fiktiver Verbringungskosten zu einer Fremdlackiererei sowie des sogenannten Ersatzteilaufschlags. In beiden Punkten greifen die Einwendungen der Beklagten nicht durch.
Hei Willi,
auch die neuere BGH-Rechtsprechung von VW bis Mercedes A 140 hat an der vom Berufungsgericht zutreffend festgestellten Ansicht nichts geändert. Nach wie vor sind auch Verbringungskosten und Ersatzteilaufschläge fiktiv zu ersetzen, auch wenn sie tasächlich nicht anfallen. Auch fiktive Reparaturkosten sind zu ersetzen, auch wenn sie nicht anfallen, weil der Geschädigte auf eine Reparatur verzichtet. Also, die auch heute noch immer wieder auftretende Argumentation, nur die Schadenspositionen seien zu ersetzen, die auch tatsächlich anfallen, ist reiner Blödsinn und findet im Gesetz keine Basis. Lediglich der Wegfall der Umsatzsteuer bei fiktiver Schadensabrechnung ist lt. BGH systemwidrig eingeführt worden. Eine Ausdehnung auf weitere Schadenspositionen ist auch in Analogie nicht möglich.
Hallo Roland R.
den Versicherungen ist auch ein Blick in das Buch von Herrn Richter am BGH Wolfgang Wellner, BGH-Rechtsprechung zum Kfz-Sachschaden, jetzt auch schon in 2. Auflage, empfohlen. Da hat Herr Wellner, selbst Mitglied des für Unfallschäden zuständigen VI. Zivilsenates, ausgeführt, wie er die Sache mit den fiktiven Verbringungskosten und Ersatzteilaufschlägen sieht. Nämlich entsprechend, wie das erkennende Gericht es gesehen hat. Die Versicherung hatte ja auch bereits einen Rechtsstreit um fiktive Verbringungskosten vor dem VI. Zivilsenat, diesen dann aber wegen der besonderen Bedeutung eines zu erwartenden Urteils vor der Verhandlung zurückgenommen.
Ein Schelm, der dabei Böses denkt. Wie wäre die Entscheidung wohl ausgefallen? – Sicherlich mit einem Sieg des Geschädigten – und damit mit einer höchstrichterlichen Entscheidung des BGH, an der dann die nachfolgende Rechtsprechung nicht mehr vorbei kann. Es wäre ein Verlust der Versicherung auf ganzer Linie gewesen.
Mit freundlichen Grüßen
Willi Wacker