Vollständiger Haftungsausschluss nur noch in besonderen Einzelfällen – OLG Saarbrücken, Urteil v. 4.7.2013, 4 U 65/12 -19

Dem nachfolgenden Urteil sollten Fahrradfahrer, die es mit der Vorfahrt anderer Verkehrsteilnehmer nicht so genau nehmen, Fußgängerübergänge radelnd überqueren oder gern mal in der falschen Richtung oder auf Fußwegen unterwegs sind, ein wenig ihrer Zeit widmen.

Insoweit ein Richter am LG Saarbrücken demnächst wieder über die Erstattung von Sachverständigen-Honoraren urteilen sollte, empfiehlt sich zuvor die im Urteil dokumentierte Sichtweise seines OLG zu studieren.

Auch zur Erstattungspflicht von Anwaltsgebühren nimmt das OLG Stellung.

OLG Saarbrücken Urteil vom 4.7.2013, 4 U 65/12 – 19

Leitsätze

1. Nach Änderung des § 7 Abs. 2 StVG durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften ist bei Verkehrsunfällen mit Beteiligung von Kraftfahrzeugen und erwachsenen, nicht hilfsbedürftigen Radfahrern ein vollständiger Haftungsausschluss nur noch in besonderen Einzelfällen möglich, insbesondere dann, wenn der einfachen Betriebsgefahr des Kraftfahrzeughalters ein grob verkehrswidriges Verhalten des Radfahrers gegenübersteht.

2. Grobes Fehlverhalten in diesem Sinne ist z. B. ohne weiteres gegeben, wenn ein wartepflichtiger Radfahrer blindlings und ohne Halt aus einem Feldweg auf eine Landstraße einbiegt (Bestätigung des Senatsurt. v. 24.04.2012 – 4 U 131/11-40-, NJW 2012, 3245 ff.).

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 24.01.2012 (Aktenzeichen 4 O 262/09) abgeändert:

Die Klage ist dem Grunde nach mit einer Haftungsquote der Beklagten zu 2 und 3 als Gesamtschuldner in Höhe von 1/3 und einer Mithaftung der Klägerin in Höhe von 2/3 gerechtfertigt.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 2 und 3 gesamtschuldnerisch nach Maßgabe einer Haftungsquote von 1/3 und einer Mithaftung der Klägerin von 2/3 verpflichtet sind, der Klägerin alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr aus dem Verkehrsunfall vom 10.01.2008 noch entstehen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.

2. Die Entscheidung im Übrigen bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Die am …1971 geborene Klägerin befuhr am 10.01.2008 gegen 14 Uhr mit ihrem Fahrrad (Mountain Bike) Stevens S 6 Pro den Fahrradweg aus Richtung W. in Richtung B.. An der Einmündung in die L 212 bog sie in diese nach links Richtung I. ein. Von dort kam ihr der von dem früheren Beklagten zu 1 als Zivildienstleistendem geführte Lkw Ford Transit des Beklagten zu 2 mit dem amtlichen Kennzeichen … entgegen, der bei der Beklagten zu 3 haftpflichtversichert ist. Bei der anschließenden Kollision mit diesem Lkw wurde die Klägerin verletzt. Sie erlitt einen Riss der Aorta, Hirnblutungen, ein Magenwandhämatom, eine Verletzung des Wadenbeinnervs mit anschließender Zehenkrallenbildung, eine Rippenserienfraktur links mit Hämatomthorax, einen Beckenbruch, eine Hüftgelenksfraktur, einen Bruch des Schambeins, einen Bruch des rechten Schienbeinkopfes, einen Unterschenkelbruch links, Prellungen und Hämatome im Bereich der linken Niere, eine bimalleoläre OSG-Luxationsfraktur rechts, eine Schrumpfblase, eine Kondylenfraktur Femur rechts, Stuhlinkontinenz, eine Lungenquetschung und eine Knöchelfraktur. Vom 10.01.2008 bis zum 05.03.2008 befand sich die Klägerin auf der Intensivstation des Universitätsklinikums des Saarlandes und wurde anschließend in das Median-Reha-Zentrum Klinik B.-L. verlegt. Vom 26.08.2008 bis zum 01.09.2008 befand sie sich erneut in stationärer Behandlung zur Beseitigung der Sehnenverklebung, die allerdings nicht vollständig beseitigt werden konnte.

Die Klägerin hat gemeint, der Unfall sei für sie unabwendbar gewesen. Sie hat behauptet, sie selbst könne sich nicht mehr an den Unfall erinnern. Sie habe an der Einmündung zur L 212 die Straße überquert und anschließend die Straße in Richtung I. befahren. Als sie sich bereits vollumfänglich und parallel zum Straßenrand rechts eingeordnet gehabt habe, sei sie mit dem entgegenkommenden Lkw kollidiert. Der Lkw habe sich aus Sicht des Fahrers vollständig auf der linken Fahrbahnhälfte befunden und den Bremsvorgang erst nach der Kollision eingeleitet. Die Sicht des Beklagten zu 1 sei nicht beeinträchtigt gewesen, er hätte die Klägerin lange vor Erreichen des Radwegs erkennen können. Hätte der Beklagte zu 1 mit dem Lkw die rechte Fahrspur eingehalten bzw. rechtzeitig reagiert, wäre der Unfall für ihn vermeidbar gewesen. Die Verletzungen der Klägerin an Aorta, Becken und im Schambereich ließen keinen anderen Schluss zu, als dass sie frontal mit dem Lkw zusammengestoßen sei. Die Klägerin hat ein Schmerzensgeld in Höhe von 80.000 EUR für angemessen erachtet. Dazu hat sie behauptet, infolge des Unfalls sei es ihr nicht mehr möglich, zu joggen bzw. ausgedehntere Wanderungen zu unternehmen. Fahrradfahren sei nur mit Einschränkungen möglich bei Fixierung des Fußes am Pedal. Außerdem habe sie in beiden Beinen und im Bereich der Rippen immer noch Schmerzen. Sie habe eine irreversible Sehnenverkürzung erlitten mit der Folge einer Krallenzehenbildung der ersten und zweiten Zehe des rechten Fußes. Das Taubheitsgefühl im linken Oberschenkel werde ebenso wie die Veränderung der Stimme auf Dauer bleiben. Beide Beine wiesen Entstellungen auf, die Knochen wölbten sich teilweise deutlich sichtbar unter der Haut. Ferner habe sie extrem entstellende Narben am gesamten Körper, und die breite Narbe vom Rücken bis zur Brust enge zudem den Bewegungsradius im Oberkörper ein. Da der komplette Dekolleté-, Leisten- und Schambereich und beide Beine von Narben betroffen seien, könne die Klägerin auf Dauer keine Kleider, Röcke oder dekolletierte Blusen tragen und wage sich mit Badebekleidung nicht in die Öffentlichkeit. Auch ihre berufliche Ausbildung sei für ein Jahr unterbrochen gewesen. Sie nehme demnächst voraussichtlich wieder ihr Lehramtsstudium für Deutsch und Englisch auf und beziehe momentan Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und übe daneben eine Tätigkeit als Dozentin aus.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin

a) ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2009,

b) vorgerichtliche Gutachterkosten in Höhe von 1.916,73 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2009 und

c) vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.880,20 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2009
zu zahlen und

2. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr aus dem Verkehrsunfall vom 10.01.2008 noch entstehen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.

Die Klägerin hat die den Beklagten am 22.09.2009 zugestellte Klage in der mündlichen Verhandlung vom 26.01.2010 gegenüber dem Beklagten zu 1 zurückgenommen. Die Beklagten haben in diese Klagerücknahme eingewilligt und Kostenantrag gestellt (Bd. II Bl. 206 d. A.).

Die Beklagten zu 2 und 3 haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben vorgetragen, die Klägerin habe den für den früheren Beklagten zu 1 nicht zu vermeidenden Unfall durch grob verkehrswidriges Fahrverhalten verursacht. Der Lkw sei vor der Kollision mit unter 50 km/h gefahren und habe sich auf der rechten Fahrbahnseite gehalten. Die Sicht zu dem etwa 30 m entfernten Radweg sei teilweise durch Gestrüpp und Schilf beeinträchtigt. Der frühere Beklagte zu 1 habe bereits beim Annähern an die Eisenbahnbrücke den Einmündungstrichter des Radwegs in die Straße gesehen, welcher völlig frei gewesen sei. Er habe die Klägerin beim Annähern an die Unfallstelle auf dem Radweg gesehen. Sie habe die Geschwindigkeit zunächst verzögert, was den Beklagten zu 1 veranlasst habe, sofort vom Gas zu gehen und das Fahrzeug ausweichend nach links herüberzuziehen. Die Klägerin habe jedoch überraschenderweise nicht angehalten, sondern nochmals Schwung genommen und sei unvermittelt nach links in die L212 Richtung I. eingefahren. Der Beklagte zu 1 habe sofort eine Vollbremsung eingeleitet, den Unfall aber nicht mehr verhindern können. Die Klägerin sei auf Tempo gefahren, habe trotz der von ihr zu beachtenden Vorfahrt nicht angehalten und habe sich bei der Kollision auf Grund des Einbiegevorgangs noch in Schrägstellung befunden. Die Beklagten halten ein Schmerzensgeld von 80.000 EUR für überhöht. Den heutigen Gesundheitszustand der Klägerin, die Unterbrechung der Berufsausbildung und die berufliche Situation der Klägerin haben die Beklagten bestritten. Hilfsweise haben die Beklagten mit dem an dem Fahrzeug der Beklagten zu 2 entstandenen Kaskoschaden in Höhe von 9.734,32 EUR die Aufrechnung erklärt.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen A. W. (früherer Beklagter zu 1), P. G. und Dr. M. S. (Bd. II Bl. 207 ff. d. A.), gemäß dem Beweisbeschluss vom 26.01.2010 (Bd. II Bl. 214 ff. d. A.), durch mündliche Erläuterung des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. Dipl.-Ing. P. (Bd. II Bl. 324 ff. d. A.), gemäß dem Beweisbeschluss vom 22.02.2011 (Bd. II Bl. 330 ff. d. A.) sowie durch mündliche Erläuterung der schriftlichen Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. med. S. R. und Dr. Dipl.-Ing. P. (Bd. II Bl. 417 ff. d. A.). Mit dem am 24.01.2012 verkündeten Urteil (Bd. II Bl. 433 ff. d.

A.) hat das Landgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe nicht den Nachweis erbracht, dass der Unfall durch ein verkehrswidriges Verhalten des früheren Beklagten zu 1 verursacht worden sei. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei weder nachgewiesen, dass der frühere Beklagte zu 1 zu weit links gefahren sei, noch dass er verzögert reagiert habe.

Demgegenüber stehe fest, dass die Klägerin die Vorfahrt des Beklagten zu 1 nicht beachtet habe. Das Verschulden der Klägerin am Zustandekommen des Unfalls überwiege im Rahmen der Abwägung der Verschuldens- und Verursachungsbeiträge so stark, dass die auf Seiten der Beklagten grundsätzlich anzurechnende Betriebsgefahr vollständig zurücktrete.

Der Senat nimmt im Übrigen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt.
Sie macht geltend, das Unfallereignis sei keineswegs auf eine Vorfahrtsverletzung der Klägerin zurückzuführen. Die vom Landgericht bei der Überzeugungsbildung berücksichtigten Zeugenaussagen des Fahrers und des Beifahrers (der Zeugen W. (früherer Beklagter zu 1) und G.) zu dem vorkollisionären Verhalten der Klägerin bzw. zum Unfallhergang selbst seien von Widersprüchen geprägt und zum Teil nachweislich falsch. Da der Zeuge W. angeblich den gesamten Fahrvorgang der Klägerin vom Radweg bis zum Befahren der Straße beobachtet habe, hätte er ausreichend Zeit gehabt, die Geschwindigkeit seines Fahrzeugs zu verringern bzw. einen Bremsvorgang einzuleiten.

Die Angaben der Zeugen W. und G., es sei unmittelbar eine Vollbremsung durchgeführt worden, seien durch das Sachverständigengutachten widerlegt. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte sei davon auszugehen, dass der Lkw mit einer Geschwindigkeit von 50 bis 55 km/h bewegt worden sei. Laut Gutachten bzw. mündlicher Erläuterung des Sachverständigen Dr. Dipl.-Ing. P. sei unter Zugrundelegung dieser Geschwindigkeit keine vorkollisionäre Verzögerung erfolgt. Die Vollbremsung sei erst erfolgt, als die Klägerin die Fahrbahn vollständig überquert gehabt habe. Die Klägerin habe mehrere Sekunden benötigt, um ab dem Anfahren bis zur gegenüberliegenden Straßenseite zu gelangen. Sie selbst könne sich zwar nicht mehr an den Unfall erinnern, allerdings sei zweifellos davon auszugehen, dass sie beim Überqueren der Fahrbahn bzw. dem Abbiegevorgang und Einordnen nach rechts das sich mit unverminderter Geschwindigkeit auf ihrer Fahrbahn nähernde Fahrzeug ebenfalls gesehen haben müsste. Daher sei auch zu vermuten, dass sie in Anbetracht der erkennbaren Gefahr noch reflexartig versucht habe, nach rechts auszuweichen. Aus dem Kollisionsort lasse sich ersehen, dass der Abbiegevorgang bereits beendet gewesen sei und die Klägerin sich in Geradeausbewegung befunden habe. Die Frage des Anprallwinkels der Klägerin auf den Ford Transit habe nicht vollständig geklärt werden können, auf Grund der Sachverständigengutachten sei aber als unstreitig anzusehen, dass der Winkel nicht bei circa 90° gelegen haben konnte. Möglich wäre eine Kollisionsstellung der Klägerin von circa 30°. Es verbiete sich jedoch, hieraus den Schluss zu ziehen, dass der Abbiegevorgang der Klägerin nicht beendet gewesen sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß (Bd. III Bl. 460 d. A.),

1. die Beklagten zu 2 und 3 unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin

a) ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2009,

b) vorgerichtliche Gutachterkosten in Höhe von 1.916,73 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2009 und

c) vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 1.880,20 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2009
zu zahlen und

2. festzustellen, dass die Beklagten zu 2 und 3 gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der Klägerin alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr aus dem Verkehrsunfall vom 10.01.2008 noch entstehen, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.

Die Beklagten zu 2 und 3 beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil. Dem Sach- und Streitstand und der umfassend durchgeführten Beweisaufnahme entspreche es gerade nicht, dass die Klägerin sich im Zeitpunkt der Kollision mit ihrem Fahrrad auf der äußersten rechten Fahrbahnseite der L 212 befunden habe. Auch die Vorwürfe, die Zeugen W. und G. hätten teilweise falsch ausgesagt und sich in Widersprüche verstrickt, hielten einer genauen Nachprüfung nicht stand. Den Anprallwinkel habe der Zeuge W. entgegen der Behauptung der Klägerin nicht mit 180 Grad, sondern mit eher 90 bis 110 Grad angegeben. Diese Aussage sei gutachterseits wiederholt belegt und entspreche daher den tatsächlichen Geschehnissen. Der Zeuge habe gerade nicht mit der notwendigen Sicherheit ausgeführt, die Klägerin habe vor Einfahrt in die Straße gestoppt, sondern dargelegt, er meine, die Klägerin habe an der Einmündung kurz gestoppt, und diese Meinung habe er im Rahmen seiner Vernehmung relativiert. Auch der Zeuge G. habe zutreffend geschildert, der Zeuge W. sei mit einer Geschwindigkeit von circa 50 bis 55 km/h gefahren.

Beim Verlassen der Unterführung sei die Klägerin auf dem rechtsseitigen Radweg wahrnehmbar gewesen, wobei es für den Zeugen G. zunächst so ausgesehen habe, als würde die Klägerin bremsen und anhalten. Dem Zeugen G. sei nicht mehr erinnerlich gewesen, ob sie gestoppt habe. Sie sei jedoch im letzten Moment vor dem Fahrzeug noch in die Straße abgebogen, so dass es trotz Vollbremsung des Zeugen W. zur Kollision gekommen und, da die Klägerin noch im Abbiegevorgang begriffen gewesen sei, es zum winkligen Zusammenstoß gekommen sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 26.01.2010 (Bd. II Bl. 205 ff. d. A.), 01.02.2011 (Bd. II Bl. 324 ff. d. A.) und 13.12.2011 (Bd. II Bl. 417 ff. d. A.), die Sitzungsniederschrift des Senats vom 06.06.2013 (Bd. III Bl. 535 ff. d. A.) und die beigezogenen Akten der Staatsanwaltschaft Saarbrücken (Aktenzeichen 68 Js 403/08), welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

B.

Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache teilweise Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO und die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine andere, der Klägerin vorteilhaftere Entscheidung (§ 513 ZPO). Eine gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten zu 2 und 3 besteht in Höhe einer Haftungsquote von 1/3 und einer Mithaftung der Klägerin von 2/3. Da der Rechtsstreit in Bezug auf die nach den Klageanträgen zu 1.a) bis c) zuzusprechenden Beträge auf Grund des Bestreitens der Beklagten nicht zur Endentscheidung reif ist, entscheidet der Senat durch Grund- und Teilurteil gemäß §§ 301 Abs. 1, 304 Abs. 1 ZPO. Für eine Zurückverweisung der Sache an das Landgericht gemäß § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO ist schon deswegen kein Raum, weil es an einem dafür nach § 538 Abs. 2 Satz 1 ZPO a. E. erforderlichen Antrag einer Partei fehlt.

I. Klageanträge zu 1.a) bis c)

1. Das Landgericht hat eine Haftung der Beklagten zu 2 gemäß §§ 7 Abs. 1, 11 StVG und der Beklagten zu 3 gemäß § 115 Abs. 1 Nr.1 VVG verneint. Allerdings besteht an der Verwirklichung des haftungsbegründenden Tatbestands (§ 7 Abs. 1 StVG) kein Zweifel. Das Verkehrsunfallereignis wurde jedenfalls nicht im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG durch höhere Gewalt verursacht. Die Frage, ob das Unfallereignis unabwendbar war, ist nach dem Wortlaut des reformierten Haftungstatbestands ohne Relevanz (Senat NJW 2012, 3245, 3246). Mithin hängt der Erfolg der Berufung allein davon ab, in welchem Umfang die Gefährdungshaftung durch ein Mitverschulden der Klägerin ausgeschlossen ist. Gemäß § 9 StVG findet die Vorschrift des § 254 BGB Anwendung, wenn bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt hat. Hierbei folgt die Haftungsabwägung den zu § 17 Abs. 1 StVG entwickelten Rechtsgrundsätzen. Bei der Abwägung der beiderseitigen Verursacherbeiträge sind alle, aber auch nur diejenigen unstreitigen oder erwiesenen Faktoren einzubeziehen, die eingetreten sind, zur Entstehung des Schadens beigetragen haben und einem der Beteiligten zuzurechnen sind (BGH NJW 2007, 506 f Rn. 15). Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung auf Grund geschaffener Gefährdungslage haben deswegen außer Betracht zu bleiben. Hierbei kann die Abwägung zum vollständigen Ausschluss des Ersatzanspruchs führen, wenn das Verschulden des Geschädigten derart überwiegt, dass die vom Schädiger ausgehende Ursache völlig zurücktritt (Senat NJW 2012, 3245, 3246 m. w. Nachw.).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen kann den Beklagten zu 2 und 3 über die Gefährdungshaftung hinaus kein unfallursächlicher Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1 angelastet werden, weil der Unfallhergang zwischen den Parteien streitig ist und die Klägerin den insoweit ihr obliegenden Beweis nicht geführt hat.

a) Die Berufung macht geltend, mangels anderweitiger Anhaltspunkte sei davon auszugehen, dass der Lkw Ford Transit mit einer Geschwindigkeit von 50 bis 55 km/h bewegt und nach dem Gutachten des Dr. Dipl.-Ing. P. bzw. dessen mündlicher Erläuterung in der Sitzung vom 01.02.2011 vorkollisionär nicht verzögert worden sei (Bd. III Bl. 463 d. A. Abs. 3). Diese beiden Annahmen der Berufung treffen nicht zu.

aa) Nach § 1 Abs. 2 StVO hat sich jeder Verkehrsteilnehmer so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Ein Kraftfahrer hat gemäß § 1 Abs. 2 StVO die gesamte vor ihm liegende Fahrbahn zu beobachten (BGH NJW 1987, 2377, 2378). Darüber hinaus darf er nur so schnell fahren, dass er sein Fahrzeug ständig beherrscht und innerhalb der übersehbaren Strecke anhalten kann (§ 3 Abs. 1 StVO).

bb) Im Prüfungsrahmen des § 529 ZPO ist nicht festzustellen, dass der frühere Beklagte zu 1 gegen diese Pflichten verstoßen hätte.

(1) Laut den zutreffenden und von der Berufung nicht in Frage gestellten Ausführungen des Landgerichts (Bd. II Bl. 442 d. A. Abs. 2) betrug die zulässige Höchstgeschwindigkeit für den Beklagten zu 1 an der Unfallstelle 100 km/h (§ 3 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. c StVO).

(1.1) Allerdings waren laut Abschlussbericht der Polizei vom 16.02.2008 im Unfallzeitpunkt aus Fahrtrichtung des Beklagten zu 1 vor der Eisenbahnunterführung die drei Gefahrenzeichen Zeichen 103 („Rechtskurve“), 138 („Radfahrer kreuzen“) und 120 („verengte Fahrbahn“) aufgestellt (Beiakte Bl. 38). Das Gefahrenzeichen 138 (Radfahrer kreuzen – § 40 Abs. 6 StVO) fordert zu einer zurückhaltenden Fahrweise auf, ohne dass ein dem Zeichen entsprechendes konkretes Gefahrensignal erkennbar sein müsste. Nach einer Entscheidung des OLG Hamm (NJW-RR 2009, 1185, 1186) kann bei räumlich beschränkten Sichtverhältnissen für den womöglich querenden Radverkehr und den bevorrechtigten Geradeausverkehr eine Geschwindigkeit eines Motorrades von 65 km/h zu hoch sein und ist eine Fahrgeschwindigkeit zu wählen, wie sie bei innerörtlichen Verhältnissen, bei denen es auch zu unerwartetem Querverkehr durch Fußgänger kommen kann, geboten wäre.

(1.2) Im vorliegenden Fall war aus Fahrtrichtung des Beklagten zu 1 das Gefahrenzeichen jedoch nicht ohne Weiteres auf den nach der Eisenbahnunterführung rechts einmündenden B… Radweg zu beziehen. Das Gefahrenzeichen 138 ist hier in der Rechtskurve angebracht (Bd. II Bl. 249 d. A. Bild 25; das dort ebenfalls zu sehende Zeichen 274, welches die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h begrenzt, war nach Aktenlage im Unfallzeitpunkt entwendet und wurde erst später wieder angebracht, Beiakte Bl. 38 Mitte). Unmittelbar nach dem Standort des Gefahrenzeichens mündet aus Fahrtrichtung des früheren Beklagten zu 1 gesehen links die Fortsetzung des B… Radwegs in die L212 ein (vgl. Bd. II Bl. 249 d. A. Bild 25 und Luftbild Bd. II Bl. 254 d. A.). Deswegen brauchte der frühere Beklagte zu 1 nicht ohne Weiteres anzunehmen, dass sich das Gefahrenzeichen auf den erst nach Durchfahren der Rechtskurve, Passieren der Einmündung von links und nach Durchfahren der Eisenbahnunterführung rechts einmündenden Ast des B… Radwegs beziehen soll. Ist die Länge der Gefahrenstelle erheblich größer, kann ein Zusatzschild nach § 40 Abs. 4 StVO diese Länge angeben (Senat NJW 2012, 3245, 3248). Ein solches Zusatzschild war hier nicht angebracht.

(2) Davon abgesehen ist nicht nachzuweisen, dass die Ausgangsgeschwindigkeit des Lkw des Beklagten zu 2 einer zurückhaltenden Fahrweise nicht entsprochen hätte.

(2.1) Der frühere Beklagte zu 1, der Zeuge A. W., hat bekundet, er würde sagen, er sei vor dem Unfall vielleicht 50 km/h gefahren, es mögen auch 55 (km/h) gewesen sein (Bd. II Bl. 208 d. A. Mitte). Der Zeuge P. G. als Beifahrer hat ausgesagt, er würde sagen, sie hätten vielleicht 50 bis 55 km/h „drauf“ gehabt (Bd. II Bl. 209 d. A. oben). Beide Zeugenaussagen enthalten erkennbar nur geschätzte Angaben zur Ausgangsgeschwindigkeit („würde sagen“, „vielleicht“, „es mögen auch … gewesen sein“). Entgegen der Auffassung der Berufung kann auf Grund dieser Aussagen nicht von einer sich (nur) zwischen 50 und 55 km/h bewegenden Ausgangsgeschwindigkeit ausgegangen werden.

(2.2) Der Sachverständige Dr. Dipl.-Ing. P. hat im Gutachten vom 27.09.2010 ausgeführt, die Kollisionsgeschwindigkeit des Lkw habe circa 45 bis 55 km/h betragen. Da nicht definitiv ausgeschlossen werden könne, dass der Lkw bereits vor der Kollision spurenfrei verzögert worden sei, könne die Ausgangsgeschwindigkeit durchaus über der Kollisionsgeschwindigkeit gelegen haben. Objektive Anknüpfungstatsachen zur weiteren Rekonstruktion der Ausgangsgeschwindigkeit lägen jedoch nicht vor (Bd. II Bl. 292 d. A. Mitte).

(3) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist auch nicht erwiesen, dass der Beklagte zu 1 auf das Einbiegen der Klägerin vorkollisionär nicht bzw. verzögert reagiert hätte.

(3.1) Der frühere Beklagte zu 1, der Zeuge A. W., hat ausgesagt, nach Durchfahren der Unterführung habe er die Radfahrerin auf der rechten Seite bemerkt und sei in dem Moment etwas leicht nach links gefahren, weil er sich nicht sicher gewesen sei, ob sie gegebenenfalls, wie das teilweise auch an Fußgängerüberwegen zu beobachten sei, einen Schritt nach vorne machen und noch ein Stückchen in die Straße hineinfahren würde. Deswegen sei er auf die linke Seite gefahren, um jegliche Kollision zu vermeiden. Er meine, die Radfahrerin habe an der Einmündung kurz gestoppt, und er meine sie hätte einen Fuß auf dem Boden gehabt. Die Radfahrerin sei dann allerdings nicht stehen geblieben, sondern unmittelbar vor ihm rausgezogen auf die Straße. Als er festgestellt habe, dass die Radfahrerin doch noch versuche, vor ihm nach links abzubiegen, habe er unmittelbar die Vollbremsung eingeleitet. Bei Einleitung der Vollbremsung sei die Radfahrerin schon unmittelbar vor seinem Auto gewesen. Sie habe gerade die Kurve nach links nehmen wollen, diese aber noch nicht komplett durchfahren (Bd. II Bl. 207 f. d. A.).

(3.2) Der Zeuge P. G. hat ausgesagt, als sie die Unterführung gerade verlassen hätten, hätten sie sehen können, dass von rechts auf dem Radweg eine Radfahrerin herangekommen sei. Sie sei relativ langsam angefahren gekommen. Aus seiner Betrachtung habe es zunächst so ausgesehen, als würde sie bremsen und anhalten. Ob sie gestoppt und einen Fuß auf den Boden gesetzt habe, erinnere er nicht. Sie sei im letzten Moment vor ihnen nach links auf die Straße abgebogen. Sie habe unmittelbar vor ihnen die Fahrbahn gekreuzt. Als der Zeuge W. die Radfahrerin ankommen gesehen habe, habe er nach der Erinnerung des Zeugen G. sofort eine Vollbremsung gemacht und sei dann mit festgehaltenem Lenkrad geradeaus weitergefahren. Er könne sich nicht erinnern, dass der Zeuge W. nach links gelenkt habe, könne dies aber nicht ausschließen. Er würde sagen, es habe eine Schrecksekunde gedauert zwischen dem Moment, als sie festgestellt hätten, dass die Radfahrerin losfahre, und dem Moment, als der Bremsvorgang ausgelöst worden sei. Auf jeden Fall habe der Bremsvorgang vor dem Aufprall begonnen (Bd. II Bl. 209 f. d. A.).

(3.3) Der Zeuge Dr. M. S., der nach eigenen Angaben im Kollisionszeitpunkt noch circa 250 m von der Einmündung entfernt war, hat angegeben, er meine, dass er nach dem Zusammenstoß ein kurzes Bremsgeräusch gehört habe (Bd. II Bl. 211 f. d. A.). Bei der Vernehmung durch die Polizei hatte er ausgesagt, er habe einen blechernen Aufprall gehört und dann das Bremsgeräusch der auf der feuchten Fahrbahn blockierenden Räder (Beiakte Bl. 27 d. A.). Nach dieser Aussage ist jedenfalls eine vorkollisionäre Verzögerung nicht auszuschließen, weil diese schon auf Grund der Reaktions- und Bremsanschwellzeit von insgesamt (0,6 s + 0,2 s =) 0,8 s (Bd. II Bl. 297 d. A.) nicht unmittelbar zu einem Blockieren der Räder führt und der Zeuge zu näheren Zeitangaben auf Grund der Kürze des Geschehens und der erheblichen Entfernung vom Unfallort erkennbar nicht in der Lage war. Es kommt hinzu, dass der Lkw, wie der Sachverständige Dr. Dipl.-Ing. P. im Gutachten vom 27.09.2010 bemerkt hat, mit einem Antiblockiersystem ausgerüstet ist (Bd. II Bl. 301 d. A. zweitletzter Abs.).

(3.4) Der Sachverständige Dr. Dipl.-Ing. P. hat im Gutachten vom 27.09.2010 darauf hingewiesen, es könne nicht definitiv ausgeschlossen werden, dass der Lkw bereits vorkollisionär spurenfrei verzögert worden sei (Bd. II Bl. 292 d. A. Mitte). Er hat sowohl das von der Klägerin vorgelegte Privatgutachten B. als auch das von den Beklagten vorgelegte Privatgutachten S. diskutiert und ist zu dem nachvollziehbaren Ergebnis gelangt, dass es nicht auszuschließen ist, dass es sich bei der von der Polizei vorgefundenen Brems- bzw. Blockierspur um eine Spurenzeichnung der Hinterräder handeln könnte; die Spur ist nämlich nicht ausreichend fotografisch dokumentiert (Bd. II Bl. 292 f. d. A.). Bei der mündlichen Erläuterung im Termin vom 01.02.2011 hat der Sachverständige zwar bekundet, unter Zugrundelegung einer Geschwindigkeit des Lkw von 55 km/h habe keine vorkollisionäre Verzögerung stattgefunden (Bd. II Bl. 325 d. A. Mitte). Damit sind die Zeugenaussagen aber nicht zu widerlegen. Auf der Grundlage des Gutachtens von Dr. Dipl.-Ing. P. ist die Kollisionsgeschwindigkeit des Lkw auf Grund der Schadenbilder und der Spurenlage mit circa 45 bis 55 km/h anzunehmen (Bd. II Bl. 292 d. A.). Abgesehen davon, dass es sich nicht um exakte, sondern um circa-Angaben handelt, hätte demnach eine verzögerungsfreie Kollision nur unter der Annahme stattgefunden, dass Ausgangs- und Kollisionsgeschwindigkeit identisch 55 km/h betragen hätten. Das ist jedoch nicht erwiesen, und gegenüber dem schriftlichen Gutachten haben sich auch im Rahmen der mündlichen Erläuterung insoweit keine neuen objektiven Anknüpfungspunkte ergeben.

b) Die Berufung macht ohne Erfolg geltend, der Beklagte zu 1 habe gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO verstoßen, indem er nach der Unterführung geradeaus auf der linken Fahrbahnseite weitergefahren sei.

aa) Das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO dient nach herrschender Meinung, der sich der Senat anschließt, dem Schutz des Gegen- und Überholverkehrs, nicht aber dem Schutz des kreuzenden oder einbiegenden Seitenverkehrs (BGHZ 9, 6, 11 f.; BGH VersR 1975, 37; OLG Düsseldorf NZV 1988, 151, 152; OLG Oldenburg Schaden-Praxis 2002, 227). Bei der Abwägung ist in einem solchen Fall aber auf Seiten des Vorfahrtberechtigten eine erhöhte Betriebsgefahr zu berücksichtigen; denn der Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot erhöht die Gefahr von Zusammenstößen im Einmündungsbereich typischerweise (OLG Oldenburg Schaden-Praxis 2002, 227). Der Wartepflichtige darf jedoch die Möglichkeit nicht außer Betracht lassen, dass bevorrechtigte Straßenbenutzer – aus welchen Gründen auch immer – die für sie linke Fahrbahnseite benutzen (BGHSt 20, 238, 241; OLG Frankfurt a. M. NZV 1990, 472). Der Grundsatz, wonach der Wartepflichtige darauf vertrauen darf, dass sich der Vorfahrtsberechtigte verkehrsgemäß verhält, erfährt insoweit eine Einschränkung zu Lasten des Wartepflichtigen, dem das Gesetz insoweit eine gesteigerte Sorgfaltspflicht gegenüber dem Vorfahrtsberechtigten auferlegt, als er sich nicht darauf verlassen darf, dieser werde nur die rechte Fahrbahnseite befahren. Auf diesem Wege kann die Vorfahrtsregelung als eine wesentliche Grundlage des Straßenverkehrsrechts ihren Zweck erfüllen, der insbesondere an unübersichtlichen Einmündungen bestehenden Gefahr des Zusammenstoßes von Fahrzeugen zu begegnen (OLG Frankfurt a. M. NZV 1990, 472).

bb) Das Landgericht hat zutreffend weiter ausgeführt, auf Grund der Ausführungen des Sachverständigen Dr. Dipl.-Ing. P. sei auch nicht nachgewiesen, dass der Beklagte zu 1 zu weit links auf der Fahrbahn gefahren sei. Demnach lasse sich die nach links gerichtete Fahrlinie des Beklagten zu 1 sowohl mit einer Ausweichbewegung nach links anlässlich des Einfahrens der Klägerin auf die Fahrbahn erklären als auch mit dem Folgen des vor der Unterführung liegenden Fahrbahnverlaufs (Bd. II Bl. 447 f. d. A.).

(1) Aus den Zeugenaussagen ergibt sich kein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot. Der Zeuge A. W. (früherer Beklagter zu 1) hat ausgesagt, er habe die Klägerin nach Durchfahren der Unterführung auf der rechten Seite bemerkt und sei in dem Moment etwas leicht nach links gefahren, weil er sich nicht sicher gewesen sei, ob sie gegebenenfalls, wie das teilweise auch an Fußgängerüberwegen zu beobachten sei, einen Schritt nach vorne machen und noch ein Stückchen in die Straße hineinfahren würde. Deswegen sei er auf die linke Seite gefahren, um jegliche Kollision zu vermeiden (Bd. II Bl. 207 d.A.). Nach dieser Darstellung hätte der Zeuge W. zunächst nach links gelenkt in der Annahme, die Klägerin würde ihm die Vorfahrt gewähren, und er hätte erst eine Vollbremsung eingeleitet, als er feststellte, dass die Radfahrerin doch noch versuchte, vor ihm nach links abzubiegen. Die Darstellung des Zeugen W., auf die linke Seite gefahren zu sein, enthält keine exakte Angabe des Abstands zur rechten Fahrbahnbegrenzung und ist jedenfalls mit der vom Sachverständigen Dr. Dipl.-Ing. P. angegebenen möglichen Kollisionsposition auf der Fahrbahn (Bd. II Bl. 291 d. A.) zu vereinbaren und wird auch durch die anderen Zeugenaussagen nicht in Frage gestellt. Der Zeuge P. G. konnte sich nicht erinnern, dass der Zeuge W. nach links gelenkt habe, er konnte dies aber auch nicht ausschließen (Bd. II Bl. 210 d. A. Abs. 2).

(2) Die Darstellung des vorkollisionären Verhaltens des früheren Beklagten zu 1 ist auch aus technischer Sicht nicht zu widerlegen. Der Sachverständige Dr. Dipl.-Ing. P. hat im Rahmen der mündlichen Erläuterung vom 01.02.2011 eine vor Beginn des Bremsvorgangs abgeschlossene Ausweichbewegung – wie sie der Zeuge W. geschildert hat – nicht ausschließen können (Bd. II Bl. 325 d. A. unten).

3. Auf der anderen Seite ist der Klägerin ein unfallursächlicher Verkehrsverstoß gegen § 8 Abs. 2 Satz 2 StVO anzulasten.

a) Die Klägerin hat in der Berufungsverhandlung vom 06.06.2013 unstreitig gestellt, dass es sich bei dem B… Radweg um einen Feldwirtschaftsweg handelt (Bd. III Bl. 536 d. A. Mitte). Damit musste die Klägerin – entsprechend den insoweit zutreffenden Ausführungen des Landgerichts – dem Beklagten zu 1 gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 StVO die Vorfahrt gewähren. Der Wartepflichtige darf den Vorfahrtberechtigten weder gefährden noch wesentlich behindern, selbst wenn dieser mit stark überhöhter Geschwindigkeit herankommt. Eine geringfügige Behinderung wie Gaswegnehmen darf er ihm zumuten, aber nicht ein nicht ganz ungefährliches Ausweichen oder Bremsen (Heß in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht 22. Aufl. § 8 StVO Rn. 38). Die Vorfahrtverletzung ist ausreichend festgestellt, wenn der Vorfahrtberechtigte nicht nur völlig gefahrlos bremsen musste, d. h. nicht aus Überängstlichkeit, sondern bei verkehrsgerechter Abwägung der Gefahrenlage bremste, ohne dass es darauf ankommt, ob die Maßnahme bei nachträglicher mathematischer Berechnung erforderlich war (Heß in Burmann/Heß/Jahnke/Janker, aaO Rn. 42).

b) In Anwendung dieser Grundsätze hat das Landgericht zutreffend ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Klägerin die Vorfahrt des Beklagten zu 1 nicht beachtet hat, weil der Einbiegevorgang vom Radweg in die L212 im Zeitpunkt der Kollision noch nicht beendet war (Bd. III Bl. 443 Abs. 1, 448 Abs. 3 d. A.).

aa) Die Klägerin wollte von einem Feldweg auf die Landstraße einbiegen und musste dem Beklagten zu 1 gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 StVO die Vorfahrt gewähren. In Erfüllung dieses Gebots durfte sie erst dann weiterfahren, wenn sie übersehen konnte, den bevorrechtigten Verkehr nicht zu gefährden oder wesentlich zu behindern, § 8 Abs. 2 Satz 2 StVO. Die Klägerin hat im vorliegenden Rechtsstreit dargelegt, sie habe an den Unfallhergang keine Erinnerung. Gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. med. R. hat sie am 03.05.2011 angegeben, sie könne sich noch erinnern, an der Einmündung angehalten zu haben. Sie habe dann noch eine schemenhafte Erinnerung daran, dass etwas Großes auf sie zugekommen sei, dann setze ihre Erinnerung erst wieder in der Aufwachphase aus dem künstlichen Koma ein (Bd. II Bl. 351 d. A. Mitte). Diese über den schriftsätzlichen Sachvortrag hinausgehenden persönlichen Angaben der Klägerin können nicht als gesichert angesehen werden. Laut Vermerk der Polizei vom 28.04.2008 hatte die Klägerin gegenüber der Polizeikommissarin F. angegeben, sie habe sowohl an den Tag des Verkehrsunfalls als auch an die ganze Woche davor keinerlei Erinnerung mehr, und es sei auch nicht zu erwarten, dass diese Erinnerungen an den Unfalltag noch einmal zurückkommen würden (Beiakte Bl. 41). Bei dieser Sachlage kann den erstmals mehr als drei Jahre nach dem Unfall abgegebenen Erklärungen nicht gefolgt werden.

bb) Das Landgericht hat sich eingehend und überzeugend mit dem verkehrstechnischen Sachverständigengutachten des Dr. Dipl.-Ing. P. und dem orthopädischen Sachverständigengutachten des Prof. Dr. med. R., jeweils nebst mündlichen Erläuterungen, auseinandergesetzt und ist – für den Senat im Prüfungsrahmen des § 529 ZPO bindend – zu dem Ergebnis gelangt, dass der Einbiegevorgang vom Radweg in die L212 im Zeitpunkt der Kollision noch nicht beendet war (Bd. II Bl. 443 bis 446 d. A.).

(1) Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, kann auf Grund der Verletzungen am Körper der Klägerin nur auf die Kollisionsstellung zwischen Körper und Lkw, nicht auf die Kollisionsstellung zwischen Fahrrad und Lkw geschlossen werden (Bd. II Bl. 445 Abs. 3 d. A.). Hierzu hat der Sachverständige Dr. Dipl.-Ing. P. einleuchtend erklärt, dass Aussagen zur Kollisionsstellung zwischen Fahrrad und Lkw nur an Hand der Kontaktspuren und Schäden am Lkw möglich sind. Demnach ist die Kollision des Fahrrads in einem Winkel von 35 bis 40° erfolgt (Bd. II Bl. 420 Abs. 2, 446 Abs. 1 d. A.).

(2) Die Nachfrage des Klägervertreters, ob ein Aufprall auch in der Weise möglich gewesen wäre, wenn die Klägerin bereits geradeaus gefahren wäre und dann eine kurze Ausweichbewegung nach rechts gemacht hätte, hat der Sachverständige Dr. Dipl.-Ing. P. zwar bejaht. Er hat aber erklärt, dass es für diesen – zudem im Widerspruch zur Darstellung des Unfallhergangs durch die Zeugen stehenden – Ablauf keine objektiven Spuren gibt (Bd. II Bl. 420 d. A. Mitte).

(3) Im Übrigen ergibt sich aus der von dem Sachverständigen Dr. Dipl.-Ing. P. ermittelten möglichen Kollisionsposition auf der Fahrbahn (Bd. II Bl. 291 d. A.), dass sich die Kollision wahrscheinlich noch im Bereich des Einmündungstrichters ereignete. Da zwischen der Eisenbahnunterführung und dem mittleren Bereich des Einmündungstrichters nur 30,5 m liegen (Bd. II Bl. 256 d. A. unten), liegt auf der Hand, dass der frühere Beklagte zu 1 auf Grund des Verhaltens der Klägerin nicht nur völlig gefahrlos bremsen musste.

4. Unter Abwägung aller vorstehend erörterten Umstände haften die Beklagte zu 2 und 3 für den beim Verkehrsunfall vom 10.01.2008 verursachten Schaden zu 1/3 und die Klägerin zu2/3.

a) Das Landgericht hat ausgeführt, da ein Mitverschulden des früheren Beklagten zu 1 nicht nachgewiesen sei, verbleibe im Rahmen der gemäß § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Abwägung auf Beklagtenseite lediglich die Betriebsgefahr des Ford Transit. Das Verschulden der Klägerin am Zustandekommen des Unfalls überwiege die bloße Betriebsgefahr so stark, dass diese vollständig zurücktrete (Bd. II Bl. 448 d. A.). Dem kann nicht gefolgt werden.

b) Den Gesetzesmaterialien zur Reform des § 7 Abs. 2 StVG (BT-Drucks. 14/7752, S. 30) zufolge sollte der Haftungsausschluss nur bei höherer Gewalt statt zuvor im Falle eines unabwendbaren Ereignisses vor allem den nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern zugutekommen. Wie den Materialien (aaO) weiter zu entnehmen ist, sollte die Ersetzung des Entlastungsgrundes „unabwendbares Ereignis“ durch „höhere Gewalt“ auch für Unfälle gelten, an denen nur motorisierte Verkehrsteilnehmer beteiligt sind. Sofern der Unfall allerdings durch das grob verkehrswidrige Verhalten eines motorisierten Verkehrsteilnehmers verursacht sei, sollte dem anderen motorisierten Verkehrsteilnehmer, der sich verkehrsgerecht verhalten habe, durch den Wegfall des „unabwendbaren Ereignisses“ jedoch kein Nachteil dergestalt entstehen, dass ihm zukünftig die eigene Betriebsgefahr angerechnet werde. Dies könne, so die Gesetzesbegründung weiter, über eine Anwendung der §§ 9 StVG, 254 BGB sichergestellt werden, die auch eine Reduzierung des Mitverschuldens bis auf Null erlaubten (BT-Drucks. 14/7752, S. 30). Dieser Gesetzesbegründung ist jedenfalls im Blick auf Verkehrsunfälle mit Beteiligung von Kraftfahrzeugen und erwachsenen, nicht hilfsbedürftigen Radfahrern zu entnehmen, dass ein vollständiger Haftungsausschluss nur noch in besonderen Einzelfällen möglich sein sollte, insbesondere dann, wenn der einfachen Betriebsgefahr des Kraftfahrzeughalters ein grob verkehrswidriges Verhalten des Radfahrers gegenübersteht. Grobes Fehlverhalten in diesem Sinne ist z. B. ohne Weiteres gegeben, wenn ein wartepflichtiger Radfahrer blindlings und ohne Halt aus einem Feldweg auf eine Landstraße einbiegt (Senat NJW 2012, 3245, 3247). Ein solches grob fahrlässiges Verhalten der Klägerin ist weder vom Landgericht festgestellt noch im Prüfungsrahmen des § 529 ZPO als bewiesen anzusehen, zumal der frühere Beklagte zu 1 selbst gemeint, zumindest aber es für möglich gehalten hat, die Klägerin habe an der Einmündung kurz gestoppt (Bd. II 208 d. A. Abs. 1: „Ich meine mal“). Im Streitfall kommt hinzu, dass aus Fahrtrichtung der Klägerin an der L212 zwar ein Verkehrsspiegel aufgestellt ist, die L212 aber aus der Annäherungsrichtung des Beklagten zu 1 unter einer Eisenbahnbrücke durchgeführt ist, die sich in einer Entfernung von circa 30,5 m vom mittleren Bereich des Einmündungstrichters befindet (Bd. II Bl. 256 d. A. unten). Nach der unstreitigen Darstellung der Beklagten zu 2 und 3 im Berufungsrechtszug wurde denn auch offenbar zeitnah nach dem Unfall eine zusätzliche ergänzende und klarstellende Beschilderung des Radwegs durch die Zeichen 101 (Gefahrenstelle) und 205 (Vorfahrt gewähren) im Einmündungsbereich vorgenommen (Bd. III Bl. 523 d. A. unten).

c) Unter diesen Umständen kommt im Rahmen der Haftungsabwägung ein vollständiger Haftungsausschluss zu Gunsten der Beklagten zu 2 und 3 nicht in Betracht. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass von dem Lkw Ford Transit eine erhebliche Betriebsgefahr ausgeht, wie die schweren Verletzungen der Klägerin belegen. Andererseits kommt dem schuldhaften Vorfahrtsverstoß der Klägerin der überwiegende Anteil an dem Unfall zu. Im Ergebnis ist deswegen eine gesamtschuldnerische Haftung der Beklagten zu 2 und 3 von 1/3 und eine Mithaftung der Klägerin von 2/3 angemessen.

5. Der Schmerzensgeldanspruch und der davon bei der Bemessung des Gegenstandswerts abhängige Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher nicht anrechenbarer Rechtsanwaltskosten sowie der Anspruch auf Erstattung der Kosten des Gutachtens B. sind der Höhe nach nicht zur Endentscheidung reif.

a) Ein Grundurteil darf nur dann ergehen, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass der verbleibende Anspruch der Höhe nach „Null“ überschreitet (BGHZ 1, 34; 11, 63; BGH NJW-RR 2005, 928; 2005, 1008, 1009; 2007, 857, 858). Mit hoher (BGHZ 108, 256, 260), jedenfalls aber mit hinreichender Wahrscheinlichkeit (BGH NJW-RR 2005, 1008, 1009 lässt Wahrscheinlichkeit genügen) muss ein Anspruch wenigstens in irgendeiner Höhe bestehen. Lässt sich der im Grundverfahren zunächst als wahrscheinlich erachtete Schaden im Betragsverfahren schließlich doch nicht feststellen, so schließt das Grundurteil die vollständige Abweisung der Klage im Betragsverfahren nicht aus (Elzer in Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO (Stand: 01.04.2013) § 304 Rn. 21). Nach diesem Maßstab sind im Streitfall die Voraussetzungen für ein Grundurteil erfüllt.

b) Der Klägerin ist schon auf Grund der im Tatbestand des angefochtenen Urteils wiedergegebenen (§ 314 ZPO) Verletzungen und Verletzungsfolgen mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Schmerzensgeld zuzusprechen.

aa) Die am 29.04.1971 geborene Klägerin erlitt auf Grund des Unfalls unstreitig einen Riss der Aorta, Hirnblutungen, ein Magenwandhämatom, eine Verletzung des Wadenbeinnervs mit anschließender Zehenkrallenbildung, eine Rippenserienfraktur links mit Hämatomthorax, einen Beckenbruch, eine Hüftgelenksfraktur, einen Bruch des Schambeins, einen Bruch des rechten Schienbeinkopfes, einen Unterschenkelbruch links, Prellungen und Hämatome im Bereich der linken Niere, eine bimalleoläre OSG-Luxationsfraktur rechts, eine Schrumpfblase, eine Kondylenfraktur Femur rechts, Stuhlinkontinenz, eine Lungenquetschung und eine Knöchelfraktur. Ebenfalls unstreitig befand sie sich vom 10.01.2008 bis zum 05.03.2008 auf der Intensivstation des Universitätsklinikums des Saarlandes und wurde anschließend in das Median-Reha-Zentrum Klinik B.-L. verlegt. Vom 26.08.2008 bis zum 01.09.2008 befand sie sich erneut in stationärer Behandlung zur Beseitigung der Sehnenverklebung, die allerdings nicht vollständig beseitigt werden konnte. Der Senat nimmt insoweit auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug (Bd. II Bl. 435 f. d. A.).

bb) Die Beklagten haben zwar den heutigen Gesundheitszustand der Klägerin, die Unterbrechung der Berufsausbildung und die berufliche Situation der Klägerin bestritten (Bd. II Bl. 439 d. A. Abs. 4, Bd. I Bl. 139 d. A. Abs. 3). Erstinstanzlich ist die Klägerin in der letzten mündlichen Verhandlung vorsorglich darauf hingewiesen worden, dass sie diese drei streitigen Punkte nicht unter Beweis gestellt habe (Bd. II Bl. 421 d. A.). Im nachgelassenen Schriftsatz vom 27.12.2011 hat die Klägerin dargelegt, durch die weitergehenden Maßnahmen (zwei Jahre lang mindestens zwei bis drei Mal je Woche Physiotherapie, Wundversorgung zu Hause, vorbereitende Untersuchungen zu den operativen Maßnahmen, Röntgenkontrollen usw.) und ein posttraumatisches Distress-Syndrom sei eine erneute Aufnahme des Studiums erst zum Sommersemester 2010 möglich gewesen, und zwar nach Metallentfernung im rechten Unterschenkel. Momentan sei die Klägerin wieder in der Lage, die für das Studium erforderlichen Tätigkeiten zu erbringen (Bd. II Bl. 427 d. A.). Seit dem 08.01.2009 sei die Klägerin zu 50 v. H. unbefristet schwerbehindert mit dem Merkmal „G“. Ergänzend wird in dem Schriftsatz auf eine von der klagenden Partei selbst angefertigte Auflistung der verbleibenden körperlichen Beeinträchtigungen verwiesen (Bd. II Bl. 428, 429 d. A.). Als Beweismittel ist lediglich eine Ablichtung des Schwerbehindertenausweises vom 30.07.2009 vorgelegt (aaO), aber z. B. kein Sachverständigenbeweis angetreten worden. Abschließende Feststellungen können auch nicht auf Grund der im orthopädisch-unfallchirurgischen Gutachten des Herrn Prof. Dr. R. vom 31.05.2011 enthaltenen Befunde (Bd. II Bl. 351 bis 361 d. A.) getroffen werden, zumal der Sachverständige lediglich damit beauftragt war, das Verletzungsmuster mit Blick auf den zwischen den Parteien streitigen Unfallhergang zu begutachten (Bd. II Bl. 331 d. A.). Die Berufungsbegründung rügt, die Abweisung der Klage bereits dem Grunde nach sei „mehr als überraschend“, legt aber zu aktuellen gesundheitlichen und beruflichen Beeinträchtigungen nichts dar (Bd. III Bl. 464 d. A.). Auf Hinweis des Senats haben die Beklagten im Schriftsatz vom 16.05.2013 klargestellt, dass die Darlegungen im Schriftsatz der Klägerin vom 27.12.2011 unter Berücksichtigung des bisherigen Beklagtenvortrags bestritten werden (Bd. III Bl. 515 d. A. Mitte).

c) Die grundsätzliche Verpflichtung der Beklagten zu 2 und 3 als Gesamtschuldner, der Klägerin vorgerichtlich angefallene nicht anrechenbare Rechtsanwaltskosten auf der Grundlage des berechtigten Gegenstandswerts und nach einem angemessenen Rahmensatz zu erstatten, steht ebenfalls außer Frage. Bei – hier gegebenen – gravierenden Folgen eines Unfallgeschehens stellt die Beauftragung eines Rechtsanwalts eine zweckentsprechende und vernünftige Maßnahme der Rechtsverfolgung dar (Senat NJW 2012, 3245, 3249).

d) Entsprechend den vorstehenden Ausführungen steht der Klägerin gegen die Beklagten als Gesamtschuldner dem Grunde nach und unter Berücksichtigung der Haftungsquote von 1/3 auch ein Anspruch auf Ersatz der Kosten des Privatgutachtens B. zu.

aa) Die Kosten eines vom Geschädigten eingeholten Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (BGH NJW 2007, 1450, 1451 Rn. 11). Ein Erstattungsanspruch besteht grundsätzlich auch bei einem unrichtigen Gutachten; denn die Gutachterkosten gehören zum Herstellungsaufwand und der Sachverständige ist nicht Erfüllungsgehilfe des Gläubigers, so dass ein etwaiges Verschulden des Sachverständigen dem Geschädigten nicht ohne weiteres zugerechnet werden kann. Das gilt jedoch dann nicht, wenn der Geschädigte die Unbrauchbarkeit des Gutachtens zu vertreten hat, weil ihn ein Auswahlverschulden trifft oder er unzutreffende Angaben gemacht, insbesondere ihm bekannte Vorschäden verschwiegen hat (KG KGR 2005, 21 f.). Im Falle einer nur quotenmäßigen Haftung des Schädigers hat dieser dem Geschädigten dessen Sachverständigenkosten nur im Umfang der Haftungsquote zu erstatten (BGH Schaden-Praxis 2012, 180).

bb) Demzufolge sind der Klägerin die Kosten des Gutachtens B. nach Maßgabe der Haftungsquote von 1/3 zu erstatten. Die Klägerin, die im Zeitpunkt der Erstversorgung nach dem Unfall ohne Besinnung war, hat nachvollziehbar dargelegt, dass sie sich an den Unfallhergang nicht erinnern kann (Bd. I Bl. 121 d. A. Mitte). Die Beklagte zu 3 wandte mit Schreiben vom 28.08.2008 ein, aus den bisher vorliegenden Unterlagen ergebe sich, dass der Unfall auf das alleinige Verschulden der Klägerin zurückzuführen sei. Darüber hinaus bat die Beklagte zu 3, soweit die Klägerin vortrug, dem früheren Beklagten zu 1 sei ein Mitverschulden anzulasten, ausdrücklich darum, den entsprechenden Nachweis zu führen (Bd. I Bl. 19 d. A.). Bei dieser Sachlage war das Einholen eines Unfallrekonstruktionsgutachtens zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig. Der gerichtliche Sachverständige Dr. Dipl.-Ing. P. hat zwar im Einzelnen dargestellt, dass bei dem zur Rekonstruktion möglicher Kollisionspositionen im Gutachten B. berücksichtigten Glassplitter augenscheinlich nicht um einen solchen eines Frontscheinwerfers handelte und auch die im Gutachten B. angenommene Splitterung des Frontscheinwerfers nicht nachvollzogen werden kann (Bd. II Bl. 288 d. A.). Ferner hat der Sachverständige Dr. Dipl.-Ing. P. bemerkt, dass und warum die im Gutachten B. verwendeten Dummy- bzw. Fahrradwurfweitendiagramme hier nicht einschlägig sind (Bd. II Bl. 289 d. A.). Da diese technischen Annahmen im Gutachten B. jedoch nicht auf unzutreffenden Angaben der Klägerin beruhen und die Klägerin auch kein Auswahlverschulden trifft, ändert dies an der Ersatzfähigkeit der Gutachtenkosten nichts.

e) Die Beklagten haben hilfsweise die Aufrechnung mit einem Kaskoschaden an dem Lkw in Höhe von insgesamt 9.734,32 EUR erklärt (Bd. I Bl. 143 d. A. Mitte).

f) Gleichwohl besteht bei der im Rahmen des Grundurteils gebotenen Beurteilung eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich das Schmerzensgeld allein auf Grund der unstreitigen unfallbedingten Verletzungen und Verletzungsfolgen auch unter Berücksichtigung der nur quotenmäßigen Haftung der Beklagten zu 2 und 3 und des mit dem Klageantrag zu 2 geltend gemachten immateriellen Vorbehalts mindestens in einer Größenordnung bewegen wird, die die zur Hilfsaufrechnung gestellte Gegenforderung übersteigt. Da der Klägerin außerdem unter Beachtung der Haftungsquote zu bestimmende Ansprüche wegen außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten und Kosten des Privatgutachtens zustehen, ist nicht zu bezweifeln, dass ein Anspruch der Klägerin wenigstens in irgendeiner Höhe gegeben ist.

II. Klageantrag zu 2.

Der Feststellungsantrag ist zulässig und nach Maßgabe eines gesamtschuldnerischen Haftungsanteils der Beklagten von 1/3 begründet.

1. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ist eine Klage auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz bereits eingetretener und künftiger Schäden zulässig, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht. Ein Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO) ist nur zu verneinen, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund gegeben ist, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (BGH VersR 2001, 876; VersR 2001, 874, 875). Nach diesen Maßstäben kann das Feststellungsinteresse vorliegend nicht verneint werden.

2. Ein zulässiger Feststellungsantrag ist begründet, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs vorliegen, also ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu möglichen künftigen Schäden führen kann (BGH VersR 2007, 708). Auch das ist hier der Fall. Das Vorliegen eines haftungsrechtlich relevanten Eingriffs ist unstreitig. Dieser Eingriff kann zu möglichen künftigen Schäden führen. Auf Grund der unstreitigen schweren unfallbedingten Verletzungen der Klägerin sind zukünftige materielle und immaterielle Schäden nicht auszuschließen.

III. Nebenentscheidungen

1. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

2. Die Revision ist nicht zuzulassen; denn die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO).

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Eine Antwort zu Vollständiger Haftungsausschluss nur noch in besonderen Einzelfällen – OLG Saarbrücken, Urteil v. 4.7.2013, 4 U 65/12 -19

  1. DerHukflüsterer sagt:

    @
    „aa) Die Kosten eines vom Geschädigten eingeholten Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (BGH NJW 2007, 1450, 1451 Rn. 11). Ein Erstattungsanspruch besteht grundsätzlich auch bei einem unrichtigen Gutachten; denn die Gutachterkosten gehören zum Herstellungsaufwand und der Sachverständige ist nicht Erfüllungsgehilfe des Gläubigers, so dass ein etwaiges Verschulden des Sachverständigen dem Geschädigten nicht ohne weiteres zugerechnet werden kann.“

    Schau, schau man weis es doch, jetzt brauchen sich die Amtsgerichte im Saarbrückener Gerichtsbezirk nicht mehr an die Fehlurteile des LG Saarbrücken halten .

    Ja da ist der riesige Qualitätsunterschied der erkennenden Saarbrückener Olg-Richter, verglichen mit dem unüblich handelnden Direktor des LG Saarbrücken, der die 11 Willkür-Urteile verbrochen hat sofort erkennbar.
    Dieses OLG Urteil sollte sich der Direktor des LG Saarbrücken hinter seinen Rasierspiegel klemmen um täglich an seine 11 vorsätzlich, falsch gefällten Urteile erinnert zu werden.

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