Amtsrichterin der 343. Zivilabteilung des AG München urteilt mit bemerkenswerter Begründung zu den gekürzten Sachverständigenkosten nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall mit Urteil vom 30.1.2014 – 343 C 29297/13 -.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leser,

damit unsere geneigten Leser heute abend und am kommenden Sonntag noch erfreuliche Verkehrslektüre zu sich nehmen können, geben wir Euch hier wieder ein völlig korrektes Urteil aus München zu den restlichen Sachverständigenkosten bekannt. Von der erkennenden Amtsrichterin der 343. Zivilabteilung des AG München kamen deutliche Worte für die beklagte Kfz-Haftpflichtversicherung, die zeigen, dass die Amtsrichterin mittlerweile „die Nase voll“ hat von den rechtwidrigen Schadensregulierungen der Kfz-Haftpflichtversicherungen. Sie hat auch noch einmal betont, dass die Kfz-Haftpflichtversicherungen nicht rechtlos sind, wenn sie die vollen Sachverständigenkosten erstatten müssen. Sie haben die Möglichkeit des Vorteilsausgleichs, auf den auch schon Imhof und Wortmann in ihrem Beitrag  in DS 2011, 149 ff. hingewiesen hatten. Lest selbst und gebt Eure Kommentare ab.

Viele Grüße und ein schönes Wochenende.
Willi Wacker

Amtsgericht München

Az.: 343 C 29297/13

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Rechtsstreit

– Kläger –

gegen

– Beklagte –

wegen Schadensersatz

erlässt das Amtsgericht München durch die Richterin am Amtsgericht … am 30.01.2014 auf Grund des Sachstands vom 20.01.2014 ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495a ZPO folgendes

Endurteil

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 134,09 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.07.2013 zu bezahlen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

II. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 134,09 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

Gemäß § 495 ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.

Die Parteien streiten hier nur noch über restliche Sachverständigenkosten.

I.

Die Klage ist begründet.

Gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann der Geschädigte im Zusammenhang mit der Schadensregulierung die Kosten verlangen, die ein verständiger wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch in seiner Lage für zweckmäßig und notwendig halten darf.

Diese in der Rechtsprechung immer wieder fast wortgleich wiederholte Feststellung bedeutet, dass der Unfallgeschädigte nicht nur das verlangen kann, was objektiv erforderlich ist, sondern was er in seiner konkreten Situation für erforderlich halten darf. Demzufolge kommt es auch in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob das von dem Sachverständigen in Rechnung gestellte Honorar objektiv ortsüblich und angemessen ist, sondern ob der Klagepartei als Unfallgeschädigter der Vorwurf gemacht werden kann, sie habe bei der Auswahl des Sachverständigen im Hinblick auf das Honorar seine Schadensminderungspflicht nach § 254 BGB verletzt. Dies übersieht zum Beispiel die von der Beklagtenseite zitierte Entscheidung des Amtsgerichts Dachau, Aktenzeichen: 1 C 1011/09. In zwei der weiteren Entscheidungen des Amtsgerichts München hatten die Sachverständige in sich die Schadensersatzansprüche der Unfallgeschädigten auf Bezahlung des Sachverständigenhonorars abtreten lassen. Auch diese Sachlage ist nicht mit dem vorliegenden Fall vergleichbar. Denn der Sachverständige selbst muss natürlich wissen, welche Kosten angemessen sind.

1. Die Beklagte hat vorgetragen, dass ihrer Auffassung nach das Honorar des Sachverständigen deutlich überhöht ist, auch was die Nebenkosten betrifft.

Allerdings hat die Beklagtenseite keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass der Klagepartei die entsprechenden, nach ihrer Ansicht nach angemessenen Beträge, bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen.

Es liegen keine Erkenntnisse dazu vor, dass sie sich wegen der Honorarfrage irgendwie schuldhaft nach § 254 BGB verhalten hat. Der Unfallgeschädigte kann nicht, wie in anderen Fällen, zuerst einen Kostenvoranschlag verschiedener Sachverständiger anfordern. Denn die Höhe der Sachverständigenkosten richtet sich i. d. R. nach dem entstandenen Sachschaden, der erst im Rahmen der Begutachtung festgestellt wird. Die Rechtsprechung, auch der höheren Instanzen, hat bereits mehrfach entschieden, dass von Unfallgeschädigten nicht erwartet werden kann, dass sie sich vor Erstellung des Gutachtens nach Preisen erkundigen. Es gibt, soweit ersichtlich, auch keine Entscheidung dazu, dass die Geschädigten verpflichtet wären, sich nach den Nebenkosten zu erkundigen.

2. Nach Erhalt einer Rechnung könnte ihm ein solcher Vorwurf nur dann gemacht werden, wenn die Rechnungshohe auch für jeden Laien klar ersichtliche Fehler enthält.

Das ist hier aber nicht ersichtlich. Insbesondere kann von einem Laien nicht erwartet werden, dass er den zeitlichen Aufwand für ein derartiges Gutachten richtig einschätzen kann. Er kann auch nicht wissen, wie hoch die üblichen Betriebsausgaben eines Sachverständigen sind. Deshalb kann er weder die Angemessenheit des Grundhonorars noch der Nebenkosten beurteilen. Im Übrigen hat die erkennende Richterin genau zu dieser Frage ein Sachverständigengutachten eingeholt, das zu dem Ergebnis kam, dass die Mehrheit der freiberuflichen Sachverständigen ihr Honorar getrennt nach Grundhonorar und nach „Gebühren“ (gemeint sind Kosten, Anmerkung der Redaktion) berechnet, wobei sich die Höhe dieser „Gebühren“ (gemeint sind Kosten, Anm. d. Red. )  tatsächlich nicht nach den reinen Materialkosten oder den eigenen Auslagen richtet.

3. Die Beklagte verkennt hier, dass es bei der Frage, welche Schadensersatzpositionen nach § 249 BGB erforderlich sind, nicht darauf ankommt, was für den Sachverständigen erforderlich ist, sondern für den Geschädigten. Wenn alle Sachverständigen so abrechnen, wie der Sachverständige, der von der Klagepartei beauftragt wurde, dann muss der Geschädigte zwangsläufig die entsprechenden Aufwendungen tätigen, um ein Sachverständigengutachten zu erhalten. Würde man die Rechtslage anders sehen, würde dies bedeuten, dass einer Privatpartei zugemutet würde, von dem Sachverständigen auf sein restliches geltend gemachtes Honorar verklagt zu werden. Dieses Prozesskostenrisiko kann ihm nicht zugemutet werden. Es ist nicht zuletzt unstreitige Rechtsprechung, dass der Unfallgegner auch das so genannte „Werkstattrisiko“ zu tragen hat, d.h. gegebenenfalls auch für Fehler der mit der Reparatur beauftragten Werkstätte aufkommen muss.

Die erkennende Richterin hat bereits mehrfach in ihren Urteilen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Versicherungen der Unfailgegener die Möglichkeit haben, sich eventuelle Regressansprüche des Unfallgeschädigten gegen seinen Sachverständigen wegen eines irrtümlich zu viel gezahlten Honorars (Rückforderungsanspruch nach § 812 BGB) abtreten zu lassen. Die Versicherungen könnten hiervon Gebrauch machen. Sie können viel besser, als der Unfallgeschädigte, beurteilen, ob das in Rechnung gestellte Sachverständigenhonorar angemessen ist. Schließlich finden derartige Rechtsstreitigkeiten immer wieder bezüglich der selben Beteiligten (Sachverständigen/Versicherungen) statt. Die Versicherungen könnten daher gezielt Klagen gegen einzelne Sachverständige führen, wenn sie dies für angemessen und erfolgreich halten. Es ist nicht angemessen und auch nicht mit den Schadensersatzregeln der §§ 249 BGB ff. in Einklang zu bringen, das Prozessrisiko auf den Unfallgeschädigten abzuwälzen. Das de facto die Rechtslage dazu führt, dass bei Haftpflichtgutachten Honorare verlangt werden, die möglicherweise deutlich über dem liegen, was auf dem einschlägigen Markt zu erzielen wäre, wenn nicht die Versicherungen letztendlich bezahlen müssten, liegt auf der Hand. Es ist dies aber ein Problem des Gesetzgebers. Das Problem kann nicht auf Personen abgeschoben werden, die unverschuldet in einen Unfall geraten und von denen nicht erwartet werden kann, dass sie sich dieser Problematik bewusst sind.

Die Beklagte ist daher verpflichtet, das Sachverständigenhonorar zu bezahlen.

4. Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gemäß §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO.

Urteilsliste “SV-Honorar” zum Download >>>>>

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3 Antworten zu Amtsrichterin der 343. Zivilabteilung des AG München urteilt mit bemerkenswerter Begründung zu den gekürzten Sachverständigenkosten nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall mit Urteil vom 30.1.2014 – 343 C 29297/13 -.

  1. HUK-Absorber sagt:

    Hallo, Willi Wacker,

    vielen Dank für die Bekanntmachung dieses Urteils, das inhaltlich ganz hervorragend geeignet ist, den Vericherungsnehmern die rechtswidrige Schadenregulierung ihrer Versicherung zu verdeutlichen. Jedwedes Herumgerede wird damit von vornherein ad absurdum geführt. Neben den schlüssigen und plausiblen Überlegungen dieser kompetenten Amtsrichterin kann zur weiteren Klarstellung die aktuelle BGH-Entscheidung Verwendung finden. „Im Paket“ auch zur Kenntnis den Rechtsanwälten, den Verbraucherzentralen, dem DIHT, der BAfin, den Redaktionen von Verbrauchersendungen div. Fernsehanstalten sowie den Richterinnen und Richtern, den Kfz-Betrieben und Mietwagenunternehmern sowie den Fachzeitschriften des Kfz.-Gewerbes. Im Übrigen jede ansonsten damit begründbare Rufschädigung möglichst zeitnah ahnden und auf Unterlassung klagen.

    Der Herr Elmar Fuchs vom BVSK wird wahrscheinlich versuchen, auch der Unbedeutsamkeit dieses Urteils das Wort zu reden oder auch ganz dazu schweigen, damit sich die BVSK-Sachverständigen sich dann mal wieder des Wohlwollens der Assekuranz bis auf weiteres sicher sein können. Auch DEKRA, die SSH-Organisation und Car-€xpert werden auf Grund ihrer Weisungsgebundenheit nach dem Motto handeln: „Vom Schweigen schmerzt die Zunge nicht“.

    HUK-Absorber

  2. Babelfisch sagt:

    „In zwei der weiteren Entscheidungen des Amtsgerichts München hatten die Sachverständige in sich die Schadensersatzansprüche der Unfallgeschädigten auf Bezahlung des Sachverständigenhonorars abtreten lassen. Auch diese Sachlage ist nicht mit dem vorliegenden Fall vergleichbar. Denn der Sachverständige selbst muss natürlich wissen, welche Kosten angemessen sind.“

    Irrtum, Frau Richterin: durch eine Abtretung ändert sich an dem geltend gemachten Anspruch nix, aber auch gar nix!
    Solch einen Unsinn hört man – leider – immer wieder.

  3. Boris sagt:

    Hi, Willi Wacker,
    nachfolgende Entscheidungsgründe sind spitzenmäßig austariert und das wohl unter Berücksichtigung bisheriger Richterinnenerfahrung mit unqualifizierten Schriftsätzen.

    „Diese in der Rechtsprechung immer wieder fast wortgleich wiederholte Feststellung bedeutet, dass der Unfallgeschädigte nicht nur das verlangen kann, was objektiv erforderlich ist, sondern was er in seiner konkreten Situation für erforderlich halten darf.

    Demzufolge kommt es auch in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob das von dem Sachverständigen in Rechnung gestellte Honorar objektiv ortsüblich und angemessen ist, sondern ob der Klagepartei als Unfallgeschädigter der Vorwurf gemacht werden kann, sie habe bei der Auswahl des Sachverständigen im Hinblick auf das Honorar seine Schadensminderungspflicht nach § 254 BGB verletzt.

    Gruß

    B o r i s

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