Der Kläger, hier die Allianz-Haftpflichtversicherung, scheiterte mit dem Anspruch auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Restwertberechnung zunächst am AG Wiesbaden (92 C 4895/03-13 vom 13.07.2005). Das Amtsgericht kam zu der Erkenntnis, dass eine Restwertermittlung in die Vergangenheit einer Spekulation gleich komme. Sodann wies das LG Wiesbaden (8 S 1/10 vom 15.04.2010) die Berufung der Klägerin auch mit der Begründung zurück, dass dem Sachverständigen ein gewisser Beurteilungsspielraum obliegt, der es ihm auch ermöglichen muss, aus eigener Sach- und Fachkunde zu beurteilen, ob er Angebote für seriös oder für völlig überzogen hält.
Das Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das am 13.07.2005 verkündete Urteil des Amtsgerichts Wiesbaden wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe:
I.
Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten Ansprüche auf Schadensersatz wegen fehlerhafter Restwertberechnung geltend. Am 24.08.2002 kam es aufgrund alleinigen Verschuldens des Versicherungsnehmers der Klägerin zu einem Verkehrsunfall, wo durch der Pkw der Unfallgegnerin G. B., bei dem es sich um einen zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls erst 23 Tage alten Peugeot 206 handelte, erheblich beschädigt wurde. Die Unfallgegnerin beauftragte die Beklagte mit der Erstattung eines Gutachtens zur Bezifferung ihres Fahrzeugschadens gegenüber der Klägerin. Dieses Gutachten wurde von der Beklagten am 29.08.2002 erstattet. Im Rahmen des Gutachtens gab einer der beiden Geschäftsführer der Beklagten als im seriösen lokalen Handel erzielbaren Restwert des Fahrzeuges einen Betrag in Höhe von 2.600,00 € an. Zur Ermittlung des Restwertes nahm der Geschäftsführer der Beklagten, Herr B., u. a. eine Angebotsabfrage über die Onlinebörse „CarTV“ vor, welche Angebote aus dem nichtregionalen Bereich zwischen 1.760,00 € und 4.650,00 € erbrachte. Hiervon wurden die beiden höchsten (4.650,00 € und 4.370,00 €) von der Beklagten aussortiert. Die Unfallgegnerin veräußerte das Fahrzeug am 29.08.2002 zu einem Kaufpreis von 2.700,00 € an ein Autohaus. Die Klägerin rechnete auf Basis des streitgegenständlichen Gutachtens gegenüber der Unfallgegnerin den Fahrzeugschaden wie folgt ab:
Wiederbeschaffungswert 17.500,00 €
abzüglich Restwert 2.600,00 €
Summe 14.900,00 €
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe den Restwert des Fahrzeugs falsch ermittelt. Bei zutreffender Bewertung hätte der Restwert bei 5.400,00 € gelegen. Die Differenz zwischen dem zutreffenden Restwert von 5.400,00 € und dem fehlerhaft von der Beklagten ermittelten Restwert von 2.600,00 € hätte die Klägerin bei richtiger Bewertung bei ihrer Schadensregulierung einbehalten können, weshalb ihr ein Schaden in Höhe von 2.800,00 € entstanden sei.
Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.800,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des DÜG vom 09.06.1998 seit 31.01.2003 zu zahlen.
Die Beklagte hat in erster Instanz beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, der Restwert sei im Gutachten von ihr zutreffend angegeben worden, wobei sie mehrere Angebote regionaler Anbieter eingeholt habe. Dabei habe sie Restwertanfragen gerichtet an die Fa. S. Automobile, W., das Autohaus P. GmbH in Neuwied, die Fa. Z. in Frankfurt und die F. aus Wiesbaden. Während, die Firmen R., Z. Automobile und S. Automobile kein Interesse an dem Fahrzeug gehabt hätten, habe die Fa. P. ein Angebot von 3.000,00 € inklusive Mehrwertsteuer abgegeben. Zur Kontrolle sei von der Beklagten über die Restwertbörse „Car-TV“ eine Anfrage gestartet worden, wobei die beiden höchsten Angebote aussortiert worden seien, insbesondere deshalb, da die Fa. S, welche das zweithöchste Angebot mit 4.370,00 € abgegeben habe, in Kollegenkreisen schon mehrmals aufgefallen sei, weil sie Angebote später nicht gehalten habe bzw. die Fahrzeuge zu diesem Preis nicht tatsächlich habe abnehmen wollen. Die anderen online erzielbaren Angebote, welche aus Sicht der Beklagten nachvollziehbar und in einem realistischen Bereich abgegeben worden seien, hätten in einer Spanne zwischen 3.333,00 € und 1.760,00 € gelegen, wobei so genannte „Null-Gebote“ naturgemäß nicht berücksichtigt worden seien. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass von den Restwertangeboten der speziellen Restwerthändler eine Handelsspanne für den örtlichen Fachhändler von 10-20 %, d. h. im Mittel 15 %, abzuziehen sei, hätte sich ein Restwert von rund 2.600,00 € ergeben, den die Beklagte sodann festgestellt habe.
Mit dem angefochtenen Urteil vom 13.07.2005 hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin sei für den von ihr behaupteten Schaden beweisfällig geblieben. Der im Rahmen der Beweisaufnahme beauftragte Sachverständige B. habe den Restwert aus heutiger Sicht nicht mehr ermitteln können. Eine Rückrechnung auf das Jahr 2002 komme nicht in Betracht, da diese aus dem Bereich reiner Spekulation nicht mehr herauskomme. Im Übrigen stehe dem Sachverständigen ein gewisser Beurteilungsspielraum zu, dessen Rahmen die Sachverständigen hier nicht überschritten hätten. Insbesondere obliege es dem Sachverständigen, aus eigener Sach- und Fachkunde zu beurteilen, ob er Angebote für seriös hält oder für völlig überzogen. Dabei sei es sowohl vertretbar, das jeweils höchste sowie das niedrigste Angebot außer Betracht zu lassen, als auch, bei einer entsprechenden Bandbreite von Angeboten, sich auf den Bereich zu konzentrieren, in dem die meisten Angebote eingehen.
Gegen dieses Urteil, das der Klägerin am 29.07.2005 zugestellt worden ist, hat die Klägerin mit am 25.08.2005 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 20.09.2005, bei Gericht eingegangen am 28.09.2005, begründet.
Sie ist der Ansicht, die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts sei rechtsfehlerhaft. Das Gutachten des Sachverständigen B. sei so zu verstehen, dass für das Fahrzeug ein Restwert von 4.600,00 € zugrunde zu legen sei.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des am 29.07.2005 zugestellten Urteils des Amtsgerichts Wiesbaden vom 13.07.2005 – Aktenzeichen 92 C 4895/03 – die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.800,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 31.01.2003 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Insbesondere ist sie unter Berücksichtigung der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung der Auffassung, ein Sachverständiger sei nicht verpflichtet, Onlinebörsen abzufragen und könne deshalb auch nicht verpflichtet sein, ein höheres Angebot einer solchen Börse mit einzubeziehen.
Im Übrigen wiederholen beide Parteien ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Das Gericht hat Beweis erhoben aufgrund Beweisbeschlusses vom 20.12.2007 (Bl. 442 ff d. A.) durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen D. vom 28.03.2008 (Bl. 452 ff d. A.) sowie auf dessen mündliche Erläuterung gemäß Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 25.02.2010 (Bl. 543 ff d. A.) Bezug genommen.
II.
Die Berufung der Klägerin ist zulässig; insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 517, 519, 520 ZPO). In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
Ebenso wie dem erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen Dipl.-Ing. B. ist es auch dem in zweiter Instanz beauftragten Sachverständigen Dipl.-Ing. D. nicht gelungen, Restwertangebote auf dem regionalen Markt einzuholen.
Der von dem Sachverständigen D. in seinem schriftlichen Gutachten ermittelte Restwert von 4.100,00 € bis 4.300,00 € entspringt seiner eigenen Kalkulation. Wie der Sachverständige in der öffentlichen Sitzung vom 25.02.2010 bekundet hat, handelt es sich bei dem mit 4.100,00 € angegebenen Wert lediglich um den Wert, welchen der Sachverständige selber ermittelt, um später prüfen zu können, ob die gemachten Angebote realistisch und akzeptabel sind. Hierbei könne es durchaus passieren, dass er mit einem solchen Wert dann am Markt überhaupt keinen Erfolg habe. So sei dies bei einem kürzlichen Fall aufgetreten. Dort habe der Sachverständige selber einen Wert von 6.000,00 € errechnet, habe aber von sechs Betrieben lediglich rund 3.000,00 € geboten bekommen. Das Problem des hier zu beurteilenden Falles sei gewesen, dass der Sachverständige keine weiteren Anhaltspunkte gehabt habe, jedenfalls nicht vom regionalen Markt und auch nicht von der Onlinebörse.
Damit war festzustellen, dass es sich bei dem durch den Sachverständigen D. angegebenen Wert nicht um den durch Angebot und Nachfrage zu bestimmenden Restwert des Fahrzeuges handelt, sondern um den Ausgangswert, den der Sachverständige seinen Berechnungen zugrunde gelegt hätte, der sich jedoch weder im regionalen noch im überörtlichen Bereich hat verifizieren lassen.
Die Klägerin ist damit für ihre Behauptung, die Beklagte habe den Restwert mit 2.600,00 € unzutreffend ermittelt, beweisfällig geblieben. Maßgebend für die Pflichten des Sachverständigen bei Erstellung des Gutachtens ist der Inhalt des Vertrags zwischen dem Geschädigten und dem Sachverständigen (BGH, VersR 2009, S. 413 ff). Die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners ist dabei in den Schutzbereich des Vertrages zwischen dem Sachverständigen und der Geschädigten einbezogen (BGH, a. a. O.). Bei der Erstellung seines Gutachtens ist der Sachverständige jedoch nicht verpflichtet, die optimale Verwertungsmöglichkeit für das Fahrzeug unter Einschluss der Onlinebörsen zu ermitteln, da der Umfang des Gutachtens des Sachverständigen durch den Gutachtenauftrag und nicht durch das Interesse des Haftpflichtversicherers des Unfallgegners an einer besonders kostensparenden Schadensabrechnung bestimmt wird (BGH, a. a. O.). Der Sachverständige darf deshalb bei der Schätzung des Restwertes auf denjenigen Kaufpreis abstellen, der auf dem allgemeinen regionalen Markt für das unfallbeschädigte Kraftfahrzeug zu erzielen war. Hierbei genügt die Einholung von drei Angeboten als Schätzgrundlage (BGH, a. a. O.). Nur dann, wenn eine korrekte Wertermittlung nicht gegeben ist und dadurch das Sachverständigengutachten nicht als geeignete Schätzungsgrundlage taugt, ist das erkennende Gericht nicht gehindert, auf der Grundlage des gerichtlichen Sachverständigengutachtens den auf dem regionalen Markt erzielbaren Restwert nach § 287 ZPO zu schätzen (BGH, VersR 2010, S. 130 ff).
Dass das Sachverständigengutachten der Beklagten als ausreichende Schätzgrundlage nicht genügt, hat die Klägerin vorliegend jedoch nicht nachweisen können. Nachdem es weder dem Sachverständigen Dipl.-Ing. B. noch dem Sachverständigen Dipl.-Ing. D. gelungen ist, entsprechende Angebote auf dem regionalen Markt einzuholen, ist nicht bewiesen, dass die durch den Geschäftsführer der Beklagten vorgenommene Abfrage auf dem regionalen Markt unzureichend bzw. unzutreffend war. Sofern die Klägerin meint, bei Anwendung dieser Beweisgrundsätze müsse jede Klage des Versicherers aufgrund Beweisfälligkeit abgewiesen werden, ist dem nicht zuzustimmen. Dass eine Wertermittlung auf dem regionalen Markt im vorliegenden Fall selbst in erster Instanz nicht mehr möglich war, liegt darin begründet, dass bei dem Pkw bereits ab April 2003 und damit weniger als neun Monate nach dem streitgegenständlichen Unfall bereits das Nachfolgemodell dem Handel zur Verfügung stand. Nach Ausführungen des Sachverständigen D. handelt es sich vorliegend um ein so genanntes „Auslaufmodell“ in einem darüber hinaus vergleichsweise hohen Preissegment, welches in der Veräußerung ohnehin sehr problematisch sei. Grundsätzlich könne nach den Angaben des Sachverständigen ein regionaler Markt ohne einen Modellwechsel etwa bis zu 2 Jahre festgestellt und abgefragt werden, was hier jedoch aufgrund des stattgefundenen Modellwechsels nicht möglich gewesen sei. Diese spezielle Situation führte vorliegend dazu, dass lokale Restwertangebote nicht mehr ermittelt werden konnten. Die über Onlinebörsen abgefragten Angebote des Sachverständigen B. sind aus den oben dargelegten Erwägungen der Restwertermittlung nicht zugrunde zu legen.
Wie das Amtsgericht zutreffend ausführt, obliegt dem Sachverständigen ein gewisser Beurteilungsspielraum, der es ihm auch ermöglichen muss, aus eigener Sach- und Fachkunde zu beurteilen, ob er Angebote für seriös oder für völlig überzogen hält.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände kann das Gericht nicht feststellen, dass der Sachverständige diesen Beurteilungsspielraum vorliegend ermessensfehlerhaft überschritten hat oder Maßstäbe angesetzt hat, die dazu führen würden, dass sein Gutachten als ausreichende Schätzgrundlage nicht verwertbar wäre.
Aus diesen Gründen war die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe im Sinne des § 543 Abs. 2 ZPO, die für eine Zulassung der Revision sprechen, sind nicht gegeben.