Hallo verehrte Captain-Huk-Leser,
von Stuttgart geht es weiter nach München. Nachstehend geben wir Euch noch ein (im Ergebnis) positives Urteil der zuständigen Amtsrichterin des AG München bekannt, dessen Urteilsgründe allerdings kritisiert werden müssen. Zuerst hat die Amtsrichterin wieder richtig argumentiert. Völlig falsch ist dann allerdings die Argumentation der erkennenden Richterin, die darauf abstellt, dass der Sachverständige praktisch seine eigenen Kosten einklagt. Sie verkennt dabei eindeutig die Bedeutung der Abtretung. Durch den Abtretungsvertrag zwischen Geschädigten und dem Sachverständigen verändert sich der Charakter der abgetretenen Forderung keineswegs. Es verbleibt auch nach der Abtretung noch ein Schadensersatzanspruch, auch wenn jetzt der Sachverständige Forderungsinhaber geworden ist. Mit der „dolo agit“-Einwendung der Beklagtenseite verfällt die Richterin in eine nicht zulässige Angemessenheitsprüfung einschließlich der Nebenkosten. Richtig wäre es gewesen, die Sachverständigenkosten als Wiederherstellungskosten in vollem Umfang zuzusprechen, da es auf die Sicht des Geschädigten bei Beauftragung des Sachverständigen ankommt, und die Beklagte auf den Vorteilsausgleich zu verweisen. Vielmehr wird auf das immer wieder fälschlich von den Versicherern angeführte Urteil des OLG Dresden abgestellt. Lest selbst und gebt bitte Eure Kommentare ab.
Viele Grüße
Willi Wacker
Amtsgericht München
Az.: 341 C 13167/14
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Rechtsstreit
…
– Kläger –
gegen
Allianz Versicherungs AG, vertreten durch d. Vorstand, An den Treptowers 3, 12435 Berlin
– Beklagte –
wegen Forderung
erlässt das Amtsgericht München durch die Richterin am Amtsgericht M. am 03.09.2014 ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495a ZPO folgendes
Endurteil
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 149,70 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28.11.2013 zu bezahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 149,70 € festgesetzt.
(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)
Entscheidungsgründe
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
Die zulässige Klage ist vollumfänglich begründet.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen weiteren Schadensersatzanspruch in Höhe von 149,70 EUR.
Unstreitig haftet die Beklagte für die Schäden aus einem Verkehrsunfall vom 13.09.2013.
Der Kläger macht aus abgetretenem Recht den Anspruch auf Schadensersatz in Höhe der Sachverständigenkosten geltend. Der Geschädigte hat seinen Anspruch auf Schadensersatz betreffend die Sachverständigenkosten an den Kläger, der das Gutachten erstellt hat, abgetreten.
Streitig war, ob noch ausstehende Sachverständigenkosten von 149,70 € erstattungsfähig sind oder nicht, ob also insgesamt Sachverständigenkosten von 938,67 € (brutto) ersetzt werden müssen (788,97 € wurden vorgerichtlich bezahlt).
Entscheidend für die Erstattungsfähigkeit der Sachverständigenkosten durch den Schädiger ist nicht, ob der Sachverständige nach dem zwischen ihm und dem Geschädigten geschlossenen Werkvertrag einen Anspruch auf die in Rechnung gestellten Gebühren hat; dies wird bei den vorgerichtlich bei der Abwicklung von Haftpflichtschäden abgerechneten Gebühren oftmals nicht der Fall sein. Entscheidend dafür ist nämlich meist mangels Honorarvereinbarung die übliche Vergütung gemäß § 632 Abs. 2 BGB. Der Sachverständige hat daher in der Regel nur Anspruch auf Ersatz der üblichen Gebühren.
Bei der hier zu entscheidenden Frage, welche Sachverständigengebühren der Geschädigte vom Schädiger ersetzt verlangt werden kann, ist der Beurteilungsmaßstab ein anderer.
Entscheidend ist gemäß § 249 BGB, welche Aufwendungen „ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und geboten halten darf (BGHZ 115, 364, 369).
„Auch bei der Beauftragung eines KFZ-Sachverständigen darf sich der Geschädigte damit begnügen, den ihm in seiner Lage ohne weiteres erreichbaren Sachverständigen zu beauftragen. Er muss nicht zuvor eine Marktforschung nachdem honorargünstigsten Sachverständigen betreiben.“ (BGH, Urteil vom 11.02.2014, VI ZR 225/13). Selbst wenn die Rechnung insgesamt oder einzelne Positionen tatsächlich überteuert sein sollten, trägt das Risiko hierfür grundsätzlich nicht der Geschädigte. Gegen ein ihrer Ansicht nach überhöhtes Honorar kann sich die Beklagte in einem Schadensersatzprozess gegen den Sachverständigen wehren, nach Abtretung der Ansprüche des Geschädigten gegen den Sachverständigen.“ Der Sachverständige ist auch kein Erfüllungsgehilfe des Geschädigten, dessen etwaiges Verschulden ihm zugerechnet würde (vgl. z.B. OLG Naumburg, Urteil vom 20.1.2006, 4 U 49/05). Es ist also weder Aufgabe des Geschädigten, Preisvergleiche anzustellen oder den billigsten Sachverständigen auszuwählen, noch ist es Aufgabe des Geschädigten, einzelne Positionen der Rechnung nach Überhöhung/Plausibilität zu durchforsten. Dies wäre nur der Fall, falls eine eventuelle Überhöhung derart evident wäre, also soweit vom Angemessenen in einem Maß abweicht, dass eine Monierung vom Geschädigten verlangt werden kann.
Vorliegend besteht allerdings die Besonderheit, dass der Schadensersatzanspruch des Geschädigten an den Kläger abgetreten wurde. Bei dem Kläger handelt es sich um den Sachverständigen, der mit der Erstellung des Gutachtens betraut war und auch die entsprechende Rechnung ausgestellt hat.
Durch die Abtretung des Anspruchs auf Schadensersatz ändert sich dieser Anspruch zwar grundsätzlich nicht. Den Zessionar, also den Sachverständigen selbst, trifft keine Schadensminderungspflicht.
Der Beklagten steht aber die sog. „dolo-agit“ – Einrede zu. Danach kann das nicht gefordert werden, was infolge eines dann entstehenden Anspruchs des Schuldners sofort wieder zurückgegeben werden müsste. Anders als dem Geschädigten des Unfalles selbst, muss dem Kläger als demjenigen, der die Rechnung über das Sachverständigengutachten selbst ausgestellt hat, be-wusst sein, falls seine Rechnungsposten im Vergleich zu anderen Sachverständigen deutlich überhöht sind.
Das OLG Dresden (Urteil vom 19.02.2014, Az. 7 U 111/12) hat hierzu ausgeführt:
„EntgegenderAuffassung der Klägerin kann auch dahinstehen, ob der Geschädigte selber hätte erkennen können und müssen, dass das Honorar des Sachverständigen in seinem Fall überhöht ist. Dies kann dann von Bedeutung sein, wenn der Geschädigte selbst die Sachverständigenkosten gegenüber dem Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer geltend macht. Zwar erhebt die klagende Sachverständige hier die originären Ersatzansprüche der Geschädigten, die sich durch die Abtretungen in ihrer Rechtsqualität nicht verändern. Die Beklagten können allerdings der Klägerin ein überhöhtes Honorar nach § 242 BGB entgegenhalten, da die Klägerin im Falle der Zahlung überhöhter Sachverständigen -honorare seitens der Beklagten das Geleistete sogleich als Schadensersatz zurückerstatten müsste (sog. „doloagit“ – Einrede). Nach § 241 Abs. BGB ist nämlich – vergleichbar mit den Pflichten der Mietwagenunternehmer – eine Aufklärungspflicht des Sachverständigen gegenüber seinem Auftraggeber darüber anzunehmen, dass sein Honorar ggf. über den üblichen Abrechnungssätzen liegt und insoweit möglicherweise nicht in vollem Umfang von der gegnerischen Haftpflichtversicherung erstattet wird (vgl. auch insoweit AG Bochum, Urt. v. 29.05.2008, Az: 67 C 275/07, juris AG Altena, a. a. O.). Nach allgemeiner Rechtsauffassung (so der BGH, Urteil vom 13.01.2009, Az: VI ZR 205/08, juris Rn. 6) ist die Haftpflichtversicherung in den Schutzbereich des zwischen Sachverständigen und Geschädigten abgeschlossenen Vertrages einbezogen und kann deshalb Schadensersatz beanspruchen, wenn der Sachverständige vertragliche Pflichten verletzt hat, die – wie bei o. g. Hinweispflicht – auch zugunsten der Haftpflichtversicherung bestehen (vgl. BGH, Urteil vom 13.01.2009, a. a. O., m. w. N.). Der Klägerin ist auch zuzugeben, dass der Streit zwischen den Sachverständigen und den Haftpflichtversicherern über die Höhe der Nebenkosten in Relation zu dem Grundhonorar nicht auf dem Rücken der Geschädigten ausgetragen werden darf. Bei einer direkten Geltendmachung der Gebühren durch den Sachverständigen aus abgetretenem Recht – wie vorliegend – kann somit die Problematik überhöhter Honorare in dem maßgeblichen Rechtsverhältnis gelöst werden (vgl. insoweit auch OLG Naumburg, Urt. v. 20.01.2006, Az: 4 U 49/05, AG Halle, Urt. v. 10.11.2011, Az: 93 C 3741/10).“
Dieser Auffassung schließt sich die hier zuständige Richterin des Amtsgerichts München an.
Der Anspruch des Klägers wäre daher aufgrund der der Beklagten zustehenden „dolo agit-Einrede auf die tatsächlich erforderlichen Sachverständigenkosten zu kürzen.
Das Gericht orientiert sich für die Angemessenheit der Sachverständigenkosten an der BVSK-Honorarbefragung für die Jahre 2012/2013. Der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 23.1.2007, VI ZR 67/06) hat ausgeführt, soweit sich ein Gutachter auf allgemeine Tabellen beziehe, die von anerkannten Berufsverbänden ermittelt worden seien, wie dem BVSK, der DEKRA oder der IHK, sei zu vermuten, dass der Gutachter einen angemessenen Marktpreis in Ansatz gebracht habe. (Das Landgericht München I hat in einem Urteil vom 01.09.2011 (19 S 7874/11) ausgeführt: „Die Angriffe der Beklagten gegen die vom Amtsgericht bei der Ermittlung des üblichen Honorars zugrunde gelegte BVSK-Honorarbefragung greifen nicht. Diese Tabelle findet in der Rechtsprechung breite Anerkennung und hat in der Praxis für die Ermittlung der üblichen und konkreten Honorarhöhe besondere Bedeutung. Die dort genannten Sätze – auch für Nebenkosten – gelten als üblich.“).
Die Angemessenheit des Grundhonorars war vorliegend nicht streitig.
Bezüglich der Nebenkosten ist eine Pauschalierung ebenfalls zulässig. Diese Nebenkosten können neben dem Grundhonorar geltend gemacht werden. Sie können auch einen nicht unerheblichen Anteil an den Gesamtgutachtenskosten ausmachen, ohne dass dies gegen die Pflicht zur Schadensminderung verstößt.
Es ist daher auch zulässig, dass der Geschädigte Sachverständigenkosten ersetzt verlangt, die sich aus Positionen wie Fahrt-, Foto-, Porto-/Telefonkosten etc. errechnen. Entsprechend ist in der genannten BVSK-Honorarbefragung auch eine isolierte Aufzählung von Nebenkosten enthalten, die regelmäßig von Sachverständigen in ihren Abrechnungen in Rechnung gestellt werden. Dies beinhaltet z.B. auch Schreibkosten, Fahrtkosten, Kosten für Lichtbilder und für Porto und Telefon. Solche Positionen sind im Rahmen der Sachverständigenkosten regelmäßig erstattungsfähig und zwar auch pauschal, unabhängig davon, ob sie im konkreten Fall tatsächlich in dieser Höhe angefallen sind.
Nach der o.g. BVSK-Honorarbefragung HB III rechnen 95% der BVSK-Mitglieder für die Nebenkosten unterhalb dieses Wertes ab.
. Kläger BVSK HB III Differenz
Porto/Telefon pauschal 18,00 18,17 0
Schreibkosten je Seite 2,80 2,86 0
Fotos 2,50 2,55 0
Farbkopien Lichtbilder/ 2. Fotosatz 1,50 1,67 0
Fahrtkosten je km 1,10 1,16 0
Schreibkosten je Kopie 1,20 1,43 0
Die Nebenkosten, die der Kläger dem Unfallgeschädigten in Rechnung gestellt hat sind somit nicht überhöht.
Der Kläger hat daher unter Berücksichtigung der vorgerichtlich geleisteten Zahlung einen Anspruch auf Zahlung von noch 149,70 €.
Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB. Dem Kläger stehen Zinsen ab Zustellung des Mahnbescheids zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.