Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und Leser,
zum verschneiten Samstagvormittag geben wie Euch hier noch ein Urteil aus Rosenheim zu den Sachverständigenkosten gegen die Allianz-Versicherung bekannt. In diesem Fall hat das Unfallopfer gegen den Schädiger und die Allianz-Versicherung als Gesamtschuldner wegen der restlichen Sachverständigenkosten vor dem örtlich zuständigen Amtsgericht Rosenheim geklagt. Die Unfallstelle auf der Bundesautobahn A 8 (München-Salzburg) lag im Bereich des Amtsgerichts Rosenheim. Besser wäre es gewesen, nur den Unfallverursacher zu verklagen, damit auch dieser Kenntnis von den rechtwidrigen Machenschaften seiner Versicherung erhält. Aber auch als Gesamtschuldner kam der beklagte Fahrzeugführer so auch in den Genuß, zur gesamtschuldnerischen Zahlung verurteilt zu werden, denn die Kürzung der Allianz war rechtswidrig. Zutreffend hat der Geschädigte – ohne Abtretungsvereinbarung – den Restschadensbetrag selbst eingeklagt. So lange der Geschädigte selbst klagt, gibt es offensichtlich keine Diskussionen. Die Grundsatzentscheidung des BGH vom 11.2.2014 – VI ZR 225/13 – (=BGH DS 2014, 90 = BeckRS 2014, 04270 = NJW 2014, 1947) ist in derartigen Rechtsstreiten eben Leitlinie für diese Klagen. Lest selbst und gebt bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße und noch ein schönes Wochenende
Willi Wacker
Amtsgericht Rosenheim
Az.: 15 C 348/14
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Rechtsstreit
…
gegen
1) …
– Beklagter –
2) Allianz Versicherungs-AG, vertreten durch d. Vorstand, Theodor-Stern-Kai 1, 60596 Frankfurt
– Beklagte –
wegen Schadensersatz
erlässt das Amtsgericht Rosenheim durch die Richterin S. am 20.06.2014 ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495a ZPO folgendes
Endurteil
1. Die Beklagten werden verurteilt, samtverbindlich an den Sachverständigen … 207,89 € zu dessen Gutachterrechnung … vom 03.12.2013 zu bezahlen.
2. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 207,89 € festgesetzt.
Tatbestand
Von der Erstellung eines Tatbestands wird abgesehen gem. § 313 a ZPO.
Entscheidungsgründe
A)
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung von weiteren Sachverständigenkosten in Höhe von 207,89 € gegenüber den Beklagten.
Der klägerische Antrag gemäß Schriftsatz vom 07.02.2014 wies einen offensichtlichen Tippfehler auf, indem Zahlung von 287,89 € statt 207,89 € beantragt wurde. Dies ergab sich aus der Angabe des Gegenstandswerts von 207,89 € und der Klagebegründung, die nur eine Summe von 207,89 € begründete. Den Parteien wurde rechtliches Gehör gewährt und der Antrag daraufhin dahingehend ausgelegt, dass Zahlung von 207,89 € beantragt wurde – dies wird dem Kläger auch zugesprochen. Anträge sind als Prozesshandlungen der Parteien der Auslegung zugänglich. Die zur Auslegung materiell-rechtlicher Rechtsgeschäfte entwickelten Regeln sind entsprechend heranzuziehen. Danach kann nicht der bloße Wortlaut des Antrags entscheidend sein, sondern der durch ihn verkörperte Wille (Musielak ZPO, 11. Auflage 2014, § 308 Rn. 3). Der Parteiwille richtete sich in diesem Fall eindeutig auf Beantragung der Zahlung von 207,89 €.
Unstreitig verschuldete der Beklagte zu 1) mit dem bei der Beklagten zu 2) versicherten Fahrzeug am 27.11.2013 auf der BAB München-Salzburg, Ausfahrt Rosenheim, einen Verkehrsunfall. Das alleinige Verschulden des Beklagten zu 1) steht fest. Dementsprechend hat der Schädiger gem. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB den zur Wiederherstellung der beschädigten Sache erforderlichen Geldbetrag zu zahlen. Der Kläger durfte einen Sachverständigen mit der Schätzung des Schadens für an seinem durch den Unfall beschädigten Pkw beauftragen und von dem Beklagten gem. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als Herstellungsaufwand den Ersatz objektiv erforderlicher Sachverständigenkosten ersetzt verlangen.
Der Geschädigte genügt seiner Darlegungslast zur Schadenshöhe regelmäßig durch Vorlage einer Rechnung des von ihm zur Schadensbeseitigung in Anspruch genommenen Sachverständigen. Die tatsächliche Rechnungshöhe bildet bei der Schadenschätzung nach § 287 ZPO ein wesentliches Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrages im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB.
Die Kürzung der gesamten Rechnungshöhe von 719,59 € auf den bezahlten Betrag von 511,70 € durch die Beklagte zu 2) erfolgte unberechtigt. Gemäß neuer Rechtsprechung des BGH vom 11.02.2014, VI ZR 225/13, dürfen die dem Kläger vom Schadensgutachter in Rechnung gestellten Kosten nicht allein auf der Grundlage einer Honorarumfrage eines Sachverständigenverbandes gekürzt werden. Es muss die besondere Bedeutung der vorgelegten Rechnung für den konkreten Einzelfall an die Lage des Geschädigten bei Beauftragung eines Sachverständigen bedacht werden. Nur wenn der Geschädigte erkennen kann, dass der von ihm ausgewählte Sachverständige Honorarsätze für seine Tätigkeit verlangt, die die in der Branche üblichen Preise deutlich übersteigen, gebietet das schadensrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot, einen zur Verfügung stehenden günstigeren Sachverständigen zu beauftragen (vgl. auch BGH vom 15.10.2013 – VI ZR 528/12).
Dass der Geschädigte vor Beauftragung des Sachverständigen erkennen konnte, dass dieser überhöhte Preise ansetzen würde, hat die Beklagtenseite nicht vorgetragen. Die Beklagtenseite hätte vortragen müssen, dass der Geschädigte gegen seine Pflicht zur Schadensminderung aus § 254 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB verstoßen hat, indem er bei der Schadensbeseitigung Maßnahmen unterlassen hat, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Schadensminderung ergriffen hätte. Allein der Umstand, dass die vom Schadensgutachter vorliegend abgerechneten Nebenkosten teilweise die aus der BVSK-Honorarbefragung ersichtlichen Höchstsätze überschreiten und teilweise in dieser Honorarbefragung gar nicht erwähnt werden, rechtfertigt die Annahme eines solchen Verstoßes des Klägers allerdings noch nicht.
Es ist höchstrichterlich festgestellt, dass der Geschädigte zu einer Recherche nach einem Sachverständigen mit einem günstigeren Honorarangebot nicht verpflichtet ist. Ebenfalls muss ihm das Ergebnis der Umfrage bei den Mitgliedern des Sachverständigenverbandes über die Höhe der üblichen Honorare nicht bekannt sein. Damit fallen aber die geltend gemachten Kosten nicht von vornherein aus dem Rahmen des für die Behebung des Schadens erforderlichen Geldbetrags nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB (BGH vom 11.02.2014, VI ZR 225/13).
Der BGH hat klargestellt, dass eine Überprüfung der Sachverständigenrechnung nach Einzelfallkriterien zu erfolgen hat. Indiz für die Erforderlichkeit ist die Höhe der jeweiligen Rechnung. Eine Kürzung ist nur dann zulässig, wenn dargelegt wurde, dass der Geschädigte wegen seiner Pflicht zur Schadensminderung verstoßen hat. Dazu hätte er vor Beauftragung des Sachverständigen erkennen müssen, dass dieser überhöhte Sätze, etwa für die Nebenkosten, ansetzen würde. Dann wäre er verpflichtet gewesen einen günstigeren Sachverständigen aufzusuchen. Dies wurde durch die Beklagten nicht vorgetragen und bewiesen. Daher ist die Sachverständigenrechnung in voller Höhe von 719,59 € brutto als erforderlich anzusehen und dem Kläger zu ersetzen.
B)
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Da sich im Antrag laut Klageschrift ein eindeutiger Tippfehler bzgl der Klagesumme befand, der durch das Gericht gemäß §§ 133, 157 BGB entsprechend ausgelegt wurde, lag in der Richtigstellung durch die Klagepartei keine Klagerücknahme gemäß § 269 ZPO mit der entsprechenden Kostenfolge.
C)
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708, 713 ZPO.