Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,
offenbar gibt es immer noch Gerichte, die die Erforderlichkeit der Herstellungskosten an der Angemessenheit der Sachverständigenkosten nach der BVSK-Tabelle ausrichten. Dabei hat der BGH doch selbst entschieden, dass der Geschädigte den BVSK und dessen Liste nicht kennen muss. Wenn aber der Geschädigte weder den Verband noch deren Honorarbefragungen kennen muss, dann kann auch das Gericht nicht diese Tabellenwerte als Maßstab ansehen. Entscheidend ist die subjektbezogene Ex-ante-Sicht des Geschädigten im Zeitpunkt der Beauftragung. Beauftragt der Geschädigte einen öffentlich bestellten und vereidigten Kfz-Sachverständigen ist ihm noch nicht einmal der Vorwurf des Auswahlverschuldens zu machen. Dann kann der Geschädigte die vom Sachverständigen berechneten Kosten als Indiz für die Erforderlichkeit der Herstellungskosten hinnehmen und diese erstattet verlangen. Dem Gericht ist eine Preiskontrolle untersagt, wenn der Geschädigte mit der Beauftragung des Sachverständigen den Rahmen des Erforderlichen einhält. Alle diese Grundsätze wirft die Amtsrichterin des AG Nürnberg über den Haufen. Lest daher selbst dieses kritisch zu betrachtende Urteil des AG Nürnberg und gebt bitte Eure Kommentare ab.
Viele Grüße
Willi Wacker
Amtsgericht Nürnberg
Az.: 35 C 9168/14
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Rechtsstreit
…
– Kläger –
gegen
1) HUK-COBURG-Allgemeine Versicherung AG, vertreten durch d. Vorstand, Bahnhofsplatz, 96450 Coburg
– Beklagte –
2) HUK Coburg Haftpflicht-Unterstützungskasse kraftfahrender Beamter Deutschlands a.G., vertreten durch d. Vorstand, Bahnhofsplatz, 96450 Coburg
– Beklagter –
wegen Schadensersatz
erlässt das Amtsgericht Nürnberg durch die Richtefin am Amtsgericht G. am 04.03.2015 auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 04.02.2015 folgendes
Endurteil
1. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, an den Kläger 48,48 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.12.2014 zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen der Kläger zu 67 % und die Beklagte zu 2) zu 33 %. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) trägt der Kläger. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) tragen der Kläger zu 35 % und die Beklagte zu 2) zu 65 %.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 74,54 € festgesetzt.
(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)
Entscheidungsgründe
Die Klage ist in der Hauptsache in Höhe von € 48,48 begründet; im Übrigen war sie abzuweisen.
Der Kläger kann gem. §§ 7, 17 StVG, §§ 823, 249 BGB, § 115 VVG aus abgetretenem Recht die Gutachterkosten in tenorierter Höhe verlangen.
Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Die Abtretungsvereinbarung ist ausreichend bestimmt. Ausweislich der als Anlage K 1 vorgelegten Abtretungserklärung vom 26.07.2014 hat der Unfallgeschädigte seine Ansprüche auf Zahlung der Sachverständigenkosten an den Kläger abgetreten und diesen berechtigt, die Ansprüche im eigenen Namen gegenüber dem Unfallgegner und dessen Kfz-Haftpflichtversicherung geltend zu machen. Die Bezeichnung des genauen Unfalls mit Unfallort, -datum und -uhrzeit sowie Personalien des Geschädigten und Schädigers ist ausreichend, um die abgetretenen Ansprüche konkret benennen zu können.
I.
Die grundsätzliche Erstattungsfähigkeit von Kosten für die Erstellung eines Schadensgutachtens gem. § 249 BGB steht außer Zweifel. Hierbei handelt es sich um Aufwendungen des Geschädigten, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung geboten sind.
II.
Diesen erforderlichen Aufwand schätzt das Gericht gem. § 287 ZPO mit insgesamt € 471,48 anhand der BVSK-Befragung 2013.
Zur Erläuterung ist insoweit wie folgt auszuführen:
1.
Mit der Auftragserteilung an den Sachverständigen wurde ein Werkvertrag geschlossen, der den Geschädigten zur Bezahlung eines entsprechenden Werklohnes gem. § 632 BGB verpflichtete. Da nach eigenem Klägervortrag keine Absprache über die Höhe des Honorars getroffen wurde, ist gem. § 632 Abs. 2 BGB die übliche Vergütung zu bezahlen (s. BGH NJW 06, 2472). Nur diese Vergütung ist geschuldet (nicht etwa eine höhere einseitige Inrechnungstellung des Sachverständigen), so dass auch nur dieser Betrag erstattungsfähig sein kann.
Wie der BGH a.a.O. ausgeführt hat, bewegt sich regelmäßig die übliche Vergütung auf dem Markt innerhalb einer bestehenden Bandbreite. Diese Spanne ermittelt das Gericht anhand der BVSK-Befragung 2013, HB V, arithmetisches Mittel. Insoweit erscheint diese Liste eine geeignete Bemessungsgrundlage zur Bestimmung des marktüblichen Preises.
Die Befragung durch den BVSK stellt eine Umfrage des größten Zusammenschlusses der freiberuflichen qualifizierten Kfz-Sachverständigen in Deutschland dar. Wie sich aus der Vorbemerkung o. g. Liste ergibt, wurden hierbei die Sachverständigen nach dem üblicherweise berechneten Honorar befragt.
Keinesfalls kann ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass die dort wiedergegebenen Preise nicht von Angebot und Nachfrage bestimmt wurden, sondern durch gleichförmiges Verhalten der Anbieter, wie dies im Ersatzmietwagengeschäft der Fall ist. Für einen solchen „Sondermarkt“ fehlt es bei der Vergütung der Sachverständigen an jeglichen konkreten Anhaltspunkten, worauf auch der BGH (NJW 07, 1450) hinweist.
Das vom Beklagtenvertreter zitierte „Gesprächsergebnis mit der HUK Coburg“, das letztlich unter Beteiligung der Beklagtenpartei zustandegekommen ist, erscheint demgegenüber als keine geeignete Grundlage zur Bestimmung des üblichen Honorars.
2.
Ausgehend von der BVSK-Befragung ist die Bestimmung des Grundhonorars in Relation zur Schadenshöhe durchaus üblich. Nach der Vorbemerkung dieser Liste wurde festgestellt, dass kein einziger der befragten Sachverständigen nach Zeitaulwand abrechnet. Dementsprechend hat auch der BGH eine an der Schadenshöhe orientierte angemessene Pauschalierung des Sachverständigenhonorars nicht beanstandet (s. BGH NJW 2006, 2472).
3.
Für den vorliegenden Schadensfall ergeben sich bei Zugrundelegung der BVSK-Liste und dem arithmetischen Mittel des HB V-Korridors damit folgende übliche Vergütungsbeträge:
3.1.
Das Grundhonorar ist mit 308,50 € in Ansatz zu bringen.
Der klägerische Kfz.-Schaden ist nach den Reparaturkosten netto, mithin in Höhe von € 1.259,47 anzusetzen.
Innerhalb der sich für diese Schadenshöhe in HB V ergebenden Bandbreite ist im Rahmen der Schätzung durch den Tatrichter regelmäßig vom Mittelwert auszugehen, soweit nicht Besonderheiten des Einzelfalles eine Abweichung rechtfertigen (s. Rn. 16 zu § 632 BGB, Palandt).
Unter Beachtung dieser Grundsätze ergibt sich ein Grundhonorar, wie angegeben, mit 308,50 €.
3.2.
Die Nebenkosten schätzt das Gericht nach dem Mittelwert entsprechend der Auswertung der Nebenkosten in der BVSK-Befragung.
Das arithmetische Mittel der Fahrtkostenpauschale liegt bei € 24,81. Dass das geschädigte Fahrzeug fahrbereit und verkehrssicher war, ändert an der Erstattungsfähigkeit der Fahrtkosten nichts. Dem Geschädigten ist es wegen der Gefahr eines erneuten Unfalls nicht zuzumuten, die Fahrtstrecke zum Sachverständigen auf sich zu nehmen.
Für die gefertigen 12 Lichtbilder ist pro Foto, 1. Satz, der It. HB V mittige Betrag von Eur 2,38 , insgesamt € 28,56 in Ansatz zu bringen.
Für den 2. Fotosatz ergeben sich Kosten von 12 mal 1,50 €, somit insgesamt 18,00 €. Die Anzahl der Lichtbilder hält das Gericht für erforderlich.
Für Porto und Telefon sind gemäß Liste im Mittel 16,33 € anzusetzen.
Schreibkosten wurden vom Kläger gegenüber dem Geschädigten nicht abgerechnet und können somit auch nicht von der Beklagten gefordert werden.
3.3.
Damit ergibt sich eine Gesamtvergütung von € 396,20 netto, mithin € 471,48 brutto, die dem Geschädigten als Schaden zu erstatten ist.
Auf die Vorsteuerabzugsberechtigung des hiesigen Klägers als Zessionar kommt es nicht an, da streitgegenständlich der Schadenersatzanspruch des abtretenden Geschädigten ist, für den eine Vorsteuerabzugsberechtigung nicht ersichtlich ist.
4.
Unter Berücksichtigung der vorgerichtlichen Zahlung von € 423,00 ist damit die Klageforderung noch in Höhe von € 48,48 begründet.
Die weitergehende Klageforderung war abzuweisen. Insoweit ist das in Rechnung gestellte Sachverständigenhonorar nicht mehr im Sinne von § 632 Abs. 2 BGB üblich und klägerseits auch gegenüber dem Sachverständigen nicht geschuldet.
Zinsen: § 288 BGB.
Kosten: § 92 ZPO.
Es liegt ein Fall des Parteiwechsels vor, da das streitgegenständliche Versicherungsverhältnis mit der Beklagte zu 2) besteht und somit die zunächst Beklagte zu 1) nicht passivlegitimiert war. Da die Beklagten zu 1) und zu 2) nicht identisch sind und keine bloße Falschbezeichnung vorlag, ist kein Fall der Rubrumsberichtigung, sondern des Parteiwechsels gegeben. Zwar ist richtig, dass das Abrechnungsschreiben vom 13.08.2014 im Briefkopf offen lässt, ob die Beklagte zu 1) oder die Beklagte zu 2) anwortet. In der Unterschrift ist aber eindeutig der richtige Anspruchsgegner, nämlich die Beklagte zu 2) ersichtlich.
Die Beklagte zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung durch ihren Prozessvertreter dem Parteiwechsel zugestimmt.
Die Kosten waren daher wie tenoriert zu quoteln.
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen die Entscheidung, mit der der Streitwert festgesetzt worden ist, kann Beschwerde eingelegt werden, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt oder das Gericht die Beschwerde zugelassen hat.
Die Beschwerde ist binnen sechs Monaten bei dem
Amtsgericht Nürnberg
FürtherStr. 110
90429 Nürnberg
einzulegen.
Die Frist beginnt mit Eintreten der Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache oder der anderweitigen Erledigung des Verfahrens. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der sechsmonatigen Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht.
Die Beschwerde ist schriftlich einzulegen oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle des genannten Gerichts. Sie kann auch vor der Geschäftsstelle jedes Amtsgerichts zu Protokoll erklärt werden; die Frist ist jedoch nur gewahrt, wenn das Protokoll rechtzeitig bei dem oben genannten Gericht eingeht. Eine anwaltliche Mitwirkung ist nicht vorgeschrieben.
Sehr geehrte Redaktion, sehr geehrter Herr Willi Wacker,
dieses Urteil zeigt doch wieder, dass der Vorwurf der Versicherungswirtschaft, dieser Blog sei versicherungsfeindlich, völliger Quatsch ist. Dafür, dass ihr auch solche „Schrotturteile“ hier veröffentlicht, meine Hochachtung.
Grüße aus dem Süden
Norbert P.
Hallo,
in diesem Urteil wurde nicht einmal auf die BGH-Urteile von 2014 Bezug genommen. Hat denn die klagende Partei hierzu nicht vorgetragen oder wurde es durch das Gericht ignoriert?
MfG SV-Mann
@ SV-Mann
Das Gericht hat auf das Urteil des BGH vom 23.1.2007 Az. VI ZR 67/06, abgedruckt in NJW 2007, 1450, hingewiesen. Die Urteile aus dem Jahre 2014 sind verschwiegen worden.
Dafür hat das Gericht aber mit den Worten festgestellt, dass “ das vom Beklagtenvertreter zitierte “Gesprächsergebnis mit der HUK Coburg”, das letztlich unter Beteiligung der Beklagtenpartei zustandegekommen ist, (erscheint) demgegenüber als keine geeignete Grundlage zur Bestimmung des üblichen Honorars erscheint.“ Das Gesprächsergebnis, an dem die HUK-Coburg beteiligt war, und das Honorartableau, das von der HUK-Coburg selbst gefertigt wurde, sind keine geeigneten Schätzgrundlagen. Das ist doch wichtig!