AG Albstadt entscheidet zu der Bagatellschadensgrenze und zum Rechtsdienstleistungsgesetz mit Urteil vom 28.3.2014 – 5 C 663/13 -.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,

wir setzen unsere Reihe mit den Urteilen zur Bagatellschadensgrenze fort und veröffentlichen heute ein Urteil aus Albstadt (Baden-Württemberg) zu den Sachverständigenkosten mit dem Bezug auf die Bagatellschadengrenze und das Rechtsdienstleistungsgesetz. In dem hier vorliegenden Verfahren hate der Sachverständige den Schadensersatzanspruch des Geschädigten gegen den Versicherer aus abgetretenem Recht geltend gemacht. Im Streit waren kalkulierte Reparaturkosten von knapp eintausend Euro. Die tatsächlich angefallenen Reparaturkosten beliefen sich dann auf  knapp 827,– €.  Nach Ansicht der eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherung sollte es sich in diesem Fall um einen Bagatellschaden handeln, bei dem die Einholung eines Schadensgutachten nicht erforderlich gewesen wäre. Diese Ansicht ist aber eindeutig falsch. Der BGH hat eine Bagatellschadensgrenze von rund 715,– € revisionsrechtlich nicht beanstandet. Da es jedoch keine feststehende, starre Grenze geben kann, dürfte bei Schäden über 700,– € grundsätzlich ein Schadensgutachten erforderlich und die dadurch entstehenden Sachverständigenkosten als erforderlicher Herstellungsaufwand zu ersetzen sein.  Lest daher das Urteil des AG Albstadt vom 28.3.2014 selbst und gebt bitte Eure Kommentare ab.

Viele Grüße
Willi Wacker

Aktenzeichen:
5 C 663/13

Verkündet am
28.03.2014

Amtsgericht Albstadt

Im Namen des Volkes

Urteil

In dem Rechtsstreit

– Kläger –

gegen

– Beklagte –

wegen Schadensersatz

hat das Amtsgericht Albstadt
durch den Direktor des Amtsgerichts D.
am 28.03.2014 auf die mündliche Verhandlung vom 04.03.2014

für Recht erkannt:

1.                Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 395,32 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 19.11.2013 zu bezahlen.

2.               Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger 70,20 € außergerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 19.11.2013 zu bezahlen.

3.               Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4.               Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg. Die Beklagte ist nach §§ 7 StVG, 115 WG in Verbindung mit § 1 Pflichtversicherungsgesetz, §§ 823, 249, 398 BGB verpflichtet, die ausgestellten Beträge an den Kläger zu bezahlen.

Im einzelnen:

I.

1.         Dass der Geschädigte des Verkehrsunfalls vom 18.1.2013 dem Kläger den Auftrag zur Erstellung eines Sachverständigengutachtens tatsächlich erteilt hat, geht eindeutig aus der von dem Geschädigten unterzeichneten Abtretungserklärung vom 27.3./3.4.2013 hervor (Blatt 23 der Akten), in der die Auftragserteilung ausdrücklich bestätigt ist. Vor dem Hintergrund dieser Vertragsurkunde, die die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der in ihr enthaltenen Erklärungen begründet, bleibt das Bestreiten der Auftragserteilung von Seiten der Beklagten unbeachtlich.

2.         Ihm zustehende Ansprüche auf Erstattung der Sachverständigenkosten hat der Geschädigte wirksam an den Kläger abgetreten (Blatt 23 der Akten). Die Abtretungserklärung ist nicht gemäß § 134 BGB wegen eines Verstoßes gegen das RDG nichtig. Die Einziehung des Anspruchs des Geschädigten auf Erstattung von Gutachterkosten gegen die Haftpflichtversicherung des Unfallschädigers durch den Sachverständigen stellt, wie das Amtsgericht Albstadt bereits mehrfach entschieden hat (Urteile vom 12.7.2013 in Sachen 5 C 192/13 und 5 C 191/13), gegenüber der eigentlichen Tätigkeit des Sachverständigen lediglich eine Nebenleistung dar, die nach § 5 RDG erlaubt ist. Die Abtretung ist nach alledem wirksam, der Kläger aktivlegitimiert.

3.         Der Geschädigte war zur Erteilung des Gutachterauftrages berechtigt.
Die Ersatzpflicht des Schädigers erstreckt sich auf die zur Feststellung des Schadens und zur Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs verursachten Kosten. Der Schädiger hat daher die Kosten eines Sachverständigengutachtens zu ersetzen, soweit diese zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig geworden sind. Dies gilt selbst dann, wenn das Gutachten objektiv ungeeignet ist oder seine Kosten übersetzt sind.

Sachverständigenkosten sind dann erforderlich, wenn sie aus Sicht eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Situation des Geschädigten und aus dessen Sicht zum Zeitpunkt der Auftragserteilung zweckmäßig und angemessen erschienen sind (vgl. BGH NJW 2005, 356 f.).

Im vorliegenden Falle durfte der Geschädigte die Einholung eines Sachverständigengutachtens für angemessen und zweckmäßig erachten. An dem Pkw des Geschädigten war Schaden entstanden, dessen Umfang und Intensität sich nicht durch die bloße Inaugenscheinnahme des Unfallfahrzeuges abschätzen bzw. ermitteln ließ, zumal durch das Auffahren des Schädigerfahrzeuges bei gebrochenem Heckstoßfänger durchaus weitere, vor einer Demontage des Stoßfängers nicht feststellbare weitere Schäden im Heckbereich zu besorgen waren. Allein dies schon hat nach hier vertretener Auffassung die Erteilung eines Gutachterauftrages gerechtfertigt. Der später ermittelte Schadensumfang kann dann auch ein wesentlicher Gesichtspunkt für die Beurteilung sein, ob eine Begutachtung erforderlich war. Im vorliegenden Fall hat der Kläger notwendige Reparaturkosten von 984,24 € brutto kalkuliert, die später tatsächlich ausgeführte Reparatur hat dann 826,95 € brutto gekostet. Diese Beträge bestätigen nach Meinung des Gerichts, dass eine Begutachtung des Fahrzeuges tatsächlich erforderlich gewesen ist und aus maßgebender Sicht des Geschädigten für erforderlich gehalten werden durfte. Ein Gutachterauftrag hätte von dem Geschädigten nur dann nicht erteilt werden dürfen, wenn an seinem Fahrzeug – erkennbar – nur ein Bagatellschaden eingetreten wäre. Von einem Bagatellschaden kann nach Meinung des Gerichts aber nicht die Rede sein, wenn die Schadensbehebung wie hier Kosten in Höhe von über 800,00 € auslöst. Die Grenze des Bagatellschadens bis zu einem von der Beklagten angenommenen Betrag von 1.300,00 € zu erstrecken, ist nach hier vertretener Auffassung nicht angängig. Der Verweis der Beklagten auf § 142 StGB bzw. den in § 69 StGB genannten „bedeutenden Schaden“ verfängt nicht. Ein Schaden von mehr als 800,00 € ist durchaus bedeutend und Mitnichten eine Bagatelle. Im Übrigen fordert die Rechtsordnung keinesfalls, den „bedeutenden Schaden“ im Zivil- und im Strafrecht einheitlich zu definieren im Hinblick auf die durchaus unterschiedlichen Normzwecke.

Soweit die Beklagte auf fiktive Nettoreparaturkosten von 546,51 € verweist, geht dieser Hinweis fehl. Für die Frage des Bagatellschadens ist nicht auf fiktive Reparaturkosten sondern auf die tatsächlich anfallenden oder angefallenen Kosten abzustellen.

Zusammenfassend kommt das Gericht deshalb zu dem Ergebnis, dass bei Kfz-Unfällen der Geschädigte – von erkennbaren Bagatellschaden bis äußerstenfalls 800,00 € abgesehen – einen Sachverständigen hinzuziehen darf und zwar selbst dann, wenn bereits der Schädiger einen Sachverständigen beauftragt hat (vgl. zum Ganzen BGH NJW 2005, 356; Palandt, BGB, 71. Auflage, § 249, Rd.-Ziffer 58 mit weiteren Nachweisen). Demzufolge hat im vorliegenden Falle der Geschädigte den Kläger beauftragen dürfen, wie es – wie oben dargestellt – auch tatsächlich geschehen ist.

Auch der Umstand, dass die Beklagte eine Reparaturfreigabe erteilt hat (ohne substantiiert darzutun, wann dies geschehen ist), hat dem Geschädigten ebensowenig das Recht entzogen, den konkreten Reparaturaufwand durch einen Sachverständigen ermitteln zu lassen, wie wenn die Beklagte zuvor schon selbst einen Gutachterauftrag erteilt hätte.

4.        Die dem Geschädigten von dem Kläger in Rechnung gestellten Sachverständigenkosten sind auch der Höhe nach nicht zu beanstanden (zumal, wie eingangs angemerkt, das Risiko überhöhter Kosten nach hier vertretener Auffassung ohnehin mit dem Schädiger bzw. der Beklagten heimgehen würde). Die von dem Kläger berechneten Kosten halten sich im Rahmen des Erforderlichen.

a) Für die berechneten Beträge stehen die Vergleichswerte der BVSK-Honorarbefragung zu Verfügung. Das berechnete Grundhonorar fällt in den dort dargestellten maßgeblichen Honorarkorridor. Die berechneten Nebenkosten orientieren sich ebenfalls an der BVSK-Honorarbefragung und sind nach Grund und Höhe aus den von dem Kläger dargetanen Gründen (Blatt 14/21 und Blatt 119/122 der Akten), die sich das Gericht zu eigen und zur Grundlage seiner Entscheidung macht, nicht zu beanstanden. Die Erforderlichkeit der geltend gemachten Kosten ist nach alledem insgesamt zu bejahen.

b) Die Beklagte hat auch nicht substantiiert aufgezeigt, dass die Beauftragung eines ortsnäheren Sachverständigen geringere Kosten ausgelöst hätte, der Geschädigte mithin gegen seine Schadensgeringhaltungspflicht verstoßen habe. Diesbezüglich ist die Beklagte jeden substantiierten Vortrag schuldig geblieben.

II.

Die zuerkannten Nebenforderungen sind nach §§ 286, 291, 823, 398 BGB gerechtfertigt.

III.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

IV.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Berufung liegen offenkundig nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung ist nicht erforderlich.

Urteilsliste “SV-Honorar” zum Download >>>>>

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