Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,
wir setzen unsere Reihe mit Urteilen, bei denen es um die Sachverständigenkosten bei geringen Schadensbeträgen geht, und bei denen regelmäßig der Schädiger die Verletzung der Schadensminderungspflicht, besser: Schadensgeringhaltungspflicht, einwendet, fort. Hier und heute veröffentlichen wir ein etwas älteres Berufungsurteil des LG Stuttgart zu den Sachverständigenkosten bei einem Sturmschaden. Im Rede stehenden Rechtsstreit ging es um Sachschäden in Höhe von 759,80 € netto. Der Sachverständige berechnete für das Gutachten 211,22 €. Die Sachverständigenkosten wurden bereits vom Amtsgericht Stuttgart zugesprochen. Die Berufung dagegen hatte keinen Erfolg. Mit zutreffender Begründung bestätigte die Berufungskammer auch in diesem Einzelfall die Erstattungsfähigkeit der Sachverständigenkosten. Lest selbst das Urteil und gebt bitte Eure Stellungnahmen ab.
Viele Grüße und ein schönes Wochenende
Willi Wacker
Geschäftsnummer: Verkündet am
4 S 255/07 19. November 2008
9C 1905/07
Amtsgericht
Stuttgart
Landgericht Stuttgart
4. Zivilkammer
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
– Kläger/ Berufungsbeklagter –
gegen
1.
– Beklagte / Berufungsklägerin –
2.
– Beklagter –
wegen Forderung
hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 19. November 2008 unter Mitwirkung von
Vors. Richterin am Landgericht …
Richterin am Landgericht …
Richterin am Landgericht …
für Recht erkannt:
1. Die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 02.10.2007 – Az.: 9 C 1905/07 – wird zurückgewiesen.
2. Die Berufungsklägerin trägt die Kosten der Berufung.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird zugelassen.
Streitwert der Berufung: 991,02 €
Tatbestand:
Der Kläger / Berufungsbeklagte (im folgenden: Kläger) hat mit seiner Klage Schadensersatz wegen einer Beschädigung seines PKW durch einen bei der Beklagten Ziffer 1 / Berufungsklägerin (im folgenden: Beklagte Ziffer 1) haftpflichtversicherten Anhänger gefordert. Der Beklagte Ziffer 2 war zum Zeitpunkt des Vorfalls der Halter des Anhängers.
Am 18.01.2007 hatte der Kläger seinen PKW mit dem amtlichen Kennzeichen … in der Markus-Schleicher-Straße in Stuttgart auf Höhe des Gebäudes Nr. 121 A abgestellt. Infolge des Sturmes Kyrill wurde der vor dem klägerischen Fahrzeug abgestellte Anhänger des Beklagten Ziffer 2 mit dem amtlichen Kennzeichen … , den dieser bereits seit längerem an den Zeugen … verliehen gehabt hatte, gegen den PKW des Klägers gedrückt und beschädigte diesen.
Der Sturm war angekündigt. Die Sturmwarnung war dem Entleiher … bekannt, weshalb er die Heckstützen und das Bugrad des Anhängers hochgestellt hatte.
Der Kläger hat aufgrund dieses Vorfalls von den Beklagten die Zahlung der Netto-Reparaturkosten von 759,80 €, einer Unkostenpauschale von 25,00 €, von Sachverständigenkosten von 211,22 € und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten von 78,90 € verlangt.
Er hat beantragt,
die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn 996,02 € zuzüglich 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit 18.01.2007 zu bezahlen.
Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 02.10.2007 die Beklagte Ziffer 1 zur Zahlung von 991,02 € (759,80 € Reparaturkosten, 20,00 € Unkostenpauschale, 211,22 € Sachverständigenkosten) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2007 sowie zur Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwältskosten in Höhe von 78,90 € verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen. Auch soweit sie gegen den Beklagten Ziffer 2 als Halter des Anhängers gerichtet war, ist die Klage abgewiesen worden.
Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte Ziffer 1 gegen die vom Amtsgericht bejahte Haftung gemäß § 3 PflVG in Verbindung mit dem KFZ-Haftpflichtversicherungsvertrag bzgl. des Anhängers und i.V.m. den §§ 10, 10a AKB. Sie vertritt die Auffassung, vorliegend sei der Schaden nicht beim „Gebrauch“ des Anhängers entstanden, der Entleiher … sei nicht mitversichert im Rahmen des § 10 a AKB, und dem Entleiher sei auch keine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht anzulasten, da er den Anhänger durch Hochdrehen der Heckstützen und des Bugrades hinreichend gegen ein Wegrollen gesichert habe. Sie wendet sich weiter gegen die Zuerkennung von Gutachterkosten, weil es sich ihrer Ansicht nach um einen Bagatellschaden handelt, bei dem die Einschaltung eines Privatsachverständigen nicht erforderlich gewesen sei.
Die Beklagte Ziffer 1 beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Stuttgart vom 02.10.2007 – Az.: 9 C 1905/07 – die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze einschließlich der Anlagen vollumfänglich Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
Das Amtsgericht hat zu Recht eine Haftung für den dem Kläger entstandenen Schaden bejaht.
Nach den §§ 3 PflVG, 823 BGB in Verbindung mit dem Haftpflichtversicherungsvertrag bzgl. des Anhängers und den darin mit vereinbarten §§ 10 und 10 a AKB hat die Beklagte für den entstandenen Schaden einzutreten, wenn ein Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht durch den Entleiher … gegeben ist, dieser Schaden beim „Gebrauch“ des Anhängers entstanden ist, der Anhänger zum Zeitpunkt des Schadenseintritts – wie vorliegend gegeben – nicht mit einem Kraftfahrzeug verbunden und nicht in Bewegung war, und der Entleiher … gemäß §10 a Nr. 2 AKB mitversicherte Person ist.
Das Gericht bejaht eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht im Sinne von § 823 BGB durch den Entleiher … : es stellt keine ausreichende Absicherung gegen einen angekündigten Sturm und die damit verbundene Gefahr für einen Anhänger, der wesentlich leichter ist als ein KFZ, dar, lediglich die Heckstützen und das Bugrad hoch zu stellen, um so ein Wegrollen zu verhindern. Die infolge der ständigen Berichterstattung in den Medien hinlänglich und allgemein bekannte Gefahr von Stürmen besteht darin, dass Gegenstände hochgehoben und gegen andere Gegenstände oder Häuser geschleudert werden. Dies lässt sich durch das besagte Hochstellen nicht verhindern, das Risiko nicht vermindern. Das Amtsgericht hat insoweit zu Recht darauf abgehoben, dass es die Möglichkeit gegeben hätte, mindestens den Anhänger mit dem KFZ zu verbinden, was wenigstens etwas mehr an Schutz für andere Verkehrsteilnehmer gebracht hätte. Im Übrigen hätte der Entleiher den Anhänger zur Absicherung für die Zeit des Sturms in einer Garage oder Tiefgarage abstellen oder ihn aus dem öffentlichen Verkehrsraum entfernen können. Keine dieser drei Möglichkeiten wurde genutzt, worin entgegen der Ansicht der Berufung der fahrlässige Verstoß gegen die bestehenden Verkehrssicherungspflichten besteht.
Der Schaden ist auch beim „Gebrauch“ des Anhängers im Sinne des § 3 PflVG i.V.m. § 10, 10a AKB entstanden. Dieser Begriff geht nach der Rechtsprechung des BGH über den Bereich des § 7 StVG hinaus (BGHZ 75, 45; 78, 52), er ist weit zu fassen und dient der Abgrenzung zu den Fällen der privaten Haftpflicht- oder Betriebshaftpflichtversicherung. Bei der Auslegung dieses Begriffs ist maßgeblich auf das Interesse des Versicherungsnehmers bzw. der mitversicherten Personen abzustellen, durch den Einsatz des versicherten Fahrzeugs nicht mit Haftpflichtansprüchen belastet zu werden, unabhängig davon, auf welcher gesetzlichen Haftungsnorm diese beruhen, so BGH VersR 1995, 90 ff, zitiert nach JURIS für §10 AKB.
Zum Gebrauch gehört bei der somit grundsätzlich gebotenen weiten Auslegung nicht nur das Bewegen im Straßenverkehr, sondern auch das Abstellen, jedenfalls soweit es im öffentlichen Verkehrsraum erfolgt, einschließlich der damit verbundenen Sicherung gegen jedwede Gefahr, die von dem im öffentlichen Verkehrsraum abgestellten Fahrzeug ausgehen könnte. Damit sind auch Verletzungen von Verkehrssicherungspflichten erfasst, die im Zusammenhang mit dem Abstellen des Anhängers erfolgen. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung BGHZ 78, 52 den Gebrauch im Sinne von § 10 AKB sogar auf solche Fälle erstreckt, in denen das Kraftfahrzeug selbst überhaupt nicht an der Entstehung des Schadens beteiligt war, sondern „nur“ der Fahrer, der ausgestiegen und dabei war, die Fahrbahn zu überqueren.
Der Entleiher … ist als „Fahrer“ im Sinne von § 10a Ziffer 2 Satz 2 AKB mitversicherte Person. § 10a Ziffer 2 AKB regelt seinem Wortlaut nach diejenigen Fälle, in denen ein Anhänger nicht mit einem Kraftfahrzeug verbunden ist und sich nicht in Bewegung befindet, und erklärt gerade für diesen Bereich die Einstandspflicht der Haftpflichtversicherung des Anhängers. Soweit Satz 2 gerade auch für diesen Bereich des nicht in Bewegung befindlichen und nicht mit einem KFZ verbundenen Anhänger einen Fahrer als mit versicherte Person erklärt, kann dies vom vernünftigen Versicherungsnehmer nur dahingehend verstanden werden, dass eben derjenige gemeint ist, der den Anhänger gebraucht im Sinne der §§ 10 / 10a AKB. Denn ein derartiger im Stillstand befindlicher Anhänger hätte nach anderem Verständnis keinen Fahrer, obwohl ein solcher gerade genannt ist. Derartige Unklarheiten müssen, da es sich um AGB handelt, grundsätzlich zu Lasten des Verwenders der Klausel, also zu Lasten der Beklagten Ziffer 1 gehen, § 305 c BGB, es sei denn, eine Auslegung anhand der Vorstellung eines vernünftigen Versicherungsnehmers führt – wie vorliegend geschehen – zu einem vertretbaren Ergebnis.
Soweit die Beklagte Ziffer 1 sich gegen die Erstattungsfähigkeit der Gutachterkosten wendet, hält das Berufungsgericht diese mit dem Amtsgericht für erstattungsfähig. Der von Seiten der Beklagten Ziffer 1 zitierten Entscheidung des Amtsgerichts Hildesheim (SP 96, 295) stehen vier Entscheidungen von Amtsgerichten im gleichen Zeitraum gegenüber, die sämtlich eine Anhebung der Grenze auf 1.500,- DM (also 750,-€) für sachgerecht halten, nämlich AG Aalen SP 1996, 149; AG Siegen SP 1996, 295/296; AG Frankfurt SP 1996, 295; AG Steinfurt SP 1996, 295 (alle zitiert nach JURIS). Das Gericht schließt sich diesen letztgenannten Urteilen an, so dass angesichts der Tatsache, dass der Sachschaden sich hier auf 759,80 € netto beläuft, ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht nicht festgestellt werden kann, zumal die Beklagte Ziffer 1 nichts dafür vorgetragen hat, dass eine Einordnung als Bagatellschaden für den Kläger offensichtlich oder zumindest ohne weiteres erkennbar war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Ziffer 10, 711, 713 ZPO.
Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.