Hallo verehrte Captain-Huk-Leserschaft,
zum heutigen Sonnabend stellen wir Euch hier noch ein „vergessenes“ Urteil aus Stuttgart im Schadensersatzprozess um restliche Sachverständigenkosten aus abgetretenem Recht gegen die DEVK Versicherung vor. Und wieder war der Geschädigte – zumindest nach Ansicht des Gerichts – wohl kein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch, nachdem Abzüge bei den Sachverständigenkosten vorgenommen wurden. Nach der Ex-ante-Sicht, auf die es im Schadensersatz ankommt, konnte und durfte der Geschädigte davon ausgehen, dass die Kosten des von ihm zur Beweissicherung des Schadensumfangs und der Schadenshöhe zu berechnenfden Kosten zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruch erforderlich und zweckmäßig sein würden, zumal der sachverständige der Erfüllungsgehilfe des Schädigers ist (vgl. OLG Naumburg DS 2006, 283 ff.). Im Übrigen hat das Urteil zwar einige wirklich gute Ansätze, aber im Ergebnis erhielt der Geschädigte keinen vollständigen Schadensausgleich nach § 249 BGB, was jedoch Sinn und Zweck der Schadensersatzregelung nach den §§ 249 ff. BGB ist. Dass der Schadensersatzanspruch abgetreten worden ist, ändert nichts an der Rechtsnatur des abgetretenenn Schadensersatzanspruchs (vgl. BGH VI ZR 491/15 Rn. 22). Auch nach der Abtretungsvereinbarung bleibt der Schadensersatzanspruch ein Schadensersatzanspruch. Er wandelt sich nicht um in einen Werklohnanspruch. Lest aber selbst das Urteil und gebt dann bitte Eure Kommentare ab.
Viele Grüße und ein sonniges Maiwochenende
Willi Wacker
Aktenzeichen:
43 C 1126/14
Amtsgericht Stuttgart
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
…
Klägerin –
gegen
DEVK Allgemeine Versicherungs-AG, vertreten durch d. Vorstand, Neckarstraße 146, 70190 Stuttgart
– Beklagte –
wegen Schadensersatz
hat das Amtsgericht Stuttgart durch die Richterin H. am 17.07.2015 auf Grund des Sachstands vom 25.06.2015 ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495a ZPO für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 274,07 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.12,2013 nebst 41,77 Euro vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 10 % und die Beklagte 90 % zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 305,49 € festgesetzt.
Tatbestand
Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß §§ 313a Abs. 1, 495a ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
I.
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
1. Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
Die Klägerin begehrt aus abgetretenem Recht die Erstattung restlicher Sachverständigenkosten. Das Kfz-Sachverständigenbüro – hier die Klägerin – berechnete für die Erstellung des Gutachtens insgesamt 886,49 Euro brutto. Die Geschädigte trat ihre Ersatzansprüche gegen die Beklagte an das Sachverständigenbüro ab. Vorprozessual zahlte die Beklagte auf die Sachverständigenkosten einen Teilbetrag in Höhe von 540,00 Euro sowie einen weiteren Teilbetrag in Höhe von 41,00 Euro. Die Beklagte ist der Auffassung, dass weitergehende Ansprüche nicht bestünden, da die Sachverständigenkosten überhöht und im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB nicht erforderlich seien.
Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der weiteren Sachverständigenkosten in Höhe des tenorierten Betrages aus abgetretenem Recht gemäß §§ 7, 17 StVG, 823 BGB, 115 Abs. 1 VVG, 3a Abs. 1 PflVG, 249 BGB i.V.m. § 398 BGB zu.
a) Gegen die Aktivlegitimation der Klägerin bestehen keine Bedenken. Ausweislich der vorgelegten Abtretungserklärung im Rahmen des Sachverständigengutachtenauftrags vom 24.06.2013 (Anlage K3, Bf. 13 d.A.) wurden der Klägerin die Ansprüche im Rahmen einer Abtretung erfüllungshalber abgetreten. An der hinreichenden Bestimmtheit bestehen keine Zweifel. Der Einwand der Beklagten gegen die Abtretung sind nicht überzeugend, dies insbesondere deshalb nicht, weil die Beklagte vorgerichtlich einen Teilbetrag von insgesamt 581,00 Euro an die Klägerin zahlte, so-dass sie nicht ernsthaft Zweifel an deren Aktivlegitimation haben konnte und ein dahingehender Vortrag widersprüchlich erscheint.
b) Die Sachverständigenkosten sind Kosten der Schadensfeststellung und mithin Teil des nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zu ersetzenden Schadens, wenn sie zu einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind. Nach der Rechtsprechung des BGH kann demnach nach einem Verkehrsunfall grundsätzlich ein in Relation zur Schadenshöhe berechnetes Sachverständigenhonorar als erforderlicher Herstellungsaufwand i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB erstattet verlangt werden (BGH NJW 2007, 1450 ff.). Jedoch kann der Geschädigte nur die Kosten ersetzt verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheint. Dabei darf jedoch der Rechtsgedanke des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB nicht aus dem Blick geraten, dass dem Geschädigten bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommt (BGH, Urt v. 11.02.2014 Az.: VI ZR 225/13).
Die Höhe der Sachverständigenkosten ist bis auf den Teilbetrag von 31,42 Euro nicht zu beanstanden. Vorliegend moniert die Beklagte, dass die Sachverständigenkosten insgesamt überhöht seien. Dem ist zu entgegnen, dass allein der Umstand, dass die vom Schadensgutachter abgerechneten Nebenkosten die aus der BVSK-Honorarbefragung ersichtlichen Höchstsätze überschreiten, die Annahme eines Verstoßens gegen die Schadensminderungspfiicht aus § 254 Abs. 2 S.1 BGB noch nicht rechtfertigt. Die Sachverständigenkosten liegen nicht erkennbar erheblich über den üblichen Preisen. Das erkennende Gericht hält den HB V-Korridor, der zur Zeit des Unfalls aktuellen BVSK-Honorar-Befragung 2013 insoweit für eine geeignete Vergieichsgrundlage. Hierbei handelt es sich um die Honorarbefragung des Bundesverbandes der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen e.V. (BVSK), dem größten Zusammenschluss freiberuflicher, qualifizierter Kfz-Sachverständiger. Diese Honorarbefragung wurde zwischen März und Juli 2013 durchgeführt. An dieser Honorarbefragung haben 840 Standorte der BVSK Mitglieder teilgenommen. Ein Vergleich mit dieser Erhebung zeigt, dass sich die in der Rechnung des Sachverständigen in dem in der Honorarbefragung ausgewiesenen Korridor bewegen. Im vorliegenden Fall liegen zwar die Nebenkosten wie auch das Grundhonorar nicht in dem Korridor der Honorarbefragung, jedoch letztlich unterhalb der jeweiligen Maximalbeträge. Das Grundhonorar errechnet sich aus der Nettoreparatur zuzüglich Minderwert, sodass sich ein Maximalwert von 625,00 Euro ergibt Dieser ist durch den Betrag in Höhe von 519,49 Euro plus Mehrwertsteuer nicht erreicht. Gleiches gilt für die abgerechneten Nebenkosten, auch diese liegen unterhalb der Maximalbeträge. Darüber hinaus ist die BVSK-Honorarbefragung nach höchstrichteriicher Rechtsprechung zumindest nicht als starre Bemessungsgrundlage heranzuziehen. Vielmehr darf das Gericht diese auch als ungeeignet einstufen. Maßgeblich ist jeweils auf die individuelle Lage des Geschädigten bei Beauftragung des Sachverständigen abzustellen (BGH, Urt. v. 11.02.2014, Az.: VI ZR 225/13 Rn. 9 sowie Urt. v. 22.07.2014, Az.: VI ZR 357/13 Rn. 20, zitiert nach juris).
Dass die Geschädigte über besondere individuelle Kenntnisse verfügte, um an der Erforderlichkeit der streitigen Sachverständigenkosten zu zweifeln oder sie die BVSK-Honorarumfrage hätte kennen müssen, trägt die Beklagte aber auch nicht vor. Umstände, aus denen die Geschädigte hätte den Schluss ziehen müssen, dass die die veranschlagten Sachverständigenkosten die branchenüblichen Sätze übersteigen, sind jedenfalls nicht erwiesen (LG Stuttgart, Urt. v. 26.11.2014, Az.: 4 S 142/14).
Zudem ist nach der neueren Rechtsprechung (BGH a.a.O.) vor allem auf die subjektive Geschädigtensicht abzustellen. Dem Geschädigten obliegt es nicht, eine Marktforschung zu betreiben, um den honorargünstigsten Sachverständigen aufzufinden. Der Geschädigte genügt seiner Darlegungslast zur Schadenshöhe regelmäßig durch Vorlage einer Rechnung des von ihm zur Schadensbeseitigung in Anspruch genommenen Sachverständigen. Das ist vorliegend geschehen. Die tatsächliche Rechnungshöhe bildet bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein wesentliches Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen“ Betrags im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, schlagen sich in ihr doch die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalles einschließlich der-vordem Hintergrund der subjektbezogenen Schadensbetrachtung relevanten – beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten regelmäßig nieder (BGH, a.a.O.). Es obliegt vielmehr dem Schädiger einen Verstoß des Geschädigten gegen die Schadensminderungspflicht darzulegen. Nach § 287 ZPO ist die Schadenshöhe – hier die Höhe der Sachverständigenkosten – zu schätzen. Dabei ist eine Kürzung allein auf Grundlage der BVSK-Honorarbefragung – wie bereits erörtert – nicht zulässig. Nur wenn der Geschädigte nach seinen individuellen Kenntnissen erkennen kann, dass die Sachverständigenkosten deutlich überhöht sind und die Honorarsätze des Sachverständigen die in der Branche üblichen Sätze deutlich übersteigen, ist der Geschädigte durch das schadensrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot angehalten, einen günstigeren Sachverständigen zu beauftragen (BGH, a.a.O.). Das gilt nach Rechtsauffassung des Gerichts gleichermaßen, wenn der Sachverständige sodann aus abgetretenem Recht vorgeht. Schließlich wurden ihm die Rechte durch die Geschädigte vollständig abgetreten, sodass erder Beklagten auch deren Einwände entgegenhalten kann. Daraus folgt, dass es keinen Unterschied machen kann, dass die subjektive Geschädigtensicht maßgeblich ist, gleich ob der oder die Geschädigte klagen oder der beauftragte Sachverständige aus abgetretenem Recht.
c) Abzuziehen waren aber die auftragsbezogenen EDV-Fremdleistungen, die einschließlich Mehrwertsteuer einen Betrag von 31,42 Euro ausmachen. Diese Kosten sind nicht erstattungsfähig, da sie bereits im Grundhonorar des Sachverständigen enthalten sind, weil jede Gutachtenerstellung die EDV-Nutzung bedingt und nicht neben dem Grundhonorar zusätzlich in Abrechnung gebracht werden kann.
2. Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288, 291 BGB. Nachdem die Beklagte keine weiteren Zahlungen an die Klägerin leistete, war diese berechtigt, einen Rechtsanwalt zur Verfolgung ihrere Ansprüche einzuschalten. Auch wenn der Klägerin ein geringerer Teil als die Klageforderung zugesprochen wurde, so ergibt sich daraus kein Gebührensprung, sodass die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in voller Höhe zuzusprechen waren. Das schlichte Bestreiten des Verzugsbeginns ist nicht hinreichend substantiiert. Darüber hinaus lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 28.10.2013 weitere Zahlungen ab, sodass der Verzugsbeginn am 17.12.2013 nicht zu beanstanden ist.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
„Abzuziehen waren aber die auftragsbezogenen EDV-Fremdleistungen, die einschließlich Mehrwertsteuer einen Betrag von 31,42 Euro ausmachen. Diese Kosten sind nicht erstattungsfähig, da sie bereits im Grundhonorar des Sachverständigen enthalten sind, weil jede Gutachtenerstellung die EDV-Nutzung bedingt und nicht neben dem Grundhonorar zusätzlich in Abrechnung gebracht werden kann.“
Dieser werkvertraglich fixierte Gedankensprung überrascht angesichts der zuvor schadenersatzrechtlich zutreffend aufgeführten Beurteilungskriterien.
Fremdleistungen sind schon von der Bedeutung des Wortes her nie im Grundhonorar des Sachverständigen enthalten und für eine solche Auslegung mangelt es auch an einer gesetzlichen Grundlage. Die Handhabung verstößt damit auch gegen das Grundgesetz und ignoriert damit das, was bereits das AG Saarlouis wie folgt unmissverständlich formuliert hat.
Aktuell hat das AG Saarlouis im Urteil vom 28.2.2018 – 27 C 1313/16 (13) zu den abgerechneten AUDATEX-Kosten als Fremdleistung in den Entscheidungsgründen u.a. ausgeführt:
„Wegen der EDV- Abrufgebühr und den Kosten für eine EDV Fahrzeugbewertung in Höhe von jeweils 20,- EURO, die in dieser Höhe ebenfalls vom Landgericht Saarbrücken als erstattungsfähig geschätzt worden sind (vgl. hierzu die bereits zitierte Entscheidung vom 19.12.2014 – 13 S 41/13) ergibt sich aus dem Gutachten selbst, dass die Kalkulation der Reparaturkosten unter Inanspruchnahme des Systems Audatex erfolgt ist und das Gutachten auch eine Fahrzeugbewertung des Fahrzeugs vor dem Schadenseintritt und eine Restwertermittlung enthält, die üblicherweise und Gerichts bekannt unter Zuhilfenahme von EDV ermittelt wird .“ Quelle: captain-huk.de
Es würde auch dem Sinn und Zweck des § 249 Abs. 2 BGB widersprechen, wenn der Geschädigte bei Ausübung der ihm durch das Gesetz eingeräumten Ersetzungsbefugnis in Anwendung des § 278 BGB im Verhältnis zu dem ersatzpflichtigen Schädiger mit Mehraufwendungen durch Schadensbeseitigung belastet bliebe, deren Entstehung seinem Einfluss entzogen sind, weil die Schadensbeseitigung in einer fremden, weder vom Geschädigten noch vom Schädiger kontrollierbaren Einflusssphäre stattfinden muss.
Insoweit besteht kein sachlicher Grund, dem Schädiger das Risiko abzunehmen, das er auch bei einer Beseitigung des Schadens nach § 249 Abs. 1 BGB zu tragen hätte. Außerdem ist zu bedenken, dass der Sachverständige deshalb kein Erfüllungsgehilfe des Geschädigten ist, weil dieser nicht im Pflichtenkreis des Geschädigten tätig wird. Der Geschädigte bedient sich des Sachverständigen in erster Linie nicht zur Erfüllung von Obliegenheiten zur Schadensminderung, sondern kraft seiner Befugnis zur Herstellung des beschädigten Fahrzeugs. Diese Kosten legt das Gesetz aber gerade dem Schädiger auf (vgl. BGH NJW 1975, 160; Palandt/Grüneberg, BGB, 73. Auflage, § 254 Rdnr. 55).
H.U.