Mit Entscheidung vom 30.12.2015 (32 C 298/15) wurde die LVM Versicherung durch das Amtsgericht Hamburg zur Erstattung der außergerichtlich (rechtswidrig) gekürzten Sachverständigenkosten in Höhe von 28,56 € verurteilt. Das Urteil ist im Ergebnis zwar richtig, leidet jedoch unter einigen rechtlichen Mängeln. Obwohl der Geschädigte geklagt hatte, wurde seitens des Gerichts Bezug genommen auf die BGH-Entscheidung VI ZR 357/13 (Forderung aus Abtretung an Erfüllungs statt) und X ZR 122/05 (werkvertragliche Forderung). Darüber hinaus erfolgte noch eine Schätzung zur Üblichkeit auf Grundlage der BVSK-Honorarbefragung, obwohl der Geschädigte – nach Ansicht des BGH – dieses Pamplet ja nicht kennen muss (VI ZR 225/13). Auch die Bemerkung zur „Indizwirkung der bezahlten Rechnung“ war entbehrlich, da es schadensersatzrechtlich keine Rolle spielt, ob der Geschädigte die Sachverständigenkosten bereits beglichen hat, oder ob er Rechnungsschuldner ist, da der Geschädigte sich nicht auf einen Werkvertragsprozess mit dem Sachverständigen einlassen muss (OLG Naumburg – 4 U 49/05 vom 20.01.2006)
Amtsgericht Hamburg
Az.: 32 C 298/15
Urteil
IM NAMEN DES VOLKES
In dem Rechtsstreit
…
– Klägerin –
gegen
LVM Landwirtschaftlicher Versicherungsverein Münster a. G., vertreten durch d. Vorstand, d. vertr. d. d. Vorstandsvorsitzenden Jochen Herwig, Kolde-Ring 21, 48126 Münster
– Beklagte –
erkennt das Amtsgericht Hamburg – Abteilung 32 – durch die Richterin am Amtsgericht S. am 30.12.2015 ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495a ZPO für Recht:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 28,56 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.09.2015 zu bezahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist auch begründet.
1.
Die Klägerin kann von der Beklagten die Zahlung der verbliebenen Sachverständigenkosten in Höhe von 28,56 € gemäß §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 VVG verlangen.
Die vollumfängliche Haftung der Beklagten für die der Klägerin aus dem Verkehrsunfall vom 22.07.2014 in Hamburg entstandenen Schäden ist dem Grunde nach zwischen den Parteien unstreitig.
Der zwischen den Parteien allein der Höhe nach streitige Anspruch auf Übernahme der der Klägerin für die Anfertigung eines Sachverständigengutachtens in Rechnung gestellten Gutachterkosten besteht auch im klageweise geltend gemachten Umfang.
Die Sachverständigenkosten in Höhe von insgesamt 366,48 € netto/436,11 € brutto sind erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB, so dass die Klägerin gegen die Beklagte nach der Zahlung der Beklagten in Höhe von 407,55 € noch einen restlichen Zahlungsanspruch in Höhe von 28,56 € hat.
Grundsätzlich gehören die Kosten eines eingeholten Sachverständigengutachtens zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, soweit die Begutachtung – wie im Streitfall – zur Geltendmachung des Schädensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2014 – VI ZR 357/13 -, Rn. 9, juris m.w.N.).
Ist wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Der Geschädigte ist dabei nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei. Er darf zur Schadensbeseitigung grundsätzlich den Weg einschlagen, der aus seiner Sicht seinen Interessen am besten zu entsprechen scheint. Denn Ziel der Schadensrestitution ist es, den Zustand wiederherzustellen, der wirtschaftlich gesehen der hypothetischen Lage ohne das Schadensereignis entspricht. Der Geschädigte ist deshalb grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen (BGH, Urteil vom 22. Juli 2014 – VI ZR 357/13 – Rn. 16, Juris m.w.N.).
Der Geschädigte kann jedoch vom Schädiger nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Allerdings ist bei der Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist, auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflüssmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (sog. subjektbezogene Schadensbetrachtung). Auch ist der Geschädigte grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Markts verpflichtet, um einen möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen (BGH, Urteil vom 22. Juli 2014, a.a.O., m.w.N.).
Die Höhe des nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als erforderlich anzusehenden Herstellungsaufwands hängt insbesondere nicht davon ab, ob die durch den Geschädigten zur Wiederherstellung der beschädigten Sache eingegangene Verbindlichkeit ggf. an rechtlichen Mängeln leidet oder welche Vergütungshöhe bei einer fehlender Honorarvereinbarung zwischen dem Geschädigten und einem Sachverständigen aus vertragsrechtlichen Gesichtspunkten anzunehmen ist. Dies wäre nur dann relevant, wenn der Schaden, den der Geschädigte von dem Schädiger ersetzt verlangt, in der Belastung mit einer Verpflichtung bestehen würde. Dann würde für eine Ersatzpflicht des Schädigers grundsätzlich danach zu fragen sein, ob der Geschädigte mit dieser Verbindlichkeit beschwert ist. Im vorliegenden Fall ist jedoch Anknüpfungspunkt nicht eine derartige Schuldbelastung, sondern der durch die Beschädigung des Unfallfahrzeugs entstandene Schaden, den auf Kosten des Beklagten zu beseitigen der Kläger nach § 249 Satz 2 BGB berechtigt ist. Er hat hierzu den zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag zu befriedigen und nicht etwa vom Geschädigten bezahlte Rechnungsbeträge zu erstatten (vgl. BGH, Urteil vom 06. November 1973 – VI ZR 27/73 – BGH, Urteil vom 23. Januar 2007 – VI ZR 67/06 -, Rn. 13, juris). Wahrt der Geschädigte den Rahmen des zur Wiederherstellung Erforderlichen, sind weder der Schädiger noch das Gericht im Schadensersatzprozess berechtigt, eine Preiskontrolle durchzuführen. Dies gilt auch für die Höhe des Sachverständigenhonorars (BGH, Urteil vom 23. Januar 2007, a.a.O.).
Seiner ihn im Rahmen des § 249 BGB treffenden Darlegungslast genügt der Geschädigte regelmäßig durch Vorlage der – von ihm beglichenen – Rechnung des mit der Begutachtung seines Fahrzeugs beauftragten Sachverständigen. Ein einfaches Bestreiten der Erforderlichkeit des ausgewiesenen Rechnungsbetrages zur Schädensbehebung reicht dann grundsätzlich nicht aus, um die geltend gemachte Schadenshöhe in Frage zu stellen. Denn der in Übereinstimmung mit der Rechnung und der ihr zugrunde liegenden getroffenen Preisvereinbarung vom Geschädigten tatsächlich erbrachte Aufwand bildet (ex post gesehen) bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen“ (ex ante zu bemessenden) Betrages im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. In ihm schlagen sich die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten regelmäßig nieder. Indes ist der vom Geschädigten aufgewendete Betrag nicht notwendig mit dem zu ersetzenden Schaden identisch. Liegen die mit dem Sachverständigen vereinbarten oder von diesem berechneten Preise für den Geschädigten erkennbar erheblich über den üblichen Preisen, so sind sie nicht geeignet, den erforderlichen Aufwand abzubilden (BGH, Urteil vom 22. Juli 2014, a.a.O., m.w.N.).
Gemessen an diesen Maßstäben sind die der Klägerin in Rechnung gestellten Kosten des Gutachtens als erforderlich im Sinne des § 249 BGB anzusehen.
Dafür, dass die der Rechnung zugrunde liegenden Preise für die Klägerin als Geschädigte erkennbar erheblich über den üblichen Preisen liegen, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich.
Die durch den Sachverständigen in Rechnung gestellten Preise liegen nach Auffassung des Gerichts schon nicht erheblieh über den üblichen Preisen.
Das Gericht hält die im Rahmen der gerichtsbekannten BVSK-Honorarbefragung 2013 ermittelten Tabellen für eine geeignete Schätzungsgrundlage sowohl für die üblichen Preise hinsichtlich des Grundhonorars als auch für diejenigen der Nebenkosten (vgl. zur BVSK-Befragung 2008/2009 auch KG Berlin, Urteil vom 30. April 12015 – 22 U 31/14 – Rn. 54, juris). Die dort enthaltenen Werte beruhen auf einer breiten Erfassungsgrundlage (etwa 95 % der BVSK-Mitglieder haben sich beteiligt) und sind als repräsentativ zu betrachten. Der Honorarkorridor HB V enthält dabei Werte, innerhalb derer je nach Schadenshöhe zwischen 50 % bis 60 % der Verbandsmitglieder ihr Honorar berechnen, was deutlich dafür spricht, dass es sich um die übliche Vergütung handelt (vgl. KG Berlin, Urteil vom 30. April 2015 a.a.O.). Die Heranziehung der Tabellen zur Ermittlung der üblichen Vergütung, die nach einer festen Übung für die Werkleistung gewährt zu werden pflegt, entspricht daher pflichtgemäßem Ermessen nach § 287 ZPO. Auch der Bundesgerichtshof (Urteil vom 04.04.2006, Az. X ZR 122/05, zitiert nach juris) hat die BVSK-Tabellen bei der Ermittlung der üblichen Vergütung nicht von vornherein als ungeeignete Schätzungsgrundlage angesehen.
Auf dieser Grundlage liegen die üblichen Preise für ein Schadensgutachten wie das vorliegende, in welchem Netto-Reparaturkosten in Höhe von 799,66 € und eine Wertminderung in Höhe von 100,00 € festgestellt wurden, hinsichtlich des Grundhonorars zwischen 234,00 € und 266,00 €. Das hier streitgegenständliche Grundhonorar liegt in diesem Rahmen bei 242,48 €. Auch die in Rechnung gestellten Nebenkosten liegen entweder innerhalb des Honorarkorridors HB V oder aber nur geringfügig höher. Abgesehen davon vertritt das Gericht die Auffassung, dass für die Beurteilung einer erkennbaren Überhöhung auf den Gesamtbetrag der Rechnung abzustellen ist und nicht auf die einzelnen Positionen (so beispielsweise auch Anm. Heßeler, NJW 2014, 1916).
Schließlich war die Klägerin – wie ausgeführt – auch nicht zu einer Erforschung des ihr zugänglichen Markts und zur Beauftragung eines besonders günstigen Sachverständigen verpflichtet.
2.
Die Verurteilung zur Zahlung der Zinsforderung beruht auf §§ 291, 288 BGB.
II.
Die Kostenentscheidüng beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Gegen Ende der Urteilsgründe heißte es:
„Abgesehen davon vertritt das Gericht die Auffassung, dass für die Beurteilung einer erkennbaren Überhöhung auf den Gesamtbetrag der Rechnung abzustellen ist und nicht auf die einzelnen Positionen (so beispielsweise auch Anm. Heßeler, NJW 2014, 1916).“
Diesen Satz vorangestellt, hätten sich alle weiteren Ausführungen zu Grund- und Nebenkosten erledigt ….
Urteile von schadenersatzrechtlicher Bedeutung in positivem Sinne zu finden ist teilweise immer noch so schwierig, wie die Trüffelsuche. Aber die CH-Redaktion ist auf einem guten Weg und das kann hoffnungsvoll stimmen, denn die Kugel rollt keineswegs nur in eine Richtung.
Ein entspanntes Wochenende
Berthold