Mit Entscheidung vom 22.10.2015 [32 C 3278/15 (84)] wurde die R + V Versicherung AG durch das Amtsgericht Frankfurt am Main zur Erstattung der außergerichtlich durch die R+V (willkürlich und rechtswidrig) gekürzten Sachverständigenkosten verurteilt. Es handelt sich um ein sauber begründetes Urteil unter Berücksichtigung schadensersatzrechtlicher Grundsätze auf Grundlage des § 249 BGB. Hierbei wurde die Sicht des Geschädigten in den Vordergrund gestellt und einer Überprüfung der einzelnen Rechnungspositionen auf „Üblichkeit“ gemäß BVSK-Liste eine Absage erteilt. Auch wurde festgestellt, dass der Geschädigte nicht gegen die sog. „Schadensminderungspflicht“ verstoßen habe. Musterurteile wie diese erfreuen sich besonderer Beliebtheit auf der CH-Urteilsliste.
Amtsgericht Frankfurt am Main Verkündet It. Protokoll am:
Aktenzeichen: 32 C 3278/15 (84) 22.10.2015
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
…
Kläger
gegen
R + V Versicherung AG vertreten durch den Vorstand, Voltastraße 84, 60486 Frankfurt am Main
Beklagte
hat das Amtsgericht Frankfurt am Main durch die Richterin am Amtsgericht L. im Wege schriftlicher Entscheidung nach §§ 495a, 128 Abs. 2 ZPO aufgrund des Schriftsatzschlusses vom 01.10.2015 für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 444,47 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.06.2015 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Von einer Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen, da gegen das Urteil ein Rechtsmittel unzweifelhaft nicht gegeben ist.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Dem Kläger stehen gemäß §§ 823 Abs. 1 BGB, 7 Abs. 1, 17, 18 StVG, 249 gegen die Beklagte weitere Schadenersatzanspruch in tenorierter Höhe zu.
I.
Der Schadenersatzanspruch des Klägers in Bezug auf weitere Sachverständigenkosten besteht in geltend gemachter Höhe. Aufgrund der alleinigen Beurteilung des Ersatzfähigkeit der geltend gemachten Sachverständigenkosten anhand ihrer Erforderlichkeit i.S.d. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB kommt es auf die Frage der Üblichkeit des Honorars i.S.d. § 632 BGB und damit auf die Frage, ob als Schätzgrundlage die BVSK-Honorarbefragung, eine Pauschale im Verhältnis zur Höhe der Reparaturkosten oder ein Zeithonorar zugrunde zu legen ist, und ob und in welcher Höhe Nebenkosten abrechenbar sind, nicht entscheidungserheblich an. Entscheidend für die Bejahung der Erforderlichkeit i.S.d. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB der in Rechnung gestellten Sachverständigenvergütung ist vielmehr, dass vorliegend für den geschädigten Kläger eine etwaige Überhöhung der ihm in Rechnung gestellten Sachverständigenvergütung nicht erkennbar war und er seine Pflichten zur Schadensminderung nicht verletzt hat.
Kosten für die Erstellung eines Sachverständigengutachtens sind gemäß § 249 BGB als Aufwendungen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte, dem Grunde nach erstattungsfähig. Aus dem Grundanliegen des § 249 BGB, dem Geschädigten bei voller Haftung des Schädigers einen möglichst vollständigen Schadensausgleich zukommen zu lassen, folgt für die Prüfung, ob der Geschädigte den Aufwand zur Schadensbeseitigung für zweckmäßig und notwendig halten durfte und in vernünftigen Grenzen gehalten hat, dass eine subjektbezogene Schadensbetrachtung anzustellen ist, d.h. Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten, zu nehmen ist (vgl. BGH, Urteil vom 07.05.1996 – VI ZR 138/95, NJW 1996, 1958). Auch bei der Beauftragung eines Kfz-Sachverständigen darf sich der Geschädigte damit begnügen, den ihm in seiner Lage ohne weiteres erreichbaren Sachverständigen zu beauftragen. Er muss nicht zuvor eine Marktforschung betreiben; (BGH, Urteil vom 11.02.2014 – VI ZR 225/13, juris Rn. 7). Nur wenn der Geschädigte erkennen kann, dass der von ihm ausgewählte Sachverständige Honorarsätze für seine Tätigkeit verlangt, die die in der Branche üblichen Preise deutlich übersteigen, gebietet das schadensrechtliche Wirtschaftlichkeitsgebot, einen zur Verfügung stehenden günstigeren Sachverständigen zu beauftragen (BGH, Urteil vom 11.02.2014 – VI ZR 225/13, Urteil vom 22.07.2014, VI ZR 357/13, juris). Der Geschädigte genügt seiner Darlegungslast zur Schadenshöhe regelmäßig durch Vorlage einer Rechnung des von ihm zur Schadensbeseitigung in Anspruch genommenen Sachverständigen. Die tatsächliche Rechnungshöhe bildet bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein wesentliches Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen“ Betrages im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB, schlagen sich in ihr doch die besondere Umstände des jeweiligen Einzelfalles einschließlich der – vor dem Hintergrund der subjektbezogenen Schadensbetrachtung relevanten – beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten regelmäßig nieder (BGH, Urteil vom 11.02.2014 – VI ZR 225/13, Urteil vom 22.07.2014, VI ZR 357/13, juris). Ein einfaches Bestreiten der Erforderlichkeit des ausgewiesenen Rechnungsbetrages zur Schadensbehebung reicht allerdings grundsätzlich nicht aus, um die geltend gemachte Schadenshöhe in Frage zu stellen. Anderes gilt, wenn sich aus den getroffenen Vereinbarungen Umstände ergeben, die der Rechnung die indizielle Bedeutung für die Erforderlichkeit der Aufwendungen nehmen (BGH, Urteil vom 11.02.2014 – VI ZR 225/13, Urteil vom 22.07.2014, VI ZR 357/13, juris). Dem Schädiger verbleibt in jedem Falle die Möglichkeit darzulegen und ggf. zu beweisen, dass der Geschädigte gegen seine Pflicht zur Schadensminderung aus § 254 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB verstoßen hat, indem er bei der Schadensbeseitigung Maßnahmen unterlassen hat, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Schadensminderung ergriffen hätte (BGH, Urteil vom 11.02.2014 – VI ZR 225/13, Urteil vom 22.07.2014, VI ZR 357/13, juris).
Vorliegend ist weder dargetan noch ersichtlich, dass der Kläger von vorneherein hätte erkennen können, dass der von ihm beauftragte Sachverständige überhöhte Grund- oder Nebenkosten für die Begutachtung ansetzen werde. Zu einer Recherche nach einem Sachverständigen mit einem günstigeren Honorarangebot war der Geschädigte gegenüber der Beklagten nicht verpflichtet. Dass die vereinbarten und sodann berechneten Gutachterkosten eine derartige Höhe erreicht haben, dass bei dem Geschädigten vernünftigerweise Zweifel an der Erforderlichkeit der Rechnungshöhe aufkommen mussten, ist insbesondere unter Berücksichtigung der Bestimmung eines Grundhonorars sowie der Aufschlüsselung der angefallenen Kosten in Grund- und im Einzelnen gesondert aufgeführten Nebenkosten in dessen Rechnungen nicht erkennbar.
Selbst unter Heranziehung der (zur Zeit des Unfalls aktuellen) BVSK-Honorarbefragung 2013 erweist sich die Rechnung vom 31.10.2014 bei Vornahme einer Gesamtbetrachtung nicht als erkennbar überhöht. Denn sowohl das Grundhonorar als auch die Nebenkosten liegen zwar etwas über den jeweiligen maximalen Korridorwerten, aber nicht in einem derartigen Missverhältnis, dass dies für den Geschädigten ein Anlass bestanden hätte, dies zu überprüfen.
Der in der Folge dem Kläger zustehende Erstattungsanspruch in Höhe 966,47 EUR ist durch die unstreitige Zahlung der Beklagten gemäß § 362 Abs. 1 BGB teilweise erloschen, so dass die Klage über den darüber hinausgehenden Differenzbetrag von 444,47 EUR begründet ist.
II.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1 S.2, 288 Abs. 1, 249 BGB.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs.1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
IV.
Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dies erfordern, § 511 Abs. 4 Nr.1 ZPO. Die Frage der Beurteilung der Erforderlichkeit von Sachverständigenkosten ist mittels der Entscheidung des BGH vom 11.02.2014 – VI ZR 225/13 (juris) höchstrichterlich geklärt.
Aktuelle Situation
Dem Geschädigten steckt der Schreck über den Crash noch in den Knochen, da verschickt die R+V 24 scho einen Tag nach dem Unfall einen freundlichen Brief an ihn und stellt darin fest, dass ein Schadenfall für jeden unangenehm sei und man in dieser Situation dem Unfallopfer gern weiterhelfen möchte. Man verspricht, im Rahmen der gesetzlichen Regelungen die finanziellen Folgen des Unfalls zu übernehmen und regt an, den beigefügten Fragebogen (2 Seiten) auszufüllen, aber zuvor die wichtigen Hinweise zu lesen.Und dann erfährt der unbedarfte Leser:
Ein Gutachten ist nur bei ganz erheblichen Beschädigungen erforderlich.
Der Geschädigte möge Fotos vom Schaden schicken.
Man will dann wissen, ob das Unfallfahrzeug verkauft werden soll und möchte vorher angerufen werden.
Falls kein Mietwagen benötigt wird, lockt die Versicherung mit barem Geld für den Fahrzeugausfall.
Sollte jedoch ein Mietwagen benötigt werden, so wird um Anruf gebeten, weil man das Unfallopfer gern an eine Autovermietung vermitteln würde.
Wenn das Unfallopfer das möchte, kümmert der vorsorgliche Versicherer auch um die gesamte Schadenabwickelung. Um Anruf im „Kunden“zentrum des Versicherers wird gebeten.
Dieses Schreiben ist dann sogar noch vom Vorstand unterzeichnet, Andreas Bode und Frank Fehlauer.
Es wäre aufschlussreich, solche Briefe einer Versicherung an das Unfallopfer hier auf captain-huk.de einzustellen, denn m.E. ist diese Art der Werbung für die eigene Interessenlage zumindest teilweise irreführend und überdies mehr als aufdringlich.
Knurrhahn
Zu dem Schreiben kommt es nur, weil der Geschädigte bei der Unfallaufnahme durch die Polizei oder sonst seine Telefonnummer nicht hinterlassen hat. Wäre die Telefonnummer bekannt gewesen, hatte die Versicherung höchstwahrscheinlich noch am Unfalltag angerufen…
@Knurrhahn…..bei einem FÄHIGEN Anwalt wird der Rahmen der rechts-konformen Abwicklung geregelt.
@Schepers….falls es interessant wäre, würde die Nummer schnell bekannt sein, auch ohne persönliche Preisgabe.
@ Knurrhahn – meine Empfehlung:
http://www.omsels.info/die-verbote-oder-was-darf-ich-nicht/4-nr-10-uwg/11-abfangen-von-kunden
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Ich meine, das Urteil ist auf das Schreiben der A+V übertragbar:
BGH, Urt. v. 27.02.1986, I ZR 210/83 – Handzettelwerbung
Die Verteilung von Handzetteln mit einer Werbung für das eigene Geschäft unmittelbar vor der Verkaufsstelle des Konkurrenten oder in deren engstem räumlichen Bereich ist nicht zulässig, da das gezielte „Abfangen“ von Kunden in der Absicht, sie an Stelle des beabsichtigten Kaufes zum Kauf im eigenen Geschäft zu verleitet, als unmittelbare Behinderung des Mitbewerbers mit guten kaufmännischen Sitten nicht vereinbar ist. Der Grund hierfür liegt darin gesehen, dass bei einer solchen Handzettelwerbung der Werbende sich gewissermaßen zwischen den Kaufinteressenten und den Mitbewerber schiebt, um ersteren noch vor dem Betretet der Verkaufsstätte, also vor dem beabsichtigten Geschäftsabschluss, abzufangen, um ihm eine Änderung seines Kaufentschlusses aufzudrängen.
Quelle: http://www.omsels.info/die-verbote-oder-was-darf-ich-nicht/4-nr-10-uwg/11-abfangen-von-kunden#Versicherungswesen