Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,
nachfolgend stellen wir für diejenigen, die die wegen Sturms ausgefallenen Karnevals- und Faschingsumzüge vor Ort nicht ansehen konnten, als lesenswerte Lektüre hier ein Urteil des Kammergerichts aus Berlin zum Thema Restwert als Ersatz vor. Damit ist der Drops in Berlin wohl auch gelutsch, denn der Geschädigte muss sich grundsätzlich nicht auf Restwertgebote eines Restwerthändlers außerhalb des ihm zugänglichen allgemeinen regionalen Markts festhalten lassen, die vom eintrittspflichtigen Versicherer des Unfallgegners über das Internet recherchiert worden sind. Vielmehr darf sich der Geschädigte an den Restwerten in dem Gutachten sowie dem regionalen Markt orientieren, da der Gutachter selbst auch verpflichtet ist, die Restwerte auf dem regionalen Markt zu ermitteln. Wir finden, dass es sich bei der Entscheidung des KG Berlin um eine beachtenswerte Entscheidung handelt, die der Versicherungswirtschaft nicht schmecken wird. Was denkt Ihr? Gebt bitte Eure sachlichen Kommmentare ab.
Viele Grüße und für diejenigen, die noch karnvalistisch unterwegs sind, ein feucht-fröhliches, aber sturmfreies Helau und Alaaf.
Willi Wacker
Kammergericht
Im Namen des Volkes
Geschäftsnummer: verkündet am: 06. August 2015
22 U 6/15
43 O 94/14 Landgericht Berlin
In dem Rechtsstreit
des Herrn … ,
Klägers und Berufungsklägers,
g e g e n
die … Versicherung, vertreten d. d. Vorstand,
Beklagte und Berufungsbeklagte,
hat der 22. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin-Schöneberg, Elßholzstraße 30-33, 10781 Berlin, auf die mündliche Verhandlung vom 06.08.2015 durch den Richter am Kammergericht K. als Einzelrichter
f ü r R e c h t e r k a n n t :
Auf die Berufung des Klägers wird das am 11. Dezember 2014 verkündete Urteil der Zivilkammer 43 des Landgerichts Berlin – 43 O 94/14 – teilweise geändert:
1. Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger weitere 3.022,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. März 2014 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger weitere 71,17 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. März 2014 zu zahlen.
Die Kosten des ersten Rechtszuges hat die Beklagte zu tragen; die Kosten des zweiten Rechtzuges haben der Kläger zu 12 % und die Beklagte zu 88 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e
I.
Von der Darstellung des Sachverhaltes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
Dem Kläger steht aus dem Verkehrsunfall vom 10. Januar 2014 gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Unfallgegners über den von dem Landgericht zugesprochenen Betrag hinaus gemäß §§ 823 Abs. 1, 249 ff. BGB; §§ 7, 11, 17 StVG; § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 4 VVG ein Anspruch auf Zahlung weiterer 3.022,42 € zu, weil das Landgericht zu Unrecht angenommen hat, der Kläger hätte das später von der Beklagten eingeholte höhere Restwertangebot abwarten müssen und nicht zuvor das Unfallfahrzeug verkaufen dürfen.
1. Bei der konkreten Abrechnung ist der tatsächliche Schaden, also der realisierte Restwert maßgeblich, der insoweit als Beleg des zurechenbaren Schadens insbesondere dann genügt, wenn dieser – wie hier – dem von einem Gutachter ermittelten Wert entspricht (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2009 – VI ZR 205/08 – NJW 2009, 1265 [12]; BGH, Urteil vom 6. März 2007 – VI ZR 120/06 – NJW 2007, 1674 [10 f.]; BGH, Urteil vom 30. Mai 2006 – VI ZR 174/05 – NJW 2006, 2320, 2320 f. [8 f.]). Der Geschädigte muss sich nicht an einem Angebot eines Restwerthändlers außerhalb des ihm zugänglichen allgemeinen regionalen Markts festhalten lassen, das vom Versicherer des Unfallgegners über das Internet recherchiert worden ist. Vielmehr darf sich der Geschädigte an dem Gutachten sowie dem regionalen Markt orientieren (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2010 – VI ZR 316/09 – NJW 2010, 2722 [7]; BGH, Urteil vom 13. Oktober 2009 – VI ZR 318/08 – NJW 2010, 605 [9]; BGH, Urteil vom 13. Januar 2009 – VI ZR 205/08 – NJW 2009, 1265 [9 f.]; BGH, Urteil vom 10. Juli 2007 – VI ZR 217/06 – NJW 2007, 2918 [10]; BGH, Urteil vom 6. März 2007 – VI ZR 120/06 – NJW 2007, 1674, 1675 [10]; BGH, Urteil vom 12. Juli 2005 – VI ZR 132/04 – NJW 2005, 3134 [II.1.]; BGH, Urteil vom 7. Dezember 2004 – VI ZR 119/04 – NJW 2005, 357, 357 f. [II.3.a)]; BGH, Urteil vom 30. November 1999 – VI ZR 219/98 – NJW 2000, 800 [B.1.a)]), was auch der von ihm beauftragte Sachverständige zu berücksichtigen hat (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2009 – VI ZR 205/08 – NJW 2009, 1265, 1265 f. [10]; BGH, Urteil vom 12. Juli 2005 – VI ZR 132/04 – NJW 2005, 3134 [II.2.]; Knerr in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 3 Rn. 48).
2. Da der von dem Geschädigten beauftragte Sachverständige nicht sein Erfüllungsgehilfe ist, kann dem Geschädigten nur ein eigenes Mitverschulden nach § 254 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. BGB angelastet werden, was dann in Betracht kommt, wenn er hätte erkennen können, dass die Restwertermittlung des Sachverständigen keine verlässliche Grundlage darstellte. Vorliegend ist die sachverständige Ermittlung aber formal schon nicht zu beanstanden. Zwar hat der Gutachter im Regelfall drei Angebote einzuholen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Oktober 2009 – VI ZR 318/08 – NJW 2010, 605 [11]; BGH, Urteil vom 13. Januar 2009 – VI ZR 205/08 – NJW 2009, 1265 [13], vgl. auch Knerr in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 3 Rn. 48), während der von dem Kläger beauftragte Sachverständige hier nur zwei Angebote auf dem regionalen Markt ermittelte. Er gab jedoch ferner an, Angebote des allgemeinen regionalen Marktes hätten nicht erzielt werden können. Daraus rechtfertigt sich die Annahme einer Abweichung vom Regelfall, so dass dies nicht zu beanstanden ist. Jedenfalls ist dem Kläger als Geschädigten nicht anzulasten, wenn er ein solches Gutachten zur Grundlage nimmt, zumal der Sachverständige ausdrücklich mit dem konkreten Zitat der maßgeblichen Entscheidung des Bundesgerichtshofes verband, diese Rechtsprechung zu beachten.
3. Der Geschädigte kann sich ferner dann dem Einwand aussetzen, er habe den Schaden nicht zumutbar gemindert (§ 254 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. BGB), wenn er ein ihm rechtzeitig übermitteltes und zumutbares höheres Restwertangebot des Versicherers des Unfallgegners nicht annimmt. Vorliegend hatte der Kläger das Unfallfahrzeug jedoch zuvor bereits veräußert gehabt.
a) Anders als das Landgericht meint, musste er auf ein Restwertangebot des Versicherers des Schädigers, insbesondere eines außerhalb des allgemeinen regionalen Marktes, nicht warten, weil dies die dem Geschädigten zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen würde (vgl. BGH, Urteil vom 6. April 1993 – VI ZR 181/92 – NJW 1993, 1849, 1851 [II.4.]; vgl. ferner BGH, Urteil vom 30. November 1999 – VI ZR 219/98 – NJW 2000, 800, 802 [B.1.c)cc)]; BGH, Urteil vom 23. November 2010 – VI ZR 35/10 – NJW 2011, 667, 668 [12]; vgl. auch Knerr in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl., Kap. 3 Rn. 46). Auch wenn diese Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes offenbar gelegentlich übersehen wird, gilt die Rechtsfrage als „seit langem geklärt“ (so Schneider, jurisPR-VerkR 17/2010 Anm. 3 zu C.).
b) Ausnahmen müssen in engen Grenzen gehalten werden und dürfen insbesondere nicht dazu führen, dass dem Geschädigten bei der Schadensbehebung die von dem Schädiger bzw. dessen Versicherer gewünschten Verwertungsmodalitäten aufgezwungen werden, weshalb lediglich ein rechtzeitiges bzw. vorheriges zumutbares erheblich höheres Angebot berücksichtigt werden muss (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2010 – VI ZR 316/09 – NJW 2010, 2722 [9]), wobei dann zumutbare überregionale Angebote bzw. zumutbare Angebote spezialisierter Händler einzubeziehen sind.
c) Das lässt sich auch nicht dadurch unterlaufen, dass der Versicherer des Schädigers dem Geschädigten ein Restwertangebot ankündigt, um ihn auf diese Weise entgegen der ausgeführten Rechtslage zur Aufgabe der ihm zustehenden Befugnis und zum Abwarten zu zwingen.
Dementsprechend ist auch der weitergehende anteilige Zinsanspruch gemäß §§ 286, 288 BGB begründet.
Ferner steht dem Kläger hinsichtlich der vorgerichtlichen anwaltlichen Kosten ein höherer Betrag zu, und zwar ausgehend von einem Gegenstandswert von 13.099,08 € und Gebühren von 1.029,35 € weitere 71,17 €.
Die Kostenentscheidung beruht für den ersten Rechtszug auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO und für den zweiten Rechtszug auf §§ 516 Abs. 3, 91 Abs. 1 S. 1, 92 Abs. 1 ZPO.
Die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 S. 1 EGZPO; § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO. Die hier maßgebliche Rechtsfrage ist – wie bereits ausgeführt (s. 3. a)) – seit langem geklärt, weshalb mangels Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes Gründe für eine Zulassung der Revision nicht bestehen.
Zor Fassenacht do brucht de Jeck vor al een „sturmfrei Bude“.
immer wieder schön wenn Gerichte sich die Mühe machen nach der aktuellen und richtigen Rechtsprechung zu urteilen. Was mich stört ist, dass es immer wieder um die gleichen Sachverhalte geht, die schon X-mal durch den BGH und die Olgs bestätigt wurden, und so unsere Richterschaft mit immer mehr Arbeit eindecken. Hier gehört ein Gesetz her, das den Versicherungen mal gehörig auf die Finger haut, wenn immer wieder die gleichen substanzlosen Einwendungen Gerichte belasten. Genauso sollten aber auch Richter, die entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung agieren, entsprechend einen Dämpfer bekommen und bei weiteren Verfehlungen mit entsprechenden Maßnahmen rechnen müssten.