AG Bad Neustadt a.d. Saale verurteilt LVM-Versicherung zur Zahlung restlicher, erfüllungshalber abgetretener Sachverständigenkosten mit Urteil vom 29.1.2016 – 1 C 519/15 -.

Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,

zum Wochenbeginn stellen wir Euch hier ein umfangreiches Urteil aus Bad Neustadt an der Saale zu den Sachverständigenkosten aus abgetretenem Recht gegen die LVM Versicherung vor. Die von der LVM Versicherung vorgerichtlich vorgetragene Überhöhung der Sachverständigenkosten hat diese im Rechtsstreit nicht substantiiert vorgetragen. Damit ist die beklagte LVM noch nicht einnmal der ihr obliegenden Darlegungspflicht (vgl. BGH VI ZR 225/13) nachgekommen. Schon von daher war ihr Bestreiten im Prozess  unsubstantiiert. Im Übrigen hätte es der LVM freigestanden, sich die behaupteten Bereicherungsansprüche abtreten zu lassen und dann im Wege des Vorteilsausgleichs (vgl. Imhof / Wortmann DS 2011, 149 ff) vorzugehen. Wir meinen daher, dass es sich bei der Entscheidung des AG Bad Neustadt an der Saale – bis auf den abgewiesenen Feststellungsantrag – um eine positive Entscheidung handelt. Was denkt Ihr? Gebt bitte Eure sachlichen Kommentare ab.

Viele Grüße und eine schöne Woche
Willi Wacker

Amtsgericht Bad Neustadt a.d. Saale

Az.: 1 C 519/15

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Rechtsstreit

– Klägerin –

gegen

LVM Landwirtschaftlicher Versicherungsverein Münster a.G., vertreten durch d. Vorstand, Kolde-Ring 21, 48126 Münster

– Beklagter –

wegen Schadensersatz
erlässt das Amtsgericht Bad Neustadt a.d. Saale durch die Richterin D. am 29.01.2016 auf Grund des Sachstands vom 26.01.2016 ohne mündliche Verhandlung gemäß § 495a ZPO folgendes

Endurteil

1.        Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 118,58 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16.05.2014 zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2.        Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3.        Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 118,58 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.

Die Klage ist zulässig und weit überwiegend begründet.

Die Beklagte schuldet dem Kläger restliche Sachverständigenkosten i.H.v. 118,58 € gem. §§ 7, 17 StVG, 115 VVG, 398 BGB.

1.       Der Kläger ist aktivlegitimiert. Der Geschädigte … hat ihm seine Schadensersatzansprüche auf Erstattung der Sachverständigenkosten wirksam abgetreten. Die Abtretung ist insbesondere hinreichend bestimmt.

Eine Abtretung ist nur wirksam, wenn die Forderung, die Gegenstand der Abtretung ist, bestimmt oder wenigstens bestimmbar ist. An dem Erfordernis der Bestimmtheit oder der Bestimmbarkeit fehlt es, wenn von mehreren selbstständigen Forderungen ein Teil abgetreten wird, ohne dass erkennbar ist, von welcher oder von welchen Forderungen ein Teil abgetreten werden soll (BGH, Urteil vom 07.06.2011, VI ZR 260/10, BeckRS 2011, 17149 m. w. N.).

Die als Anlage K2, Bl. 9 d.A., vorgelegte Abtretungserklärung wird diesen Bestimmtheitsanforderungen gerecht, indem ausdrücklich die Schadensersatzforderung auf Erstattung der Sachverständigenkosten abgetreten worden ist. Es ist gerade nicht eine Mehrzahl von Schadenspositionen betroffen. Unschädlich ist, dass der Unfallgegner bzw. dessen Versicherung nicht namentlich genannt sind. Denn sie sind jedenfalls bestimmbar. Zwischen den Parteien ist nämlich unstreitig, dass der Geschädigte Stäblein am 29.08.2012 nur einen Unfall hatte. Auf diesen nimmt die Abtretungserklärung ausdrücklich Bezug. Durch die Bezugnahme auf die in Rechnung gestellten Sachverständigenkosten ist die Forderung auch der Höhe nach bestimmbar.

Die Abtretung ist auch nicht wegen Verstoßes gegen § 138 BGB unwirksam. Die Überlegungen der Beklagtenseite zur Sicherheitsabtretung können auf den hiesigen Fall bereits deshalb keine Anwendung finden, weil die Forderung nicht sicherheits-, sondern erfüllungshalber abgetreten wurde.

2.        Dem ursprünglichen Anspruchsinhaber, dem Geschädigten … ist ein Schaden in Höhe der in Rechnung gestellten Sachverständigenkosten entstanden.

Als Haftpflichtversicherung hat die Beklagte nach einem Verkehrsunfall auch grundsätzlich die Kosten für die Einschaltung eines Sachverständigen zu zahlen. Nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB gehören diese Kosten zum zu ersetzenden Herstellungsaufwand, soweit sie objektiv erforderlich sind. Die grundsätzliche Einstandspflicht der Beklagten für die Schäden aus dem Verkehrsunfall ist ebenso außer Streit wie die Tatsache, dass das streitgegenständliche Gutachten zur Beurteilung der Schäden erforderlich und zweckmäßig war.

Als erforderlich sind nach der ständigen Rechtsprechung des BGH diejenigen Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde. Wenn der Geschädigte die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann, so ist er gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen. Das Gebot zu wirtschaftlich vernünftiger Schadensbehebung verlangt jedoch vom Geschädigten nicht, zugunsten des Schädigers zu sparen oder sich in jedem Fall so zu verhalten, als ob er den Schaden selbst zu tragen hätte. Denn in letzterem Fall wird der Geschädigte nicht selten Verzichte üben oder Anstrengungen machen, die sich im Verhältnis zum Schädiger als überobligationsmäßig darstellen und die dieser daher vom Geschädigten nicht verlangen kann. Bei dem Bemühen um eine wirtschaftlich vernünftige Objektivierung des Restitutionsbedarfs darf indes nicht aus den Augen verloren werden, dass dem Geschädigten bei voller Haftung des Schädigers ein möglichst vollständiger Schadensausgleich zukommen soll. Deshalb ist bei der Prüfung, ob der Geschädigte den Aufwand zur Schadensbeseitigung in vernünftigen Grenzen gehalten hat, eine subjektbezogene Schadensbetrachtung anzustellen, d.h. Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen. Auch bei der Beauftragung eines Kfz-Sachverständigen darf sich der Geschädigte damit begnügen, den ihm in seiner Lage ohne Weiteres erreichbaren Sachverständigen zu beauftragen. Er muss nicht zuvor eine Marktforschung nach dem honorargünstigsten Sachverständigen betreiben (BGH, NJW 2014, 1947, m.w.N. = DS 2014, 90).

Daher genügt der Geschädigte seiner Darlegungslast zur Schadenshöhe regelmäßig durch Vorlage einer Rechnung des von ihm zur Schadensbeseitigung in Anspruch genommenen  Sachverständigen. Die tatsächliche Rechnungshöhe bildet bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein wesentliches Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen“ Betrags im Sinne von § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. Ein einfaches Bestreiten der Erforderlichkeit des ausgewiesenen Rechnungsbetrags zur Schadensbehebung reicht dann grundsätzlich nicht aus, um die geltend gemachte Schadenshöhe in Frage zu stellen. Denn der in Übereinstimmung mit der Rechnung und der ihr zu Grunde liegenden getroffenen Preisvereinbarung vom Geschädigten tatsächlich erbrachte Aufwand bildet (ex post gesehen) bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung „erforderlichen“ (ex ante zu bemessenden) Betrags i.S.v. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. In ihm schlagen sich die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Geschädigten regelmäßig nieder (BGH, NJW 2014, 3151). Dabei ist es aus Sicht des Gerichts unerheblich, ob der Geschädigte den Rechnungsbetrag bezahlt oder – wie hier – unwiderruflich erfüllungshalber seine Schadensersatzansprüche auf Erstattung des Rechnungsbetrages an den Sachverständigen abgetreten hat. Denn durch die Abtretung gibt er ebenfalls zu erkennen, dass er den Rechnungsbetrag anerkennt und keine Einwände gegen dessen Höhe erhebt.

Dass der Geschädigte bereits bei Beauftragung hätte erkennen können, dass der Sachverständige überhöhte Nebenkosten ansetzen würde, wird von der Beklagten nicht hinreichend substanttiert dargelegt. Es reicht insofern nicht aus, wenn die Beklagte – wie hier -behauptet, dass der Geschädigte bei Nachfrage hätte erfahren können, dass der Kläger für Fotos mehr berechnet als der dm-Markt. Denn die maßgebliche Vergleichsgruppe sind andere Kfz-Sachverständige und nicht ein Drogerie-Markt. Inwiefern der Geschädigte aber hätte erkennen können, dass der Kläger deutlich höhere Fotokosten verlangt als in der Branche üblich, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Kenntnisse über die üblichen Sachverständigenhonorare oder gar die BVSK-Umfrage über die Höhe der üblichen Nebenkosten sind bei einem normalen Geschädigten nicht vorauszusetzen. Ihn trifft auch keine diesbezügliche Recherchepflicht. Dasselbe gilt für die weiteren von der Beklagten beanstandeten Nebenkosten. Zudem ist auch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass für den Geschädigten bei Beauftragung des Klägers erkennbar war, dass Nebenkosten von insgesamt 38 % des Grundhonorars anfallen würden, d.h. in einer Höhe, die durchaus Zweifel weckt, ob es sich noch um Nebenkosten oder bereits um eine versteckte Erhöhung des Grundhonorars handelt.

Damit schätzt das Gericht den für die Behebung des Schadens erforderlichen Geldbetrag auf 854,00 €, § 287 ZPO.

3.        Anhaltspunkte für ein Mitverschulden des Geschädigten hat die Beklagte nicht vorgetragen. Insbesondere ist nicht dargelegt, inwiefern der Geschädigte hätte erkennen müssen, dass der Kläger höhere Nebenkosten als bei Kfz-Sachverständigen üblich berechnet. Ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht liegt auch nicht darin, dass der Geschädigte keinen ortsnäheren Sachverständigen beauftragt hat. Die Beklagte hat nicht einmal vorgetragen, welche Sachverständigen in geringerer Entfernung als der Kläger für den Geschädigten erreichbar gewesen wären.

4.        Eine Einschränkung ist auch nicht aufgrund von § 242 BGB vorzunehmen.

Es ist nicht etwa deshalb ein strengerer Maßstab an die Beurteilung der Erforderlichkeit der Aufwendungen zur Schadensbeseitigung nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB anzulegen, weil nicht der Geschädigte selbst direkt seinen Schadensersatzanspruch geltend macht, sondern das Sachverständigenbüro aus abgetretenem Recht. Insoweit kann nichts anderes als in den Fällen der Anmietung eines Ersatzfahrzeugs gelten, in welchen das Mietwagenunternehmen aus abgetretenem Recht den Ersatz der dem Geschädigten jeweils entstandenen Mietwagenkosten verlangt: Auch dort stellt die Rechtsprechung bei der Beurteilung der Erforderlichkeit und der Schadensminderungspflicht stets auf die Sicht des Geschädigten ab. Nur auf dessen Sicht kann es auch ankommen: Denn dieser hat das jeweilige Mietwagenunternehmen beziehungsweise im vorliegenden Fall den Sachverständigen beauftragt. Die Abtretung ändert die Rechtsnatur des Anspruchs und dessen Voraussetzungen nicht, sondern beinhaltet lediglich einen Wechsel der Gläubigerstellung (vgl. LG Stuttgart, NJW-RR 2015, 355).

Auch eventuelle Ansprüche des Geschädigten wegen Verletzung von Aufklärungspflichten ändern hieran nichts. So spielt es auch im Bereich des Ersatzes von Mietwagenkosten keine Rolle, ob dem Geschädigten gegenüber dem Autovermieter Ansprüche im Zusammenhang mit einer möglichen Überhöhung des geforderten Mietwagentarifs zustehen. Der Schädiger und sein Haftpflichtversicherer können sich nicht im Hinblick auf möglicherweise bestehende vertragliche Ansprüche des Geschädigten gegen den Vermieter von ihrer Schadensersatzverpfiichtung befreien und auch nicht die Abtretung eventueller vertraglicher Ansprüche des Mieters gegen den Vermieter verlangen und die Leistung bis zur Abtretung zurückhalten. In ihrem Verhältnis zum Geschädigten spielen solche Ansprüche angesichts der Regelung des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB keine Rolle (BGH, Urteil vom 16.9.2008, VI ZR 226/07). Nichts anderes kann aber für den Bereich der Sachverständigenkosten gelten. Dies ist auch infolge der Abtretung nicht anders zu beurteilen. Denn die Abtretung ändert – wie bereits ausgeführt – nichts an der Rechtsnatur des Schadensersatzanspruchs und dessen Voraussetzungen, sondern führt lediglich zu einem Gläubigerwechsel.

Darüber hinaus sind vorliegend entsprechende vertragliche Ansprüche des Geschädigten gegen den Sachverständigen auch nicht feststellbar. Anhaltspunkte sind weder ersichtlich noch von den Parteien vorgetragen. Insbesondere hat die Beklagte nicht einmal die Behauptung aufgestellt, dass und inwiefern der Kläger eventuell bestehende Aufklärungspflichten gegenüber dem Geschädigten verletzt habe.

Das Gericht verkennt nicht, dass bei Anlegung dieser Maßstäbe die Gefahr besteht, dass Sachverständigenkosten letztlich ungeprüft zu erstatten sind. Jedoch bleibt es der Beklagtenseite unbenommen, darzulegen und unter Beweis zu stellen, dass sich bei den Sachverständigen ähnlich wie im Bereich der Mietfahrzeuge eine Art „Sondermarkt“ herausgebildet hat, dass sich also  ein besonderer Tarif entwickelt hat, der nicht mehr maßgeblich von Angebot und Nachfrage bestimmt wird, sondern insbesondere durch gleichförmiges Verhalten der Anbieter. In diesem Fall wäre eine strengere Erforderlichkeitskontrolle vorzunehmen (vgl. BGH, NJW 2007, 1450).

5.        Die Verurteilung zur Zahlung von Verzugszinsen gründet sich auf §§ 286, 288 BGB. Verzug ist mit der Erklärung der Beklagten, sie werde keine weitere Zahlung leisten, eingetreten; Verzugszins ist ab dem darauf folgenden Kalendertag geschuldet, § 187 Abs. 1 BGB entsprechend. Der Klageantrag Ziffer 1 war daher hinsichtlich des weiteren Zinsanspruchs im Übrigen abzuweisen.

6.         Der Klageantrag zu 2.) war abzuweisen. Der gestellte Feststellungsantrag ist unzulässig. Ihm fehlt wegen des Vorrangs der Leistungsklage das Rechtsschutzbedürfnis. Denn eine Bezifferung des Anspruchs ist möglich, sodass der Kläger einen bezifferten Leistungsantrag hätte stellen müssen, der sich gem. § 258 ZPO auch auf künftig fällig werdende Zahlungen hätte erstrecken können. Dass der Endtermin der beantragten Verzinsung ungewiss ist, hindert eine Leistungsklage nicht, denn der Endtermin ist jedenfalls bestimmbar (BGH, Urteil vom 18.02.2015, XII ZR 199/13, juris).

7.         Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO. Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 511 Abs. 4 ZPO nicht vorliegen.

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