Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,
zum Sonntag stellen wir Euch hier ein interessantes Urteil aus Neubrandenburg zur 130%-Regelung gegen die Provinzial Nord Brandkasse AG und deren Versicherugsnehmer vor. Wieder einmal versuchte die eintrittspflichtige Kfz-Haftpflichtversicherung eine Schadensabrechnung im 130 %-Bereich zu unterlaufen. Es blieb allerding bei dem Versuch. Zu Recht hat das erkennende Gericht auf die Möglichkeit der 130 %-Abrechnung hingewiesen unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH (vgl. hierzu BGH VI ZR 119/09 = ZfS 2010, 202), ohne den BGH zu zitieren, was bei der klaren Rechtslage auch nicht notwendig war. Lest selbst das Urteil des AG Neubrandenburg und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße und einen schönen Sonntag
Willi Wacker
Aktenzeichen:
104 C 507/15
Amtsgericht Neubrandenburg
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
M. F. , …
– Klägerin –
gegen
1) G. H. , …
– Beklagter –
2) Provinzial Nord Brandkasse AG, vertreten durch den Vorstand, Sophienblatt 33, 24114 Kiel
– Beklagte –
hat das Amtsgericht Neubrandenburg durch den Richter am Amtsgericht M. am 04.05.2016 auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 13.04.2016 für Recht erkannt:
1. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 621,73 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.10.2014 sowie weitere vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 78,90 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.07.2015 zu zahlen.
2. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin macht restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom xx.09.2014 geltend, welcher sich in der Straße Blücher in Woldegk ereignete. Unfallbeteiligt war das Fahrzeug Renault Scenic, amtliches Kennzeichen MST-… , dessen Eigentümerin die Klägerin ist. Der Beklagte zu 1) war als Halter des Fahrzeuges PKW, amtliches Kennzeichen MST-… , welcher bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert war, Unfallbeteiligter. Die 100-prozentige Haftung der Beklagten aus dem Unfall ist zwischen den Parteien unstreitig.
Die Klägerin ließ am 11.09.2014 über den an ihrem Fahrzeug eingetretenen Schaden ein Gutachten erstellen, welches Gesamtreparaturkosten von 2.593,90 EUR netto, einen Wiederbeschaffungswert von 1.300,00 EUR und einen Restwert von 320,00 EUR auswies. Nachdem die Klägerin gegenüber der Beklagten zu 2) zunächst auf Gutachtenbasis abrechnete, ließ sie das Fahrzeug sodann zu einem Bruttobetrag von 1.676,73 EUR reparieren. Diesen Betrag nebst Sachverständigenkosten, Kostenpauschale und Mietwagenkosten machte sie gegenüber der Beklagten zu 2) mit Schreiben vom 01.10.2014 geltend. Mit Abrechnung vom 21.10.2014 entschädigte die Beklagte zu 2) auf Totalschadenbasis Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert in Höhe von 980,00 EUR, die geforderten Sachverständigen- und Mietwagenkosten, eine um 5,00 EUR gekürzte Kostenpauschale und 75,00 EUR Ummeldekosten.
Im Rahmen der vorliegenden Klage macht die Klägerin die Differenz von gezahltem Totalschaden und Reparaturkosten zuzüglich 5,00 EUR Unkostenpauschale geltend. Im Verlaufe des Verfahrens hat sie die gezahlten 75,00 EUR Ummeldungskosten auf den restlichen Schadensbetrag verrechnet.
Die Klägerin ist der Auffassung, sie sei zur Schadensabrechnung nach der sogenannten 130-Prozent-Regelung berechtigt. Ihr Fahrzeug sei unter Zuhilfenahme von gebrauchten Ersatzteilen vollständig und fachgerecht repariert worden. Unstreitig nutzt die Klägerin auch heute noch ihr Fahrzeug.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 626,73 EUR nebst fünf Prozentpunkten Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz seit dem 09.10.2014 sowie weitere vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 78,90 EUR nebst fünf Prozentpunkten Zinsen p.a. über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 30.09.2015 persönlich angehört. Es wurde Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom gleichen Tage. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Sachverständigengutachten des Gutachters S. vom 26.11.2015 (Blatt 54 ff. der Akte) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist im Wesentlichen begründet.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten zu 1) einen Anspruch auf Zahlung des ausgeurteilten Betrages aus den §§ 7, 17 StVG. Die Ersatzpflicht der Beklagten zu 2) folgt aus § 115 VVG.
Die 100-prozentige Haftung der Beklagten ist vorliegend zwischen den Parteien unstreitig. Als Fahrzeugschaden der Klägerin waren vorliegend die für die Reparatur ihres Fahrzeuges gezahlten 1.676,73 EUR anzuerkennen. Nach der von der Rechtsprechung anerkannten 130 Prozent-Regelung darf der Unfallgeschädigte die eigentlich unwirtschaftliche Reparatur seines Fahrzeuges bis zu einer Grenze von 30 Prozent über dem Wiederbeschaffungswert desselben durchführen. Nach diesen Grundsätzen darf die Klägerin vorliegend abrechnen. Die entsprechenden Voraussetzungen liegen vor. Der Reparaturkostenbetrag von 1.676,73 EUR liegt unterhalb von 130 Prozent des vom Schadensgutachter K. festgestellten und zwischen den Parteien unstreitigen Wiederbeschaffungswertes (1.690,00 EUR = 1.300,00 EUR zuzüglich 30 Prozent). Die Klägerin hat das beschädigte Fahrzeug auch über einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten weiter genutzt. Die Reparatur ihres Fahrzeuges ist auch im Rahmen der Vorgaben des Gutachters K. erfolgt. Dies steht nach dem eingeholten gerichtlichen Gutachten des Gutachters S. vom 26.11.2015 fest. Dieser hat das Klägerfahrzeug eingehend untersucht und die erfolgte Reparatur mit dem ursprünglichen Schadensgutachten verglichen. Im Endeffekt hat er das Fahrzeug als sach- und fachgerecht repariert eingeschätzt. Die Relevanz der übrigen Feststellungen des Sachverständigen ist nicht erkennbar. Insbesondere haben die Beklagten nicht vorgetragen, dass der tatsächliche Schaden am Klägerfahrzeug derart gering war, dass keine Abrechnung auf Totalschadenbasis mehr erfolgen durfte. Im Übrigen musste sich die Klägerin bei dem eingeholten Schadensgutachten des Sachverständigen K. auf die Richtigkeit dessen gutachterlicher Feststellungen verlassen können.
Der Zinsanspruch und der Anspruch auf Zahlung der restlichen vorgerichtlichen Anwaltskosten folgen aus Verzugsgesichtspunkten.
Im Hinblick auf die geltend gemachte restliche Unkostenpauschale von 5,00 EUR und eines geringfügigen Zinszeitraumes vom 09.10.2014 bis zum 21.10.2014 – dem Abrechnungsschreiben der Beklagten zu 2) – war die Klage abzuweisen. Nach ständiger Rechtsprechung der erkennenden Abteilung des Amtsgerichts beträgt die Kostenpauschale 25,00 EUR. Verzug der Beklagten konnte erst nach der ursprünglich erfolgten Abrechnung auf Totalschadenbasis mit dem Abrechnungsschreiben der Beklagten zu 2) vom 21.10.2014 eintreten.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92 Absatz 2 Nummer 1, 708 Nummer 11 ZPO.