Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,
zum Freitagnachmittag – kurz vor dem beginnenden Wochende – stellen wir Euch hier noch ein positives Urteil aus Göppingen zu den restlichen Sachverständigenkosten gegen die Allianz Versicherung AG vor. Das Gericht schätzt die Nebenkosten gemäß § 287 ZPO nach der BVSK-Befragung. Das halte ich für fehlerhaft, denn der BGH hat eindeutig entschieden, dass der Geschädigte die Ergebnisse dieser Sachverständigenumfrage nicht kennen muss (BGH VI ZR 225/13 Rn. 9). Was der Geschädigte aus seiner EX-ante-Sicht allerdings nicht kennen muss, kann ihm bei einer Ex-Post-Betrachtung im Nachhinein möglicherweise – je nach Einzelfall – nicht angelastet werden. Lest aber selbst das Urteil aus Göppingen und gebt bitte Eure sachlichen Kommentare ab. Das Urteil wurde erstritten und der Redaktion zugesandt durch die Rechtsanwalts-Kanzlei Dory & Kollegen aus 73033 Göppingen.
Viele Grüße und ein schönes Wochenende
Willi Wacker
Aktenzeichen:
2 C 507/15
Amtsgericht Göppingen
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
…
– Klägerin –
gegen
Allianz Versicherungs-AG, vertreten durch d. Vorstand Dr. Alexander Vollert, An den Treptowers 3, 12435 Berlin
– Beklagte –
wegen Schadensersatzes
hat das Amtsgericht Göppingen
durch den Richter am Amtsgericht M.
im schriftlichen Verfahren gem. § 495a ZPO am 26.01.2016
für Recht erkannt:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 181,52 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 25.01.2014 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 59,80 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.01.2015 zu bezahlen.
2.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: 181,52 €
Entscheidungsgründe
(ohne Tatbestand gem. 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO)
Die Klage ist begründet.
I.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung weiterer 181,52 € aus dem Verkehrsunfallereignis vom 04.11.2014 gem. §§ 7 Abs. StVG, 115 Abs. 1 S. 1 VVG zu.
1. Dass die Beklagte der Klägerin gem. §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 VVG aus dem Unfallereignis vom 04.11.2014 in Göppingen dem Grunde nach zu vollständigenm Schadensersatz verpflichtet ist, steht zwischen den Parteien außer Streit.
2. Die Klägerin ist in dem Rechtsstreit hinsichtlich des verbleibenden Schadensersatzbetrags auch aktivlegitimiert. Die Klägerin ist Geschädigte aus dem Unfallereignis vom 04.11.2014, sie ist auch Auftraggeberin des Sachverständigengutachtens vom 12.11.2014, denn sie hat es ausweislich des Gutachtenauftrags ( Bl. 5 ff. d. A.) selbst bei dem Sachverständigen in Auftrag gegeben. Weshalb die Beklagte die Aktivlegitimation der Klägerin bestreitet, ist daher nicht nachvollziehbar.
3. Über die bereits bezahlten Schadensersatzbeträge hinaus ist die Beklagte verpflichtet, der Klägerin weitere 181,52 € zu bezahlen, weil dieser Betrag ebenfalls zu dem zur Schadensrestitution erforderlichen Geldbetrag im Sinne des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB gehört. Die Kosten, die mit der Beauftragung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung der Schadenshöhe einhergehen, gehören dem Grunde nach zu den gem. § 249 Abs. 1 BGB zu ersetzenden Schäden (vgl. BGH, Urteil vom 22.07.2014, Az.: VI ZR 357/13). Der Höhe nach ist der Schadensersatzanspruch gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB auf die zur Beauftragung eines Sachverständigen erforderlichen Kosten begrenzt (BGH a.a.O). Erforderlich sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich das erkennende Gericht nicht verschließt, diejenigen Aufwendungen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde. Maßgeblich abzustellen ist im Rahmen dieser sogenannten subjektbezogenen Schadensbetrachtung auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere hier auf die individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten der Klägerin, weswegen sie sich bei der Beauftragung eines Kfz-Sachverständigen damit begnügen darf, den ihr in ihrer Lage ohne weiteres erreichbaren Sachverständigen zu beauftragen. Die Klägerin musste insbesondere nicht zuvor eine Marktforschung nach dem honorargünstigsten Sachverständigen betreiben.
4. Ihrer Darlegungslast zur Erforderlichkeit der mit der Beauftragung eines Sachverständigen angefallenen Kosten hat die Klägerin durch Vorlage der Rechnung des von ihr in Anspruch genommenen Sachverständigen genügt, denn die tatsächliche Rechnungshöhe bildet bei der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ein wesentliches Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrags, schlagen sich in ihr doch die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalls einschließlich der vor dem Hintergrund der subjektbezogenen Schadensbetrachtung relevanten beschränkten Erkenntnismöglichkeit der geschädigten Klägerin nieder (vgl. BGH, Urteil vom 11.02.2014, Az: VI ZR 225/13). Mit der Vorlage der Rechnung der Sachverständigen hat die Klägerin damit die Erforderlichkeit der angefallenen Kosten dargelegt. Auch die Beklagte selbst hat die Gutachterkosten – mit Ausnahme der Nebenkosten – akzeptiert. Dies ergibt sich augenscheinlich aus der eigenen Abrechnung der Beklagten vom 16.02.2015 ( Bl. 24/25 d. A.), wonach die Beklagte das ihr in Rechnung gestellte Grundhonorar in Höhe von 1.190,80 € netto ausdrücklich akzeptiert und lediglich die Nebenkosten auf der Basis der „aktuellen“ Rechtsprechung des Landgerichts Coburg gekürzt hat. Dass die geltend gemachten Grundhonorarkosten von 1.190,80 € netto erforderlich gewesen sind, davon gehen die Parteien selbst aus und wird nicht etwa dadurch widerlegt, dass die Klägerin hätte erkennen können, dass der von ihr beauftragte Sachverständige Honorarsätze für seine Tätigkeit verlangt hat, welche die in der Branche üblichen Preise übersteigen, und sie daher dem schadensrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgebot folgend gehalten gewesen wäre, einen zur Verfügung stehenden günstigeren Sachverständigen mit der Erstellung des Gutachtens zu beauftragen.
5. Zu ersetzen sind von der Beklagten neben dem Grundhonorar auch sämtliche Nebenkosten, die in der Honorarbefragung des BVSK, die das Gericht zur Schadensschätzung gem. § 287 ZPO auch in diesem Fall zugrunde legt, genannt sind. Die Nebenkosten sind nicht vom Grundhonorar abgedeckt, weil mit diesem allein die sachverständige Berurtei-lung, also die eigentliche Sachverständigentätigkeit, vergütet wird. Insoweit ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Werkvertragsrecht anerkannt, dass ein Sachverständiger neben einem Grundhonorar für die eigentliche Sachverständigentätigkeit auch Nebenkosten wie Schreibkosten, Porti, Telefon, Fotografien und Fahrkosten abrechnen kann (vgl. BGH, Urteil vom 04.04.2006, Az: X ZR 80/05). Weshalb in diesem Zusammenhang die Klägerin hätte erkennen können, dass die Abrechnung dieser Nebenkosten nicht branchenüblich und damit überhöht sei, insbesondere wenn diese in der Honorarbefragung des BVSK genannt sind, erschließt sich dem Gericht nicht. Dabei ist es ferner aus Sicht des Gerichts auch ohne Bedeutung, ob die Abrechnung einzelner in der BVSK-Befragung genannter Nebenkosten, wie Schreibkosten, Fotokopie-, Färb- und Fotografiekosten, zu hoch erscheint. Denn allein der Verweis der Beklagten auf alltägliche Situationen und andere verkehrstechnische Verfahren muss auf Seiten der geschädigten Klägerin noch nicht zu der Erkenntnis führen, dass die Abrechnung dieser Nebenkostenpositionen zu den geltend gemachten Sätzen nicht branchenüblich ist, bzw. es einen Sachverständigen gibt, der dem Geschädigten seine Dienstleistungen zu einem niedrigeren Preis anbietet. Dies wäre aber bei der von der Beklagten behaupteten und begehrten Anspruchskürzung unbedingt erforderlich gewesen. Soweit die Beklagte bestritten hat, dass überhaupt Zweitausfertigungen durch den Sachverständigten angefertigt worden sind, hat die Klägerin nach Auffassung des Gerichts hinreichend dargelegt, dass eine Zweitausfertigung des Gutachtens erfolgt ist. Dies ergibt sich für das Gericht bereits daraus, dass die Klägerin mit Schreiben vom 13.07.2015 an ihre Prozessbevollmächtigten ein vollständiges Duplikat des streitgegenständlichen Sachverständigengutachtens übersandt hat.
II.
Gem. § 286 BGB hat die Klägerin ferner Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwalts kosten in geltend gemachter Höhe.
Der zuerkannte Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB.
III.
Die prozessuaien Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 ZPO und §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
Hallo, Willi Wacker,
der Richter M. am Amtsgericht Göppingen hat seine Aufgabenstellung doch bemerkenswert gut erledigt und so u.a. ausgeführt:
„Weshalb in diesem Zusammenhang die Klägerin hätte erkennen können, dass die Abrechnung dieser Nebenkosten nicht branchenüblich und damit überhöht sei, insbesondere wenn diese in der Honorarbefragung des BVSK genannt sind, erschließt sich dem Gericht nicht.
Dabei ist es ferner aus Sicht des Gerichts auch ohne Bedeutung, ob die Abrechnung einzelner in der BVSK-Befragung genannter Nebenkosten, wie Schreibkosten, Fotokopie-, Färb- und Fotografiekosten, zu hoch erscheint.
Denn allein der Verweis der Beklagten auf alltägliche Situationen und andere verkehrstechnische Verfahren muss auf Seiten der geschädigten Klägerin noch nicht zu der Erkenntnis führen, dass die Abrechnung dieser Nebenkostenpositionen zu den geltend gemachten Sätzen nicht branchenüblich ist, bzw. es einen Sachverständigen gibt, der dem Geschädigten „seine Dienstleistungen“ zu einem niedrigeren Preis anbietet.“
Vergleichbare Dienstleitungen auf Basis vergleichbarer Qualifikation und Unabhängigkeit? Das würde infrage kommen für eine qualitativ vergleichbare Beweissicherung und übereinstimmende Prognosen. Gibt es aber in der Regel selbst unter dem Dach der Üblichkeit n i c h t!-
Insbesondere hat er sich nicht veranlasst gesehen, Einzelpositionen im Nebenkostenbereich zu vergleichen und den Schadenersatz danach quasi vorgebend normativ ex post zu bestimmen. Damit ist doch der Bedeutung der ex ante Position des Unfallopfers Rechnung getragen worden.
Mit freundlichen Grüßen
aus Tangendorf (Nordheide)
Kfz-Sachverständigenbüro
Dipl.-Ing. Harald Rasche