Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,
zum Jahresende können wir Euch mustergültige Entscheidungen vorstellen. Eine davon ist unserer Meinung nach das Urteil des AG Idstein. Weil die eintrittspflichtige VHV Versicherung nicht in der Lage oder gewillt war, den vollständigen Schadensersatz bei vollständiger Haftung zu leisten, musste der Geschädigte gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen, um zu seinem Recht zu kommen. Er klagte vor dem örtlich zuständigen Amtsgericht Idstein den Restschadensersatz in Form der restlichen Sachverständigenkosten ein. Allerdings klagte er nicht mehr gegen die VHV Versicherung, die ja bereits vorgerichtlich zu erkennen gab, keinen vollen Schadensersatz leisten zu wollen, sondern er klagte gegen den Unfallverursacher, den bei der VHV Versicherung Versicherten persönlich. Die Klage hatte vollen Erfolg. Unserer Meinung nach handelt es sich um ein mustergültiges Urteil. Insbesondere die zutreffenden Ausführungen zur „konkreten Abrechnung“ und zum „Werkvertrag“ sind wesentliche Argumente, die künftig in keiner Klage mehr fehlen dürften. So geht Urteil! Kurz, knapp und bündig – und sachlich richtig. Dieser Richter versteht sein Handwerk. Was denkt Ihr? Gebt bitte Eure sachlichen Anmerkungen zu diesem Urteil ab.
Viele Grüße
Willi Wacker
Amtsgericht Idstein
Aktenzeichen: 31 C 219/15 (10)
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
…
– Kläger –
gegen
… (Versicherte der VHV)
– Beklagte –
hat das Amtsgericht Idstein
durch Richter am Landgericht Dr. Dr. A.
im Verfahren gemäß § 495a ZPO am 3.11.2015 für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 61,41 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.5.2015 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Erstattung der Kosten für ein Gutachten. Die Beklagte schuldet als Haftpflichtversicherung in voller Höhe Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls vom 28.4.2015. Der Kläger holte zur Schadensfeststellung ein Gutachten der Sachverständigen … ein, wofür er 684,59 € zu entrichten hatte. Hiervon beglich die Beklagte 623,18 €. Mit Schreiben vom 7.5.2015 lehnte sie weitere Zahlungen ab.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 61,41€ nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.5.2015 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg. Der Kläger hat einen Anspruch aus §§ 7, 18 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB auf Ersatz seines Schadens, wofür die Beklagte nach § 115 Abs. 1 VVG unmittelbar einzustehen hat (OLG München v. 18.11.2011 – 10 U 1146/11).
Dieser Schaden umfasst auch die Auslagen für das Sachverständigengutachten, was zwischen den Parteien im Grundsatz auch unstreitig ist. Soweit die Beklagte die Erforderlichkeit und Angemessenheit der über 684,59 € hinausgehenden Kosten hierfür gemäß § 249 Abs. 2 BGB bestreitet, geht sie nach Auffassung des hier erkennenden Gerichtes von vorneherein von einem falschen Ansatz aus. Die Klägerin will nicht „fiktiv“ abrechnen. Sie verlangte gar nicht „statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag“. Vielmehr will er gerade die zum Ausgleich ihrer Einbuße – Zahlung der Sachverständigenkosten – tatsächlich entstandenen Kosten gemäß § 249 Abs. 1 BGB.
Im Übrigen besteht zwischen den Parteien kein Werkvertrag, so dass die Klägerin die Erforderlichkeit und Angemessenheit des Werklohns nachweisen müsste. Vielmehr verfolgt sie im Rahmen des Schadensersatzes die zum Ersatz ihres Schadens angefallenen Kosten. Dass diese nicht erforderlich gewesen sein sollen, stellt in der Sache den Vorwurf dar, die Klägerin habe gegen die Schadensminderungspflicht verstoßen (Staudinger/Schiemann, § 249 Rn. 230).
Das bloße Bestreiten der Erforderlichkeit, mit welchen Erwägungen auch immer, führt daher nicht dazu, dass der Geschädigte die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Kosten eines Gutachters beweisen müsste. Es bedürfte vielmehr näheren Vortrages dazu, dass die Klägerin als Geschädigte die angeblich deutliche Überhöhung der Sachverständigenkosten, die sich hier ohnehin auf etwa 10% beschränkt, hätte erkennen können (BGH, Urt. v. 11.2.2014 – VI ZR 225/13, S. 7 f.).
Hierzu fehlt im Beklagtenvorbringen jedes Wort. Eine solche Erkennbarkeit liegt aber nicht schon dann vor, wenn der Geschädigte durch intensive Marktforschungen hätte feststellen können, dass er irgendwo eine billigere Naturalrestitution hätte erlangen können (BGH NJW 1996, 1958, 1959).
Die begehrten Zinsen kann der Kläger aufgrund der Zahlungsverweigerung aus § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB verlangen.
Die Beklagte hat als unterlegene Partei gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Ja, Willi Wacker, das ist zum Jahresausklang nicht nur eine mustergültige, sondern auch in der Beschränkung der Entscheidungsgründe eine bemerkenswerte Entscheidung. Dadurch lässt sich der Begründungsaufwand für eine Klage zukünftig drastisch reduzieren, wie auch die Antwort auf eine Replik mit dem Antrag auf Klageabweisung. Wichtig sind insbesondere auch die Ausführungen zum Verstoß gegen die Schadenminderungspflicht, denn tatsächlich werden damit versicherungsseitig einem Unfallopfer in seiner Vorgehensweise und mit der Beauftragung eines versicherungsunabhängigen Sachverständigen diskriminierend negative Eigenschaften unterstellt, wie bereits mehrfach hier angesprochen. Das Gegenteil davon nehmen jedoch die Versicherer für sich selbst in Anspruch. Wie war das noch mit dem Diskriminierungsverbot und einer in der Sache wohl vorsätzlich betriebenen Herabwürdigung?
Was ich noch sagen wollte…
Super, super Urteil !!!
Insbesondere die zutreffenden Textbausteine
und
dürfen ab sofort tatsächlich bei keiner Klageschrift mehr fehlen.
Damit ist nämlich alles gesagt.
Viele Grüße aus dem Bayerischen Wald und die besten Wünsche für das neue Jahr.
Ja, Karle so ist es.
Indizwirkung der (noch) nicht bezahlten Rechnung und Nebenkosten nach JVEG gehören auf den Haufen Sonder/Giftmüll. Richter bzw. Richterinnen und RECHTSanwälte, die im Schadensersatzprozess so argumentieren, sollten sich zwingend einen neuen Job suchen.
Siehe: Anspruchsgrundlagen im Werkvertragsrecht – Quelle: http://www.juraindividuell.de/artikel/agl-werkvertrag/
Wenn man bedenkt, welchen Platitüden Unfallopfer, Rechtsanwälte …und Gerichte- jedenfalls bisher- auf den Leim gegangen sind, so muss das schon Erstaunen erregen. Dabei ist es interessant, die Ursachen dafür zu hinterfragen. Eine gigantische Machinerie der Rabulistik, verwoben mit wohlüberlegten Irreführungen jedweder Art hat zu dieser Situation geführt. Beachtlich ist jedoch, dass sich immer wieder einzelne Richterinnen und Richter davon nicht haben umgarnen lassen und da kommt zum Jahresausklang auch noch ein Richter des AG Idstein daher und veranschaulicht mit seinen wohlüberlegten Entscheidungsgründen auf weniger als 2 Seiten, wie das ganze Gezeter schadenersatzrechtlich einzuordnen ist. Da wird u.a. die VHV zukünftig wohl kaum noch auf den Plagiatstext a la HUK-Coburg-Kürzungsschreiben zurückgreifen können und auch nicht auf die angebliche Ortsüblichkeit und regionale Recherchen. Die hier schon vielfach angesprochene „Mogelpackung“ ist schlicht und einfach im A…..
Das kommt vielleicht auch davon, dass die Juristen im Hause der VHV den Vorstand nicht solide beraten haben und die Leitbilder des Unternehmens einfach nur aus Tünche bestehen. Beides zusammen ist auf Dauer „tödlich“. Versicherungsbetrug ist strafbar, für systematisch geplante Übervorteilung der Unfallopfer, sprich „Geschädigtenbetrug“, kann nichts anderes gelten. Die Wirtsaftsstrafkammer sollte sich dieser Vorgänge annehmen.
Albrecht P.
Schadenersatz nach 249 Absatz 1 BGB?RA
Der Geschädigte fordert kein Geld, sondern Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes durch den Schädiger?
Wohl kaum…
Dieser Richter am Landgericht Dr.Dr. H. hat das in Worte gefasst, was zumindest eine nicht unbeträchtliche Zahl von Insidern vermutet haben. Die Prägnanz der Entscheidungsgründe und die Beschränkung auf eine in der Sache angebrachte Kürze verdienen Respekt und Hochachtung.
Kfz.-Sachverständigenbüro
Dipl.-Ing. Harald Rasche
Bochum & Tangendorf / Nordheide
@ RA Schepers
Sehr geehrter Herr Kollege,
Ihre Rechtsauffassung ist nicht ganz richtig. Nach § 249 I BGB ist der Zustand herzustellen, der ohne das schädigende Ereignis bestanden hätte. Ohne das schädigende Ereignis „Unfall“ hätte es keinen beschädigten Wagen gegeben. Ohne den beschädigten Wagen wäre der Geschädigte nicht gezwungen gewesen, seinen Schaden gegenüber dem Schädiger zu beziffern. Da er als Laie dazu nicht in der Lage war, war er berechtigt, sachverständige Hilfe in Anspruch zu nehmen. Diese dadurch entstandenen Kosten wären ohne den Unfall nicht entstanden, so dass als Wiederherstellungsaufwand der Schädiger diese Kosten zu ersetzen hat, denn die Kosten des Sachverständigengutachtens gehören zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und gemäß § 249 I BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen, sofern die sachverständige Begutachtung zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs erforderlich und zweckmäßig ist (BGH Urt. v. 23.1.2007 – VI ZR 67/06 – = BGH NJW 2007, 1450 = DS 2007, 144 m. zust. Anm. Wortmann).
Das erkennende Gericht hat daher – zu Recht – die Kosten des Sachverständigengutachtens als nach § 249 I BGB zu ersetzenden Vermögensnachteil angesehen.
Mit freundl. koll. Grüßen
F-W Wortmann
@RA Schepers
den Sinn der Vokabel „statt“ haben Sie offenbar missverstanden. Sie können es mir aber auch aus Ihrer Sichtweite gern erklären.
Logopäde
@ Ra Schepers
Hallo, Herr Schepers, würde gern in einer Honorarkürzung mal Ihre Hilfe in Anspruch nehmen. Wo erreiche ich Sie?
Logopäde
@RA Schepers
wenn Sie jeweils aktuell Urteile und Kommentare auf captain-huk.de mitlesen und auch verstanden haben, weil in Deutscher Sprache abgefasst, kann Ihnen die Vielfalt unterschiedlicher Beurteilungsansätze kaum entgangen sein. Wie Sie sehen, ist es nun auch nach dem Urteil des AG Idstein keineswegs „allgemeine Meinung“, was Sie als solche verstanden wissen möchten. Ihre Darlegung beschränkt sich auf eine Leerformel von fast beliebiger Ausfüllbarkeit. Warum sagen Sie nicht einfach, dass Sie das Urteil des AG Idstein in den Entscheidungsgründen für nicht akzeptabel halten und begründen das auch. Was Sie hier in 2 Kurzkommentaren von sich gegeben haben ist keine Begründung und Willi Wacker hat darauf zutreffend reagiert. S I E werden die Bedeutung dieses Urteils nicht hinwegreden können. Rutschen Sie dennoch gut ins neue Jahr 2017. Wir hören auch immer wieder gern von Ihnen.
Mit besten Grüßen nach ???
Ihr
G.v.H.
@ Rechtsanwalt Schepers
Geil , die auf die Kommentatoren gerichtete Fotolinse. Ein echter Gag.
J.U.
Der Leitsatz der Entscheidung BGH VI ZR 67/06 lautet
Lieber Kollege Schepers,
wenn Sie schon auf die Leitsätze des BGH abstellen, dann schauen Sie sich mal den Leitsatz a) des BGH-Urteils vom 22.7.2014 – VI ZR 357/13 – an. Dort hat der BGH die Sachverständigenkosten als nach § 249 I BGB auszugleichenden Vermögensnachteil bezeichnet.
Mit freundl. koll. Grüßen
Ass. iur. Wortmann