Hallo verehrte Captain-Huk-Leserschaft,
zum Wochenbeginn stellen wir Euch hier ein aktuelles Urteil aus Darmstadt zu den Sachverständigenkosten aus abgetretenem Recht (Factoring) gegen die HUK-COBURG Haftpflichtunterstützungskasse kraftfahrender Beamter Deutschlands a.G. vor. Wir meinen, dass es sich – bis auf die Prüfung des § 249 Abs. 2 BGB an Stelle des § 249 Abs. 1 BGB – wieder um eine positive Entscheidung für unsere Urteilsliste handelt. Lest selbst und gebt bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße und eine schöne Woche.
Willi Wacker
Amtsgericht Darmstadt
Aktenzeichen: 312 C 509/16
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
Deutsche Verrechnungsstelle AG vertr.d.d. Vorstand, Schanzenstr. 30, 51063 Köln
Klägerin
gegen
HUK-Coburg Haftpflicht-Unterstützungskasse kraftfahrender Beamter Deutschlands a.G. ges. v. d. d. Vorstand, Bahnhofplatz 1, 96444 Coburg
Beklagte
hat das Amtsgericht Darmstadt durch die Richterin am Amtsgericht W. im schriftlichen Verfahren mit einer Erklärungsfrist bis zum 20.02.2017 am 08.03.2017 für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 78,86 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.12.2016 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 78,86 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Auf die Abfassung eines Tatbestands wird gemäß § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO verzichtet, da ein Rechtsmittel gegen das Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Zahlung der restlichen Sachverständigenkosten in Höhe von 78,86 EUR aus abgetretenem Recht gemäß § 1 PflVG, § 115 VVG, § 398 BGB.
Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Die Haftung der Beklagten für den Unfallschaden der Geschädigten V. G. dem Grunde nach ist unstreitig. Die Geschädigte hat das Sachverständigenbüro … mit der Erstattung eines Schadensgutachtens beauftragt. Dies ergibt sich aus dem schriftlichen Gutachtenauftrag vom 04.11.2015.
Die Geschädigte hat ihren Schadensersatzanspruch in Höhe der Sachverständigenkosten am 04.11.2015 an das Sachverständigenbüro … abgetreten. Die Abtretung ist wirksam. Die Haftung der Geschädigten für die Sachverständigenkosten trotz Abtretung ist weder eine überraschend im Sinne des § 305c BGB noch eine unangemessene Benachteiligung der Geschädigten im Sinne des § 307 BGB. Dass die Geschädigte als Auftraggeberin des Gutachtens die Sachverständigenkosten selbst bezahlen muss, wenn die gegnerische Versicherung oder der Schädiger nicht oder nicht in voller Höhe zahlen, ist selbstverständlich und allgemein üblich und daher keine vom allgemeinen Ablauf abweichende Überraschung. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb der Sachverständige das Risiko der Haftungsverteilung zwischen den Unfallbeteiligten tragen sollte und dadurch ggf. die Erstellung des Schadensgutachtens nicht oder nicht in voller Höhe vergütet bekommt. Für den Fall, dass der Sachverständige seinen Werklohnanspruch gegenüber der Geschädigten geltend macht, verzichtet er in der Abtretungserklärung Zug um Zug gegen Erfüllung auf die Rechte aus der Abtretung gegenüber den Anspruchsgegnern, so dass ausgeschlossen ist, dass die Geschädigte aufgrund der vorformulierten Klauseln in eine Situation kommen könnte, in der sie die Sachverständigenkosten zahlen muss, ohne ihrerseits beim Unfallverursacher Regress nehmen zu können.
Das Sachverständigenbüro hat den Schadensersatzanspruch der Geschädigten am 05.11.2015 an die Klägerin abgetreten. Die Abtretung ist wirksam. Die Klägerin verfügt über eine Inkassoerlaubnis im Sinne des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG). Ein Verstoß des Sachverständigen gegen das RDG liegt nicht vor, da die Abtretung des Schadensersatzanspruchs der Geschädigten und die Weiterabtretung dieses Anspruchs durch den Sachverständigen an die Klägerin weder eine Rechtsdienstleistung noch eine Inkassodienstleistung ist. Eine rechtliche Prüfung der Forderung ist für deren Abtretung nicht erforderlich. Durch die Abtretung erfolgt auch keine rechtliche Prüfung. Die bloße Forderungsabtretung ist auch keine Einziehung der Forderung.
Darauf, ob die Rechnung des Sachverständigen aus sachverständigenvertragsrechtlichen Gründen überhöht ist, kommt es vorliegend nicht an. Nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB ist erstattungsfähig, was „dem wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und angemessen erscheint“ (BGH NJW 2007, 1450 ff). Dabei ist im Rahmen der subjektbezogenen Schadensbetrachtung auf die „spezielle Situation“ des Geschädigten und seine individuellen Einfluss- und Erkenntnismöglichkeiten Rücksicht zu nehmen (BGH a.a.O.). Preisvergleiche sind dem Geschädigten in diesem Bereich regelmäßig nicht zuzumuten (OLG Nürnberg SP 2002, 358; OLG Naumburg a.a.O.). Überhöhte Rechnungen des Sachverständigen sind dem Geschädigten daher grundsätzlich zu erstatten (BGH a.a.O.), da der Sachverständige nicht etwa Erfüllungsgehilfe des Geschädigten, sondern des Schädigers ist und etwaige Fehler des Sachverständigen demzufolge gemäß § 254 Abs. 2 Satz 2, § 278 BGB dem Schädiger zuzurechnen sind (OLG Naumburg a.a.O. und OLG Nürnberg a.a.O.).
Ein Mitverschulden des Geschädigten selbst kann in diesem Fall nur dann angenommen werden, wenn diesem die Unangemessenheit der Vergütung bei Auftragserteilung offensichtlich ins Auge springen musste (BVerfG SP 2008, 162(163); OLG Naumburg a.a.O.). Eine solche Erkenntnismöglichkeit kann aber von einem Laien, der regelmäßig zum ersten Mal mit einer Unfallabwicklung konfrontiert ist, nicht verlangt werden (LG Saarbrücken SP 2008, 410). Die Sachverständigenhonorare stehen zu den festgestellten Schäden nicht außer Verhältnis.
Eine Benachteiligung der Beklagten durch das gewonnene Ergebnis kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil sie im Gegenzug einer Erstattung der vom Geschädigten aufgewandten Sachverständigenkosten die Abtretung eventueller Rückforderungsansprüche gegen den Sachverständigen verlangen kann (OLG Düsseldorf SP 2008, 340).
Schließlich liegt auch kein Bagatellschaden vor, der die Einholung eines Sachverständigengutachtens als einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 BGB erscheinen ließe. Eine Erstattungsfähigkeit von Sachverständigenkosten ist nämlich zumindest dann zu bejahen, wenn der Schaden über 700,00 EUR liegt (BGH NJW 2005, 356 (357)). Vorliegend betrugen die Nettoreparaturkosten 1.147,76 EUR.
Die Gutachtenkosten betragen 475,86 EUR. Hierauf hat die Beklagte 397,00 EUR gezahlt, so dass eine offene Forderung von 78,86 EUR verbleibt.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 i.V.m. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 11, § 713 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen (§ 511 Abs. 4 ZPO).
Dieses Urteil des AG Darmstadt beschränkt sich sequentiell auf eine schadenersatzrechtlich beurteilungsrelevante Perspektive, ist gleichzeitig aber ohne jedwede Schnörkel praxisorientiert auch ausgerichtet. Eine werkvertragliche Betrachtungsweise findet sich in den Entscheidungsgründen nicht und auch ein Zahlenlotto fehlt. Darüber hinaus ist das Urteil von einer geradezu wohltuenden Kürze. Allerdings hätte § 249 S.1 BGB noch gut gepasst. Ansonsten ist gegen ein „Im Namen des Volkes“ nichts einzuwenden. Diese Richterin W. am AG Darmstadt zeigt beispielgebend, wie man mit in der Sache angemessener Verkürzung allen Müll an unqualifzierten Einwendungen entsorgt. Das ist herausstellungswürdig.
R-REPORT-AKTUIELL
Fast sehr gutes Urteil, jedoch stellt sich die Frage, wie der SV Ansprüche gegenüber sich selbst abtreten muss, wenn er diese an das Factoring erfüllungsstatt verkauft hat, oder hat er auch erfüllungshalber abgetreten? Das BGH Urteil VI 76/16 vom 28.02.2017 und die Vorinstanz erklärt zum Vorteilsausgleich anderes. Was mich freut, da dort die anscheinende Wende zur Indizwirkung mit Abtretung erfüllungsstatt und die BVSK Befragung 2015 einigermaßen positiv klargestellt wird. Diese Verschleierungstaktik des VI Senat bleibt zwar, aber das Eis wird dünner. So könnte (wahrscheinlich) bei mir nun das LG Halle aber auch das LG Leipzig und LG Dessau in Einklang mit der Beklagten den Weg zum BGH frei machen oder selbst, nach Recht und Gesetz, die Zeichen der Zeit erkennen.