Hallo verehrte Captain-Huk-Leserschaft,
hier und heute stellen wir Euch noch ein Urteil aus Leipzig zu den Sachverständigenkosten aus abgetretenem Recht gegen die HUK-COBURG Allgemeine Versicherungs AG vor. Das Urteil ist im Ergebnis zwar richtig, in der Begründung jedoch mehrfach fehlerhaft. So wird Bezug genommen auf das Urteil des OLG Dresden, das jedoch durch das Urteil des BGH VI ZR 225/13 überholt ist. So werden weiterhin die Sachverständigenkosten über § 249 II 1 BGB beurteilt, obwohl es sich hierbei um einen konkreten, durch die Rechnung belegten Schaden handelt, der als Vermögensnachteil über § 249 I BGB zu lösen ist. Weiterhin wird auf den „besonders freigestellten Tatrichter“ unter Hinweis auf das Pinocchio-Urteil verwiesen, obwohl keine Schadenshöhenschätzung angezeigt erscheint, weil es sich um einen durch die Rechnung belegten und bewiesenen Vermögensnachteil i.S.d. § 249 I BGB handelt. Im Übrigen ist im Rahmen des § 287 ZPO eine Einzelpreisüberprüfung unzulässig, da es auf den Gesamtbetrag ankommt. Das folgendes Zitat, das inzwischen in vielen Urteilen ungeprüft verwendet wird, ist völlig rechtsfehlerhaft im Schadensersatzrecht:
„Dabei ist aber nicht ein vom Geschädigten bezahlter Rechnungsbetrag zu erstatten, sondern der Finanzierungsbedarf des Geschädigten in Form des zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrages zu befriedigen“.
Das gilt gegebenenfalls bei der fiktiven Schadensabrechnung, nicht jedoch bei der konkreten Schadensabrechnung, denn dort ist der Vermögensnachteil durch die Rechnung belegt! Dieses im Urteil des AG Leipzig aufgeführte Zitat ist die Grundlage aller Willkürrechtsprechung mit der klar erkennbaren Absicht, den § 249 BGB zu unterlaufen. Folge davon ist, dass kein vollständiger Schadensausgleich gem. § 249 BGB erfolgt. Denn bei Umsetzung dieser These bleibt der Geschädigte ggf. auf restlichen konkret angefallenen Kosten sitzen. Und das betrifft nicht nur die Sachverständigenkosten, sondern alle konkret angefallenen Schadenspositionen. Konkret angefallene Rechnungen zur Schadensbeseitigung sind jedoch Beweismittel, die im Rahmen des Schadensersatzrechtes zu erstatten sind, sofern sie sich im gesetzlichen Rahmen bewegen und nicht wucherisch und nicht sittenwidrig sind. Zu prüfen ist also bei der konkreten Abrechnung nur, ob die Rechnung sittenwidrig oder wucherisch ist und/oder ob ein Auswahlverschulden des Geschädigten vorliegt. Sofern das nicht der Fall sein sollte, handelt es sich um eine erstattungspflichtige Schadensposition. Der Schädiger ist allerdings nicht rechtlos. Es verbleibt ihm der Vorteilsausgleich, auf den wir hier bereits mehrfach hingewiesen hatten. Lest selbst das Urteil des AG Leipzig und gebt bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Viele Grüße und noch eine schöne Woche
Willi Wacker
Amtsgericht Leipzig
Zivilabteilung I
Aktenzeichen: 108 C 8157/16
Verkündet am: 10.04.2017
IM NAMEN DES VOLKES
ENDURTEIL
In dem Rechtsstreit
…
– Klägerin –
gegen
HUK-COBURG Allgemeine Versicherungs-AG, Bahnhofsplatz, 96450 Coburg v.d.d. Vorstand
– Beklagte –
wegen Forderung
hat das Amtsgericht Leipzig durch
Richterin am Amtsgericht …
auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2017 am 10.04.2017
für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 87, 02 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.08.2016 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Berufung wird nicht zugelassen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf 87,02 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Der Tatbestand entfällt gemäß § 313a ZPO.
Entscheidungsgründe
I. Die zulässige Klage ist begründet.
1. Die Parteien streiten um weitere Sachverständigenkosten. Die Klägerin hat einen zurückabgetretenen Anspruch gegen die Beklagte auf weiteren Schadensersatz in Höhe von 87, 02 Euro nach §§ 7 Abs. 1, 18 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, 249, 398 BGB. Dabei hat die Klägerin die Abtretungserklärung angenommen, durch vorliegende gerichtliche Geltendmachung und damit gemäß § 151 Satz 1 BGB. Der Abtretungsvertrag ist formfrei, so dass die Annahme der Erklärung (Anlage K2) keiner schriftlichen Annahme bedurfte (Palandt, 75. Aufl. § 398 Rdn. 6). Die alleinige Haftung der Beklagten nach den genannten Vorschriften für die aus dem Unfall vom 24.05.2016 in Leipzig resultierenden materiellen Schäden ist zwischen den Parteien unstreitig.
Die Klägerin macht 553, 80 Euro Netto Sachverständigenkosten geltend, davon Nebenkosten in Höhe von Netto 83,80 Euro. Die Beklagte zahlte vorprozessual 572,00 Euro.
2. Generell sind Sachverständigenkosten dem Grunde nach erstattungsfähig, da sie mit dem Schaden unmittelbar verbunden sind und nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zu den auszugleichenden Vermögensnachteilen gehören, da die Begutachtung zur Geltendmachung des vorliegenden Schadensersatzanspruches erforderlich und zweckmäßig war (so auch BGH, Urt. v. 30. November 2004; 6. ZR 112/87; BGB, Urt. vom 11. Februar 2014 – VI ZR 225/13, VersR 2014, 474 Rdn. 7; vom 7. Februar 2012 – VI ZR 133/11, VersR 2012, 504 Rdn. 13; zit nach Juris).
Die streitgegenständlichen Kosten können nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als erforderlicher Herstelleraufwand geltend gemacht werden. Seiner ihn im Rahmen des § 249 BGB treffenden Darlegungslast genügt der Geschädigte regelmäßig durch Vorlage der Rechnung des mit der Begutachtung seines Fahrzeugs beauftragten Sachverständigen.
Dabei ist aber nicht ein vom Geschädigten bezahlter Rechnungsbetrag zu erstatten, sondern der Finanzierungsbedarf des Geschädigten in Form des zur Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrages zu befriedigen (Urteile des BGH vom 6. November 1973 – VI ZR 27/73, BGHZ 61, 346, 347 f.; vom 23. Januar 2007 – VI ZR 67/06, VersR 2007, 560 Rdn. 13; vom 11. Februar 2014 – VI ZR 225/13, VersR 2014, 474 Rdn. 8) zitiert nach Juris). Der Geschädigte ist nach schadensrechtlichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei. Er darf zur Schadensbeseitigung grundsätzlich den Weg einschlagen, der aus seiner Sicht seinen Interessen am besten zu entsprechen scheint (Urteil des BGH vom 18. Januar 2005 – VI ZR 73/04, VersR 2005, 558, 559; zit. nach Juris). Denn Ziel der Schadensrestitution ist es, den Zustand wiederherzustellen, der wirtschaftlich gesehen der hypothetischen Lage ohne das Schadensereignis entspricht. Der Geschädigte ist deshalb grundsätzlich berechtigt, einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl mit der Erstellung des Schadensgutachtens zu beauftragen (Urteil des BGH vom 15. Oktober 2013 – VI ZR 528/12, VersR 2013, 1590 Rdn. 18 m.w.N.; zit. nach Juris).
Das Gericht ist im Schadensersatzprozess nicht berechtigt, eine Preiskontrolle durchzuführen (Urt. des BGH v. 29.06.2004; VI ZR 211/03, zit. nach Juris), auch hinsichtlich der Höhe des Sachverständigenhonorars. Der Geschädigte kann jedoch vom Schädiger nach § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur die Kosten erstattet verlangen, die vom Standpunkt eines verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten zur Behebung des Schadens zweckmäßig und notwendig erscheinen. Er ist nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm Zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Allerdings ist bei der Beurteilung, welcher Herstellungsaufwand erforderlich ist, auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten zu nehmen (sog. subjektbezogene Schadensbetrachtung, vgl. BGH, Urteile vom 6. November 1973 – VI ZR 27/73, BGHZ 61, 346, 348; vom 15. Oktober 2013 – VI ZR 528/12, VersR 2013,1590 Rdn. 19; vom 11. Februar 2014 – VI ZR 225/13, a.a.O. Rdn. 7 f., jeweils m.w.N.). Auch ist der Geschädigte grundsätzlich nicht zu einer Erforschung des ihm zugänglichen Marktes verpflichtet, um einen möglichst preisgünstigen Sachverständigen ausfindig zu machen (vgl. BGH, Urteile vom 23. Januar 2007 – VI ZR 67/06, a.a.O. Rdn. 17; vom 11. Februar 2014 – VI ZR 225/13; zit. nach Juris).
Liegen die vom Sachverständigen berechneten Preise für den Geschädigten erkennbar erheblich über den üblichen Preisen, so sind sie nicht geeignet, den erforderlichen Aufwand abzubilden. Bei der Bemessung der Schadenshöhe hat der Tatrichter dann allerdings zu beachten, dass der Schätzung nach § 287 Abs. 1 ZPO tragfähige Anknüpfungspunkte zugrunde liegen müssen. Wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 287 Abs. 1 Satz 1 ZPO ergibt, darf sie nicht völlig abstrakt erfolgen, sondern muss dem jeweiligen Einzelfall Rechnung tragen (vgl. BGH, Urteile vom 22. Dezember 1987 – VI ZR 6/87, VersR 1988, 466, 467; vom 11. Mai 1993 – VI ZR 207/92, VersR 1993, 969, 970; vom 17. Januar 1995 – VI ZR 62/94, VersR 1995, 422, 424; vom 8. Mai 2012 – VI ZR 37/11, VersR 2012, 917 Rdn. 9; BGH, Urteil vom 30. Mai 1995 – X ZR 54/93, NJW-RR 1995, 1320, 1321; BVerfG NJW 2010, 1870 Rdn. 19; Musielak/Foerste, ZPO, 11. Aufl., § 287 Rdn. 7 f.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 22. Aufl., § 287 Rdn. 35; BGH, Urteil vom 22. Juli 2014 – VI ZR 357/13 – zit. nach Juris).
Die vorliegend geltend gemachten Kosten des Sachverständigen in Relation zur Schadenshöhe sind nach den Urteilen des BGH vom 23.01.2007, Az.: VI ZR 67/06 und vom 11. Februar 2014 – VI ZR 225/13 beanstandungsfrei. Schließlich ist der Geschädigte nach den schadensrechtiichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei (BGHZ 162, 165 f.), so dass er einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl beauftragen kann. Der Geschädigte ist dabei nicht zur Erforschung des ihm zugänglichen Marktes verpflichtet, hat aber das Risiko zu tragen, dass sich dieser ausgewählte Sachverständige mit seinen Forderungen im Prozess als zu teuer erweisen kann (BGHZ 163, 362, 3671).
Gerade dies ist hier nicht festzustellen.
Der Rechnungsbetrag in Höhe von 659, 02 Euro Brutto wurde unstreitig in Höhe von 572,00 Euro durch die Beklagte beglichen. Streitgegenständlich sind demnach 87, 02 Euro. Aus Sicht eines wirtschaftlichen denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten lässt sich aus dieser Relation keine Unzweckmäßigkeit oder Unangemessenheit der Kosten des Sachverständigen herleiten, wonach die Kosten somit als erforderlicher Herstellungsaufwand geltend gemacht werden konnten.
3. Zudem betragen die Nebenkosten in Relation zum Grundhonorar nicht mehr als 25%, so dass diese keine versteckte Erhöhung des Grundhonorars darstellen (Rspr. des OLG Dresden auf der Basis des § 287 ZPO, Urteil vom 19.02.2014, Az.: 7 U 111/12; die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruch ist Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters BGH, Urteil vom 26.04.2016, VI ZR 50/15, zit. nach Juris) und in beantragter Höhe erstattungspflichtig sind. Unter Berücksichtigung geleisteter 572,00 Euro (§ 362 BGB) ist die Klageforderung in beantragter Höhe über 87,02 Euro begründet.
II. Die Nebenforderungen beruhen auf §§ 286, 288 BGB, die Kostenentscheidungen auf § 91 ZPO und die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt § 3 ZPO. Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und nicht der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne von § 511 Abs. 4 ZPO dient, sondern bereits obergerichtlich geklärt ist.
Das LG Leipzig macht den Unsinn mit der Indizwirkung vor, von daher gut entschieden, so auch später vom gleichen Dezernat:
AG Leipzig 108 C 9233/16 vom 08.05.2017 (http://www.sofort-vor-ort.de/1/1/ oder klick hier). – aus Abtretungserfüllungshalber Indizwirkung der Rechnung, keine Preiskontrolle, nach Sicht des Geschädigten, nach BGH VI ZR 67/06 vom 23.01.2007 und BGH VI ZR 225/13 vom 11.02.2014.
„Die vorliegend geltend gemachten Kosten des Sachverständigen in Relation zur Schadenshöhe sind nach den Urteilen des BGH vom 23.01.2007, Az.: VI ZR 67/06 und vom 11. Februar 2014 – VI ZR 225/13 beanstandungsfrei.
Schließlich ist der Geschädigte nach den schadensrechtiichen Grundsätzen in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung frei (BGHZ 162, 165 f.), so dass er einen qualifizierten Gutachter seiner Wahl beauftragen kann.
Der Geschädigte ist dabei nicht zur Erforschung des ihm zugänglichen Marktes verpflichtet, hat aber das Risiko zu tragen, dass sich dieser ausgewählte Sachverständige mit seinen Forderungen im Prozess als zu teuer erweisen kann (BGHZ 163, 362, 3671).
Gerade dies ist hier nicht festzustellen.“
Das ist doch eindeutig und man könnte allenfalls noch anfügen:
„Also kann er bei Auftragserteilung eine Schadensposition auslösen, deren Höhe ihm nicht bekannt ist und nicht bekannt sein kann. Folglich kann man ihm nicht später (ex-post) eine vermeintlich überhöhte Rechnung um die Ohren hauen, mit dem Argument, er hätte erkennen können, dass einzelne Positionen, wie Fotokosten oder Fahrtkosten überhöht sind. Diese Ex-Post-Betrachtung verbietet sich, weil es einzig und allein auf die Ex-Ante-Situation im Zeitpunkt der Beauftragung ankommt, was wohlweislich von der Beklagten nicht angesprochen wird.“
Das wäre es dann auch schon, getragen von der Erfahrung, dass man ausschließlich goldene Entscheidungsgründe nicht erwarten sollte.-
G.v.H.