Hallo verehrte Captain-Huk-Leserinnen und -Leser,
ich melde mich nach fast 14 Tagen zurück. Nachfolgend stellen wir Euch hier ein gut begründetes – und im Ergebnis richtiges – Urteil des AG Merseburg vom 20.12.2017 vor. Das erkennende Gericht hat die Sachverständigenkosten als erforderlichen Herstellungsaufwand angesehen, wie es der BGH bereits in der Entscheidung vom 23.1.2007 – VI ZR 67/06 – in Randnummer 11 getan hat. Zu Recht hat das Gericht auf die subjektive Schadensbetrachtung des Geschädigten im Zeitpunkt der Hinzuziehung des Sachverständigen zwecks Beweissicherung abgestellt. Zu Recht hat das erkennende Gericht auch die – möglicherweise noch nicht bezahlte – Rechnung des Sachverständigen – auch bei abgetretenem Schadensersatzanspruch – als Indiz für den erforderlichen Wiederherstellungsaufwand angesehen. Auch die noch nicht bezahlte Rechnung stellt nämlich einen Schaden dar, da die Belastung mit einer Zahlungsverpflichtung der Bezahlung gleichgestellt ist. Auf die logische Sekunde, die zwischen noch nicht bezahlter Rechnung und der bezahlten Rechnung liegt, kann es nicht ankommen. Dass die Schadensersatzforderung auf Erstattung der berechneten Sachverständigenkosten an den klagenden Sachverständigen abgetreten war, ändert nichts am Ergebnis, denn durch die Abtretung verändert sich die abgetretene Forderung nicht (vgl. BGH VI ZR 491/15 Rn. 22). Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass das erkennende Gericht letztlich den Sachverständigen als den Erfüllungsgehilfen des Schädigers ansieht (vgl. dazu: Imhof/Wortmann DS 2011, 149 ff.) und dem Schädiger einen Abtretungsanspruch im Wege des Vorteilsausgleichs einräumt, wenn er der Auffassung ist, die berechneten Sachverständigenkosten seien überhöht. Lest aber selbst das Urteil des AG Merseburg vom 20.12.2017 und gebt dann bitte Eure sachlichen Kommentare ab.
Mit freundlichen Grüßen
Willi Wacker
Amtsgericht
Merseburg
10 C 170/17 (X) verkündet am 20.12.2017
Im Namen des Volkes
Urteil
in dem Rechtsstreit
Firma
…
Klägerin
gegen
Generali Versicherung AG vertr.d.d. Vorstand dieser vertr. d. d. Vorsitzenden, Adenauerring 7, 81737 München
Beklagte
hat das Amtsgericht Merseburg auf die mündliche Verhandlung vom 14.12.2017 durch die Richterin am Amtsgericht S. für Recht erkannt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 131,65 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 126,65 € seit dem 05.05.2014 sowie aus 5,00 € seit dem 28.09.2017 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Und beschlossen:
Der Streitwert für das Verfahren wird festgesetzt auf 126,65 €.
Tatbestand
Das Gericht hat gemäß § 313 a Abs. 1 ZPO von der Abfassung eines Tatbestandes abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und bis auf einen Teil der Mahnkosten auch begründet.
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Zahlung der restlichen Gutachtenkosten in Höhe von 126,65 € gemäß §§ 7 StVG, 249 BGB, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG i.V.m. § 398 BGB aus abgetretenem Recht.
Sowohl die 100%ige Haftung der Beklagten aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall dem Grunde nach, als auch die ordnungsgemäße Abtretung der Schadenersatzansprüche des Geschädigten aus diesem Unfallereignis sind zwischen den Parteien unstreitig.
Die Einwendungen der Beklagten gegen die in Rechnung gestellten Sachverständigenkosten sind jedoch dem Zedenten gegenüber unerheblich.
Auch die restlichen Sachverständigenkosten sind dem Geschädigten gemäß § 249 BGB als erforderliche Herstellungsaufwand zu erstatten. Grundsätzlich sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH Urteil vom 15.10.2013 – VI ZR 471/12, Versicherungsrecht 2013, 1544, Rd, Nr. 20 und VI ZR 528/12, Versichrecht 2013, 1590, Rd. Nr. 19, Urteil vom 23.01.2007 – VI ZR 67/06, Versicherungsrecht 2007, 560, Rd. Nr. 17; Urteil vom 07.05.1996 – VI ZR 138/95, BGHZ 132, 373, 376; Urteil vom 02.07.1985 – VI ZR 177/84, jeweils a.a.O.) diejenigen Aufwendungen als erforderlich anzusehen, welche ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde. Bei der Prüfung der subjektiven Erkennbarkeit einer deutlichen Überhöhung des Honorars für den Geschädigten ist auch Rücksicht auf die spezielle Situation des Geschädigten, insbesondere auf seine Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie auf die möglicherweise gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten, zu nehmen (sogenannte subjektive Schadensbetrachtung – vgl. AG Dresden, Urteil vom 03.04.2017 – 115 C 341/16). Ebenso hat das Gericht bei seiner Schadensschätzung nach § 287 ZPO die streitgegenständliche Rechnung als wesentliches Indiz für die Bestimmung des zur Herstellung erforderlichen Betrages im Sinne von § 249 BGB heranzuziehen.
Nach Überzeugung des Gerichts hat die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Unfallgegners im vorliegenden Fall keine Möglichkeit sich gegenüber dem Geschädigten und damit auch gegenüber dem Kläger, weicher aus abgetretenem Recht klagt, sich darauf zu berufen, die Sachverständigenkosten seien überhöht. Hier folgt das Gericht der ständigen Rechtsprechung (OLG Naumburg vom 20.01.2006 – 4 U 49/05, AG München, Urteil vom 11.08.2017 – 343 C 7821/17; AG Bitterfeld-Wolfen, Urteil vom 12.05.2016 – 7 C 103/16; AG Merseburg vom 21.06.2016 – 10 C 61/16).
Dem Geschädigten ist jedenfalls dann, wenn keine Anhaltspunkte für ein zu erwartendes überhöhtes Honorar bestehen, nicht zuzumuten, vor Beauftragung eines Sachverständigen zunächst „Marktforschung“ zu betreiben und den günstigsten Anbieter herauszusuchen (vgl. BGH, Urteil vom 11.02.2014 – VI ZR 225/13, Urteil vom 21.01.2007 – VI ZR 67/06, OLG Bamberg, Urteil vom 23.02.2017 – 1 O 63/16 ; OLG Saarbrücken, Urteil vom 27.11.2014 – 4 U 21/14).
In weicher Höhe die Kosten für eine Begutachtung entstehen ist vor allem davon abhängig, wie umfangreich die Begutachtung des Fahrzeuges ausfällt und kann daher seriös erst dann eingeschätzt werden, wenn bereits eine erste grobe Inaugenscheinnahme durch den Sachverständigen erfolgt ist, was bereits entsprechende Kosten verursacht. Der Streit über die Höhe der Gutachterkosten aufgrund einer etwaigen Überhöhung bzw. Unangemessenheit ist nicht auf dem Rücken des Geschädigten auszutragen. Sollte der Schädiger oder seine Haftpflichtversicherung Einwendungen gegen die Höhe der Kosten haben, so steht ihm/ihr gegenüber dem Geschädigten ein Anspruch auf Abtretung etwaiger Schadenersatzansprüche aus dem Gutachtervertrag mit dem Sachverständigen zu (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.04.2015 – 14 U 63/15). Jedenfalls liegen vorliegend keine Anhaltspunkte für ein Auswahlverschulden des Geschädigten bei der Beauftragung des Klägers vor.
Insbesondere steht die Höhe des geltend gemachten Honorars nicht derart in einem Missverhältnis zur Schadenshöhe, dass dem Geschädigten scheinbar ein offenkundiges Missverhältnis bzw. eine Überhöhung hätte auffallen müssen.
Ausgehend von der vorgerichtlichen Teilzahlung der Beklagten auf die Sachverständigenkosten steht dem Kläger aus abgetretenem Recht somit noch ein weiterer Anspruch in Höhe von 126,95 € zu.
Zudem hat der Kläger Anspruch auf Verzugszinsen in der austenorierten Höhe gemäß §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.
Des Weiteren hat der Kläger Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Mahnkosten gemäß §§ 280 Abs. 1, 286 Abs. 1 BGB, allerdings nur in Höhe von 5,00 €. Das Gericht hat die Mahnkosten gemäß § 287 ZPO geschätzt und für jede Mahnung 2,50 € in Anlehnung an die Rechtsprechung des BGH in Ansatz gebracht Wegen der weitergehenden Mahnkosten war die Klage abzuweisen.
II.
Die Kostenentscheidung gründet sich in § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit geruht auf §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.
Das Gericht hat den Streitwert gemäß §§ 63 Abs.2, 48 Abs. 1 GKG, 3 ff. festgesetzt.
Ich muss aber auch immer meckern 😉 Wäre der Absatz 1 des §249 BGB deutlicher und es zum täuchenden 50/15 Ausführungen gegeben hätte, wäre ich vollkommen zufrieden gewesen, dennoch veranlasse ich die Veröffentlichung im Juris.
Hier das Urteil:
http://www.sofort-vor-ort.de/1/U-List-01-06-2015.htm
Hallo, Willi Wacker,
Deine positive Kommentierung zu diesem Urteil spricht für sich. Das Urteil selbst ist auch insoweit beachtlich, dass damit die selektierte Bezugnahme der Beklagten auf die Rechtssprechung des BGH als Mogelpackung entlarvt wird. Bemerkenswert ist zudem die nicht für erforderlich gehaltenen Bezugnahme auf BVSK, auf das JVEG und eine vergleichende Überprüfung von Einzelpositionen. Das Gericht hat überdies alle dem Geschädigten zugestandenen Anspruchserleichterungen beachtet und auch praxisorientiert umgesetzt, was die Beklagte grundsätzlich ignoriert. Es gibt also auch an den Deutschen Gerichten durchaus noch Richterinnen und Richter, die sich einen klaren Blick bewahrt haben für das Gesetz und die wissen, wie Schadenersatz gemäß § 249 S. 1 BGB zu verstehen ist. Die Beklagte vertritt jedoch seit mehr 20 Jahren die Auffassung, dass 100 % Haftung nicht 100 % Schadenersatz bedeuten, sondern mit den bemühten Sprüchen und Textbausteinen nur das als Schadenersatz akzeptiert werden muss, was sie für angemessen und erforderlich hält. Schlimm ist allerdings die aus der Luft gegriffene Anschuldigung, dass die Unfallopfer mit dem Beharren auf 100 % Schadenersatz gegen die Schadenminderungspflicht verstoßen würden und die rechtswidrig vorgenommenen Abzüge signalisieren, dass man versicherungsseitig deshalb die Unfallopfer nicht als verständige und wirtschaftlich denkende Menschen einordnet. Dem ist das Gericht mit klaren Überlegungen entgegengetreten.
R-REPORT-AKTUELL