Angela Merkel
Die nackte Kanzlerin
DIE ZEIT, Ausgabe 32, 2009
Von Claude Haas | © DIE ZEIT, 30.07.2009 Nr. 32
Sie hat die Macht, aber verkörpert sie nicht.
Zu Angela Merkels raffinierter Strategie der Selbstdarstellung
Angela Merkels Gewaltstreich besteht nun darin, sowohl den Helden als auch den Souverän aus dem Repräsentationswesen der modernen Politik verbannt zu haben. Um diesen symbolpolitischen Coup zu ermessen, muss man sich zunächst einmal vor Augen führen, dass sie die erste Bundeskanzlerin ist, die tatsächlich einen heroischen Lebenslauf aufzuweisen hat. Der Weg, der sie ins Kanzleramt führte, war unendlich weiter als jener, den all ihre Amtsvorgänger zurückzulegen hatten. Sie ist die erste Frau, und sie ist die erste Ostdeutsche im Kanzleramt. Und sie ist dies geworden, weil sie es im Zuge der CDU-Spendenaffäre als Generalsekretärin ihrer Partei gewagt hatte, den offenen Bruch mit deren damaligen Granden zu vollziehen. Der legendäre FAZ– Artikel, in dem Merkel sich von ihrem Ziehvater Kohl verabschiedete, ist bereits oft als das beschrieben worden, was er tatsächlich war: ein Königsmord. Bezeichnend ist allerdings, dass Merkel diesen heroischen Akt par excellence zugleich mit einer Absage an den Heroismus verknüpfte. Sie forderte nämlich ihre Partei dazu auf, zu dem „alten Schlachtross, wie Helmut Kohl sich oft selbst gerne genannt hat“, auf Distanz zu gehen.
Der Autor Claude Haase lehrt Literaturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und schreibt an einem Buch über Heroismus-Darstellungen im klassischen Drama